Deutschland soll zum weltweit führenden Standort für Künstliche Intelligenz werden. So plant es die Bundesregierung in ihrem Eckpunktepapier. Die KI-Forschung soll ausgebaut, entsprechende Fachkräfte besser bezahlt und rechtliche Rahmenbedingungen geändert werden, um den Zugang zu großen Datenmengen zu erleichtern. Die Initiative hat einen Grund. Methoden, die sich unter dem Begriff Künstliche Intelligenz zusammenfassen lassen, sind derzeit in aller Munde. Es gibt kaum einen Bereich des alltäglichen Lebens, für den keine Wunderdinge durch KI versprochen werden. Tatsächlich eröffnen die entsprechenden Technologien auf vielen Feldern große Möglichkeiten. Und häufig sind wir schon mit KI konfrontiert, ohne es zu merken. Dies ist nicht erst der Fall, seitdem Google sein KI-System medienwirksam telefonisch einen Termin bei einem Friseur vereinbaren ließ und die Dame am anderen Ende der Leitung nicht erkannte, dass sie nicht mit einem Menschen, sondern mit einer Maschine kommunizierte.
Im E-Commerce sind ähnliche Dinge bereits erprobt. Viele Unternehmen nutzen bereits sogenannte Chatbots für das Beschwerdemanagement. Einen großen Teil der Fragen klärt die Maschine, erst wenn es komplizierter wird, schaltet sich ein Mensch aufseiten des Unternehmens ein. Im vergangenen Jahr demonstrierte Adidas auf einer Tech-Konferenz wie sich KI im Online-Handel einsetzen lässt. Der Sportartikelhersteller nutzt für seinen Webshop KI-Technik für die Personalisierung der Online-Werbung. Beispiel: Eine Nutzerin, die sich auf der Adidas-Website nach Sportschuhen umschaut, unterbricht diesen Vorgang, um sich auf der Seite eines anderen Anbieters Konzertkarten zu sichern. Das System erkennt ihr Interesse für Musik und blendet in den Werbebannern das Modell eines Adidas-Schuhs ein, den der Popstar Pharell Williams entworfen hat. Nachdem sie die Schuhe bestellt hat, kommen Bots zum Einsatz. Wenn die Kundin zum Beispiel Änderungen an ihrem Kauf vornehmen oder das Produkt umtauschen möchte, hat sie direkt mit digitalen Helfern zu tun.
Großes Potenzial für die Produktion
KI-Technik kann auch im Büroalltag helfen. Wird Machine Learning etwa in die E-Mail-Software integriert, erhält der Nutzer quasi einen digitalen Assistenten. Dieser filtert zum Beispiel Nachrichten nach mehr und weniger relevanten Mitteilungen und fasst die wichtigsten Fragen von Anwendern mit den passenden Antworten der Chatpartner zusammen. Da das System lernfähig ist, erkennt es aus den Reaktionen des Nutzers, ob die Klassifikation der Nachrichten in wichtig und unwichtig richtig war. Die BASF arbeitet bereits mit einem E-Mail-System, beschäftigt sich in einem konzerneigenen IoT-Lab aber auch mit der Einbindung von KI-Methoden in sein Produktionsumfeld. So hat die BASF in ihrem Werk verschiedene Geräte wie zum Beispiel Massendurchflussmesser an ein zentrales Kommunikationssystem angebunden. Durch ständige Analyse der Daten sollen sich Fehler früher erkennen lassen und Empfehlungen für die Wartung der Geräte geben. Das Potenzial der KI in den Fabrikhallen ist groß. „Künstliche Intelligenz in der Produktion ist eine Chance für den Menschen: Sie wird unsere Arbeit humaner machen“, glaubt etwa Prof. Dr. Martin Ruskowski, Forschungsbereichsleiter Innovative Fabriksysteme am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), der darüber auch auf dem VDE Tec Summit sprechen wird.
Mit dem Einsatz von KI geht jedoch auch stets die Sorge einher, dass die Entscheidungen der entsprechenden Systeme für den Menschen nicht mehr nachvollziehbar sein könnten. Wolfgang Hildesheim, der bei IBM den Bereich Watson und KI leitet, gibt aber zumindest für die nahe Zukunft Entwarnung: „In absehbarer Zeit werden Technologien zeitkritische Prozesse nicht selbstständig steuern können und sollten dies auch nicht.“ Streng genommen könne man gegenwärtig auch noch nicht von echter künstlicher Intelligenz sprechen, sondern von kognitiven Systemen. Diese würden uns lediglich dabei unterstützen, bessere Entscheidungen zu treffen. „Das bedeutet: klar definierte, relativ eng begrenzte Einsatzzwecke“, so Hildesheim.
Kritik am Blackbox-Charakter
Nach Meinung von Prof. Dr. Thomas Gabel von der Frankfurt University of Applied Sciences ist auch die Forschung gefragt. Die Kritik am Blackbox-Charakter von KI-Modellen gebe es zwar schon seit den 90er-Jahren. Aber: „Im Unterschied zu damals sind diese Verfahren jedoch – dank der Verfügbarkeit großer Datenmengen und gestiegener Rechenleistung – weitaus leistungsfähiger und daher bereits viel stärker in unseren Alltag integriert“, so Gabel. „Vor diesem Hintergrund kommt der Forschung im Bereich Erklärbarkeit dieser Tage besondere Bedeutung zu.“ Da trifft es sich gut, dass die Bundesregierung nun laut Eckpunktepapier mehr in die KI-Forschung investieren möchte.
Der Beitrag ist im VDE dialog – Das Technologie-Magazin, Ausgabe 4/2018, erschienen. Der Autor Markus Strehlitz schreibt als freier Journalist hauptsächlich über Informationstechnologie.