Artificial Intelligence Konzept
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12.01.2022 Fachinformation

Medizinprodukte: Neue Anforderungen an Künstliche Intelligenz (KI)-basierte Software

Benannte Stellen haben einen Fragenkatalog für KI-Medizinprodukte veröffentlicht. Was hat es damit auf sich? 

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Dr. Thorsten Prinz

Benannte Stellen haben einen Fragenkatalog für Medizinprodukte mit Künstlicher Intelligenz (KI)-basierter Software veröffentlicht. Um die Anforderungen zu erfüllen, sollten Hersteller ihre Prozesse anpassen und aktualisieren. Dieser Fachbeitrag erörtert, was gefordert wird und wie die Anforderungen umgesetzt werden können.

Neue Anforderungen der Benannten Stellen

KI-basierte Software unterliegt genauso wie klassische Software der Regulierung durch die Europäische Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte (MDR), wenn sie als Medizinprodukt in Europa in Verkehr gebracht werden soll. Vereinfacht gesagt, müssen Hersteller von Medizinprodukte-Software vor allem die allgemeinen Pflichten aus Art. 10 MDR sowie die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen (GRUSULA) im Anhang I MDR erfüllen. Im Abschnitt 17 finden sich dort Software-spezifische Anforderungen.

Spezifische-Anforderungen-MDR-Software-Produkte
VDE

Unser Beitrag „Künstliche Intelligenz (KI) und Medizinprodukte: Technologie und Zulassung“ erläutert die spezifischen Anforderungen an KI-Software im Detail. Natürlich gelten auch die allgemeinen Anforderungen an Medizinprodukte und die speziellen Anforderungen an Software, mit welchen wir uns in den anderen Beiträgen beschäftigt haben und auf die wir hier nicht noch mal im Detail eingehen können. Da in der MDR keine KI-spezifischen Anforderungen enthalten sind, ergeben sich letztendlich Unsicherheiten bei den Herstellern darüber, was Benannte Stellen im Rahmen der Konformitätsbewertung an zusätzlicher Dokumentation sehen wollen. Auch stellt sich die Frage, welcher Zusatzaufwand damit verbunden ist.

Neuer Fragenkatalog der Deutschen Benannten Stellen

Die Interessengemeinschaft der Benannten Stellen für Medizinprodukte in Deutschland hat 2021 die dritte Version ihres Fragenkatalogs „Künstliche Intelligenz bei Medizinprodukten“ veröffentlicht. Der Fragenkatalog ist zwar im rechtlichen Sinne grundsätzlich nicht verbindlich und wurde auch bislang nicht in die einschlägigen Guidances der Europäischen Medical Device Coordination Group (MDCG) aufgenommen, aber er stellt aus unserer Sicht eine wichtige Anleitung zur Erstellung einer MDR-konformen Dokumentation dar. Im Wesentlichen lassen sich die darin formulierten Anforderungen in zwei Kategorien unterteilen:

  1. Zusätzliche Anforderungen für regulatorische Bereiche, wie Hersteller-Informationen, Gebrauchstauglichkeit, Informationssicherheit, klinische Bewertung/Nachbeobachtung, Risikomanagement, Qualitätsmanagement, Überwachung nach dem Inverkehrbringen etc., für die bereits Normen und/oder MDCG Guidances vorhanden sind.
  2. Neue Anforderungen im Bereich der Softwarelebenszyklus-Prozesse, für welche die einschlägigen Normen IEC 62304 und IEC 82304-1 in der jetzigen Form keine konkreten Hilfestellungen geben.

Wie sind die Anforderungen umzusetzen?

Die zusätzlichen Anforderungen der ersten Kategorie lassen sich beim Hersteller problemlos in bestehende Prozesse integrieren. Als Beispiel soll hier die Überwachung nach dem Inverkehrbringen dienen. Im dazugehörigen Plan gemäß legt der Hersteller die Quellen und die Art der Bewertung der Ergebnisse für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen fest. Bei KI-basierter Software sind die üblichen Quellen um die „Leistungsüberwachung im Betrieb von KI-basierter Software“ und die „Überwachung der Datenqualität im Betrieb bei KI-basierter Software“ zu erweitern und quantitativ sowie hinsichtlich eines möglichen Trends zu analysieren.

Die zweite Kategorie enthält vor allem neue Anforderungen für KI-basierte Software aus den Bereichen Datenmanagement und Modellentwicklung. Es ist hier keineswegs so, dass die Softwarelebenszyklus-Prozesse (Software-Entwicklung, Software-Release, Software-Wartung und Software-Außerbetriebnahme) nicht angewendet werden können. Vielmehr müssen sie angepasst oder um einen weiteren Prozess „KI-Modell“ erweitert werden.

Der VDE hat die regulatorische Strategie “Boost AI to Market – BAIM” welche beide zuvor genannten Kategorien für Anpassungen im Qualitätsmanagementsystem des Hersteller berücksichtigt.

Zertifizierbarkeit von KI-basierter Software

Uns erreicht auch immer wieder die Frage, ob kontinuierlich lernende KI-basierte Software (dynamische KI) auch CE-zertifiziert werden kann. Die Benannten Stellen beziehen hierzu im Fragenkatalog klar Position: diese ist „grundsätzlich nicht zertifizierbar, da das System verifiziert und validiert sein muss (u.a. muss die Funktionsfähigkeit anhand des Verwendungszwecks validiert sein).“ Aber auch für eine statische KI können Einschränkungen hinsichtlich der Zertifizierbarkeit bestehen, wenn es sich dabei um ein „Blackbox System“ handelt (vgl. Art. 22 und 35 Europäische Datenschutzgrundverordnung sowie Nr. 17.2 im Anhang I MDR). Dann handelt es sich laut Fragenkatalog um eine Einzelfallentscheidung der beteiligten Benannten Stelle.

Ausblick

Im Plan der MDCG findet sich die Guidance „Artificial Intelligence under MDR/IVDR framework“, aber leider mit einem unbestimmten Datum für die Veröffentlichung. Weiterhin hat die EU Kommission am 21.04.2021 den Gesetzesvorschlag „Artificial Intelligence Act“ veröffentlicht, den wir hier ausführlich für Sie diskutiert haben. Es bleibt abzuwarten, in welcher Form diese neuen Regelungen sich auf Medizinprodukte-Sektor auswirken.