Andreas von Bechtolsheim – oben im Bild zu sehen – wäre ein wunderbares Beispiel für einen deutschen Elektroingenieur, der nach seinem Studium ein Unternehmen gründete und damit sofort durchstartete. Schließlich wurde er mit diesem Unternehmen und später folgenden Investments zu einem der reichsten Männer der Welt. Doch leider hat die Geschichte des Sun-Gründers und Google-Investors zwei kleine Schönheitsfehler: Erstens brach Bechtolsheim 1975, kurz nachdem er bei „Jugend forscht“ gewonnen hatte, sein Studium der Elektrotechnik an der TU München ab – aus Verärgerung, weil den Studenten keine Computer zu Verfügung standen. Und zweitens setzte er danach seine Karriere eben nicht hierzulande, sondern in den USA fort. Stichwort: Silicon Valley. Als deutsche Erfolgsgeschichte taugt Bechtolsheim daher eher weniger. Er wird mit den Worten zitiert: „Die Deutschen haben den Kopf in den Sand gesteckt.“
Doch seit den 70er-Jahren ist viel passiert, und auch deutsche Erfolgsgeschichten gibt es inzwischen zahlreiche zu erzählen, wenngleich immer noch die wenigsten auf der Forbes-Milliardärsliste enden dürften. Es sind Geschichten von jungen Menschen, die sich nach dem Studium nicht in das gemachte Nest setzen, sondern sich stattdessen lieber selbst ein Nest bauen wollen. Start-ups nennt man neudeutsch solche Unternehmungen in den ersten Jahren ihres Bestehens. Dabei existiert häufig das klischeehafte Bild eines Bill Gates im Kopf: große Idee, kleine Garage.
Doch selbst wenn diese Vorstellung zu kurz greift, steckt in ihr viel Wahres. Denn am Anfang eines erfolgreichen Start-ups stehen fast immer eine gute Idee und meistens leider auch geringe finanzielle Ressourcen, trotz zahlreicher Verbesserungen, die es auch in diesem Bereich hierzulande gibt. Laut dem Startup Monitor 2014 sehen immerhin noch 38 Prozent der Gründer den schwierigen Zugang zu Venture Capital als „schweres“ bzw. „äußerst schweres“ Hemmnis für die weitere Unternehmensentwicklung.
Für eine Entwicklung also, die dafür sorgen könnte, dass ein Start-up nach einiger Zeit tatsächlich abhebt und zu einem „richtigen“ Unternehmen wird. Die Neuheit eines Unternehmens ist indes nicht das alleinige Kriterium, um als Start-up bezeichnet werden zu können. Ansonsten müsste man ja bei jeder neuen Boutique an der Ecke ebenfalls von einem Start-up sprechen. Eine weitere wichtige Eigenschaft eines Start-ups ist der Grad an Innovation, mit dem die Gründer und vor allem ihre Idee überraschen und überzeugen. Denn was wäre die Start-up-Branche ohne die Suche nach „the next big thing“? Start-ups sollten nämlich idealerweise ein überdurchschnittlich großes Wachstumspotenzial haben – zumindest ein weitaus größeres als die Boutique an der Ecke. Das Start-up modEnerco ist ein solches Unternehmen. Und Florian Rocktäschel und Niklas Rotering sind genau solche Unternehmensgründer. Ihre Idee: Eine cloudbasierte Energieberatung für Endverbraucher und Handwerker, die es ermöglicht, mit minimalem Aufwand und stets individuell für jede Immobilie die optimale Wärmeversorgung zu ermitteln. Das Unternehmen hilft so dem Verbraucher – in einem immer komplexeren und komplizierteren Markt –, mit der neuen Heizung Geld, Energie und CO2 einzusparen. Und dem Handwerker ermöglicht modEnerco, eine professionelle Beratung mit überschaubarem zeitlichem und finanziellem Aufwand anbieten zu können. Klingt nach einer guten Idee – aber nicht unbedingt danach, demnächst damit auf der Forbes-Milliardärsliste Erwähnung zu finden. „Wer bei Gründungen oder Start-ups an die schnelle Millionen denkt, hat nicht richtig aufgepasst“, meint Rocktäschel. Aber auch: „Selbst die richtig Großen wie Google oder Apple haben eine lange Leidensgeschichte hinter sich.“ Was nicht ist, kann also noch werden. Schon während des Masters wurde dem Elektroingenieur Rocktäschel klar, dass eine Karriere „wie aus dem Buche“ nichts für ihn sei. Viele Strukturen in den großen Firmen erschienen ihm zu träge und vorhersehbar. Auch die Vorstellung eines sicheren Einkommens lockte ihn nicht – da ging es ihm wie vielen jungen Leuten heutzutage. „Der Reiz, selber Dinge umsetzen zu dürfen und den Erfolg oder Fall in der eigenen Hand zu haben, übertrifft meist jede noch so gut klingende Position in einem weltumspannenden Konzern“, ist Rocktäschel überzeugt. Und was hat ihm auf seinem Weg am meisten geholfen? „Wegen unseres EXIST-Gründerstipendiums haben wir derzeit noch Räume im Gründerzentrum der RWTH Aachen“, erzählt Rocktäschel, inklusive ein Jahr lang Geld für den Lebensunterhalt sowie professionelle Unterstützung und Schulungsmöglichkeiten. Doch wichtig sei vor allem das Netzwerken – einerseits zu anderen Studenten und Gründern in Aachen, andererseits im Rahmen seines jahrelangen Engagements für das VDE YoungNet „Die einfachste Methode, mehr über das Potenzial eines Konzeptes zu erfahren, ist, Leute zu fragen, die sich damit auskennen“, so Rocktäschel. „Und gerade im elektrotechnischen Bereich ist der VDE mit seinen Veranstaltungen und Mitgliedern nun einmal die Nummer eins in Deutschland.“
Apropos elektrotechnischer Bereich: Täuscht der Eindruck, oder entstehen tatsächlich nur wenige Start-ups in der Elektrotechnik und die meisten im Online- und Softwarebereich? Rocktäschel ist davon überzeugt, dass dieser Eindruck stimmt. Und er weiß auch den Grund: Das liebe Geld. „Auch wir hatten diverse andere Ideen, die sich mit einem elektronischen Produkt beschäftigt haben“, berichtet er. Aber: „Alle diese Ideen mussten leider verworfen werden, da wir keine Möglichkeit gesehen haben, ausreichend finanzielle Mittel für die Entwicklung aufzutreiben.“
Viele Gründer starten in der Garage, wenige landen auf der Forbes-Liste
Auch Marcus Schlüter ist weder Ingenieur noch Techniker, er hat Tourismusmanagement studiert. Doch das hielt den Münchner nicht davon ab, zusammen mit seinem Kompagnon Johannes Biechele, der Fahrzeugtechnik studiert hat, direkt nach dem Studium mit FAZUA ein Start-up zu gründen, dessen Geschäftsidee ein Elektroantrieb für Mountainbikes ist. Das Besondere daran: „Die Antriebseinheit im Unterrohr – inklusive Motor, Elektronik und Akku – kann als Ganzes vom Fahrrad abgenommen werden und durch eine Blende ersetzt werden. Das Pedelec kann damit in Sekundenschnelle zu einem normalen Fahrrad gewandelt werden“, erklärt der stolze Gründer. Und das alles bei einem Zusatzgewicht von gerade einmal vier Kilogramm. Erste Antriebe sollen ab 2016 gefertigt werden, noch im gleichen Jahr ist die Auslieferung der ersten Fahrräder in den Handel geplant. „Das ist das Ziel“, so Schlüter. Was so viel heißen kann wie: Falls der Zeitplan nicht ganz eingehalten wird, bricht auch nicht gleich die Welt zusammen. Hauptsache, das Bike kommt überhaupt auf den Markt und kann an dem rasanten Aufschwung von E-Bikes partizipieren. Denn, so Schlüter: „Die Erfolgsaussichten sind unvorstellbar groß.“
Start-ups werden laut Startup Monitor zu 77 Prozent in Teams gegründet
Die dafür nötigen Investitionen befinden sich allerdings im siebenstelligen Bereich; ohne die Privatinvestoren, die inzwischen über das Bay-StartUP-Netzwerk gefunden wurden, wäre dies nicht möglich. Aber auch nicht ohne das Anfangs-Invest des High-Tech Gründerfonds. Der Fonds investiert Risikokapital in Technologie-Start-ups, die vielversprechende Forschungsergebnisse unternehmerisch umsetzen. Dafür stellt er den jungen Unternehmen bis zu 500.000 Euro in einer Kombination von Eigenkapital und Wandeldarlehen zur Verfügung und erwirbt im Gegenzug 15 Prozent der Unternehmensanteile. In den vergangenen Jahren wurden so fast 500 Start-ups gefördert – darunter auch rund 30 Prozent aus dem Hardwarebereich, wie Dr. Andreas Olmes, für Elektrotechnik zuständiger Investment Director beim High-Tech Gründerfonds, betont. Den Grund für den Eindruck, dass Start-ups in erster Linie Unternehmen aus dem Digital-Business sind, sieht Olmes an deren Medienpräsenz. Und die liegt wiederum zum großen Teil daran, dass es dort viele B-to-C-Angebote gibt, also beispielsweise Onlineplattformen oder Apps, die sich direkt an den Consumer / Kunden richten. Start-ups, deren Produkte oder Dienstleistungen sich im B-to-B-Bereich (Business-to-Business) bewegen, haben es dagegen deutlich schwerer, öffentlich wahrgenommen zu werden. Sie haben es aber auch nicht so nötig, schließlich ist ihre Zielgruppe eine andere. Und dass es bedeutend schwieriger sei, ein Produkt zur Serienreife zu bringen als zum Beispiel einen Webshop aufzumachen, habe langfristig durchaus auch Vorteile, so Olmes: „Wenn man es einmal geschafft hat und etabliert ist, kann man längst nicht so leicht kopiert werden.“
Wichtig bei solchen Gründungen ist aber vor allem, dass deren Förderung bereits in der Hochschule beginnt. So war es auch bei Marcus Schlüter, der betont, dass ohne die Unterstützung der Münchner Universität nie etwas aus FAZUA geworden wäre. Und das ist kein Einzelfall, genießt die Gründungsförderung der Münchner Universität doch einen hervorragenden Ruf. Aber auch andere Universitäten holen auf, mehr als 100 Gründungslehrstühle gibt es inzwischen in Deutschland. Laut dem aktuellen Gründungsradar des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft haben die deutschen Hochschulen im Jahr 2013 knapp 63 Millionen Euro in die Gründungsförderung gesteckt – immerhin eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent. Mit 3028 gründungsrelevanten Veranstaltungen außerhalb des Fachstudiums wurden zudem 45 Prozent mehr Veranstaltungen angeboten. Und auch die Zahl der Mitarbeiter in der Gründungsförderung stieg um knapp 40 Prozent auf 748.
Energiewende und Industrie 4.0 haben längst auch den Start-up-Markt ergriffen
Von dieser Entwicklung profitiert auch Ioannis Relakis. Der diplomierte Elektrotechniker und Informatiker ist gerade mit seinen beiden Mitstreitern von Factor-E Analytics in den StarTUp Incubator der TU Berlin gezogen. Hier haben sie nun zwölf Monate Zeit, ihren Businessplan zu entwickeln und den Markteintritt vorzubereiten. Die Idee der drei Stipendiaten: Software für die fertigende Industrie. „Es gibt in Deutschland viele Familienunternehmen, die sich den nächsten Schritt zur Industrie 4.0 schlichtweg nicht leisten können“, weiß Relakis. „Genau dafür haben wir eine Lösung entwickelt: Wir vernetzen die Produktionsanlagen, indem wir elektrische Leistungsdaten in Echtzeit analysieren. So können wir prozessspezifische Informationen extrahieren.“ Durch das System soll der Energieverbrauch von Produktionssystemen bis zu 30 Prozent gesenkt, Stillstandzeiten reduziert, Ausfälle und Abnutzungen von Produktionsanlagen rechtzeitig erkannt und optimales Lastmanagement und Energiebeschaffung ermöglicht werden. „Was uns an der Gründung reizt, ist die Gelegenheit, etwas von Grund auf neu zu erstellen“, schwärmt Relakis. „Selbstständiges Arbeiten gibt uns darüber hinaus auch die Möglichkeit, flexibler zu denken und Konventionen herauszufordern – was wiederum neue Innovationen fördert.“ Und seine Ziele für die Zukunft, wo sieht er Factor-E Analytics in drei Jahren? „Dann sind wir etablierte Experten für die Anpassung der kleineren Betriebe an die Industrie 4.0 in ganz Europa.“
Das klingt so gar nicht danach, als ob hier noch ein Kopf im Sand stecken würde.
Autor:
Martin Schmitz-Kuhl
Artikel aus dem VDE dialog 04/2015