Studentinnengruppe mit Atommodell
Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.
19.09.2018

MINT und Fernsehen - Rollen. Klischees.

Elektroingenieurinnen (und Frauen aus anderen MINT-Berufen) sind in Film und Fernsehen in doppelter Hinsicht Exotinnen. So kommt das Berufsbild dort ohnehin kaum vor. Und wenn, dann ganz sicher nicht in Form eines weiblichen Arbeitnehmers. Braucht es eine Ingenieur-Soap-Opera, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen?

„Der Weltraum, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Europrise, das mit seiner 400 Mann – und Frau! – starken Besatzung fünf Jahre unterwegs ist, um fremde Galaxien zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von der Erde entfernt, dringt die Europrise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“ So oder ähnlich könnte eine moderne Science-Fiction-Serie aus deutscher beziehungsweise europäischer Produktion beginnen, in der die Eurosternenflotte nicht nur fremde Planeten und deren unbekannte Lebensformen erforscht, sondern sich dabei auch mit Themen und Problemen beschäftigt, die bereits den Menschen des 21. Jahrhunderts umtreibt. Themen wie Klimawandel und Umweltverschmutzung, Mobilität und Veränderung von Arbeitswelten oder auch Künstliche Intelligenz und Automatisierung, um nur wenige zu nennen. Doch die Zuschauerinnen und Zuschauer müssen sich trotz aller Dramen und Katastrophen nicht sorgen. Denn selbst wenn es mal brenzlig wird, kann sich Captain James T. Kirk stets auf seine Crew verlassen. Entweder die stets rational denkende Wissenschaftsoffizierin Mrs. Spock oder die technisch versierte Chef-Ingenieurin Scotta finden mit Sicherheit eine Lösung für jedes noch so schwierige Problem.

Fachkräftemangel in MINT Berufen hoch wie nie

Doch damit erst einmal wieder zurück ins Hier und Jetzt – und in die Wirklichkeit. Denn neben den erwähnten Problemen des 21. Jahrhunderts gibt es noch ein ganz anderes, weniger technisches, deshalb aber nicht weniger schwerwiegendes Problem: den Fachkräftemangel. Ob es künftig genug Fachkräfte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) geben wird, entscheidet mit darüber, ob es Deutschland gelingt, stark in Forschung und Innovationen zu bleiben und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen – so die dringende Mahnung bei der Vorstellung des MINT-Frühjahrsreport 2018 des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft. Und nach diesem ist das Bild eher düster. Ende April 2018 gab es in den MINT-Berufen nämlich insgesamt 486.600 offene Stellen. Dies ist ein neuer Allzeit-Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2011. Im Vergleich zum Vorjahr nahm damit die Anzahl der offenen Stellen in technisch-naturwissenschaftlichen Berufen um 56.200 bzw. 13,1 Prozent zu. Wenn man die Zahl der Arbeitslosen unter Berücksichtigung des qualifikatorischen Mismatches abzieht – damit ist der Umstand gemeint, dass zum Beispiel ein arbeitsloser Biologe nicht die offene Stelle eines Elektroingenieurs besetzen kann –, bleibt eine Arbeitskräftelücke in Höhe von 314.800 Personen. Auch diese Lücke hat damit einen neuen Höchststand erreicht und liegt um 32,5 Prozent höher als noch im April des Vorjahres. Noch dramatischer ist es übrigens in einzelnen MINT-Expertenberufen. So hat sich die Lücke bei den IT- Experten in den letzten vier Jahren von 16.000 im April 2014 auf 39.600 im April 2018 mehr als verdoppelt.
Bleibt die Frage, was eine imaginäre Science-Fiction Weltraumserie mit den ganz und gar irdischen Problemen des Fachkräftemangels zu tun hat. Und hier kommt die Erkenntnis ins Spiel, dass junge Menschen sich von Medieninhalten in ihrer Berufswahl beeinflussen lassen. Natürlich, muss man sagen. Denn wo und durch wen sollten sie sonst von den Berufen, die es gibt und die potentiell zur Auswahl stehen, erfahren? Die Berufe, mit denen sie in ihrem täglichen Leben Erfahrung machen sind bestenfalls die der Eltern – sofern diese zuhause davon berichten. Und dann natürlich jene Berufe, denen man als junger Mensch begegnet, in der Schule, in der Freizeit und eben in den Medien. Oder mit den Worten des Soziologen Niklas Luhmann: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wie leben, wissen, wissen wir vor allem durch die Massenmedien“.
Dort jedoch werden die jungen Menschen vor allem Germanys next Topmodel oder gleich Superstar. In den Fernsehfilmen und -serien dagegen arbeiten sie, wenn nicht bei der Polizei oder im Krankenhaus, gerne im Medienbereich, der Modebranche oder der Gastronomie. Informationstechniker, Naturwissenschaftler oder gar Elektroingenieure findet man dagegen eher selten bis überhaupt nicht. Von dessen weiblichen Pendants einmal ganz zu schweigen, dazu aber später. Der Vergleich der Berufsverteilung in Fernsehserien mit der Berufsstatistik des Statistischen Bundesamtes macht deutlich: Die im Fernsehen abgebildete Berufswelt hat mit der Realität wenig gemein. Bereits vor einigen Jahren stellten Wissenschaftler des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster fest, dass fast jeder Dritte der knapp 40 Millionen berufstätigen Deutschen zwar in der Produktion beschäftigt war, in den Serien dagegen nur etwa ein Prozent. Dort arbeiten sie bevorzugt als Kellner oder Kellnerin (rund 30 Prozent), in der Verwaltung oder der Verteidigung (35 Prozent) oder eben auch im Gesundheitswesen (19 Prozent).

Massenmedien beeinflussen Berufswahl

Apropos Gesundheitswesen. Die Auswirkung von Arzt- und Krankenhausserien wurde schon oft beschrieben. So steigt erwiesenermaßen der Wunsch, Arzt oder Ärztin zu werden, signifikant mit dem Konsum von Dr. House, Grey’s Anatomy oder Emergency Room. Studien belegen zudem , dass auch Serien wie CSI und LA Law, bei denen Naturwissenschaften zur Lösung von Kriminalfälle eingesetzt werden, einen wahren Run auf die entsprechenden Studien- und Berufsfelder ausgelöst haben. Und bei der US-amerikanische Sitcom „The Big Bang Theory“ wird ebenfalls über einen solchen Effekt berichtet. So fühlten sich in Großbritannien angeblich viele junge Leute durch die nerdigen Physiker der Serie inspiriert, in deren Fußstapfen zu treten; die Anzahl an Physikstudenten soll im Jahr 2010 um mehr als 17 Prozent, der Anteil der Abiturabschlüsse mit dem Kurs Physik gar auf 28 Prozent gestiegen sein.
Allein: Solche Serien, in denen Physiker oder andere MINT-Vertreter eine tragende Rolle spielen, sind zum einen äußerst selten und zum anderen grundsätzlich Produktionen aus dem Ausland. Denn auch Star Trek wird eben nicht hierzulande produziert, sondern in den USA. Das Raumschiff Europrise hat bislang noch nicht abgehoben. Im Gegenteil. „Trotz weiter steigender Bedeutung der Ingenieurwissenschaften für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft beobachten wir eine stetige Abnahme der Darstellung der Ingenieurberufe und Technikthemen in den öffentlich-rechtlichen Medien“, urteilte im vergangenen Jahr auch der VDE. „Es mangelt nicht nur an überzeugenden Rollenvorbildern, die die Jugendlichen breiter für Technik interessieren und dazu ermutigen könnten, sondern auch an Ansätzen, die Chancen und Risiken moderner Technologieentwicklung breitenwirksam ins öffentliche Bewusstsein und in die öffentliche Diskussion zu rücken und damit auch bildungsferne und nicht interessierte Bevölkerungskreise zu erreichen“, so die Kritik. In einem Brief wendete sich der Vorstandsvorsitzende Ansgar Hinz zusammen mit Prof. Dr. Michael Berger vom VDE-Ausschuss „Studium, Beruf und Gesellschaft“ an Heike Raab. Die SPD-Politikerin ist als Staatssekretärin in Rheinland-Pfalz die für Medien und Digitales Bevollmächtigte beim Bund und in Europa – und damit die richtige Ansprechpartnerin, wenn es darum geht, politisch Einfluss auf die Programmverantwortlichen auszuüben. Denn, so Hinz und Berger: „Hier wird unserer Ansicht nach eine große gesellschaftliche Chance vertan“.
Doch mit der politischen Einflussnahme ist das so eine Sache. Und so ließ Raab in ihrem Antwortbrief auch nur wissen, dass „Fragen zu Programminhalten und der Programmgestaltung im Rahmen der Programmautonomie ausschließlich in der Verantwortung der Rundfunkanstalten sowie der dortigen Gremien“ lägen. Zudem verwies sie darauf, dass ihr Land ja schon viel zur Fachkräftesicherung machen würde – freilich ohne weiter auf den Zusammenhang zwischen Medieninhalten und Berufswahl einzugehen.

Täglich unter Männern

Neue Webserie „Technically single“

„Technically single“ will unterhaltsam Lust auf MINT-Fächer machen.

„Technically single“ will unterhaltsam Lust auf MINT-Fächer machen.

Im Mittelpunkt der fünf jeweils achtminütigen Folgen steht die 19-jährige Juli, die nach ihrem Abitur Ingenieurswissenschaften an der Technischen Universität München (TUM) studieren möchte. Doch bei der Einschreibung macht ihr Freund plötzlich mit ihr Schluss, weil er keine „Power-Emanze“ als Freundin haben möchte. Juli ist fassungslos – aber anstatt ihre Träume aufzugeben, hält sie an ihrem Studium fest und schmiedet nebenbei noch einen Plan, es ihrem Ex-Freund heimzuzahlen.
Die Serie, in der auch Maria Furtwängler („Tatort“) und der Kabarettist Maxi Schaffrath mitspielen, ist eine Kooperation zwischen der TUM und der HFF München (Hochschule für Fernsehen und Film). Sie soll vor allem 14 – 20-jährige junge Frauen erreichen und diese im Idealfall dazu bewegen, sich für die technischen Studiengänge der TU zu interessieren. Dabei wurde jedoch darauf geachtet, keinen hölzernen Werbefilm zu produzieren. Erzählt wird leicht, modern, schnell und vor allem humorvoll eine emotionale Romantic Comedy. Nur, dass die weibliche Protagonistin eben Elektro- und Informationstechnik studiert – und nicht Modedesign oder Event-Management.
Apropos weibliche Protagonistin: Bleibt die Frage, warum diese im wirklichen Leben lieber Schauspielerin geworden ist und nicht auch ein MINT-Fach belegt hat. Die Antwort von Alina Stiegler kommt mit Augenzwinkern – aber auch verblüffend ehrlich: „Ich hätte das sehr gerne gemacht und wäre auch eine schlaue Informatikerin oder Elektroingenieurin geworden. Leider kann ich aber nicht lange sitzen und fühlte mich durch mein 1-Punkt-Matheabitur beruflich disqualifiziert."
„Technically single“ hatte Ende Juni beim Webserien-Filmfestival in Melbourne, Australien, Premiere –  nominiert in fünf Kategorien, unter anderem für das beste Drehbuch und die beste Hauptdarstellerin. Ab wann und wo die Serie danach im Web gezeigt wird, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Zusammenarbeit von Wissenschaft und Film

Ingenieurinnen im Arbeitsumfeld
TommL / istock

Aufgeben will der VDE jedoch nicht „Dafür ist das Thema zu wichtig“, so Berger. Das findet auch Dr. Marion Esch, die Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Stiftung für MINT-Entertainment-Education-Excellence (Stiftung MINTEEE). In Kooperation mit der Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaft will sie eine Plattform für die Vernetzung, den Austausch und die Entwicklungszusammenarbeit von Science und Fiction schaffen und Forschungen in diesem neuen Feld der Wissenschaftskommunikation anstoßen. Ein Blick über den großen Teich würde zeigen, wie es laufen könnte. So seien Hollywood und das Silicon Valley in den letzten Jahren spürbar näher zusammengerückt und auch Organisationen wie die NASA würden die Zusammenarbeit mit den Filmschaffenden suchen. „Früher gab es eine solche Tradition auch in Deutschland, man denke nur an die Zusammenarbeit zwischen Fritz Lang und Wernher von Braun“, so Esch. Heute dagegen würden sich allenfalls Drehbuchautoren von der Polizei beraten lassen, um ihren Tatort etwas authentischer zu gestalten – mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Mehr Science, weniger Fiction

Doch es tut sich was. „Der Trend setzt langsam auch in Deutschland ein“, zeigt sich Esch vorsichtig optimistisch. Nachdem das deutsche Fernsehen in den letzten Jahrzehnten außer Krimis und Familienserien wenig zustande gebracht hätte, gäbe es mit „Charité“ zumindest mal eine Fernsehserie, die die Naturwissenschaften sachkundig in Szene setzen würde. Und der NDR plane gar ganz neue Science-Fiction-Formate, bei denen bewusst nicht auf die alten Drehbuchautoren zurückgegriffen, sondern mit Schriftstellern zusammengearbeitet werden würde, die vielleicht etwas mehr auf Science, denn auf bloße Fiction setzen. Oder mit anderen Worten: etwas weniger grüne Marsmenschen, dafür mehr Künstliche Intelligenz.
Im Netz ist man derweil schon etwas weiter. Hier fliegt ein Raumschiff bereits seit vergangenem Jahr per Hyperstreamantrieb durch das All. Die SciFi-Webserie Pentaquad ist eine Hommage auf Raumpatrouille Orion und Raumschiff Enterprise (www.the-flying-discman.de). Zwar steht hier der Spaß an erster Stelle, aber immerhin: Die Chefingenieurin heißt Olga und Crew-Mitglied Prof. Dr. Dr. Dr. Limbinski ist nicht nur eine Frau, sondern auch (Zitat) „die einzige Person mit Intelligenz und Würde hier an Bord“.
Und damit zu den eingangs erwähnten Wissenschaftsoffizierin Mrs. Spock und der Chef-Ingenieurin Scotta bzw. zum Thema Frauen und Rollenbilder in Film und Fernsehen. Denn während MINT-Berufe Seltenheitswert haben, sind Frauen in MINT-Berufen dort quasi nicht existent. Die Studie „Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland“ vom Institut für Medienforschung der Universität Rostock zeigte im vergangenen Jahr, dass Frauen in deutschen audiovisuellen Medien ohnehin deutlich seltener vorkommen. Und wenn Frauen gezeigt werden würden, dann gerne nur im Kontext von Beziehung und Partnerschaft. Zwar sind Frauen in vielen fiktionalen Formaten inzwischen selbstverständlich berufstätig. Sie werden aber nur selten über ihre Berufsrolle definiert. So fand eine Studie des Projekts MINTiFF (MINT in fiktionalen Formaten) bereits 2010 heraus, dass bei 56 Prozent der männlichen, aber nur bei 40 Prozent der weiblichen Haupt- und Nebenrollen der Beruf im Zentrum des Handelns steht. Und: Nur 0,7 Prozent aller Protagonistinnen arbeiteten in Forschung und Naturwissenschaft und sogar nur 0,5 Prozent in einem technischen Beruf.
Um das zu ändern, muss man (bzw. Frau) offenbar selbst aktiv werden. Schon vor einigen Jahren wurde mit „Sturm des Wissens“ (www.sturm-des-wissens.de) eine sogenannte „Science Soap“ produziert. Ziel der Webserie aus Rostock war, vor allem junge Frauen zu einem MINT-Studium zu bewegen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Prof. Dr. Klaus Diepold von der Fakultät Elektro- und Informationstechnik der TU München. In seiner (damaligen) Funktion als Vizepräsident war er auch für Diversity und Talent Management der Universität zuständig. Er ärgerte sich, dass niemals ein Ingenieur der strahlende Held einer Serie war. Und schon gar keine Ingenieurin. Da sich jedoch kein Sender dieser Thematik annehmen wollte, wurde er selbst aktiv. Die von ihm initiierte Soap „Technically single“ (siehe Kasten) wird demnächst im Web zu sehen sein. Im Mittelpunkt: Eine junge Frau, die gegen alle Widerstände Ingenieurswissenschaften studiert.

 

Autor: Autor: MARTIN SCHMITZ-KUHL ist freier Journalist und Autor in Frankfurt am Main sowie Redakteur beim VDE dialog.

Artikel aus dem VDE dialog 03/2018

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