3D-Druck in der Medizin - Grafik
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05.03.2020 Fachinformation

Anwendungspotential der 3D-Drucktechnik in der Medizin

Die Anwendungen des 3D-Druckes in der Medizin konzentrieren sich derzeit auf die Herstellung anatomischer Strukturen anhand volumetrischer Bilddaten (z.B. Computertomografie). Im Bereich der kardiovaskulären Medizin bieten sich derzeit Einsatzmöglichkeiten in der diagnostischen Aufarbeitung komplexer Erkrankungen des Herz-/Kreislaufsystemes und der Planung und Simulation für interventionelle und operative Eingriffe. Weiterhin kann mit 3D-gedruckten patientenspezifischen Modellen die Einbindung der Patienten in den Kommunikations- und Entscheidungsprozess vor komplizierten Operationen verbessert werden.

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Johannes Koch
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Weitergehende Anwendungen, die die 3D-Drucktechnologie mit biologischen Trägerlösungen (sog. „Bio-Ink“) und lebenden Zellen kombinieren (sog. „Bioprinting“), um funktionsfähige kardiovaskuläre Gewebe und Organes herzustellen, sind derzeit ebenfalls in Entwicklung, aber noch weit von der klinischen Anwendung entfernt (Giannopoulos 2016). Im Gebiet der Gefäßchirurgie existieren ebenfalls erste Implementierungen des 3D-Druckes. Besonders im Bereich der endovaskulären Gefäßchirurgie bietet sich interessante Anwendungsmöglichkeiten für patientenindividuelle 3D-Modelle. Die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten der 3D-Drucktechnik erlauben die Herstellung akkurater 3D-Modelle sowohl aus rigidem Material (PLA, ABS) als auch flexiblem Material. Potentielle Anwendungsgebiete liegen im Bereich Anatomieverständnis, OP-Planung, intraoperative Navigation, Forschung und Lehre sowie Patientenkommunikation und Patientenaufklärung. Der Einsatz des 3D-Druckes erfolgt momentan vorwiegend im akademischen Umfeld. Weitere Untersuchungen sind daher notwendig, um die Kosteneffektivität des Einsatzes der 3D-Drucktechnologie zu beleuchten und den Transfer auch in Bereiche der Routineversorgung zu ermöglichen (Tam 2018). Beispielsweise konnte Marone in einer Studie mit 25 Fällen zeigen, daß die Herstellung patientenindividueller 3D-Modelle von verschiedenen Erkrankungen der Hauptschlagader sowohl im Brustkorb als auch im Bauchraum technisch möglich ist und anhand dieser Modelle die Aufklärung der Patienten für den operativen Eingriff detailierter und verständlicher durchführbar ist und vom Patienten sehr gut angenommen wird (Marone 2018). In einer weiteren Studie konnte Torres an 55 Patienten belegen, daß die Verwendung von patientenindividuellen 3D-Modellen zur OP-Planung und Simulation vor endovaskulären Eingriffen zu einer deutlichen (signifikanten) Einsparung von Operationszeit, Durchleuchtungsdauer und Kontrastmittelmenge führt (Torres 2017).

In unserer Klinik haben wir seit Anfang 2016 ein eigenständiges 3D-Labor im Sinne einer „full inhouse-solution“ etabliert: Sowohl die Extraktion der Patientenanatomie aus Volumendatensätzen von Computertomografien als auch die Herstellung der elektronischen 3D-Modelle ( sog. „3D-Engineering“) erfolgt in eigener Regie mittels entsprechender Softwarelösungen (Mimics Innovation Suite, Materialise, Gilching, Deutschland). Der nachfolgende Druckprozess wird ebenfalls von uns selbst durchgeführt und überwacht und erfolgt auf kommerziellen Druckersystemen sowohl für das Schmelzdruckverfahren (z.B. Ultimaker IIIextended, Ultimaker B.V., Geldermalsen, Niederlande) als auch die Polyjet-Technologie (z.B. Stratasys Objet, Stratasys GmbH, Rheinmünster, Deutschland), die auch den Druck mit flexiblen Materialien erlaubt. Die Nachbearbeitung der Modelle (Entgraten, Entfernung von Stützmaterialien, Montage) schließt dann den Herstellungsprozess ab. Hinsichtlich des Zeitbedarfes sind wir in der Lage, ein patientenindividuelles Modell zur Operationsplanung und Patientenaufklärung bei Bedarf übernacht herzustellen (Heller 2016). Neben patientenspezifischen 3D-Modellen von Herz- und Gefäßerkrankungen haben wir auch mehrere 3D-Modelle der menschlichen Hauptschlagader in Originalgröße hergestellt, die als Simulationsmodell Verwendung finden. Damit ist es beispielsweise möglich, verschiedene grundlegende Techniken bei Interventionen am Gefäßsystem, zum Beispiel die Handhabung von Führungsdrähten und Kathetern, am Modell zu üben. Hierbei handelt es sich um ein Modell der Hauptschlagader eines erwachsenen Mannes, das mit transparentem Polymer (Stratasys VeroClear®) im Polyjet-Verfahren hergestellt worden ist (Abbildung Aorta). Der Druck erfolgte aufgrund der Größe des Modelles in mehreren Einzelteilen, die dann im Anschluß an das Reinigungsverfahren verklebt und auf einer Acrylglasplatte montiert wurden. Anhand dieses Modelles können beipielsweise Sondierungsmanöver von Seitenästen der Hauptschlagader (z.B. Nierenschlagader) unter Sicht des Auges geübt werden. Wichtige Vorteile bestehen zum einen in der Vermeidung von Röntgenstrahlung während des Trainings, da das Modell durchsichtig ist und die einzelnen Manöver unter Sicht des Auges stattfinden können und zum anderen in der Möglichkeit zur Verwendung von Originalmaterialien (Drähte, Katheter, Schleusen). In unserer Klinik setzen wir diese Modelle im Rahmen der studentischen Lehre und auch in der Aus- und Weiterbildung von angehenden Ärzten und Ärztinnen erfolgreich ein.

Im Bereich der craniofacialen Chirurgie, der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und auch der zahnärztlichen Chirurgie hat der 3D-Druck bereits Einzug erhalten. So hat sich für grazile, individuelle Titanplatten die additive Fertigung von Osteosyntheseplatten bereits auf dem Markt etabliert. Diese werden angewendet, um z. B. individuelle Knochenverschiebungen am Computer vorzuplanen und bei kieferorthopädischen Operationen diese bereits in die Osteosynthese „einzubauen“. Ebenso werden individuelle additiv gefertigte Titanplatten für die Rekonstruktion des Orbitabodens nach Trauma bereits routinemäßig klinisch eingesetzt. Größere, lasttragende Anteile wie z. B. individueller Kiefergelenkersatz oder Unterkieferersatz wird immer noch subtraktiv hergestellt, also aus einem Block gefräst. Hier sind die Materialeigenschaften des gedruckten, bzw. additiv gefertigten Osteosynthesematerials noch eher fraglich. Eine weitere fest etablierte Anwendung ist die Herstellung von individuellen Schablonen, mit denen Knochenschnitte auch hier z. B. in der kieferorthopädischen Chirurgie aber auch in der Onkologie präzise in den OP übertragen werden können. Dies ermöglicht z. B. bei der Rekonstruktion des Unterkiefers ein paralleles Arbeiten mit zwei Teams. Ein Team reseziert den Tumor des Kiefers mit zuvor hergestellten Schnittschablonen. Das zweite Team kann zeitgleich mit analogen Schnittschablonen z. B. an der Fibula das Transplantat entsprechend vorbereiten. Dies spart nicht nur OP-Zeit und damit Morbidität, sondern erhöht gleichzeitig die Präzision für den Patienten deutlich. Das heißt, die Transplantate sorgen auch für ein gutes physiognomisches Ergebnis. Im Bereich der zahnärztlichen Implantologie werden diese Schablonen für die Insertion von Zahnimplantaten routinemäßig verwendet und mittlerweile stehen entsprechende 3D-Drucker in den zahnärztlichen Praxen.

Die Vorstellung Knochen mittels 3D-Drucker regenerativ zu behandeln stellt natürlich eine der Herausforderungen dar. Als Anwendung findet sich bisher die Herstellung individueller additiv gefertigter Titangitter, mit denen der Kiefer individuell ausgeformt werden kann. Diese müssen jedoch bisher noch mit Knochenersatzmaterial und eigenem Knochen gefüllt werden und biologisch umgebaut werden. Die additive Fertigung resorbierbarer Materialien in diesem Bereich wird in Einzelfällen ausprobiert, hat jedoch bisher noch keinen Eingang in die Klinik finden können. Dies ist sicherlich auch bedingt durch die schwierige Biokompatibilität der resorbierbaren Druckmaterialien.

Hochinteressant sind die Anwendungen der additiven Fertigungen der Zahnmedizin. So wird in zahntechnischen Laboren heute weitgehend ein digitaler Workflow für Einzelkronen eingehalten, d. h. diese werden im Patientenmund gescannt, am Computer „designt“ und dann im Zahnlabor oder beim Zahnarzt gefräst. Werden in diesem Arbeitsabschnitt Modelle erforderlich, so werden diese sekundär gedruckt. Dies stellt mittlerweile ein Standard dar. Das Drucken oder besser die additive Fertigung von Zahnersatz ging bisher jedoch aufgrund der Oberflächenbeschaffenheit noch nicht wirklich gut. Für Provisorien ist bisher PEEK als Material im Einsatz. Hier ist sicher die Entwicklung in der Zukunft abzuwarten. Betrachtet man die Kostenstruktur subjektiv aus Keramik gefertigter Materialien, so könnte der 3D-Druck tatsächlich hier zu einer deutlichen Senkung der Kosten von Zahnersatz beitragen. Eine echte Revolution war die Schienentherapie im Bereich der Kieferorthopädie, bei der der Patient jeweils angepasste Schienen trägt, die Zahnbewegungen ermöglichen ohne dass eine sichtbare Spange getragen werden muss. Diese sogenannte Aligner-Technik hat sich mittlerweile in den Praxen weitgehend durchgesetzt.

Damit wird deutlich, dass der 3D-Druck im Bereich der Kopf-Hals-Fächer, was Schablonentechniken angeht, mittlerweile zum Tagesgeschäft gehört. Auch die Anwendung individuell, additiv gefertigter Osteosyntheseverfahren hat sich mittlerweile fest etabliert. Ebenso Schienentechniken im Bereich der Zahnmedizin. Letztlich muss der 3D-Druck für diese Bereiche als ein Mosaikstein im sogenannten digitalen Workflow gesehen werden. Im Bereich der regenerativen Chirurgie mit der Schnittstelle zum Bioprinting muss bisher jedoch noch von echter Grundlagenforschung gesprochen werden.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Bernhard Dorweiler und Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas.


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