Während der malaysische Chipkonzern Broadcom gerade die Übernahme des amerikanischen Mitbewerbers und Handyaustatters Qualcomm vorbereitet, diskutierten 200 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am 7. November 2017 in Berlin auf dem 7. VDE/ZVEI Symposium Mikroelektronik, was Europa jetzt tun muss, um den Wettlauf um die digitale Zukunft mitzubestimmen. Und die Zeit drängt: Denn Big Data wird zum Rohstoff neuer Geschäftsmodelle. Und hier sind bekanntlich die US-Amerikaner besser. Ein Hoffnungsschimmer: Die automatische Generierung, die Verarbeitung und der Austausch dieser Daten findet im Internet der Dinge zwischen den Objekten statt. Die technologische Basis dafür: Mikroelektronik, Sensoren und Embedded Systems, 5G und Cyber Security. Und hier sind wir Deutschen besser. Aber reicht das künftig aus?
Über 200 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und der Politik kamen zum 7. VDE/ZVEI Symposium „Mikroelektronik für die digitale Zukunft“.
| Hannibal / VDEDigitalisierung: Von Ameisen und Vögeln lernen
Mikroelektronik ist systemrelevant
VDE-Präsident Gunter Kegel: „Die Mikroelektronik ist das Nervensystem der Digitalisierung, sie ist systemrelevant.“
| Hannibal / VDE„Die Mikroelektronik ist das Nervensystem der Digitalisierung, sie ist systemrelevant“, appellierte VDE-Präsident Gunter Kegel an die anwesenden Politiker, darunter Stanislav Tillich, Ministerpräsident von Sachsen. Wenn Deutschland und Europa im Wettlauf mithalten wollten, dann müsste die Politik die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Forschungseinrichtungen verbessern, mehr in Bildung investieren und zwar jetzt.
„Wir müssen ein höheres Tempo bei Innovationen anschlagen, mehr in Hochschulen und Forschung investieren“, pflichtete Michael Ziesemer, Präsident des ZVEI, Kegel bei. Für den ZVEI sei die Forschungssteuerförderung die wichtigste Forderung an die neue Bundesregierung.
Sachsen zum Halbleiter- und 5G-Hub avanciert
Stanislav Tillich, Ministerpräsident von Sachsen: „Unser Ziel war es immer, mindestens mit Asien und den USA mitzuhalten.“
| Hannibal / VDEStanislav Tillich ließ sich nicht lange bitten, auszuführen, welche Erfolge die Politik in Sachsen bereits vorzuweisen hat: „Noch vor einigen Jahren hätte keiner gedacht, dass sich die Chipindustrie mit Infineon, Globalfoundries und Bosch in Dresden konzentrieren wird. Oder dass wir 5G weltweit vorantreiben.
Seit 1990 setzt Sachsen auf seine Hochschulen und das zahlt sich jetzt aus. Unser Ziel war es immer, mindestens mit Asien und den USA mitzuhalten“, so der Ministerpräsident. Gemeinsam mit dem Wirtschafts- und Forschungsministerium und der Europäischen Kommission etablierte er Dresden zum Halbleiter-Hub mit wertvollen Synergien. In Leipzig und Dresden entstünde gerade eine Start-up-Szene, die sich mit München messen lasse - wenn auch noch nicht mit dem Silicon Valley.
Risikobereitschaft erhöhen
Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas, Bundesministerium für Bildung und Forschung: „Unsere Chance ist unsere Systemkompetenz. Und wir müssen einen Teil des Geldes riskanter einsetzen."
| Hannibal / VDEEin Grund für den Erfolg der USA ist sicherlich ihre hohe Risikobereitschaft. Statt lange die Risiken abzuwägen, nehmen die Amerikaner mögliche Verluste in Kauf. Und sie setzen komplett auf Dienstleistungen. „Die USA investiert ihr Forschungsbudget in Dienstleistungen, also Software, und nicht in die produzierende Industrie. Auch wir brauchen mehr Innovationen bei den Dienstleistungen, sonst verlieren wir unsere Kunden“, gab Prof. Dr. Wolf-Dieter Lukas vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zu Bedenken.
Gleichzeitig machte er allen im Saal Mut: „Wer Angst vor dem Gegner hat, soll ins Bett gehen. Wir haben unsere Mitbewerber ernst genommen, sind Weltmeister in der Sensorik. Unsere Chance ist unsere Systemkompetenz. Und wir müssen einen Teil des Geldes riskanter einsetzen.“ Dr. Reinhard Ploss, CEO von Infineon, sieht große Chancen in der Servicerobotik: „Wenn wir jetzt unsere typisch deutsche Sorgfalt mit Geschwindigkeit verbinden, müssen wir keine Angst haben, im Wettbewerb zurückzufallen“, gab sich Ploss zuversichtlich.
Big Data liegt in Pöcking
Prof. Dr. Martin Wikelski, Max-Planck-Institut für Ornithologie (rechts): „Machen Sie die Chips kleiner und zwar schnell."
Am selbstbewusstesten zeigte sich der Exot im Saal: Prof. Dr. Martin Wikelski, Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Institut für Ornithologie in Pöcking: „Wir stehen kurz vor dem Durchbruch zu verstehen, wie die Welt funktioniert. Wir haben Big Data – die Big Data der Tiere.“ Und das dank der Mikroelektronik. Sein Institut hat bereits weltweit hunderttausende von Tieren – egal ob zweibeinig, 1000-beinig, mit oder ohne Flügel und Flossen – mit Chips ausgestattet. „Mit diesen Chips zapfen wir die Intelligenz der Tiere und ihren sogenannten sechsten Sinn an. Dieser sechste Sinn ist weitaus intelligenter als künstliche Intelligenz“, gab sich Wikelski selbstbewusst.
Sein Institut sammelt Milliarden von Daten und wertet sie aus. Am Beispiel von Ameisen zeigte er auf, wie Autonomes Fahren funktioniert: „In den tropischen Regenwäldern sind Millionen von Ameisenstraßen. Die Ameisen bauen keine Unfälle. Über ihren sechsten Sinn regeln sie den Verkehr. Anhand ihrer Intelligenz und ihres Verhaltens auf den Ameisenstraßen leiten wir Algorithmen für das Autonome Fahren ab.“ Weitere Beispiele: Über das Verhalten von Flughunden kann sein Institut Ebola in Afrika detektieren. Kein Seismograph ist so zuverlässig wie der sechste Sinn der Tiere. Sie spüren, wann ein Erdbeben kommt, wann der Vulkan ausbricht.“ Wikelskis größter Wunsch an die Chip-Community: „Machen Sie die Chips kleiner und zwar schnell“. Dies wäre sicherlich für die Politik gut investiertes Geld und noch nicht einmal so riskant.