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17.09.2018

Schule 2.0

Einigkeit allerorten: Deutsche Schulen sollen endlich im digitalen Zeitalter ankommen, um Schülerinnen und Schüler auf die Arbeitswelten der Zukunft vorzubereiten. Doch der VDE-Ausschuss „Studium, Beruf und Gesellschaft“ mahnt in sechs Thesen zur Entwicklung von Lehrinhalten in Schulen und Hochschulen, dass es mit einer neuen IT-Ausstattung allein nicht getan ist.

Dr. Jörg Dräger - Bild

Dr. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung

Dass die Jamaika-Sondierungen im vergangenen November am Ende geplatzt sind, hat an einer Vielzahl von Themen gelegen. An einem aber sicherlich nicht: dem Thema Digitale Bildung. Ähnlich verhält es sich nun bei den GroKo-Gesprächen. Selbst wenn bei Redaktionsschluss das Ergebnis noch nicht feststand, so ist dennoch klar, dass auch diese nicht an der Digitalen Bildung scheitern würden. Denn eines machten alle Parteien von links nach rechts bereits vor der Bundestagswahl deutlich: In Deutschlands Schulen besteht dringend Handlungsbedarf, eine technische Modernisierung hat oberste Priorität.
Es sei wichtig, sowohl in die Hard- und Software der Bildungseinrichtungen als auch in deren Internetanbindung zu investieren, wurde unisono gefordert. Und natürlich müsste man auch die Lehrkräfte entsprechend qualifizieren. Was man eben so sagt, vor einer Wahl.
Und nach der Wahl? Um die Parteien an ihre Versprechen zu erinnern, platzierte die Bertelsmann Stiftung bereits im November eine Studie zur IT-Ausstattung an Schulen. „Rund 2,8 Milliarden Euro würden jährlich anfallen, wenn alle Grund- und weiterführenden Schulen mit lernförderlicher Computertechnik ausgestattet werden“, schreibt die Stiftung. Hinzu kämen die Kosten für die Anbindung der Schulen an die Versorgung mit schnellem Internet und die Weiterbildung der Lehrer. „Die Digitalisierung der Schulen braucht jetzt einen Kraftakt. Bund, Länder und Kommunen müssen sich in der neuen Legislaturperiode zügig darauf verständigen, Schulen beim Lernen mit digitalen Medien dauerhaft und auskömmlich zu unterstützen“, so Dr. Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.
Zumindest bei den Jamaika-Sondierern waren die Worte auf fruchtbaren Boden gefallen. Schnell hatte man sich darauf geeinigt, bis 2025 mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aufwenden zu wollen. Weitere 3,5 Prozent sollten in Forschung und Entwicklung investiert werden. So viel zu dem geplatzten Traum. Doch auch wenn zu Redaktionsschluss noch nicht feststand, mit welchen Prozentzahlen die neue Regierung operieren würde, spricht einiges dafür, dass auch diese es sich zur Aufgabe machen wird, „das Land zur führenden Bildungsnation“ machen zu wollen, wie es überall vollmundig heißt.

Sechs gehaltvolle Thesen statt hohler Plattitüden

So oder so ist es Zeit, sich Gedanken zu machen, was das denn konkret heißen könnte. Der VDE-Ausschuss „Studium, Beruf und Gesellschaft“ hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und hierzu gerade sechs Thesen zur Entwicklung von Lehrinhalten in Schulen und Hochschulen veröffentlicht. Auffällig dabei und für einen Technologieverband vielleicht auch ein wenig ungewöhnlich: Den Mitgliedern ging es explizit um eben diese Lerninhalte. Auf eine allgemeine Forderung nach einer besseren IT-Ausstattung wurde ganz bewusst verzichtet. Nicht, weil man sich dagegen aussprechen würde, sondern weil man sich mit solchen „Plattheiten ohne Neuigkeitswert“, so der Ausschussvorsitzende Prof. Dr. Michael Berger von der Fachhochschule Westküste, gar nicht aufhalten wollte.

Auch wollte sich der VDE-Ausschuss ausdrücklich nicht an der allgemeinen Digitalisierungs-Hysterie beteiligen. Die Entwicklung sei weder gänzlich neu, noch – historisch betrachtet – ungewöhnlich dramatisch, heißt es in dem Thesenpapier.
Natürlich würden sich die Arbeitswelten der Zukunft ändern. Doch das taten sie schließlich schon in den 1970er-Jahren mit der Markteinführung des Mikroprozessors und des Personal Computers. Und die damit verbundenen Veränderungen – genannt seien hier nur die Einführung von Scanner-Kassen, Automobilelektronik, CNC-Fertigungsmaschinen, Textverarbeitung, und E-Mail in den 1980er-Jahren – würden heute als völlig normal wahrgenommen werden.

Um Schüler und Studenten auf die Veränderungen in der Zukunft vorzubereiten, sind dennoch nach Ansicht der Ausschussmitglieder einige Maßnahmen zu ergreifen. Dabei geht es jedoch weniger um Digitale Bildung, sondern um etwas viel Grundsätzlicheres: „Wesentliche Voraussetzungen zum Gelingen der weiteren Digitalisierung der Arbeitswelt in Europa sind Bildung, Demokratie, Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und Weltoffenheit“, heißt es im ersten Punkt des VDE-Thesenpapiers. Denn die Gesellschaft von morgen sei auf die nun anstehenden Veränderungen vorzubereiten. Das gelänge nicht, indem man sie nur lehrt, die Maschinen zu bedienen, die sie vielleicht irgendwann ersetzen. Vielmehr sollte man sie in die Lage versetzen, Vorgänge richtig einzuschätzen und zu bewerten. Und es ginge auch darum, den Transformationsprozess seitens der Gesellschaft aktiv mitzugestalten, Regeln durchzusetzen, Härten abzufangen und den sozialen Frieden zu bewahren.

These zwei des Papiers lautet: „Keiner darf zurückbleiben und Leistungsstarke müssen gefördert werden.
Unsere Bildungsanstrengungen in den Schulen müssen sich aber vor allem auf das Mittelfeld der Schülerinnen und Schüler konzentrieren, um dort Bildungschancen zu wahren.“ An diesem Punkt, erläutert Prof. Berger, habe es im Ausschuss die meisten Diskussionen gegeben, weil die geforderte Fokussierung auf das Mittelfeld noch nicht genügend wissenschaftlich belegt sei. Aber zum einen sollte das Papier ja auch ausdrücklich nur eine Diskussionsgrundlage sein und wichtige Fragen überhaupt erst einmal anstoßen, und zum anderen sei es dem Ausschuss vor allem wichtig gewesen, darauf hinzuweisen, dass Digitalisierung nicht zu einer sozialen Selektion führen dürfe, zum Beispiel wegen mangelnder Verfügbarkeit von Geräten und Zugängen.
Heißt das, dass der Staat dafür sorgen muss, dass alle Schülerinnen und Schüler ab der ersten Klasse zum Beispiel mit Tablets ausgestattet werden müssen oder zumindest ein interaktives Whiteboard anstatt einer klassischen Tafel im Klassenraum hängen muss? Nicht unbedingt. So lautet These 3: „Sowohl Computer als auch Werkbänke müssen als Elemente der Arbeits- und Lebenswirklichkeit in den Schulunterricht integriert werden. Sie dienen bei den jüngeren Kindern als Lernangebot, in der Pubertät zur Lernmotivation und bei den jungen Erwachsenen bereits als selbstverständliches Arbeitsmittel.“
Übersetzt heißt das, dass die Digitalisierung selbstverständlich nicht vor der Schule haltmachen kann, das Heranführen an die damit verbundene Technik aber bei Jugendlichen sicherlich drängender ist als bei Grundschülern.
Natürlich muss ein Schulabgänger in der Lage sein, mit einem Computer und den gängigen Programmen umzugehen. Ein Schulanfänger dagegen sollte vielleicht erst einmal Rechnen und Schreiben lernen – und mit Smartphone und Co nur Bekanntschaft machen können, aber eben nicht müssen.
Anders dagegen die Studenten. „Alle, die das tertiäre Bildungssystem durchlaufen haben, müssen über Grundkompetenzen der Digitalisierung verfügen und sich selbstständig fortlaufend weiterbilden“, heißt es in Punkt 4 des Thesenpapiers. Von Akademikern darf die Gesellschaft erwarten, dass diese hier eine Vorbildfunktion übernehmen, so die Begründung des Ausschusses. Das heißt auch, dass sie die digitalen Medien und Werkzeuge zu nutzen wissen sollten, unabhängig davon, was ihnen in den Hochschulen vermittelt oder eben noch nicht vermittelt wurde.
Doch ohnehin seien die Inhalte viel wichtiger als das Gerät, mit dem diese vermittelt werden. Dahin zielt auch These 5: „Der angemessene Umgang mit einer Flut zweifelhafter Informationen, mit komplexen Sachzusammenhängen und mit persönlichen Daten muss in einer weiter vernetzten Welt gelebter Bestandteil des Schulalltags werden.“ Denn das Internet bietet hier vor der Digitalisierung nicht gekannte Möglichkeiten, aber auch eben Risiken bis hin zur völligen Desinformation. Und was mit aus Wikipedia zusammenkopierten, aber inhaltlich völlig wirren Hausarbeiten anfängt, kann bei dem Glauben an Fake News und Verschwörungstheorien aufhören. „Es geht darum, Dinge selbstständig erarbeiten, vergleichen und einschätzen zu können“, erklärt der Ausschussvorsitzende Prof. Berger. Und das habe vor allem mit einer guten Allgemeinbildung und entsprechender Medienkompetenz zu tun und weniger mit einer Digitalen Bildung.

(Digitale) Bildung ist eine Lebensaufgabe

Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Berger
Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Berger

Damit zum letzten und sechsten Punkt des Thesenpapiers, der weit über den Fokus „Schule“ hinausgeht. „Auch die Berufstätigen müssen den Wandel meistern können“, heißt es dort. Und weiter: „Dabei ist die kontinuierliche persönliche Weiterentwicklung eine der Säulen einer erfolgreichen Digitalisierung. Berufsbildungseinrichtungen,
Akademien und Hochschulen müssen die berufliche Weiterbildung endlich als vollwertige gesellschaftliche Aufgabe übertragen und damit auch finanziert bekommen.“ Die demografische Entwicklung in Europa wird nämlich voraussichtlich dazu führen, dass die Phase der Berufsausbildung und die Phase der Berufsausübung stärker miteinander verschmelzen und Menschen auch mit 60 Jahren noch einmal neu dazulernen müssen, heißt es in der Begründung des Ausschusses. Das hieße aber auch, dass Weiterbildung nicht mehr nur die Privatangelegenheit jedes Einzelnen sein dürfe. Aber wenn die neue Regierung – wie auch immer sie sich zusammensetzen und wer auch immer Bildungsminister/ in werden wird – tatsächlich das Ziel umsetzen will, Deutschland zur führenden Bildungsnation machen zu wollen, wird sie ja für Vorschläge dieser Art vielleicht offen sein. Die Diskussion darüber ist zumindest eröffnet und das ist genau das, was der Ausschuss damit bezweckte. „Die eine oder andere These mag überraschend sein, aber wir wollten auch ganz bewusst etwas querdenken“, sagt Prof. Berger. Digitalisierung sei schließlich kein Selbstzweck. Am Ende sollte sie ja schließlich allen nutzen.
Und alle sollten begreifen, dass die damit verbundenen Umwälzungen zwar erheblich seien, aber eben nicht nur eine Gefährdung, sondern auch eine große Chance böten, wenn man sie denn richtig gestalte.
Wie schnell die Stimmung kippen kann, zeigen die Zahlen des aktuellen Bildungsbarometers des Münchener Ifo Instituts. Demnach sehen sich derzeit 54 Prozent der Befragten als Gewinner der Digitalisierung, aber immerhin 16 Prozent als Verlierer. Es sollten nicht mehr werden.

Autor: Autor: MARTIN SCHMITZ-KUHL ist freier Journalist und Autor in Frankfurt am Main sowie Redakteur beim VDE dialog.

Artikel aus dem VDE dialog 01/2018

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