Gesundheitsapp auf einer Smart Watch
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02.05.2019 Fachinformation

Wearables – Megatrend der Gesundheitswirtschaft

Man sieht sie mittlerweile immer häufiger: Sogenannte Wearables (oder Wearable Devices), also tragbare Geräte und Technologien, die aus der Freizeit- und Arbeitsgestaltung vieler Menschen nicht mehr wegzudenken sind. Das Segment der Wearables erfreut sich großer Beliebtheit und weist seit einigen Jahren Wachstumsraten von über 20 Prozent im europäischen und US-amerikanischen Markt auf.

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Johannes Koch
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Wearables können direkt am Körper oder in Körpernähe getragen werden und zeichnen sich durch Computer- oder Sensorsysteme aus, die unterschiedliche Arten von Daten sammeln und/oder auswerten können. Solche Informationen beinhalten in den meisten Fällen physiologische Kennwerte, die dem Nutzer oder Dritten Hinweise zum Gesundheitszustand liefern.

Innovativer Markt, enormes Potential

Der Markt der Wearables zeigt sich momentan und in den letzten Jahren als hochgradig innovativ. Nicht nur aufgrund des technologischen Fortschritts – Sensoren und Prozessoren werden etwa immer leistungsfähiger, kompakter und günstiger – sondern auch aufgrund der Kombination von Einsatzmöglichkeiten, entwickeln global agierende Unternehmen stets neue Produkte. Bereits heute können Wearables folgende Einsatzbereiche abdecken: Altimeter, Beschleunigungsmessung, Bluetooth, Digitale Kamera, Druckmessung, Elektrodermograph, Elektroenzephalografie (EEG), Elektrokardiogramm (EKG), Elektromyographie (EMG), Mikrofon, Ortung (GPS), Oximeter oder Temperaturmessung. Die Kombination der Einsatzmöglichkeiten definiert das Potential von Wearables und lässt stetig neue Produkte im Markt entstehen. Die neuesten Wearables können mittlerweile eine Vielzahl der genannten Möglichkeiten kombinieren. Die Auswertung der Daten erfolgt in Echtzeit und kann am Wearable selbst oder am Handy oder Tablet verfolgt werden. Die Daten werden meisten über Cloud-Lösungen gespeichert.

Fitness- und Gesundheitsdaten dominieren

Nicht zwangsläufig werden Wearables zur Messung von Körper- und Gesundheitsdaten eingesetzt – zum Beispiel bei elektrischen Textilien zur Wärmeerzeugung. Dennoch ist der Fokus in diesem Bereich klar vorgegeben und wird auch seitens der Konsumenten erwartet. Umfragen belegen, dass Informationen zu Fitness und Gesundheit gefragt sind und die Menschen dadurch viele Bereiche ihres Lebens optimieren wollen. Nach Studiendaten n Media Trend Outlook – Wearables von PwC wünschen sich 52 Prozent der Befragten durch die Nutzung von Wearables ein effektiveres Fitnesstraining, 46 Prozent medizinische Informationen und 38 Prozent eine gesunde Ernährung. Als vertrauenswürdige Institutionen für die Weitergabe der persönlichen Daten wurden Hausarzt und Krankenhäuser (63 Prozent), Familie und Freunde (53 Prozent) und Krankenkassen (26 Prozent) genannt.

Das Potential von Wearables für gesundheitliche und medizinische Zwecke ist somit offensichtlich – lediglich die Regulierung dieses Segments lässt in Europa noch einige Fragen offen.

Medizinische Wearables – eine Frage der Zweckbestimmung

Es bestehen bereits viele Ansätze, die smarten Technologien für diagnostische oder therapeutische Zwecke einzusetzen. Dabei sind Wearables oftmals Produkte, die sich regulatorisch schwer einordnen lassen. Dadurch können auf Seite der Verbraucher und Hersteller Unsicherheiten entstehen. Diese sollen unter anderem durch die neue europäische Medizinprodukteverordnung behoben werden. Nach der noch aktuellen europäischen Medizinprodukte-Richtlinie 93/42/EWG (umgesetzt in Deutschland durch das Medizinproduktegesetz) sind Medizinprodukte „Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder andere Gegenstände […], die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind: Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten […] Verletzungen oder Behinderungen.“ Die medizinische Zweckbestimmung (engl.: ‚intended purpose‘) ist hier also ausschlaggebend, ein Produkt als Medizinprodukt – mit den einschlägigen regulatorischen Anforderungen – einzustufen. Dabei ist die Begrifflichkeit grundsätzlich interpretationsbedürftig, was jedoch mittlerweile durch einige Grundsatzurteile des Europäischen Gerichtshofs klarer geregelt ist. So kann beispielsweise auch die Darbietung und Marketingaktivität eines Herstellers Einfluss auf die Klassifizierung als Medizinprodukt haben.

Ein Armband zur Messung der Herzfrequenz kann in einem Fall ein Fitness-Tool sein und in einem anderen ein Medizinprodukt. Werden die erfassten Daten zur Ergründung von physiologischen Prozessen und Prophylaxe von Herzerkrankungen erfasst, müsste das Produkt als Medizinprodukt zertifiziert werden. Werden die Herzfrequenz-Daten durch das Armband als Information für den Nutzer zu Fitnessgründen zur Verfügung gestellt – beispielsweise während eines Laufs oder anderer sportlicher Aktivität – wäre das Produkt nicht als Medizinprodukt anzusehen (wobei willkürliche Zweckbestimmung nicht zulässig ist). Dies gilt auch für Zusatzgeräte, die die Daten des Wearables verarbeiten (Smartphone, Computer), die im Zweifelsfall ebenfalls eine CE-Zertifizierung als Medizinprodukt benötigten. Mit dem CE-Kennzeichen auf Medizinprodukten bestätigt der Hersteller die Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen. Genauso verhält es sich auch mit Medizinischer Software, die, sobald sie eine medizinische Zweckbestimmung aufweist, als Medizinprodukt einzustufen ist.

Neue regulatorische Anforderungen ab 2020

Ab dem 26. Mai 2020 wird die bisherige EU-Richtlinie durch eine anspruchsvollere EU-Medizinprodukteverordnung 2017/745/EU ersetzt, die strengere Anforderungen an Medizinprodukte definieren wird. Hierbei wird weniger die Definition von Medizinprodukten berührt – neu ist lediglich, dass die Prognose von Krankheiten zukünftig berücksichtigt werden soll. Somit werden tendenziell zukünftig eine höhere Anzahl von Wearables unter die Medizinprodukteverordnung fallen wird. Neue Anforderungen wird es auch bei der Marktüberwachung und Meldefristen geben, die unter anderem eine Rückverfolgbarkeit von Produkten erfordert (UDI-Kennzeichnung).

Der Nachweis der Konformität eines Wearables als Medizinprodukt wird mit der neuen Verordnung aufwendiger. So werden die meisten Hersteller zukünftig ab Klasse IIa keine eigene Konformitätserklärung abgeben können, sondern ausschließlich über Benannte Stellen ihre Produkte zertifizieren. Ausschlaggebend wird die Klassifizierung, die vier Stufen (I, IIa, IIb und III) je nach der Bedeutung des Gesundheitsrisikos vorsieht.

Für medizinische (‚stand-alone‘) Software in Wearables sieht die Medizinprodukteverordnung ab 2020 strengere Vorgaben vor. So wird im Annex VIII definiert, dass Software, die physiologische Prozesse überwacht und aufzeichnet in Klasse IIa, und bei Risikoparametern sogar in Klasse III eingestuft wird. Somit werden Wearables, die derzeit als Klasse I eingestuft werden, zukünftig in die Klassen IIa oder IIb hochgestuft.

Und was macht die FDA?

Die US-amerikanische Regulierungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) bietet verschiedene Registrierungs- und Zulassungsverfahren für Wearables. Grundsätzlich ist aber erkennbar, dass die FDA oftmals einen breiteren Ermessensspielraum im Sinne der Hersteller gelten lässt (‚enforcement discretion‘). Ansonsten findet das FDA 510(k)-Verfahren am häufigsten Anwendung. Dieses Verfahren ermöglicht Herstellern, Wearables mit geringem oder mittlerem Risiko mithilfe einer Äquivalenzbetrachtung zu registrieren. Somit wird das neue Produkt mit bereits im US-Markt verfügbaren Produkten bzgl. Sicherheit und Wirksamkeit verglichen und üblicherweise ‚substancial equivalence‘ bescheinigt. Bei hochgradig innovativen Wearables kommt dieses Verfahren nicht in Frage, hier ist eine DeNovo-Zulassung nach 513(f)(2) des FD&C Acts oder eine deutlich aufwändigere Premarket Aproval Application (PMA) erforderlich. Grundsätzlich lässt sich zum heutigen Zeitpunkt feststellen, dass die regulatorischen Anforderungen der FDA einem risikobasierten Ansatz folgen und der Marktzugang im Vergleich zu der Europäischen Union (vor allem mit der neuen EUMDR) leichter ist. Somit lässt sich etwa auch erklären, dass die neueste Generation der Apple Watch zwei Dienste als DeNovo (510(k)-zugelassene Medizinprodukte bereitstellt, die eine Zulassung nach FDA haben.

Produktsicherheit durch Normen und Standards

Neben den regulatorischen Anforderungen wird die Produkt- und Verbrauchersicherheit von Wearables durch Normen und Standards garantiert. Dabei können Wearables auf verschiedene existierende nationale und internationale Normenwerke – etwa in der Medizintechnik – zurückgreifen. In einem eigenen Gremium der internationalen Normenorganisation IEC (IEC/TC124 ‚Wearables‘) werden seit über zwei Jahren darüber hinaus Normen und Standards für Wearables erarbeitet – national gespiegelt bei der DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE/K802). Aktuelle Projekte umfassen unter anderem elektronische Textilien sowie Anforderungen an Sensoren.

Fazit und Ausblick

Wearables haben sich in den vergangenen Jahren etabliert und sind für viele Menschen Bestandteil eines modernen und bewussten Lebensstils geworden. Das Potential der smarten tragbaren Helfer scheint aufgrund des technologischen Fortschritts groß zu sein und zeigt sich weiterhin durch neue Innovationen im Markt. Im regulatorischen Bereich muss sich weiterhin die Handhabung von Wearables herausstellen. Die unterschiedlichen Ansätze von FDA und EU-MDR erzeugen derzeit divergierende Marktzugangsvoraussetzungen; hierbei wäre eine breite Diskussion über Nutzen und Risiko von Wearables notwendig um den Regulierungsbedarf im Sinne der Verbraucher festzustellen.

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