Junge Frau mit medizinischer Gesichtsschutzmaske
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20.11.2020 Fachinformation

Krisenvorsorge für Arzneimittel und Medizinprodukte: neue Aufgaben für die EMA

Die EU Kommission hat am 11.11.2020 den Gesetzentwurf "Reinforced role for the European Medicines Agency in crisis preparedness and management for medicinal products and medical devices" veröffentlicht. Vor dem Hintergrund der leidvollen Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie ist es das Ziel der Kommission, die Bereitstellung krisenrelevanter Arzneimittel und Medizinprodukte zu verbessern. Es soll insbesondere dafür Sorge getragen werden, dass keine Engpässe entstehen und dass krisenrelevante Arzneimittel rechtzeitig entwickelt und bereitgestellt werden können. Darüber hinaus sollen Expertengremien bei der Bereitstellung krisenrelevanter Hochrisiko-Medizinprodukte mitwirken und ihre entsprechende Fachkompetenz strukturiert einbringen.

Dazu beabsichtigt die EU Kommission, die Vorschriften zur Überwachung eines Mangels an Arzneimitteln und Medizinprodukten anzunähern und die Rolle der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zu stärken. Es soll ein harmonisiertes System zur Überwachung eines Mangels an Arzneimitteln und Medizinprodukten eingerichtet werden. Um die Überwachung und Berichterstattung über potenzielle oder tatsächliche Engpässe bei Arzneimitteln und Medizinprodukten zu erleichtern, soll die EMA in die Lage versetzt werden, Informationen und Daten von den relevanten Akteuren einzuholen. Um die Arbeit und den Informationsaustausch zu erleichtern, sollen auch eine entsprechende IT-Infrastruktur aufgebaut und die europäische Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) genutzt werden.

MDR-Expertengremien werden bei der EMA angesiedelt

Mit Blick auf Medizinprodukte ist die Einrichtung einer Lenkungsgruppe bei der EMA vorgesehen. Diese bekommt die Aufgabe, dringende Maßnahmen in der EU bei Angebots- und Nachfrageproblemen bei Medizinprodukten zu koordinieren und eine Liste kritischer Medizinprodukte zu erstellen. Der Verordnungsentwurf gibt der EMA zudem die Aufgabe, die Expertengremien für Medizinprodukte direkt zu unterstützen. Diese wurden mit der europäischen Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (MDR) eingeführt und im Durchführungsbeschluss (EU) 2019/1396 näher definiert. Artikel 28 des Verordnungsentwurfs regelt, dass die EMA im Namen der EU Kommission ab dem 1. März 2022 das Sekretariat der Expertengruppen zur Verfügung stellt. Die Aufgaben des EMA-Sekretariats für die Medizinprodukte-Expertengruppen sind:

  • administrative und technische Unterstützung der Expertengremien 
  • Sicherstellung, dass die Arbeit der Expertengremien gemäß Anforderungen der MDR auf unabhängige Weise und unter Vermeidung von Interessenkonflikten durchgeführt wird 
  • Aufbau und Pflege einer Internetseite zur Veröffentlichung aller Informationen der Gremienarbeit im Sinne der MDR-Transparenzanforderungen 
  • Veröffentlichung der wissenschaftlichen Stellungnahmen, Ansichten und Ratschläge der Expertengremien unter Wahrung der Vertraulichkeit 
  • Überwachung der Einhaltung der gemeinsamen Geschäftsordnung der Expertengremien und aller relevanten Richtlinien und Methoden 
  • Erstellung jährlicher Berichte über die von den Expertengremien geleistete Arbeit einschließlich der Anzahl der abgegebenen Stellungnahmen, Ansichten und Ratschläge

Die EMA soll weiterhin dafür Sorge tragen, dass Mitglieder der Lenkungsgruppen für Arzneimittel und Medizinprodukte und ihre jeweiligen Arbeitsgruppen an den Sitzungen und Arbeitsgruppen der jeweils anderen teilnehmen und gegebenenfalls bei Berichten und Stellungnahmen zusammenarbeiten. Die Möglichkeit gemeinsamer Sitzungen der Lenkungsgruppen für Arzneimittel und Medizinprodukte ist ausdrücklich vorgesehen.

Zusätzliche Aufgaben für MDR-Expertengruppen

Zusätzlich zu ihrer "regulären" Rolle bei der klinischen Bewertung bestimmter Hochrisiko-Medizinprodukte sowie Leistungsbewertung bestimmter In-vitro-Diagnostika gemäß MDR sollen die Expertengremien nicht nur Stellungnahmen zu Konsultationen von Herstellern und Benannten Stellen abgeben, sondern auch eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung von Gesundheitskrisen in der EU spielen. Die Expertengremien sollen den Mitgliedstaaten, der Kommission und der Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte (MDCG) wissenschaftliche, technische und klinische Unterstützung mit Blick auf krisenrelevante Medizinprodukte bieten.

Abschließend bleibt festzustellen, dass sich im Zuge des von der EMA zu entwickelnden Prozesses eine Reihe zusätzlicher Berichts- und Dokumentationspflichten für die beteiligten Wirtschaftsakteure (insbesondere die Hersteller) und die Benannten Stellen im Krisenfall ergeben sollten. Damit würde die administrative Belastung weiter erhöht. Da zum jetzigen Zeitpunkt weder die Expertengruppen gemäß MDR noch eine vollfunktionsfähige EUDAMED-Datenbank existieren, stellt sich auch die Frage der praktischen Umsetzbarkeit dieser Aspekte des Verordnungsentwurfs. Insgesamt wird deutlich, dass die Medizinprodukte- und Arzneimittelregulierung in Europa absehbar weiter zusammenwachsen.

 


Kontakt
Dr. Cord Schlötelburg