21.09.2016 Veranstaltungsrückblick

ETG/FNN Tutorial Schutz- und Leittechnik 2016

23. - 24. Februar 2016 Berlin

Tagungsleiter: Dr. Heinrich Hoppe-Oehl, Westnetz GmbH, Arnsberg

Am 23. und 24. Februar 2016 wurde in Berlin das ETG-FNN-Tutorial Schutz- und Leittechnik durchgeführt. Diese für die Fachleute der Schutz- und Leittechnik sehr wichtige Fachtagung findet ca. alle 2 Jahre statt und stand dieses Mal wiederum unter der Hauptüberschrift Auswirkung der Energiewende auf die Energieversorgungsnetze insbesondere auf die Schutz- und Leittechnik. Die Tagung war mit 593 Teilnehmern sehr gut besucht und bot mit 26 namhaften Ausstellern eine umfangreiche Fachausstellung und war damit eine messeartige Plattform für die Marktpartner der Schutz- und Leittechnik.

Dank der traditionell guten Zusammenarbeit vor allem der deutschen, österreichischen und schweizerischen Fachgremien und auf Grund der Unterstützung durch die Fachverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatte die Programmkommission ein anspruchsvolles und aktuelles Programm erstellt, das von kompetenten Referenten vorgetragen wurde. Die Plenumveranstaltung mit 34 Referaten wurde ergänzt durch fünf Workshops und eine Postersession mit 41 Postern.

Die Teilnehmer der Tagung vertraten die Schwerpunkte Elektroenergieversorgung, Schutz- und Automatisierungstechnik sowie Leittechnik. Führungskräfte, Verantwortliche und Experten aus Netzbetrieb, Schutz- und Leittechnik von Netzbetreibern, Netzservices, Herstellern, Planungs- und Ingenieurbüros sowie von Universitäten und Fachhochschulen haben teilgenommen.

Die Bündelung dieser Besuchergruppen auf dieser Tagung garantierte eine intensive und umfassende Darstellung der aktuellen Techniken und Themen und eine Diskussion der anstehenden Probleme.

Die umfangreiche Ausstellung mit namhaften Herstellern schuf Platz für die Begutachtung neuer Techniken und für intensive Diskussionen „am Objekt“.

Inhaltliche Schwerpunkte

Das Tutorial fokussierte sich auf die Konsequenzen der Energiewende insbesondere auf die Schutz- und Leittechnik in folgenden Themenbereichen:

  • Schutz in aktiven Netzen inkl. Wandlerthemen und Sternpunktbehandlung
  • Leittechnik zentral und dezentral, technische Kommunikation
  • Systemdienstleistungen, Wirkleistung, Frequenzhaltung, Blindleistung, Spannungshaltung, Inselnetze
  • Was hätten Sie schon immer gerne über Leistungselektronik gewusst?
  • Projekte

Die klassischen schutz- und leittechnischen Themen wurden erweitert mit übergeordneten Fragestellungen wie Systemdienstleistungen, von denen die Aufgaben der eigentlichen Schutz- und Leittechnik zukünftig maßgeblich beeinflusst werden.

Die Vortragsblöcke wurden durch sehr interessante Workshops ergänzt:

  • Schutz in aktiven Netzen
  • Messwandler und Schutz
  • Dezentrale Erzeuger – Umsetzung von Schutz- und Leitkonzepten
  • Möglichkeiten und Risiken bei WAN- und LAN-Kommunikation zukünftiger Schutz- und Leittechniksysteme
  • Cyber Security – wie verwundbar sind die Stromnetze?

Einführungsvortrag

Im Einführungsreferat berichtete Herr Dr. Stefan Küppers, technischer Geschäftsführer der Westnetz und Präsident der FNN über das Verteilnetz als Schlüssel der Energiewende.

Herr Dr. Küppers erläuterte den Wandel in der Rolle der Netze sowie die Anforderungen an die Stromnetze ausgehend von der heutigen Situation bis zu einem Stand in 2030/2050; ergänzend befasste er sich mit den Anforderungen an den Betrieb und an dessen notwendigen Wandel.

Seine Kernaussagen umfassten:

  • Die Energiewende findet im Verteilnetz statt.
  • Die Verteilnetze werden zunehmend aktiv.
  • Die Komponenten der Automatisierungstechnik- und Schutztechnik müssen noch intelligenter werden.

Zusammenfassung der Vortragsblöcke

In 8 Vortragsblöcken wurden mit 34 Referaten die inhaltlichen Schwerpunkte des Tutorials thematisiert und diskutiert.

Der Einführungsblock gab einen Überblick über die aktuell gültigen und in Bearbeitung befindlichen technische Anschlussregeln für Verteilnetze mit den Aktivitäten des FNN. In einem weiteren Beitrag wurde das Ergebnis der gemeinsamen Taskforce von ETG, FNN und ITG zu „Schutz- und Automatisierungstechnik in aktiven Verteilungsnetzen“ vorgestellt. Aus Sicht der Leistungselektronik wurde für die Netzfachleute beschrieben: „Was hätten Sie schon immer gerne über Leistungselektronik gewusst?“. Der Einführungsblock wurde vom Tagungsleiter moderiert.

Der 2. Sitzungsblock befasste sich mit übergreifenden Schutzthemen:

  • Der „alte“ Kurzschlussstrom im „neuen“ Drehstromnetz,
  • Risiko des Versagens von Abgangsschutzeinrichtungen im Verteilungsnetz durch den Einfluss von Wechselrichtern,
  • Anforderungen an Schutzsysteme für zukünftige Stromnetze,
  • Erfahrungen mit HGÜ-Anlagen bei Netzstörungen.

Der Block wurde von Dr. Gernot Druml, Sprecher Automation GmbH, Linz/Österreich moderiert.

Der 3. Sitzungsblock bestand aus zwei parallel durchgeführten Teilblöcken Block 3a „Spezielle Schutzthemen“ und Block 3b „Kommunikation“.

Im Block „Spezielle Schutzthemen“ wurden folgende Themen behandelt:

  • Auswirkungen der „erweiterten RESPE“ (eRESPE) auf die Erdschlusseingrenzung
  • Korrekte Messung der KS-Reaktanz durch einen Distanzschutz bei Zwischeneinspeisung mit Netzstromrichtern
  • Adaptiver Leitungsschutz
  • Schutz und Betrieb von Phasenschiebertransformatoren
  • Schutz problematischer Drei-Enden-Topologien

Der Block wurde von Johannes Arnold, Siemens AG, Nürnberg moderiert.

Im Block „Kommunikation“ wurden Themen der technischen Kommunikation behandelt:

  • IEC 61850 – Aktivitäten in der IEC TC57
  • IEC 61850 – FNN-Hinweis aus Anwendersicht
  • Der Austauschbarkeit einen Schritt näher durch IEC 61850 Flexible Product Naming
  • Testszenarien in Anlagen mit IEC 61850 – ein Bericht aus DKE 952.0.10
  • ISMS für Energienetzbetreiber nach dem IT-Sicherheitsgesetz

Der Block wurde von Thomas Rudolph, Schneider Electric GmbH, Seligenstadt moderiert.

Der 4. Sitzungsblock befasste sich mit „Leittechnik: Netzdienlichkeit und Sicherheit“ mit folgenden Referaten:

  • Netzleittechnik und Flächenautomatisierung: Stand und Weiterentwicklung der Funktionalität (ETG Taskforce)
  • Smarte Netzleittechnik für die Energiewende – Beispiele aus der Praxis
  • Smart Grid in der Schweiz – Smart Grid / Metering für die Steuerung von Erzeugern und Verbrauchern
  • Security Assessment und System Optimization

Der Block wurde von Dr. Ralf Thomas, IDS-Gruppe Holding GmbH, Ettlingen moderiert.

Der 5. Sitzungsblock umfasste unter dem Titel „Systemdienstleistungen: Frequenz, Wirkleistung“ folgende Referate:

  • Systemdienstleistungen als Voraussetzungen des sicheren System- und Netzbetriebes
  • Betrieb von Inselnetzen im Verteilnetz?
  • Frequenz Onshore / Offshore – Bedeutung für die Netzstabilität
  • EEG-Zubau – Neue Randbedingungen für den Netzwiederaufbau

Der Block wurde von Dr. Walter Sattinger, swissgrid ag, Laufenburg/Schweiz moderiert.

Der 6. Sitzungsblock führte das Thema Systemdienstleistungen fort unter dem Titel „Systemdienstleistungen: Spannung, Blindleistung“:

  • Statische Spannungshaltung im HöS- und HS-Netz unter Berücksichtigung zunehmend dezentraler Erzeugungsanlagen
  • Spannungshaltung im Schweizer Übertragungsnetz – finanzieller Anreiz für Kraftwerks- und Verteilnetzbetreiber
  • Vorbeugende Maßnahmen zur Vermeidung von Spannungsproblemen in Übertragungs- und Verteilnetzen
  • Transientes Verhalten konventioneller Kraftwerke bei hoher Windenergieeinspeisung

Der Block wurde von Eckard Quitmann, ENERCON GmbH, Bremen moderiert.

Der 7. Sitzungsblock enthielt einige konkrete Anwendungsbeschreibungen unter dem Titel „Projekte“:

  • Optimaler Schutz für die stationäre Blindleistungsbereitstellung
  • Höchste Verfügbarkeit der Energieversorgung in einem Versandzentrum durch ein 30-ms-Schnellumschaltsystem
  • Umsetzung eines Netzsystemschutzes (SIPS) auf den Kanalinseln
  • Leittechnische Lösung im Verbundkraftwerk Prignitz
  • GRID4EU: Erfahrungen mit einem System zur autonomen Netzführung in der Mittelspannung

Der Block wurde von Dr. Stefan Federlein, ABB AG, Ratingen moderiert.

Workshops und Postersession

Fünf parallele Workshops widmeten sich den folgenden Themen.

Der Workshop „Schutz in aktiven Netzen“ wurde von Berthold Wührmann, Amprion GmbH, Dortmund geführt. Folgende Themen wurden diskutiert:

  • Bidirektionale Blindleistungsflüsse über Umspanntransformatoren
  • Spannungsschutz an Generatoren
  • Herausforderungen für die AC-Schutztechnik beim Betrieb von AC/DC-Hybridtrassen

Der Workshop „Messwandler und Schutz“ wurde von Wolf Fischer, Stromnetz Berlin GmbH moderiert. Folgende Themen wurden diskutiert:

  • Alternative Messwerterfassung für moderne Schaltanlagen basierend auf nicht-konventionellen Wandlern
  • Neue Anforderungen an Messwandler –TABs und Normen
  • Praxisvergleich von P, PR und TPZ Stromwandlerkernen
  • IEC/TR 61869-100 Anwendung von Stromwandlern im Netzschutz

Den Workshop „Dezentrale Erzeuger – Umsetzung von Schutz- und Leitkonzepten“ moderierte Prof. Michael Igel, Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, Saarbrücken. Folgende Themen wurden diskutiert:

  • Simulation des Echtzeitverhaltens eines Distanzschutzes in Netzen mit dezentralen Erzeugungsanlagen
  • Bewertungsmöglichkeiten aktueller Schutzkonzepte im Zuge der Zertifizierung / Lesson learned Zertifizierung
  • Auswirkung von Parkregelungskonzepten auf die Netzstabilität

Den Workshop „Möglichkeiten und Risiken bei WAN- und LAN-Kommunikation zukünftiger Schutz- und Leittechniksysteme“ begleitete federführend Torsten Porath, Westnetz GmbH, Dortmund.
Bei den Möglichkeiten wurden diskutiert:

  • IP-Kommunikation erfüllt die Anforderungen der Schutz- und Leittechnik (Bsp. Signalvergleich über MPLS oder Schutz-AUS über Goose)
  • Standardisierte Schnittstellen erhöhen die Unabhängigkeit von Lieferanten und Erneuerungszyklen
  • Nutzung der IP-Infrastruktur für unterschiedliche Anwendungen reduziert Aufwand und Kosten
  • Durchgängigkeit vom Prozess bis zur Netzleitebene reduziert den Engineeringaufwand

Bei den Risiken wurden diskutiert:

  • Aufwand für IT-Sicherheit erhöht die Betriebskosten
  • Bereichsübergreifender organisatorischer Aufwand zur Sicherstellung von Funktionen
  • Patchmanagement und Komplexität der Technik beeinträchtigt die Funktion
  • Internationale Weiterentwicklung der Standards und Normen verlässt die Abwärtskompatibilität
  • Geringe Lebenszyklen der IT-Welt führen zu hohem Austauschbedarf

Den Workshop „Cyber Security – wie verwundbar sind die Stromnetze?“ moderierte Dr. Richard Marenbach, OMICRON electronics Deutschland GmbH, Erlangen.
Die Diskussion in diesem Workshop umfasste Zertifizierung eines ISMS (praktische Umsetzung, Mindestumfang, Verfahren der Risikobewertung, Umsetzungsfristen), Zusammenhang IT-Sicherheitskatalog und ISO 2700x, Umgang mit Stationsautomatisierungssystemen in Altanlagen und mit Windows XP, Viruserkennung vs. Whitelist-Methode.

In der Postersession wurden 41 Poster ausgestellt, diese vertieften die Vortrags- und Workshopthemen mit weiteren sehr interessanten Gesichtspunkten.

Unterlagen

Den Tagungsteilnehmern wurden die Tagungsunterlagen auf einem USB-Stick übergeben. Die Unterlagen wurden nach der Tagung auf der Internetseite zur Verfügung gestellt.
Bei Fragen zur Tagung oder zu den Tagungsunterlagen wenden Sie sich bitte an die ETG-Geschäftsstelle etg@vde.com oder an Herrn Henry.Lang@vde.com.

Ausblick

Das nächste Tutorial Schutz- und Leittechnik wird voraussichtlich im Februar 2018 stattfinden. Weit über 200 ausgefüllte Feedbackbögen wurden mit interessanten Anregungen versehen; auf Basis der Feedbackbögen und der aktuellen Themen wird in 2 Jahren wieder eine sehr interessante Tagung vorbereitet werden. Themen der Energiewende werden auch das nächste Tutorial wesentlich bestimmen.

Redakteur

Dr.-Ing. Heinrich Hoppe-Oehl
Westnetz GmbH, Leiter ETG/ITG-Fachausschuss Schutz- und Automatisierungstechnik, Leiter des Tutorials

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