Prof. Sylvia Thun
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12.01.2021 Fachinformation

DGBMT im Gespräch mit Prof. Sylvia Thun: Aktuelle Aspekte der Diskussion um eHealth

Prof. Sylvia Thun ist Leiterin des Teams der Core-Unit eHealth und Interoperabilität am Berlin Institute of Health, Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologie im Gesundheitswesen an der Hochschule Niederrhein und Gastprofessorin an der Charité.

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Dr. Birgit Habenstein

Die elektronische Patientenakte ist seit dem 1.1.2021 erhältlich. Wann könnte ein Zugang zu den Daten für Forschungszwecke möglich sein und wie könnte er genutzt werden?
Prinzipiell ist ein Zugang der Daten für Forschungszwecke gesetzlich möglich, sofern die Patient*innen zustimmen. Eine Infrastruktur dafür wird derzeit aufgebaut. Als Voraussetzung gilt auch, dass die Daten in weiterverarbeitender Form vorliegen. Die EPA kann derzeit nur Dokumente abspeichern. Diese Dokumente sind erst einmal nicht adäquat nutzbar, da sie weder strukturiert sind, noch eine einheitliche Terminologie aufweisen. Dafür soll die ‚International Patient Summary‘-Struktur genutzt werden, die auch die EU für ihre Mitgliedsstaaten empfiehlt. Diese basiert auf dem IT-Standard FHIR und internationalen Terminologien. So ist z.B. die Allergie gegen Penicilline in einer eindeutigen medizinischen Sprache mit einer eindeutigen Grammatik abspeicherbar und zwischen Systemen und Menschen austauschbar. Der Nutzen der Daten für Forscher und Institute ist groß : Eine sog. Data-Driven Medicine ist bereits schon lange vorhanden, kann aber nur mit qualitativ hochwertigen und ausreichend vielen Daten erfolgen. Auch die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz können auf den Daten angewendet werden, trainiert werden und dann für Diagnostik, Therapie und Prädiktion angewendet werden.

Sind die Ärzt*innen im Krankenhaus und privaten Praxen geschult und informiert, dass sie mit der elektronischen Patientenakte umgehen können? 
Die Ärzt*innen sind seit 2004 auf die Digitalisierung der Patientenakte vorbereitet, da sie dort im Gesetz verankert wurde. Es besteht aber sicherlich noch umfangreicher Schulungsbedarf mit dem Umgang der Software und den Übertragungen der Daten. Dort ist Blended Learning oder auch die Anwendung Digitaler Lernformate angezeigt.

Welches sind die aktuellen Entwicklungen der Lehre von Datenerhebung und -auswertung in der Medizin?
Die Studienfächer Medizininformatik, Digital Health, Health Information Management und Health Data Science werden an einigen Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland angeboten. Daneben gibt es Weiterbildungskurse für Ärzt*innen um die Zusatzbezeichnung  ‚Medizinische Informatik‘ zu erlangen. Die Fachgesellschaft GMDS bietet zusätzliche wissenschaftliche Inhalte an.

Welches Potential, welche Risiken und welche Herausforderungen stehen aktuell im Kontext der Big Data im Vordergrund?
Das Potential ist sehr groß: Wir haben Zugriff auf das weltweite Wissen zur Medizin und können durch das Zusammenführen von Daten Entscheidungsunterstützungssysteme aufsetzen, die es vor einigen Jahren noch nicht gab. Es können z.B. eine Niereninsuffizienz oder ein Herzinfarkt schon Tage vor dem Auftreten anhand der Daten detektiert werden. Der Datenschutz ist dabei jedoch eine große Herausforderung, da der Dateneigner zustimmen muss und dieses muss in den Massendaten sichtbar sein. Wichtig ist ein Paradigmenwechsel hin zu einer weltweiten Zusammenarbeit mit Daten, die FAIR sind, d.h. findable, accessible, interoperable und re-usable. Dazu gehört die positive Haltung zur Datenspende und von Open Data, das gilt auch für die Pharma- und Medizinprodukteindustrie.

Hat Deutschland es geschafft auf den Zug der Digitalisierung aufzuspringen oder wurden wir von den führenden Digitalisierungsnationen wie den USA und China abgehängt? 
Wir haben sehr viel aufzuholen. Unsere präzise Herangehensweise kann jedoch von Vorteil bei einigen Forschungsfragen sein.

Welche Maßnahmen erscheinen Ihnen in der Digitalisierung der Gesundheitssystems relevant? 
Wichtig ist die Einführung der EPA und des eRezept. Weiterhin müssen nationale Forschungsdateninfrastrukturen aufgebaut werden und Terminologiedienste, die der Staat bereit stellt, um Forschungsprojekte adäquat zu unterstützen.

In den Fachausschüssen der DGBMT werden die aktuellen Hürden und Chancen der Digitalisierung der Medizintechnik diskutiert. In allen Bereichen der biomedizinischen Technik spielen die Aspekte der Digitalisierung (Cybersecurity, Datenerfassung, Dateninteroperabilität, Datenzugänglichkeit etc.) eine essenzielle Rolle. Die aktuelle Umstellung auf die MDR verlangt in der Bandbreite der medizintechnischen Produktentwicklung auch auf der Ebene der Digitalisierung neue Ressourcen und der Austausch der Experten unterstützt Produktions- und Innovationsfähigkeit.