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Künstliche Intelligenz fasst allmählich in unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsbereichen Fuß. Sie bringt viele Vorteile mit sich. Experten warnen aber auch vor Gefahren.

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06.03.2017 Fachinformation

Künstliche Intelligenz: Wer hat das klügste Hirn?

Tesla-Chef Elon Musk warnt, dass die Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz die „vermutlich größte Gefahr für unsere Existenz“ ist. Nicht alle sind so pessimistisch, ganz im Gegenteil. Und zum Glück hat auch Deutschland auf diesem Gebiet einiges zu bieten.

Die wichtigsten Internetunternehmen der Welt arbeiten bei einem der zentralen Themen dieses Jahrhunderts zusammen: Amazon, Google, Facebook, IBM und Microsoft wollen eine Art Interessenverband für das Thema Künstliche Intelligenz (KI) schaffen. Ihre neue gemeinsame Organisation soll Künstliche-Intelligenz-Technologien in der Öffentlichkeit verständlicher machen und Best-Practice-Beispiele für Anwendungen formulieren.

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Der neue Verband soll unter dem Namen „Partnership on AI“ firmieren, wobei AI für das englische „Artificial Intelligence“ steht. Wissenschaftler, Non-Profit-Organisationen und Ethik-Spezialisten seien dazu eingeladen, dem Vorstand der Organisation beizutreten. Es geht um alle Aspekte des Themas: Um die Technologien selbst, um ethische Fragen, Fairness, Transparenz – und darum, wie vertrauenswürdig diese Technologien sind. Eine Lobby, das teilen die Gründungsmitglieder ausdrücklich mit, soll es nicht sein. Aber die Themen gehen alle Menschen an, denn die Fragen sind zentral für dieses Jahrhundert: Wie schlau werden Computer? Wo werden sie uns helfen, wo übertrumpfen, wo Konkurrenz machen? Amazon, Google & Co. teilen auch schon einmal mit, in welchen Bereichen künstliche Intelligenz eine Rolle spielt und aller Voraussicht nach noch stärker spielen wird: in der Gesundheit, in Schule und Universität, im Transport und in der Automatisierung des eigenen Zuhauses.

Künstliche neuronale Netze für Google

Ganz kurz zuvor hatte Google angekündigt, ein häufig genutztes Produkt mithilfe von künstlicher Intelligenz verbessert zu haben. Das Unternehmen hat die Funktionsweise seines Übersetzungsdienstes „Google Translate“ radikal überarbeitet und ihn damit nach eigener Aussage deutlich weniger fehlerhaft gemacht. Das neue System wird nun zunächst für Übersetzungen von Englisch auf Chinesisch eingeführt, in den kommenden Monaten soll es auch für andere Sprachen verfügbar gemacht werden. Google Translate wurde vor rund zehn Jahren gestartet und kann heute nach Angaben des Unternehmens mit mehr als einhundert Sprachen arbeiten. Der Dienst wird zwar von vielen Nutzern als hilfreich empfunden, liefert aber bis heute oft Übersetzungen, die mit Fehlern gespickt sind oder keinerlei Sinn ergeben. Bisher funktionierte der Dienst ebenso wie konkurrierende Angebote so, dass Sätze von der Google-Technologie in mehrere Wörter und Phrasen unterteilt werden, für die dann weitgehend unabhängig voneinander eine  Übersetzung geliefert wird. Mit der neuen Methode wird aber ein ganzer Satz als eine Einheit betrachtet.

Google setzt dabei künstliche neuronale Netze ein, die dem Netzwerk von Nervenzellen im menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Wie es in einem Blogeintrag von Google heißt, habe diese Technologie zunächst ähnlich akkurate Übersetzungen geliefert wie die alte Methode, mittlerweile sei sie aber deutlich besser. Sie sei für Übersetzungen vom Englischen in Sprachen wie Chinesisch, Spanisch und Französisch eingesetzt worden und habe die Zahl der Fehler um 55 bis 85 Prozent reduziert. Sie sei damit auch der Qualität menschlicher Übersetzungen nähergekommen. Google nennt die neue Technologie einen signifikanten Meilenstein, auch wenn es noch immer viel zu verbessern gebe.

Unternehmen und Forschung setzen auf Künstliche Intelligenz

Beinahe täglich kommen in diesem Jahr Meldungen dazu, wie sich große Unternehmen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz neu positionieren. Der Chiphersteller Intel zum Beispiel teilte im Sommer mit, er übernehme das kleine kalifornische Start-up Nervana. Dieses Unternehmen ist darauf spezialisiert, Computer ähnlich lernen zu lassen wie das menschliche Gehirn. Den Angaben zufolge sollen alle 48 Mitarbeiter von Nervana für Intel weiterarbeiten, in der Abteilung, die sich mit der Verarbeitung großer Datenmengen befasst. Vor allem die Fähigkeit, mit künstlicher Intelligenz Daten zu analysieren und aus ihnen Nutzen zu ziehen, sei für ihr Unternehmen interessant, kommentierte die zuständige Intel-Managerin Diane Bryant die Übernahme.

Der Elektronikhersteller Apple wiederum hat das auf künstliche Intelligenz spezialisierte Start-up Turi aus Seattle übernommen. Apple wollte sich zu den damit verbundenen Plänen nicht äußern. Umso mehr wird über den Zukauf spekuliert: Zum Beispiel darüber, dass die selbstlernenden Algorithmen von Turi Apples Sprachassistenten Siri dabei helfen könnten, besser mit iPhone- und Mac-Anwendern zu interagieren. Schon jetzt setzt Apple KI dazu ein, den Nutzern Lieder oder Apps zu empfehlen oder (Ergänzungs-)Vorschläge für das nächste zu tippende Wort zu machen.

Auch in Deutschland wetteifern Unternehmen im Rennen um KI: Volkswagen etwa beteiligt sich am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. „Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren und damit eine Investition in unsere Zukunft“, ließ sich Matthias Müller, der VW-Vorstandsvorsitzende, im Mai zu der Partnerschaft zitieren: „Wir wollen die KI-Forschung in der Autobranche und darüber hinaus voranbringen. Außerdem versprechen wir uns von der DFKI-Beteiligung neue Impulse für die Digitalisierung unserer Fabriken und die weitere Automatisierung von Unternehmensabläufen.“ Mit der Beteiligung werde Volkswagen Zugang zu Ergebnissen und Wissen des Forschungszentrums, insbesondere auch zum neu gegründeten Kompetenzzentrum „Deep Learning“ erhalten, sagte Prof. Dr. Wolfgang Wahlster, Vorsitzender der Geschäftsführung des DFKI.

Neben der Forschung zur künstlichen Intelligenz hat sich das Zentrum auf die Bereiche Robotik, Industrie 4.0 und Fahrerassistenzsysteme spezialisiert. In einem gemeinsamen Projekt werden Volkswagen und DFKI deshalb unter anderem die Software „Rock“ weiterentwickeln, die die direkte und enge Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ermöglicht. Das System wurde in einem produktionsnahen Szenario auf dem IT-Symposium 2016 der Volkswagen AG vorgestellt. Damit sind eine sensorübergreifende Umgebungserfassung mit Kollisionserkennnung und -vermeidung sowie das intuitive Steuern über Gesten möglich. Das im Jahr 1988 gegründete DFKI gilt als wichtiger Exzellenzcluster für die Forschung auf diesem Gebiet. Gemessen an der Mitarbeiterzahl und an dem Drittmittelvolumen von 42,5 Millionen Euro (Stand 2015) zählt das DFKI zu den weltweit größten Forschungszentren im Bereich KI. Insofern muss man nicht immer auf das Silicon Valley in Kalifornien schauen. Aber der Blick ist schon allein deshalb auch für deutsche Unternehmen hilfreich, um frühzeitig Trends zu erkennen und entsprechend – so wie VW – darauf zu reagieren.

Chancen und Risiken im Bereich Künstliche Intelligenz

Der Physiker Stephen Hawking sieht die Entwicklung skeptisch und warnte auf der „Zeitgeist“– Konferenz des Internetkonzerns Google nahe London im Frühjahr 2015 vor Gefahren. Auch andere Größen der US-amerikanischen Technologieszene beobachten die Entwicklung rund um die künstliche Intelligenz eher mit Sorge. Ende 2015 hat unter anderem der Gründer des Elektroautoherstellers Tesla, Elon Musk, eine Forschungseinrichtung ins Leben gerufen, welche die „digitale Intelligenz so erweitern soll, dass die gesamte Menschheit davon profitieren kann“. So erklärt er die Motivation für die von ihm gegründete
Initiative „OpenAI“. Das Geld für die Forschungsinitiative stammt unter anderem von Musk und dem Gründer des Berufsnetzwerks LinkedIn, Reid Hoffman. Musk hat schon mehrfach betont, dass künstliche Intelligenz die „vermutlich größte Gefahr für unsere Existenz“ sei. Das Ziel von OpenAI ist es deshalb, die Entwicklung von künstlicher Intelligenz in die richtige Richtung zu lenken und die entsprechenden Forschungsergebnisse offen (open) zugänglich zu machen. „Wenn wir etwas sehen, das ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellt, werden wir die Öffentlichkeit informieren“, so Musk weiter. Denn natürlich interessieren sich nicht nur Unternehmen, sondern längst auch Militärs für die entsprechende Forschung.

Die Vor- und Nachteile einer „offenen“ Entwicklung von KI wiederum untersucht intensiv Prof. Nick Bostrom an der britischen Universität Oxford. Seine Texte dazu sind lesenswert, zeigen sie doch die gesamte Komplexität des Themas. Denn sicher ist, dass eine offene Forschung nicht nur Vorteile bietet. Bostrom wiegt das Für und Wider sorgfältig ab. Und dem mit allen Wassern gewaschenen Musk darf man ohnehin unterstellen, dass seine eigenen Unternehmen erhebliche Nutznießer seines Projekts sein werden.

IT-Unternehmen stellen sich bei Künstlicher Intelligenz unterschiedlich auf

So stellt sich jedes IT-Vorzeigeunternehmen im Spiel um die beste KI-Position unterschiedlich auf: Google, Microsoft oder Amazon sind relativ weit vorn. Apple und Intel können trotz ihrer jüngsten Übernahmen auf dem Gebiet als Nachzügler bezeichnet werden. Bei Apple hat es ein paar Tage gedauert, bis Beobachter belastbare Analysen zum Zukauf parat hatten. Gelobt wurde vor allem, dass die Angebote von Turi von einzelnen Geräten wie iPhone und iPad bis hin zu Cloud-Plattformen skalierbar sind. Denn KI kann durchaus auch auf einem Smartphone betrieben werden: So hat der US-amerikanische Chiphersteller Qualcomm jüngst eine Softwareentwicklungsumgebung angekündigt, um KI auf einem seiner Handyprozessoren lauffähig zu machen. Den Apple-Prozessoren ist eine solche Leistung ebenfalls zuzutrauen.

Turi wiederum ist nur die jüngste in einer Reihe von Akquisitionen von KI-Unternehmen durch Apple. Dazu zählen auch der Kauf von VocalIQ im Oktober 2015, einem Start-up, das auf natürliche Spracherkennung spezialisiert ist, oder von Perceptio, einem Bilderkennungs-Spezialisten. So wird Apple künftig dazu in der Lage sein, einen Teil der KI-Softwarekompetenz direkt auf dem Handy zu hinterlegen, einen anderen aber in die Cloud auszulagern. Eine solche Mischung sei attraktiv, weil es so möglich werde, bei bestimmten Anwendungen sensible private Daten besser zu schützen, da sie nur lokal verarbeitet werden.

Darüber, was uns Google, Amazon & Co. im Jahr 2050 bescheren werden, kann bislang nur spekuliert werden. Natürlich werden bis dahin autonom fahrende Autos längst Normalität im Straßenverkehr sein. Menschen werden sich über Kontinente hinweg in allen Sprachen dieser Welt unterhalten können, weil ein Übersetzungsprogramm zwischengeschaltet ist, das die jeweiligen Fremdsprachen in Echtzeit übersetzt – und dabei in der Lage ist, individuelle Eigenheiten und Abweichungen in der Sprache zu erkennen. Anlageberatung wird nicht mehr von entsprechenden Beratern, sondern von Algorithmen durchgeführt, welche die Vorlieben und Risikoneigungen der Anleger viel besser kennen als ihre menschlichen  Vorgänger. Die Krebsforschung wird erheblich produktiver werden – Patienten wird man viel besser behandeln können, weil vergleichbare Muster im Krankheitsverlauf über die ganze Welt hinweg transparent und analysierbar werden. Bis es so weit ist, werden noch manche Entwicklungen scheitern und viele Ideen verworfen werden. Denn auch das ist wahr: Jedes künftige Produkt, das mit KI arbeitet, muss vom Kunden akzeptiert werden, ob es von Apple kommt oder von Volkswagen.

Carsten Knop ist verantwortlicher Redakteur für die Wirtschafts- und Unternehmensberichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.