Energiewende, Digitalisierung oder Elektromobilität: Die Zukunft wird elektrisch sein und benötigt Fachkräfte auf allen Qualifikationsstufen. Zu diesem Zweck ziehen Verbände wie der VDE, der ZVEI und der ZVEH an einem Strang. So stand beispielsweise der gemeinsame IFA-Auftritt Anfang September in Berlin ganz unter dem Motto Fachkräftenachwuchs, Qualifizierung und Berufsbildung. Während jedoch Elektro- und Informationstechnik in Deutschland als Studienfach immer beliebter wird – 17.700 Erstsemester verzeichnete der Studiengang Elektrotechnik letztes Jahr, Tendenz steigend, vor allem dank ausländischer Studierender –, plagen die Elektrohandwerke Nachwuchssorgen. „Noch wird die Karriere im Handwerk nicht als lohnenswerte Alternative zur akademischen Ausbildung gesehen“, klagt der Präsident des ZVEH, Lothar Hellmann.
Gemeinsames Ziel von Politik, Wirtschaft und Verbänden ist es daher, Potenziale zu heben und mehr Durchlässigkeit innerhalb der Qualifikationsstufen zu schaffen. Zum Beispiel Studienabbrechern Perspektiven im Handwerk aufzuzeigen. Wer mehr Durchlässigkeit will, braucht zunächst mal einen Vergleichsrahmen. Diesen liefert der „Deutsche Qualifikationsrahmen“ (DQR), der 2012 unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Kultusministerkonferenz – unter maßgeblicher Mitarbeit des VDE – verabschiedet wurde. Er dient als Übersetzungsinstrument, mit dessen Hilfe alle schulischen, akademischen und beruflichen Qualifikationen des deutschen Bildungssystems den acht Niveaus des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) zugeordnet und verglichen werden können.
Gleichwertig, aber nicht gleichartig: Bachelor und Meister
Seitdem sind die Abschlüsse Bachelor und Meister als gleichwertig anerkannt. „Gleichartig“, so Prof. Michael Berger, Vorsitzender des Ausschusses „Studium, Beruf und Gesellschaft“ im VDE, seien die beiden Abschlüsse freilich keineswegs: „Der Meister hat in der Regel Schwächen in Mathe oder Physik. Der Bachelor hingegen kann nicht mit dem Meister mithalten, wenn es um praktische Kompetenzen geht.“ Aller Vergleichbarkeit zum Trotz muss für den Wechsel zwischen beruflichem und hochschulischem Zweig individuell berücksichtigt werden, welche Vorkenntnis da ist, auch wenn das Mehraufwand bedeutet.
Denn an der Qualität der Ingenieurausbildung mag der VDE nicht rütteln. Im Gegenteil, angesichts der zunehmenden Belastung vieler Studenten durch Nebenjobs hält Prof. Michael Berger die Qualitätssicherung in der Ingenieurausbildung für ein „zentrales Problem“.
So glatt wie bei Andreas Friesinger läuft es nicht immer: Er schaffte es vom Gesellen zum Hochschulabsolventen mit Auszeichnung. Seine Stationen: Mittlere Reife, Ausbildung, Meisterprüfung, Aufstiegsstipendium, Fernstudium an der Wilhelm Büchner Hochschule mit Abschluss Diplom-Ingenieur Elektrotechnik (FH). Im vergangenen Jahr erhielt Friesinger, der heute als Spezialist für Embedded Systems Entwicklung bei der Firma BMK professional electronics in Augsburg beschäftigt ist, als Krönung den Studienpreis 2014 von der Gesellschaft für Systems Engineering GfSE.
Die Studienzeit war für ihn arbeitsintensiv, „vor allem da ich in den ersten Semestern viel Mathe nachholen musste. Dies hat nur geklappt, weil ich das Lerntempo und den Studienfortschritt flexibel handhaben konnte“. Nun ist aber Friesinger, der als Kind schon von jeglicher Art von Technik fasziniert war, sicherlich ein Sonderfall. Spätestens dann, wenn klar wird, dass die Mathe- und Physikkenntnisse längst nicht ausreichen und – trotz Berufstätigkeit – gebüffelt werden muss, spielt die jeweilige Motivation eine große Rolle.
Das ist im Vollzeitstudium nicht anders. Vor allem, wenn Nebenjobs die Lernzeit beschneiden. Umfragen besagen, dass Studenten bis zu 20 Stunden arbeiten, häufig fachfremd im Taxi oder in der Burger-Braterei, statt anwendungsbezogen als Werkstudent in einem Betrieb. Eine ganze Reihe von Studienabbrüchen könne man dadurch sicher erklären, meint Berger. Schließlich veranschlage der Akkreditierungsrat für ein Vollzeitstudium rund 1800 Stunden im Jahr – was einem Vollzeitjob entspricht. Vielleicht erklärt der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit den Trend zum dualen Studium. Die Zahl der dualen Studiengänge an Berufsakademien, Fachhochschulen und Universitäten im Bereich Elektrotechnik ist von bundesweit 77 im Jahr 2010 auf 87 in 2011 angestiegen. Damit machte Elektrotechnik ein Zehntel aller dualen Angebote aus, mit 2000 beteiligten Unternehmen und 4000 Studierenden.
Den Trend zum dualen Studium beurteilt Berger differenziert. Gut für diejenigen, die bereits wüssten, dass sie eine anwendungsnahe Position wie in Service oder Produktion anstreben. Oder solche mit Berufserfahrung und finanziellen Verpflichtungen. Für Abiturienten sieht Berger das duale Studium schon kritischer, vor allem wenn die finanzielle Unabhängigkeit als Entscheidungskriterium im Vordergrund steht.
Der Schlüssel zum Studienerfolg liegt nicht in der Organisationsform
Die Idee des dualen Studiums ist nicht grundsätzlich neu. Die Kombination aus Hochschulausbildung gepaart mit Praxisphasen gibt es schon seit den 60er-Jahren, als Werkstudenten bei Siemens. „Nur jetzt ist eben noch vielfach ein IHK-Lehrabschluss dabei“, so Berger. Positivbeispiele wie die FH Bochum, die im Rahmen der „Kooperativen Ingenieurausbildung“ (KIA) 15 Ausbildungsberufe mit Abschluss Bachelor im Curriculum stehen hat, hebt Berger hervor. Die Ausbildung ist auf zwei Jahre verkürzt. Das Studium gliedert sich in ein Basisstudium, das in den ersten beiden Jahren parallel zur Facharbeiterausbildung absolviert wird. Danach folgt das fünfsemestrige Vertiefungsstudium in Vollzeit.
Die Organisationsform an sich sei aber nicht der Schlüssel zum Studienerfolg, sondern die individuelle Förderung des Einzelnen. So könnte finanzielle Förderung durch Stipendien die Notwendigkeit von Nebenjobs erübrigen. Auch sollten Unternehmen und Hochschulen Studierende so einsetzen, dass die Arbeit dem Lernfortschritt diene und das Studium gleichzeitig „studierbar“ bleibe. Dafür brauche es ein gemeinsames Qualitätsbewusstsein und bilaterale Absprachen, die die Lebenswirklichkeit eines normalen Studenten berücksichtigen. „Freilich brauchen wir auch weiterhin die klassisch-wissenschaftliche Ingenieurausbildung, die mit dem Master oder der Promotion endet“, ergänzt Berger noch. Denn für eine wissenschaftliche Laufbahn sei ein theoretisch fundierter Masterstudiengang immer noch die ideale Grundlage. Den „Königsweg“ gibt es also nicht.
Autor:
Corinne Schindlbeck
Artikel aus dem VDE dialog 04/2015