Genauso wenig wie das Glück, kann man eine Karriere erzwingen. Man kann sie aber durch das eigene Verhalten begünstigen. Die Hochschule, der Abschluss, eine Promotion sind mögliche Kriterien dafür. Ebenso einflussreich sind der Einstieg, Auslandserfahrung und Fleiß. Ohne den bekanntlich kein Preis.
Glück hat auf Dauer nur der Tüchtige. Wer an diesem Sprichwort zweifelt, sollte sich die Geschichte von Cornelia Schwarz, 30, anhören. Sie beginnt in der 9. Klasse einer Realschule in Lauingen, Bayern. Berufsfindungszeit. „Ich wollte keinen Bürojob, mich interessierte Technik.“ Um herauszufinden, wie die sich anfühlt, machte sie ein Praktikum bei BSH Hausgeräte in Dillingen, nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt. Dort steht eine der weltweit größten Fabriken für Geschirrspüler. Etwa 2400 Mitarbeiter produzieren jährlich gut zwei Millionen Stück davon, ausgestattet mit moderner Elektrotechnik. Nach ihrem Praktikum war die Schülerin fasziniert davon.
Sie bewarb sich und bekam die Ausbildungsstelle als Industrieelektronikerin, war anschließend eineinhalb Jahre Facharbeiterin am Band, davon drei Monate in den USA. Dann ging sie auf die Technikerschule in Nördlingen. „Dort war ich die erste Frau in der Elektrotechnik überhaupt.“
Zwei Jahre dauerte der Vollzeitunterricht, Fachhochschulreife inklusive. Und wieder zeigte sich ihr das Glück gegen Ende der Schulzeit. Die Schule startete damals eine Kooperation mit der Universität Wrexham. Die Kleinstadt liegt im Nordosten von Wales, eine Autostunde von Liverpool entfernt. Schwarz hat dort Elektrotechnik studiert. „Geplant war das nicht, es hat sich einfach ergeben.“
Die ersten drei Semester des Bachelorstudiengangs wurden den Technikern aus Deutschland erlassen, die anderen drei Studiensemester absolvierten sie in einem Jahr. Ohne lange zu fackeln, hat die junge Frau ihre Chance genutzt.
2009 war sie Ingenieurin, „pünktlich zur Wirtschaftskrise und deshalb ein halbes Jahr arbeitslos“. Im Frühjahr 2010 verbesserte sich die Lage und ihr alter Arbeitgeber stellte Schwarz in der Entwicklung für die Haushaltserprobung von Geschirrspülern ein. Dort ist sie noch heute tätig. „Für die Vorseriengeräte wähle ich Haushalte aus, die unsere Maschinen testen, erstelle Fragebögen, suche Fehlerquellen, falls solche auftreten.“ Dann baut sie die Teile aus oder nimmt die komplette Maschine mit ins Werk und sucht den Fehler im Labor.
Cornelia Schwarz musste nicht lange überlegen, an welcher Hochschule sie studieren möchte. Die meisten anderen haben die Qual der Wahl: Duales Studium, Fachhochschule oder Universität? Reicht ein Bachelor- oder sollte es ein Masterabschluss sein? Vielleicht mit anschließender Promotion? Rein formal sind die drei Hochschularten gleichwertig. Grundsätzlich gilt: Fachhochschulen bilden für die Praxis aus. Dieses Prinzip steckt auch im neuen Namen dieser Hochschulart. Viele nennen sich „Hochschule für angewandte Wissenschaften“. Gelehrt wird anwendungsorientiert und mit festem Stundenplan. Universitäten sind deutlich weniger verschult, meist größer und das Studium ist theoretisch ausgelegt. Wer später wissenschaftlich arbeiten will, für den ist die Uni die richtige Wahl.
Duale Hochschulen bieten eine Kombination aus Theorie und Praxis an
Weil Bildung Ländersache ist, gibt es in einigen Ländern Berufsakademien. Diese bieten duale Studiengänge an. Das ist eine Kombination aus Theorie an der Hochschule und Praxis im Ausbildungsbetrieb. In Baden-Württemberg heißen Berufsakademien Duale Hochschulen. BSH zum Beispiel bietet ein duales Studium der Elektrotechnik zum Bachelor of Engineering in Englisch an. Andere Unternehmen kombinieren das Studium mit einer Berufsausbildung.
Duale Studenten aber gibt es nicht wirklich viele. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind es in der Elektrotechnik im Wintersemester 2013/2014 rund 3700 gewesen. Insgesamt waren in diesem Fach circa 84.000 Studierende eingeschrieben. Die meisten studieren Elektrotechnik an einer Fachhochschule (47.000), an Universitäten sind es 37.000. Jeder zehnte Elektrotechnik-Student ist weiblich. Seit Jahren steigt die Frauenquote, in den vergangenen zehn Jahren hat sie sich fast verdoppelt. Dank mutiger Frauen wie Cornelia Schwarz. Leider spielt sich die Abbrecherquote in der Elektrotechnik auf hohem Niveau ab, auch wenn sie an Universitäten auf aktuell 37 Prozent zurückging. An den Hochschulen liegt die Quote bei 40 Prozent, in den Bachelorstudiengängen der Elektrotechnik ist sie dort am höchsten von allen Ingenieurstudiengängen. Diese Zahlen stammen vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung auf Basis des Absolventenjahrgangs 2012. Wer das Studium schafft, der kann sich schon allein deshalb zu den Tüchtigen zählen. „Mathe war schon richtig schwer“, erinnert sich Schwarz. Daran scheitern viele.
Der Bachelorabschluss ist besser als sein Ruf
Cornelia Schwarz hat – wie eingangs beschrieben – ein Bachelorstudium abgeschlossen. Die Zufriedenheit der Unternehmen mit Bachelorabsolventen geht zurück. Das zeigt die im Mai 2015 veröffentlichte Unternehmensbefragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags zu den Erwartungen der Betriebe an Hochschulabsolventen. In der aktuellen Studie sahen nur noch 47 Prozent der Betriebe ihre Erwartungen als erfüllt an, 2011 waren es noch 63 Prozent. Gleichzeitig meinen nur 16 Prozent, dass Bachelor-absolventen gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet sind. Die Zufriedenheit mit Masterabsolventen ist im Jahresvergleich deutlich von 65 auf 78 Prozent gestiegen. Die Elektrotechnik-Studenten wissen offensichtlich, was die Wirtschaft will. Deshalb hängen drei von vier Bachelorabsolventen ein Masterstudium an, teilt die Hochschulrektorenkonferenz mit. Schwarz stellt keine fachlichen Defizite bei sich fest. „Man arbeitet sich ohnehin in ein Fachgebiet ein und wird dann darin Spezialist.“ Sie hat derzeit nicht vor, noch einen Masterabschluss zu machen. Nach so langer Ausbildungszeit ist das verständlich – und in ihrem Fall auch nicht notwendig.
Zu Beginn des Studiums ist der spätere Job meist noch unklar
Denn: „Der Bachelorabschluss ist besser als sein Ruf“, weiß Michael Berger, Professor an der FH Westküste in Heide. Er ist als Vizepräsident für Lehre und Qualitätssicherung zuständig und leitet den Ausschuss „Studium, Beruf und Gesellschaft“ des VDE, der sich unter anderem um die Qualität des Ingenieurstudiums kümmert. „Bachelorabsolventen, die vorher eine Lehre abgeschlossen haben, kommen bei Mittelständlern hervorragend unter und sind dort auch die Person der Wahl.“ Bei der Bewertung von Bachelors würden so viele Kriterien eine Rolle spielen, dass Berger eine verallgemeinernde Aussage darüber scheut, ob sie generell das notwendige Format mitbringen: Lebensgeschichte, Persönlichkeit, Alter, individuelle Fähigkeiten wie Sprachbegabung oder Führungsstärke. Einen Master braucht nach seiner Meinung objektiv nur der, bei dem die tieferen Fachkenntnisse wesentlich für die Aufgabe sind. Nur, wer weiß schon, wenn er sein Studium beginnt, welchen Job er anschließend macht? Wohl kaum jemand. Tobias Matzke, 30, hat an der Technischen Fachhochschule Bochum Elektrotechnik studiert und parallel dazu eine Ausbildung zum Elektrotechniker abgeschlossen. Seine Ausbildung machte er beim Energiekonzern RWE, sein Studium hat er als Diplom-Ingenieur abgeschlossen. Diesen Abschluss bieten heute nur noch ganz wenige Hochschulen an, die allermeisten Ingenieure aber tragen diesen Titel. Nach seinem Studienabschluss hat Matzke im RWE-Geschäftsbereich Gasspeicher Automatisierungsprojekte geleitet, seit 2012 arbeitet er bei dem Tochterunternehmen Innogy. Das ist die Erneuerbare-Energien-Sparte des Konzerns. „Zu RWE Innogy habe ich gewechselt, um näher an der Energietechnik und dem Betrieb zu sein.“ Jetzt ist er ganz nahe dran: Zwei Jahre hat er von Hamburg aus den elektrischen Betrieb des Offshore-Windparks Nordsee Ost vorbereitet. Seit dem Sommer ist er auf Helgoland auf der Betriebsstation und dort zuständig für die Mittel- und Langfristplanung von Wartungs- und Serviceeinsätzen. „Ich koordiniere Servicekräfte und sorge dafür, dass die Anlagen sicher laufen.“ Zurzeit unterstützt er Kollegen bei der Zuschaltung neuer Windturbinen. Der Windpark liegt 30 Kilometer nördlich der Insel Helgoland. Von den 48 Anlagen der 6-Megawattklasse sind 40 in Betrieb. Die Gesamtleistung des Offshore-Parks liegt bei 295 Megawatt. RWE hat in Nordsee Ost rund eine Milliarde Euro investiert.
Management-Nachwuchs wird häufig in Traineeprogrammen ausgebildet
Dazu gehören auch Appartements auf Helgoland für die 15 RWE-Mitarbeiter der Betriebsstation. Die arbeiten im Zwei-Wochen-Rhythmus. Zwölf Stunden pro Tag und manchmal Bereitschaft. „Das ist schon ein grundlegender Unterschied zur 40-Stunden-Woche und jeden Abend daheim“, sagt Matzke. Er hat mit seiner Freundin ein gemeinsames Kind, beide können jederzeit nach Helgoland kommen und im Appartement wohnen, das er sich mit seinem Schichtpartner teilt. Schwarz und Matzke sind direkt ins Berufsleben eingestiegen, wie das die große Masse unter den Elektroingenieuren macht. Traineeprogramme sind die Ausnahme. Und wenn Unternehmen sie anbieten, dann sind das Konzerne oder große Mittelständler. Aus gutem Grund: Während der Trainee-Zeit lernen die Teilnehmer die Organisation kennen, können Beziehungen knüpfen und in den verschiedenen Stationen für sich herausfinden, welche Aufgabe zu ihnen selbst am besten passt. Häufig wird in Traineeprogrammen der Management-Nachwuchs ausgebildet. Eine Garantie auf Karriere ist die Teilnahme an einem solchen Programm aber nicht.
Promotionen sind bei Elektroingenieuren relativ wenig verbreitet
Dass ein Mitarbeiter gut ist, muss er im Alltag in der Praxis zeigen. BSH Hausgeräte und RWE bieten Traineeprogramme an, die teilweise im Ausland stattfinden. Auslandserfahrung ist in unserer globalen Welt ohnehin wichtig. Wer die Möglichkeit hat, sollte ein Auslandssemester einlegen. Promotionen sind bei Ingenieuren im Vergleich zu Naturwissenschaftlern, wie etwa Biologen und Chemikern, weniger verbreitet. Elektroingenieure, die an einer Uni studiert haben, promovieren deutlich häufiger als FH-Absolventen, was eben an der wissenschaftlicheren Ausbildung an Unis liegt. „Als forschungsorientierter Fachbereich haben wir bei uns vergleichsweise viele Studierende, die nach ihrem Masterabschluss eine Promotion anstreben“, sagt Professor Jürgen Adamy. Er ist Dekan des Fachbereichs Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU Darmstadt. Die Hochschule ist Mitglied von German Instituts of Technology, einem Zusammenschluss von neuen führenden Technischen Universitäten in Deutschland. Adamy spricht an dieser Stelle für die Elektrotechnik, weil an der TU Darmstadt der Elektroingenieur „erfunden“ wurde. 1882 berief sie den Physiker Erasmus Kittler auf den weltweit ersten Lehrstuhl für Elektrotechnik und bot erstmals ein Elektroingenieurstudium an. Im vergangenen Jahr haben in Darmstadt gut 60 Elektroingenieure ihre Promotion abgeschlossen. „Eine Promotion prädestiniert für eine wissenschaftliche Forscher- und Erfindertätigkeit und auch für eine Führungsposition“, sagt Adamy. Und auch für eine akademische Karriere, beginnend mit einer Juniorprofessur. In Adamys Fachbereich sind 15 Prozent der Professuren Juniorprofessuren.
Professor Berger spricht für alle Hochschulen: „Wir haben Berechnungen angestellt, wonach in zehn Jahren auf jede offene Professur für Elektro- und Informationstechnik
in Deutschland gerade mal fünf Promovierte kommen.“ Davon sind vielleicht drei für den Beruf als Hochschulprofessor geeignet. Nicht nur in der Industrie, auch an den Hochschulen droht ein Fachkräftemangel.
Die Knappheit an Elektroingenieuren wird sich noch verstärken
Dass die Arbeitsmarktchancen von Absolventen der Elektrotechnik „heute schon hervorragend“ sind, stellt Reinhard Scharff jeden Tag fest. Er ist Geschäftsführer von personal total Stuttgart-Mitte. Die Personalberatung sucht im Auftrag von Unternehmen hochqualifizierte Fach- und Führungskräfte, darunter häufig Ingenieure. Die Anfangsgehälter von Absolventen dualer Hochschulen und solcher mit Bachelorabschluss liegen nach seiner Erfahrung zwischen 40.000 und 45.000 Euro. Masterabsolventen bekommen zwischen 50.000 und 55.000 Euro. Promotionen bringen 60.000 bis 65.000 Euro. Scharff geht davon aus, dass sich die Knappheit an Elektroingenieuren verstärken wird. „Wir erwarten eine extrem große Nachfrage.“ Das hat auch mit Trendthemen zu tun, die auf der Elektrotechnik basieren. Industrie 4.0 zum Beispiel, die digitale, sich selbst organisierende Fabrik. Oder die Vernetzung der Gesellschaft, die mit immer größeren Schritten voranschreitet.
Daran arbeitet auch Cornelia Schwarz. Bald schon lassen sich Geschirrspüler von BSH mit dem Smartphone steuern. Fünf Jahre arbeitet sie schon in der Haushaltserprobung
und würde sich nun gerne weiterentwickeln. „Das Qualitätsmanagement interessiert mich.“ Deshalb liest sie regelmäßig die internen Stellenausschreibungen. Wetten, dass sie bald einen anderen Job hat?
Autor: Peter Ilg
Artikel aus dem VDE dialog 04/2015