Hannover Messe 2019 Ansgar Hinz
Anja Rottke / VDE
04.04.2019 Kurzinformation

Abgesang auf den Industriestandort Deutschland

Uns geht es aktuell in Deutschland offensichtlich zu gut, um wahrzunehmen, dass der Abgesang auf den Industriestandort Deutschland bereits begonnen hat. Gerade wenn wir über entscheidende Zukunftstechnologien, Methoden und Querschnittskompetenzen, wie das diesjährige Kernthema der Hannover Messe, reden, sind wir im Weltvergleich maximal Mittelmaß.

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Die Marke „Made in Germany“ verblasst! Da hilft es auch nicht viel – und das ist die positive Botschaft –, dass der VDE und seine im VDE Tec Report 2019 befragten Mitglieder die Entwicklung der Elektroindustrie 2019/20 eher positiv sieht. Deutschlands Wirtschaft setzt auf Innovationen: 44 Prozent der von uns Befragten wollen ihre F+E-Ausgaben deutlich steigern.

Im Innovationsranking KI scheint der Abstand des Industriestandorts Deutschland zur Weltspitze jedoch uneinholbar. Es führen die USA und China, dicht gefolgt von Japan. Israel und Korea liegen vor Deutschland, das mit Europa das Schlusslicht bildet. Das überrascht nicht, denn 60 Prozent aller weltweiten Patentanmeldungen in KI kommen aus den USA: allen voran Microsoft, Alphabet, Intel, Apple, Amazon. Dicht gefolgt von China und Südkorea. Von den deutschen Unternehmen schaffte es nur Siemens auf Rang 16 – laut Studie des Schweizer Wirtschaftsforschungsinstituts Econ Sight.

Im Innovationsranking Industrie 4.0 schneidet Deutschland auch nicht viel besser ab. China führt vor Japan, Korea, Deutschland und den USA. Schlusslicht ist Europa. Nur 2 Prozent erwarten die Implementierung industrieller KI in Deutschland bis 2020, 39 Prozent bis 2025. Zum Vergleich: 15 Prozent erwarten den Einsatz industrieller KI in China bis 2020 und 61 Prozent bis 2025. Für die USA sehen die Zahlen ähnlich gut aus: Zwar nur 4 Prozent bis 2020, aber dafür 60 Prozent Zustimmung bis 2025. Die Selbsteinschätzung unserer Unternehmen und Hochschulen ist eine fundamentale Fehleinschätzung und ein Risiko für den Standort D.

Was lief schief?

Der Industriestandort Deutschland (Europa) hat die Dimensionen jahrelang nicht erkannt. Sich auf seinem Wohlstand ausgeruht und die Entwicklung verschlafen. Die USA und China machen den Milliardenmarkt unter sich aus. Korea, Japan, Israel sind besser aufgestellt als wir.

Doch was sind die Vorteile der Mitbewerber?

  • Kapital: Über 50 Prozent der Befragten bemängeln, dass es in Deutschland/Europa nicht genügend Mittel für die Umsetzung revolutionärer technischer Veränderungen gibt. Die Start-up-Szene zeigt sich mit 75 Prozent Zustimmung noch negativer. 3 Mrd. Euro, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer KI-Strategie in den nächsten Jahren investieren will, sind im internationalen Vergleich ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Konkurrenz aus den USA und Asien, allen voran China, investiert weitaus mehr. Kluge Verflechtung von Hochschulen, Wirtschaft und Politik.
  • Infrastruktur: Anzahl der Supercomputer im weltweiten Vergleich (China: 229, USA: 108, Japan: 39, UK: 20, F: 18, D: 17, und der Stadtstaat Singapur: 3). Aktuelle Diskussion um 5G. Die schiere Datenmenge, Rohstoff der KI, der Konkurrenz: China und die USA verfügen über Milliarden von Daten. Europa kann von der Datenmenge nur mithalten, wenn wir einen Pool in Europa schaffen.
  • Einstellung: In den USA und China werden die Daten für die Forschung hemmungslos genutzt, keine Diskussion über Moral und Datenschutz. Fehlende Technologieaffinität in der Bevölkerung.
  • Experten und Know-how: Hochschulen in Deutschland können in der KI-Forschung mit den USA und China nicht mithalten. Es fehlt an Budget und Experten. USA und China produzieren tausende von Absolventen. Hier kämpfen wir um jede Schülerin, jeden Schüler für ein Studium der Elektro- und Informationstechnik, die Abbrecherquote beträgt 58 Prozent. 67 Prozent der Hochschulen klagen über Engpässe beim wissenschaftlichen Nachwuchs in der Elektrotechnik. 33 Prozent von ihnen rekrutieren bereits aus dem Ausland. Für die Unternehmen ist der Fachkräftemangel virulent. 37 Prozent der Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern, 33 Prozent der Unternehmen mit 500 bis 1.000 Mitarbeitern und 26 Prozent der innovativen Start-ups rekrutieren aus dem Ausland. In den kommenden zehn Jahren benötigen wir in Deutschland deutlich über 100.000 junge E-Ingenieure mehr als hierzulande ausgebildet werden, um in der Digitalisierung mit den anderen Ländern Schritt halten zu können.

Unser Masterplan für den Industriestandort Deutschland

Wir müssen uns auf die deutschen Kompetenzen auf den Gebieten KI und Industrie 4.0 sowie KI und IT-Sicherheit konzentrieren. Und mit eigenen Schwerpunkten in die KI-Weltspitze vordringen. Unsere Stärke liegt in der Verknüpfung unseres industriellen Prozess- und Automatisierungs-Know-hows mit einem modernen KI-Methodenbaukasten. Und damit ist unsere (einzige) große Chance die Verbindung von KI und unserem Know-how in der industriellen Produktion, Automatisierung und dem Maschinenbau. Gerade hier liegt auch Potenzial für den innovativen und dynamischen deutschen Mittelstand und den Industriestandort Deutschland.

Wir können also nur mit Innovations-Exzellenz und Human Capital punkten! Dazu bedarf es:

  • einer strategisch-zielgerichteten Förderung von Forschung – nicht nach dem Gießkannenprinzip – und von Start-ups
  • mehr Manpower: Mehr Jugendliche für eine Ausbildung in der Elektro- und Informationstechnik, im Maschinenbau und in der Informatik gewinnen und die hohe Abbrecherquote stoppen. Auf das Know-how der jetzigen Mitarbeiter setzen und sie fit für den digitalen Wandel machen (kein Vorruhestand)
  • den Exodus unserer Experten ins Silicon Valley stoppen und gleichzeitig Fachkräfte aus dem Ausland rekrutieren. Und nicht nur für Berlin und München, sondern auch auf dem Land bei den Hidden Champions
  • Branchenkonvergenz: Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik müssen die Gräben überwinden, alle an einem Strang ziehen und das bereits in den Hochschulen.

Wir sind gut, aber wir können es noch besser!

Konzentrieren wir uns also auf das, was wir beherrschen. 66 Prozent der KMU und 73 Prozent der Hochschulen sehen in Industrie 4.0, ich sage lieber Industrie KI, eine Chance, die Marke „Made in Germany“ wieder zu altem Glanz zu bringen. Als Folge: Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Sicherung der Arbeitsplätze. Als Erfolgsrezept empfehlen sie, sich auf die deutschen Kompetenzen auf den Gebieten Industrie und KI sowie IT-Sicherheit und KI zu konzentrieren und mit ganz eigenen Schwerpunkten und klarer Fokussierung in die KI-Weltspitze vorzudringen.

Lassen Sie uns deshalb alle – jeder in seiner Funktion – ab heute daran mitwirken, endlich aus unserer Lethargie aufzuwachen, die beschriebenen Missstände zu beseitigen, die Lösungswege zu ebnen und unsere Chancen zu nutzen. Andernfalls erleben wir vielleicht bald den ersten „Freitag für die Zukunftssicherung des Standorts Deutschland“.

Ein Beitrag von Ansgar Hinz