Bild mit Solar Panels, Windräder und Wasserkraftwerk
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31.08.2018 Fachinformation

Sichere, saubere und bezahlbare Energiewende nur mit Flexibilitäten

Die Kopplung des Stromsektors mit den Sektoren Wärme und Verkehr ermöglicht die Integration von mehr erneuerbaren Energien und kann ‒ richtig angewendet ‒ zusätzliche Flexibilität in das System bringen. Welche Rolle dabei flexible konventionelle Kraftwerke spielen können, verrät Dr. Georg-Nikolaus Stamatelopoulos, Senior Vice President Generation bei der EnBW, im Interview.

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Georg-Nikolaus Stamatelopoulos, Senior Vice President Generation, EnBW

Georg-Nikolaus Stamatelopoulos: „Ohne flexible Stromerzeugung kann die Energiewende nicht gelingen."

| Foto: privat

Herr Dr. Stamatelopoulos, in den vergangenen Jahren haben die »smarten« Themen die Diskussion in der deutschen Energiewirtschaft geprägt – seien es Smart Meter, Smart Grid oder Smart Market. Welche »smarten« Themen beschäftigen Sie bei der Erzeugung elektrischer Energie?

Stamatelopoulos: Smarte Themen haben auch bei der EnBW Einzug gehalten. Wir bezeichnen diese nicht immer als smart, aber es haben alle mehr, oder weniger mit Digitalisierung zu tun. Ein konkretes Beispiele ist das Projekt „Smart Heat“ in der Fernwärme. Im Projekt verfolgen wir den flächendeckenden Einbau intelligenter Messtechnik. Dies ermöglicht uns eine Vielzahl an weiteren Produkten und Services rund um die Fernwärme anzubieten wie flexible Tarife, Rückeinspeisung ins Fernwärmenetz oder Lastgangmanagement. Auch mit Big Data setzen wir uns aktiv auseinander. Hierzu haben wir im Bereich der dezentralen Erzeugungsanlagen eine eigene Datenbank speziell für die Bedürfnisse von Betreibern entwickelt. Die Daten werden von uns mittels einer selbstentwickelten webbasierten Anwendung zur Diagnose, Analyse und Zustandsüberwachung (ADAZ) online überwacht. Hierdurch können wir Trends und Muster im Signalverhalten erkennen und zeitnah analysieren. Unerwartete und ungeplante Ausfallzeiten unserer Windkraftanlagen lassen sich so vermeiden. Mit dem CoRA-Portal (Cockpit for Renewable Assets) haben wir ein Betriebsführungswerkzeug entwickelt, dass es der Leitwarte, den Anlagenverantwortlichen und dem Management ermöglicht einen schnellen Überblick über Betriebsweise, Analysen, Reporting und Auswertungen des Anlagenportfolios zu erlangen. Aktuell erweitern wir den Anwendungsbereich auch für die konventionelle Erzeugung.

Eine sichere, saubere und bezahlbare Energiewende lässt sich langfristig nur mit Flexibilitäten realisieren. Welche Bedeutung hat die flexible Stromerzeugung für die Energiewende?

Stamatelopoulos: Ohne flexible Stromerzeugung kann die Energiewende nicht gelingen. Die Produktion aus den Erneuerbare-Energien- Anlagen, also Wind und Sonne, ist nicht bedarfsorientiert. Damit ein Energieversorgungsunternehmen seinen Lieferverpflichtungen nachkommen kann, muss es in einer von Erneuerbaren dominierten Welt flexibel Strom erzeugen können. Wenn man diesen Gedankengang auf alle Energieversorgungsunternehmen ausweitet, dann geht es letztlich um die Versorgungssicherheit in Deutschland. Ein weiterer Aspekt der Energiewende hat mit der Prognostizierbarkeit von Wind und Sonneneinstrahlung zu tun. Auch wenn diese in den vergangenen Jahren deutlich besser wurde, bleibt immer noch ein Restrisiko, dass die prognostizierte – und sehr wahrscheinlich bereits verkaufte – Strommenge kurzfristig in der Realität nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Das wird nicht immer der Fall sein, aber der Fall wird immer wieder vorkommen. Und für einen solchen Fall ist das Energieversorgungsunternehmen am besten aufgestellt, das flexiblen Strom erzeugen kann.

Konventionelle Kraftwerke werden wohl auch in den nächsten Jahren noch einen Großteil der Grundlast decken. Teilen Sie diese Ansicht? Welche Rolle können flexible konventionelle Kraftwerke künftig spielen?

Stamatelopoulos: Im Prinzip ja, wobei ich mir nicht sicher bin, ob der Begriff Grundlast der geeignete Ausdruck ist. In einer von Erneuerbaren dominierten Welt – und eine solche Welt streben wir gesellschaftspolitisch an – ist vielmehr der Begriff Residuallast ausschlaggebend. Die Residuallast kann zeitlich von Null bis maximal zum höchsten Spitzenbedarf variieren – abhängig davon, wie hoch die Erneuerbaren-Produktion ist. Wenn die Residuallast Null ist, dann decken die Erneuerbaren den gesamten Bedarf – auch die heutige Grundlast. Wenn der Beitrag der Erneuerbaren minimal, oder gar Null ist, dann muss der Bedarf durch flexible Stromerzeugung abgedeckt werden. Die konventionellen Kraftwerke beweisen schon heute, dass sie diese flexible Stromerzeugung zuverlässig und relativ kostengünstig bereitstellen können. Diese Eigenschaft wird in Zukunft noch wichtiger werden.

Die Speicherung elektrischer Energie wird in Zukunft sicherlich eine große Rolle spielen – auch vor dem Hintergrund, dass die Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität ausgebaut wird und ein großer Gleichzeitigkeitsfaktor beim Laden gefragt sein wird. Welchen Beitrag können Ihre Kraftwerke beim Thema Speicherung leisten?

Stamatelopoulos: Bleiben wir für einen Moment beim Begriff flexible Stromerzeugung. Sie umfasst drei wesentliche Kategorien: Zum einen mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke, etwa Gas und Kohle; dann mit erneuerbaren Brennstoffen betriebene Anlagen, etwa Biogas und Biomasse; und schließlich Speicheranlagen wie Pumpspeicherkraftwerke und Batterien. Man kann den Begriff flexible Erzeugung durch den Begriff Speicher ersetzen, dann ist im ersten Fall Gas, oder Kohle der Speicher, im zweiten die Biomasse und im dritten die Batterie, beziehungsweise das Pumpen von Wasser auf eine bestimmte Höhe. Ich bin überzeugt, dass alle diese Technologien in Zukunft ihren Beitrag zur Energiewende leisten werden. Auch Kombinationen dieser Technologien sind möglich.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Stamatelopoulos: Ein Beispiel ist das Zuschalten einer Batterie in einem Kraftwerk, um die Frequenzregelung des Netzes schneller zu bewerkstelligen. Ein solches Projekt haben wir im Rahmen eines Joint Ventures mit der Firma Bosch in unserem Kraftwerk in Heilbronn realisiert. Ein weiteres Beispiel für eine mögliche Kombination ist die Mitverbrennung von Biomasse in einem Kohlekraftwerk. Dadurch lassen sich dessen CO2-Emissionen deutlich reduzieren. Diese Variante wird in anderen europäischen Ländern praktiziert; in Deutschland hingegen gibt es noch keine großtechnische Anwendung dieser Art. Auf der Verbrauchsseite ist das Aufladen einer Batterie nichts Anderes, als ein zusätzlicher Strombedarf. Und dieser kann, wie jeder andere, durch Erneuerbare abgedeckt werden, wenn diese – eventuell auch im Überschuss – zur Verfügung stehen, oder durch eine flexible Stromerzeugung, die dann zur Verfügung steht, wenn sie gebraucht wird.

Mit dem in Ihren Anlagen erzeugten Strom können rechnerisch rund 15 Millionen Haushalte im Jahr versorgt werden. Gibt es bei Ihnen ein Pilotprojekt in Richtung flexible Stromerzeugung oder welche Zukunftsperspektiven sind bei Ihnen in der Planung?

Stamatelopoulos: Spontan fällt mir bei dieser Frage das Fuel Switch Projekt an unserem Standort in Stuttgart-Gaisburg ein. Hier wird ein mit Kohle gefeuertes Heizkraftwerk durch ein kleineres, effizientes und emissionsärmeres Gasheizwerk ersetzt. Seit Anfang 2017 wird dafür vor Ort gebaut. Das Gasheizkraftwerk besteht aus Gasmotoren mit einer elektrischen Leistung von insgesamt 30 MW, aus Gaskesseln mit einer Wärmeleistung in Kombination von bis zu 240 MW, sowie einem Wärmespeicher mit einer Kapazität von 300 MWh. Mit dieser Investition wollen wir die Fernwärmeversorgung im Raum Stuttgart modernisieren. Durch den Umstieg von Kohle auf Gas sichern wir langfristig die Fernwärmeversorgung in Stuttgart und leisten einen Beitrag zur schrittweisen Dekarbonisierung der Erzeugung. Ende 2018 soll das neue, moderne Heizkraftwerk ans Netz gehen.