Moderne Stromleitungen und Erneuerbare-Energien-Konzept mit Photovoltaik-Paneelen und Windkraftanlagen
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08.05.2019 Pressemitteilung

Gefährdet der Kohleausstieg die Stromversorgung in Deutschland?

Der VDE bekennt sich zum Klimaschutz. Er begrüßt daher die im Abschlussbericht der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung für Deutschland (Kohlekommission) aufgezeigte schrittweise Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung bis Ende 2038. „Wenn dann auch noch der Wärme- und Verkehrssektor mitmachen, könnten die von Deutschland zugesagten Klimaziele tatsächlich eingehalten werden“, gibt sich Prof. Dr.-Ing. Bernd Engel, Leiter des Instituts für Hochspannungstechnik und Elektrische Energieanlagen ‒ elenia an der TU Braunschweig und Mitglied im Vorstand der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE|ETG), überzeugt.

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Raus aus der Kohle! Aber ist das so einfach möglich?

Diese Frage haben sich auch die Energieexperten im VDE gestellt und hierzu den Abschlussbericht der Kohlekommission näher analysiert. Die VDE-Experten sehen keine akute Gefahr, aber dringenden Handlungsbedarf für eine zukunftsfähige Energiestrategie.

Der Ausstiegsplan

Der Ausstiegsplan der Kohlekommission [1] sieht vor, dass die installierte Leistung der Kohlekraftwerke im Strommarkt bis zum Jahr 2022 schrittweise auf rund 15 GW Braunkohle und rund 15 GW Steinkohle reduziert wird. Im Jahr 2030 sollen dann noch höchstens neun Gigawatt Braunkohle und acht Gigawatt Steinkohle am Netz sein. Zum Vergleich: 2017 betrug die installierte Netto-Nennleistung der Kohlekraftwerke in Deutschland insgesamt rund 45 Gigawatt [2].

Der Ausstiegsplan sieht weiter vor, dass im Jahr 2032 mit Blick auf den Klimawandel und die Versorgungssicherheit entschieden werden soll, ob Deutschland bereits im Jahr 2035 aus der Kohle aussteigt.

Was den energiewirtschaftlichen Teil betrifft, sollten bis zum Herbst diesen Jahres Gesetzesentwürfe zum Steinkohle- und zum Braunkohleausstieg erarbeitet sein. Ob die zwei Themen in ein Gesetz gegossen würden, sei noch offen, sagte Andreas Feicht, Staatssekretär für Energiefragen im Bundeswirtschaftsministerium bei einem Besuch im Wirt-schaftsausschuss am 13. März 2019 [3].

Risikoanalyse notwendig

Eigentlich sei die Stromversorgung in Deutschland zunächst nicht bedroht, meinen die VDE-Energieexperten, da mit den Ausstiegszahlen bereits gerechnet wurde, z.B. in den Szenarien für den Netzentwicklungsplan 2019-2030 [4] (siehe Abbildung 1). „Hier liegt man mit dem Szenario C2030 fast exakt bei den Zahlen der Kohlekommission“, weiß Prof. Dr.-Ing. Christian Rehtanz, Leiter des Instituts für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft an der TU Dortmund und Vorsitzender des VDE|ETG-Vorstands. Rehtanz gibt allerdings zu bedenken: „Dieses Szenario ist hinsichtlich des Ausbaus der Erneuerbaren Energien (EE) sehr ambitioniert. Zusätzlich bedingt es einen massiven Netzausbau. Bei gleichzeitig verzögertem Netz- und EE-Ausbau würde der Kohleausstieg dann dazu führen, dass wir mehr Strom aus dem Ausland kaufen müssten“, führt Rehtanz weiter aus. Von 2030 bis 2038 würde es dann noch einmal richtig schwer: In diesem Zeitraum werden die restlichen 17 GW Erzeugungsleistung aus Kohlekraftwerken abgeschaltet.

Europäische Planungen berücksichtigen deutschen Kohleausstieg noch nicht

Ob der Strom aus dem Ausland genau dann wenn er gebraucht wird auch zeitrichtig und in ausreichender Menge zur Verfügung steht, ist derzeit allerdings fraglich. Die Übertragungsnetzbetreiber in Europa haben in ihren Szenarien zum 10-Jahres-Netzentwicklungsplan (Ten Year Network Development Plan, TYNDP) für das europäische Verbundnetz den vorgeschlagenen Kohleausstieg in Deutschland bislang noch nicht berücksichtigt [5]. Und auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier weiß, dass mit den Empfehlungen der Kohlekommission zwei Drittel der europäischen Kohleverstromung den Markt verlassen werden. Die ersten Gespräche mit den sogenannten Stromnachbarn hierüber fanden am 8. April 2019 statt [6].

Im Winter 2021 könnte es bei einer „Dunkelflaute“ knapp werden

In ihrem aktuellen Bericht zur Leistungsbilanz 2017-2021 [7] warnen die deutschen Übertragungsnetzbetreiber davor, dass eine „Dunkelflaute“ im Winter 2021 zu einer Versorgungslücke bzw. einem Importbedarf von ca. 5,5 GW im deutschen Stromsystem führen kann. Dies ist im Wesentlichen durch das bei den Berechnungen angenommene Auslaufen der Reservekraftwerksverordnung bedingt. Ein Kohleausstieg bis 2021 würde, da in den Berechnungen nicht berücksichtigt, die Situation noch weiter verschärfen – der Bericht der Übertragungsnetzbetreiber wurde 5 Tage vor dem Abschlussbericht der Kohlekommission veröffentlicht.

VDE-Experten fordern Strategie für zukunftsfähigen Energiemix

Was wir jetzt für unseren Energiemix brauchen, ist

  • einen noch entschlosseneren Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik und Windkraft. Hierzu gehören die Beseitigung des 52-GW-Deckels für PV-Anlagen im EEG und eine Strategie, wie mit den EEG-Anlagen umgegangen werden soll, die in naher Zukunft aus der Förderung herausfallen.
  • mehr dezentrale Prosumer-Anlagen mit Sektorenkopplung und 
  • eine nationale Absicherung der „Dunkelflaute“ durch eine flexible, CO2-arme gesicherte Leistung bestehend aus z.B. Gas- und Blockheizkraftwerken.

Weiterhin dringend erforderlich sind

  • die Verstärkungen im Übertragungsnetz sowie
  • ein beschleunigter digitalisierter Ausbau der Verteilnetze zur Nutzung erneuerbar erzeugten Stroms auch im Wärme- und Verkehrssektor,
  • mehr Sektorenkopplung über Power-to-X-Anlagen für Wärmeanwendungen, „Erneuerbares Gas“ und den Einsatz von grünem Wasserstoff im Verkehr, 
  • technologieneutrale Flexibilitätsmärkte für Erzeuger, flexible Lasten und Speicher aller Art, 
  • reformierte, vereinheitlichte und vereinfachte Umlagen, Steuern und Abgaben sowie eine 
  • CO2-Bepreisung, die international vereinheitlicht ist und für alle Sektoren gilt.

Wenn unser Energiemix – inklusive Energiespeicher – und die Netzstrukturen nicht bald auf die Herausforderungen der Zukunft eingestellt werden, könnte die gewohnte Versorgungssicherheit und Zuverlässigkeit unseres Energiesystems demnächst doch nennenswert leiden.

Weitere Informationen sowie die Quellenangabe finden sich im offiziellen Statement rechts zum Download. 

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Bild mit Solar Panels, Windräder und Wasserkraftwerk
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15.02.2024 TOP

Die Energiewende ist eine Generationenaufgabe: Bis 2050 soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf mindestens 80 Prozent steigen. Das bringt nie dagewesene Herausforderungen mit sich – aber auch einzigartige Chancen. Die Normen und Standards, die der VDE entwickelt, sind dafür Wegbereiter. Sie spielen bei allen wichtigen Zukunftsthemen eine Rolle: vom Internet of Energy (IoE) bis zur Cyber Security, bei Power2X und E-Mobility, bei Microgrids und in Smart Markets.

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