Etwa 50 km nördlich von Hannover überragt im Leinetal die Ev.-luth. St. Osdag-Kirche die Dorfanlage von Mandelsloh. Die drei-schiffige romanische Basilika ist kreuzförmig und nicht gewölbt und wurde in den Jahrzehnten nach 1155 errichtet. Auf diese Bauzeit weisen insbesonders die Ziegelsteinmuster über den Tür-und Fensteröffnungen im Ostteil hin, die wahrscheinlich durch Heinrich den Löwen von Pavia/Oberitalien nach hier tradiert wurden.
Dieser großartige Kirchenbau von 52,45 m Länge und 26,0 m Breite ist in den vergangenen Jahrhunderten in Teilen eingreifend verändert, umgebaut und im Inneren mehrmals neu eingerichtet worden. Die ursprüngliche Bauidee ist aber noch voll ablesbar.
Bei der Durchsicht der Akten im Pfarrarchiv (1) tauchte eine Anzahl loser Blätter mit Texten auf, aus denen hervorging, daß in den Jahren von 1782 - 1784 ein Blitzableiter auf der Kirche montiert wurde. Angesichts der Tatsache, daß im späten 18. Jahrhundert Blitzableiter noch eine sehr ungewöhnliche Sicherheitseinrichtung waren, lag es nahe, die Geschichte dieser Schutzvorrichtung in Mandelsloh aufzuhellen und aufzuzeichnen. Hilfreich dafür waren das Vorhandensein noch weiterer Unterlagen im Ephoral-Archiv Neustadt (2) und vor allem im Briefwechsel des Professors für Experimentalphysik Georg Christoph Lichtenberg in Göttingen (3).
Im Frühjahr 1782 hatte der Pastor zu Mandelsloh Johann Friedrich Mauch (er amtierte dort seit 1178 und verstarb am 6.11.1784), einen Antrag auf Genehmigung eines Blitzableiters auf der St. Osdag-Kirche beim Königlichen Konsistorium in Hannover gestellt. Leider ist dieses Schreiben ebenso wie eine Rückfrage des Konsistorium dazu nicht erhalten. Die Rückantwort Pastor Mauchs vom 12.6.1782 (4) liegt uns vor, und soll hier auszugsweise zitiert werden:
"Die hiesige ansehnliche, dauerhafte, und große Kirche, die mancher kleinen Stadt Ehre machen würde, ist leider sehr den Gewitter-Beschädigungen ausgesetzt. Diese Gefahr rührt her,
von ihrer Höhe und Größe, und dem an ihr befindlichen Thurm, da alle nebenstehenden Gebäude gegen sie nur niedrige Häuser sind; ... von ihrer gantz freyen Lage (...), so daß niedrig ziehende Gewitter Wolken von allen Seiten her sich an ihr entladen können, und sie auf keiner einzigen Seitte eben so erhabene oder noch höhere Gegenstände zur Beschützung hat diese Gefahr vermehret das nun mehr vollendete neue in ihr angelegte Orgelwerk, durch die Menge des anlokenden Metalles, womit sie nahe am Thurm belastet ist.
Zu diesen Umständen kömt hinzu, daß eine schreken volle Erfahrung uns belehret hat, wie sehr unsere Kirche den Gewitter Beschädigungen ausgesetzet sey...".
Pastor Mauch berichtete dann über die Blitzeinschläge von 1774/75 und Ende August 1780. Die noch sichtbaren Schäden seien an der Uhrenanlage und insbesonders an der Kanzel aufgetreten. Er "erdreistet" sich dann, beim "Collegium"" des Königlichen Konsistoriums anzufragen, ob
"...bey unsrerer Kirche, zu deren Sicherung (...) eine Blitz Ableitung angebracht werde(n könne), deren Beschaffenheit und offen bahrer Nutzen aus Dr.Joh. Albr. Hinr. Reimarus Tractat vom Blitze (...) so 1778 in Hamburg herausgekommen, zur Genüge erhellet...".
Er erklärte, die Kirche habe genügend Kapital, um eine solches Vorhaben durchführen zu können und er selbst sei bereit Kostenanschläge einzuholen und die Bauleitung zu übernehmen.
Der Antrag fand im Konsistorium einen unerwarteten zügigen Niederschlag, denn am 12.9.1782 (5) ging ein 11 Punkte umfassenden Fragenkatalog an Pastor Mauch ab, in dem neben Auskünften zur Lage und Größe der Kirche auch dazu Antworten erbeten wurden, wo Metalle am Gebäude (z.B. an der Uhr, und an der Orgel, am Turmknopf) verwandt worden seien. Gewünscht wurden auch genauere Auskünfte über den Weg des Blitzeinschlages vom August 1780, außerdem ein Lageplan und ein Grundriß der Kirche. Pastor Mauch erteilte in einem mehrseitigen Brief gewissenhaft Antwort auf die gestellten Fragen (6). Einige seiner Antworten sollen hier kurz skizziert werden: Turmhöhe etwa 116 Fuß, Länge der Kirche mit Turm 184 Fuß, Höhe der Kirche 58 Fuß: Lage von St.Osdag etwa 6 bis 10 Fuß auf einer Bodenwelle oberhalb der Leine: Turmeindeckung in Holzschindeln; eiserne Wetterfahne mit Knopf, die aber schief steht: Metalle - Blei, Messing, Eisen - befinden sich in der Orgel, in der Uhrkammer mitten im Turm und am Ziffernblatt auf der Westseite. Darüberhinaus beschreibt er den Weg des Blitzes und welche Spuren er hinterließ.
Da der ebenfalls erbetene Grundriß der Kirche dem Antwortbrief nicht beilag, wurde dieser durch den Konsistorialsekretär Wolff - der beim Bau des Blitzableiters die entscheidende Rolle spielte - noch nachgefordert (7). Da Pastor Mauch keinen "Kunstverständigen" hatte, den "begehrten Stand-Riß (...) zu liefern" beschrieb er in einem weiteren Text die Basilika und gab Hinweise, wo auf dem kreuzförmigen Bauwerk "die Auffangungs-Stange" angelegt werden müßte. Ein Sachverständiger könne zudem nur dann genaue Angaben an die Handwerker geben, wenn er sich vor Ort genauestens informiert hätte. Zur "Beförderung u. Abkürzung dieser uns angelentl. Sache" dürften seine Angaben als hilfreich doch genügen.
In Hannover hatte der Advokat und Konsistorialsekretär Franz Ferdinand Wolff (1747 - 1804) den Auftrag bekommen zur Einrichtung des Blitzableiters ein Gutachten abzugeben, obwohl für alle baulichen Angelegenheiten eigentlich der Konsistorialsekretär Georg Heinrich Brückmann (1746 - 1807) zuständig gewesen wäre. Wollf teilte dies Pastor Mauch auch mit.
Zu diesem Zeitpunkt beschäftigten sich in der Hauptstadt des Königreiches Hannover einige hochgestellte Persönlichkeiten nicht nur mit physikalischen Problemen, sondern auch mit der Ableitung von Blitzen. Auf die im übrigen deutschsprachigen Raum im Gang befindlichen Experimente und Forschungen über Gewitter und den Schutz vor Blitzschäden soll im zweiten Teil eingehender eingegangen werden.
Neben F.F. Wolff erbat im April des folgenden Jahres als zweiter Gutachter der Hofrat und spätere Postmeister von Bremen Georg August Ebell (1745 - 1807) Angaben zur "Eisernen Stange" auf dem Kirchturm, die Mauch kurz darauf mit einer Skizze beantwortete (8).
Da die beiden Gutachten - sie sind nicht überliefert - sich voneinander unterschieden, forderte das Königliche Konsistorium den Göttinger Professor für Experimentalphysik Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799) auf, die mitgesandten Vorschläge Wolffs und Ebells zu beurteilen (9). Zwei Tage darauf bewertete er die Äußerungen der beiden mit
"... Ich habe die beyden Gutachten wegen der Blitzableiter gelesen. Meines Aufrichtigen Ermessens nach haben beyde ( . ..) gefehlt. HE. Wolff hat in vielen Dingen sehr recht, HE. Ebell, einige fast läppische Erinnerungen abgerechnet, auch (...). Ich werde mein Gutachten, mit der Vergleichung von beyden (...) einsenden, und ich solte dencken, das dieses die beste Art wäre die Sache auszuführen..." (10).
Lichtenberg hatte mit seinem Freund Schernhagen bereits seit 1780 (11) über die Anlage eines Blitzableiters korrespondiert, mit Ebell 1781 (12) und mit seinem Freund Wolff, den er 1773 bereits in Stade kennengelernt hatte, seit Mai 1782 (13). Besonders Wolff hatte viele Jahre experimentelle Physik betrieben und darüber mit Lichtenberg seine Erfahrungen ausgetauscht.
Das Gutachten Lichtenbergs zum Gewitter-Ableiter in Mandelsloh vom 18. Mai 1783 liegt uns in einer jüngeren Abschrift vor (14). Es ist an das Königliche Konsistorium z.Hd. des Geh. Kammerrates Karl Rudolf August Graf von Kielmannsegge (1765 - 1850) gerichtet und enthält in drei Abschnitten genaueste Angaben über das zu verwendende Material, über die Montage der Einzelteile und die Führung des Ableiters von der Turmspitze bis zur Erde.
Der Unterschied zwischen Wolffs und Ebells Vorstellungen lagen in zwei Punkten: Wolff wollte entgegen Ebells Vorschlag statt einer einzelnen senkrechten Auffangspitze noch weitere horinzontal sternförmig anordnen: dagegen hatte Lichtenberg keine Bedenken. Zweitens: Ebell wollte die Ableitung zur Erde aus mit einander vernieteten schmalen Blei- oder Kupferblechen ausgeführte wissen, eine Lösung die Lichtenberg aus Gründen einer über längere Zeiträume erforderlichen Haltbarkeit und der schwierigen Montage wegen ablehnte. Wolff schlug einen einfach zu verlegenden und haltbareren Kupferdraht als Ableiter vor.
Der Blitzableiter in Mandelsloh nach dem Vorschlag Lichtenbergs hätte danach wie folgt konstruiert und montiert werden müssen: Eine eiserne etwa 1,50 m Spitze wird auf dem hölzernen Mittelständer (Kaiserstiehl) so befestigt, daß sie oberhalb der Dacheindeckung endet. Das freiliegende Holzwerk wird mit Bleifolie abgedeckt. Es muß soweit über das Schindeldach überkragen, damit kein Wasser eindringen kann. Auf der Eisenstange werden eine (so Ebell) oder mehrere (so Wolff) scharf zugefeilte Kupferspitze aufgeschraubt. Der Ableitungsdraht aus Kupfer besteht entweder aus einem einzigen Draht von 1,25 cm Durchmesser oder zwei miteinander verdrillten von je 0,6 cm Stärke. Sie werden mit 15 bis 20 cm frei herausragenden langen Eisenkrampen, durch deren Ösenknopf der Draht geführt wird, auf dem Dach und am Mauerwerk befestigt. Im Boden wird der Draht bis zur nächsten Wasserader geführt.
Lichtenberg erwähnte noch, daß es sinnvoll sei, die Uhr und die Glocken mit dem Blitzableiter zu verbinden,
"... denn daß Thürme, die vom Blitz getroffen werden, nicht immer an der Spitze getroffen werden..." .
Weiterhin hielt er es für sinnvoll, weil auch Gewitter von Osten heranzögen, auch auf dem Ostende der Kirche eine Ableitung aufzusetzen. Er resümierte auch
"... Stieße nun ein solches Wetter auf einen unterbrochenen Ableiter, so wäre es in der That beßer es wäre gar keiner da...".
In einer Nachschrift zog Lichtenberg Bilanz:
"... Ich habe mich mit dieser Materie seit langer Zeit abgegeben, ich habe verschiedene der besten und würksamsten selbst gesehen und untersucht (...) Auch bin ich sicher überzeugt, daß wenn die Ableiter so angelegt werden könnte, wie sie die Theorie vorausetzt, wir uns vor dem Blitz so gut sichern können wie vor den Regen (...) Schädlich sind sie, so wie sie jetzt eingerichtet werden, gewiß nicht, ob sie aber den Nutzen leisten, den sich die meisten davon versprechen, daran zweifele ich sehr, oder wenigstens so lange, bis alle oekonomische Rücksicht gänzlich aus dem Augen gesetzt wird, alsdenn aber halte ich sie auch für ganz untrüglich."
Lichtenberg hatte sich bereits seit Jahren mit Blitzableitern beschäftigt und 1778 auch seine Ideen dazu gedruckt herausgebracht (15). Auch hatte er 1780 an seinem eigenen Haus einen Blitzableiter eingerichtet (16). Mit dem Hamburger Arzt und Professor für Naturgeschichte Johann Andreas Hinrich Reimarus (1729 - 1814) - dessen Buch "Vom Blitze" 1778 in Hamburg gedruckt und Pastor Mauch zum Bau des Blitzableiters animierte - korrespondierte Lichtenberg über den "Wetter-Ableiter". Er war daher in dieser Materie ein kenntnisreicher Mann, dessen Urteil man vertraute.
Im Laufe des Sommers wurden weitere Einzelheiten zu den Konstruktionselementen brieflich in dichter Folge erörtert - oft mit spitzer Zunge zu Ebells Vorschlägen (17). Im Juli 1783 erfolgt ein Briefwechsel mit Skizzen über die Montage einer zweiter Stange und deren Ableiterführung am Ostende der Kirche zu Mandelsloh (18).
Am 14. August 1783 (19) berichtete Wolff an Lichtenberg,
"...Von Königlicher Regierung ist der Auftrag wegen des Gewitter Ableiters ausgefertigt worden (...) danke Eur Wohlgebohrn indeßen verbindlichst und gehorsamst, für das Zutrauen, deßen Sie mich gewürdigt, und für die Veranlaßung die Sie zum Auftrage gegeben...".
Da er aber bisher noch nicht in Mandelsloh gewesen sei, könne er zu den Kosten nichts sagen, dies sei aber um der Sache willen auch nicht so wichtig (sehr großzügig gedacht!).
Anfang November 1783 reiste Wolff nach Mandelsloh. Kenntnis hiervon erhalten wir durch einen Brief an Lichtenberg (20) und durch ein Schreiben Mauchs an seinen Superintendenten Droehne-Wolff in Neustadt vom 7.11.1783 (21). Wolff beschreibt den Turm und die Kirche mit Hilfe zweier Skizzen und erbittet von Lichtenberg sein Urteil, ob es nicht sinnvoll sei, auch die außen aufgehängte Uhrschlagglocke an den Blitzableiter anzuschließen. Lichtenberg stimmte dem später zu (22). Es wurde geplant, den Blitzableiter im Frühjahr 1784 zu installieren, sofern die Beschaffung des Kupferdrahtes bei der "Berghandlung" keine Schwierigkeiten bereiten sollte.
Pastor Mauchs Eindrücke vom Besuch und der Persönlichkeit Wolffs seien hier auszugsweise wiedergegeben:
"...Wir redeten viel miteinander; und ich muß gestehen daß ich bey diesem Manne nicht nur viel Kenntnisse, und selbst Gelehrsamkeit, in dem Fache fand, worin er sich bey unserer Kirche brauchen lässet, sondern auch an ihm einen angenehmen Mann kennen lernte, dem ich Rechtschaffenheit und die besten Gesinnungen zu traue, und als Freund lieben und verehren muß. Er ließ mir seine sämtlichen Acten, um mir einen richtigen Begriff von der zusammenhangenden Geschichte, Arth und Natur unseres im Werke seyenden Wetter-Ableiters machen zu können. Die Geschichte ist sonderbahr. Wenn er nicht gut reussirte, wie wir doch unzweifelhaft hoffen: so hatte Gelehrsamkeit, Einsicht, Prüfung, abgestattete 3fache Guthachten, selbst von einem Lichtenberg zu Goettingen, gnädige herablassende Vorsichten und Bemühungen so gar einer hohen Königl. Landes Regierung daran keine Schuld: noch weniger Erspahrung der Kosten, dadurch oft Sachen schlecht werden, die guth hätten seyn können. Denn unser Ableiter wird unter 200 Thr nicht zu Stand kommen. Man hat also das Beste hier anzubringen gesucht, was in der Sache, nach den allerneuesten Erfahrungen und Bemerkungen möglich ist, und wir werden nach vollendeter Sache an unserer Kirche so gar eine Zierde mehr haben, als vorhin gewesen ist..."
Das Konsistorium genehmigte am 10.2.1784 (23) den Anschlag des Zimmermeisters Bruns "wegen Aufrichtung der Wetterstange auf der Kirche und dem Thurm". Notwendige Rückfrage sollte er mit dem "Consistorial-Secretario Wolff" nehmen, der auch für die Auftragserteilung und die Bezahlung der Rechnungen (aus dem von der Kirchengemeinde gezahlten Vorschuss) zuständig sei.
Der Blitzableiter muß dann im Laufe des Sommers 1784 montiert worden sein, denn im Oktober war Wolff zur Inspektion in Mandelsloh (24). Später wird die Kirchengemeinde (25) noch angewiesen, die übrig gebliebenen Baumaterialien aufzulisten und sorgfältig aufzubewahren. Außerdem sollten die noch fälligen 83 Taler 32 Groschen und 2 Pfennige an Wolff überwiesen werden, damit die letzten Handwerker-Rechnungen gezahlt werden könnten.
Dem Kirchenregister von 1783 und 1784 (26) ist zu entnehmen, daß Wolff insgesamt 346 Taler und 32 Groschen für die Einrichtung des Blitzableiters von der Gemeinde zur Auszahlung an die Handwerker und als sein Honorar erhalten hatte. Dazu kamen noch 10 Taler für die Verlegung der Uhrschlagglocke, die im Zusammenhang mit dem Blitzableiterbau notwendig geworden war (27).
Aus einem Brief Lichtenbergs an Wolff (28) ist heraus zu lesen, daß ein Draht des Ableiters gerissen sein muß, ob nun bei der Montage oder bei einem Blitzschlag, ist nicht angegeben.
Lichtenberg muß diesen Blitzableiter für sehr vollkommen gehalten haben, denn er empfiehlt diese Anlage als Vorlage für weitere und auch Wolff als Sachverständigen
"... Ich habe bey Gelegenheit des Conductors zu Mandelsloh (...) ein Gutachten (...) geschickt, welches sicherlich alles nöthiye enthält. Schreiben Sie an meinen Freund (...) Wolff zu Hannover, der den Mandelslohischen Conductor nach meiner Vorschrift selbst angelegt hat. Dieser vortreffliche Kopf wird Ihnen mit allerley pracktischen Regeln dienen und auch den Bauanschlag sehr erleichtern können..." (29).
Pastor Mauch verstarb am 6.11.1784. Er hat die Vollendung des von ihm initiierten Blitzableiters also noch erlebt. Weitere Nachrichten über diese Bauangelegenheit sind nicht bekannt. Wir dürfen jedoch davon ausgehen, daß zwei Stangen - je eine auf der Turmspitze und auf dem Kreuzungspunkt von Lang- und Querschiff - montiert wurden. Ob getrennte Erdungen oder eine gemeinsame - wobei der Draht vom Turm über den First des Schiffes lief - eingerichtet wurden, war nicht zu ermitteln.
Immerhin entsprach dieser Blitzableiter schon weitgehend den heutigen, natürlich besseren Erkenntnissen und Forderungen an eine derartige Gebäudeschutzmaßnahme.
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Besonders in den Briefen Lichtenbergs ist zu lesen, daß sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts viele Persönlichkeiten mit Blitzeinschlägen und deren Folgen beschäftigten. Auch die Konstruktion und Wirksamkeit von Gewitterableitern wurde vielfach erörtert. Von großem Interesse ist jedoch, ob neben der Anlage in Mandelsloh vorher und nachher weitere Blitzschutzanlagen im norddeutschen Raum installiert worden sind.
Hilfreich bei dieser Untersuchung waren besonders die in Lichtenbergs Briefen angeführten Schriften und deren Verfasser.
Anlaß für den Bau des Blitzableiters (auch Wetter-Ableiter, Gewitter-Ableiter) in Mandelsloh war das Buch des
Arztes und Professors für Naturgeschichte in Hamburg Johann Albert Heinrich (Hinrich) Reimarus Vom Blitze Hamburg 1178.
Eine weitere Auflage erschien in Hamburg 1794:
Neuere Bermerkungen vom Blitze, dessen Bahn und Wirkung, sichere und bequeme Ableitung 386 Seiten, 9 Kupferstiche.
Von ihm stammte bereits auch die Schrift
Die Ursachen des Einschlagens vom Blitz Langensalza 1769.
Grundlage dieser Bücher war die "Erfindung" des Blitzableiters 1749 durch den amerikanischen Physiker, Schriftsteller und Staatsmann Benjamin Franklin (1706 - 1790), der erstmalig erkannt hatte, daß der Blitz eine elektrische Erscheinung ist. Seine
Briefe von der Elektrizität
ins Deutsche übersetzt durch den schwedischen Physiker Johann Carl Wilke (1731 - 1796)
erschienen in Leipzig 1758. Ein Nachdruck wurde von John Heilbronn 1983 herausgegeben.
Es sollen an dieser Stelle nicht die vielen theoretischen Überlegungen und praktischen Versuche wiedergegeben werden, die bei Franklin und nach ihm bei viele anderen dazu führten, daß Schäden durch Blitze an Gebäuden (und Schiffen) dadurch unwirksam gemacht werden könnten, indem metallene Stangen auf dem Dach aufgerichtet und durch Drähte oder Ketten mit dem (möglichst nassem) Erdboden verbunden würden. Hierüber gibt es genügend einschlägige Literatur (30).
Lichtenberg schrieb jedoch noch 1779:
"... Obgleich die Erfindung der Blitz Ableiter schon eine geraume Zeit gemacht worden, so ist doch ihre Einrichtung aus Mangel an hinlänglichen Erfahrungen bisher noch immer sehr unvollständig gewesen..." (31).
Aber nicht nur im Ausland sondern auch im deutschen Sprachbereich erschienen im späten 18. Jahrhundert gedruckte Schriften zur Theorie des Blitzes, über Gebäudeschäden durch Blitzeinschläge, mit Gedanken zum Blitzschutz und über ausgeführte Blitzschutzanlagen. Sie sollen hier - soweit sie ermittelt werden konnten - chronologisch aufgeführt sein.
Johann Albert Heinrich Reimarus
Die Ursachen des Einschlagens vom Blitz, nebst deren natürlicher Abwendung von unseren Gebäuden Langensalza 1769
Johann Ignatz von Felbinger
Abt des Stiftes Sagan (gest. 17.5.1788)
Die Kunst Thürme oder andere Gebäude vor den schädlichen Wirkungen des Blitzes durch Ableitungen zu bewahren, angebracht an dem Thurm der Saganischen Stifts= und Pfarrkirche Breslau 1771
Paul Makó de Kerek-Gede
Jesuitenpater und Professor der Physik und Philosophie' (1724 - 1793) Physikalische Abhandlung von den Eigenschaften des Blitzes und den Mitteln wider das Einschlagen (aus dem Lateinischen) l. Auflage Wien 1772, 2. Auflage 1775
Philipp Peter Guden
Ökonom (1722 - 1794)
Von der Sicherheit wider die Donner-Strahlen Göttingen, Gotha 1774
(Ludwig Christian Lichtenberg)
Archivar und Physiker in Gotha (1737 - 1812)
Verhaltens-Regeln bey nahen Donnerwettern, nebst den Mitteln sich gegen die schädlichen Wirkungen des Blitzes in Sicherheit zu setzen : zum Unterricht für Unkundige l. Auflage Gotha 1775, 3. vermehrte Auflage 1778 L.Chr. Lichtenberg war der Bruder Georgh Christoph Lichtenbergs Faksimile Ausgabe 1964 durch die Firma Fritz Dehn Nürnberg
Johann Jacob Hemmer
Physiker und Hofkaplan (1733 - 1790)
Nachricht von den in der Kurpfalz angelegten Wetterleitern München 1776
J.A.H. Reimarus
Vom Blitze Hamburg 1778
Georg Christoph Lichtenberg
,Neueste Versuche zur Bestimmung der zweckmässigsten Form der Gewitterstangen in: H. C. Boie: Deutsches Museum, Band 2 Leipzig 1778
G. Chr. Lichtenberg
(Aufsatz über Gewitterstangen) in: Göttingischer Taschenkalender für 1779
Johann Jacob Hemmer
Nachrichten von den in der Pfalz angelegten Wetterableitern
in: Comment. der Mannheimer Akademie 1780
Jean Théodore Barbier de Tinan
Elsässischer Adeliger (lebte in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts) Memoire sur la manière d´armer d´un conducteur la Cathedrale de Straßbourg et sa tour Straßbourg 1781 (aus Toaldos' Mdmoire)
Jan Ingenboußen
Holländischer Arzt (1730 - 1799)
Vermischte Schriften physikalisch-medizinischen Inhalts 1. Auflage Wien 1782, 2. Auflage Wien 1784
Ferdinand Esser
Franziskaner und Direktor des Gymnasiums in Vechta (174...) Abhandlung über die Einrichtung der Blitzableiter Münster 1784
Marsilius Lichtenberg
(...)
Vom Nutzen der Blitzableiter übersetzt von Gottfried Müller 1786 (zuerst erschienen in Italien 1784)
J. I. von Felbinger
Wie weit gewähren wohl Gewitterableiter Sicherheit für umstehende Gebäude Preßburg 1786
J. J. Hemmer
Anleitung, Wetterableiter an alle Gattungen von Gebäuden auf die sicherste Art anzulegen 1. Auflage Offenbach 1786, 2. Auflage Mannheim 1788
Graf Marsiglio Landriani
Naturforscher (... bis vor 1827)
Abhandlungen von dem Nutzen des Wetterableiters, aus dem Italienischen von Gottfried Müller
Wien 1786
J. A. H. Reimarus
Neuere Bemerkungen vom Blitze, dessen Bahn, Wirkung, sichere und bequeme Ableitung Hamburg 1794 Teil IV erschien als Faksimile 1979 durch die Firma Dehn Nürnberg
Johann Friedrich Groß
Professor, Regierungssekretär (1732 - 1795)
Grundsätze der Blitzableiterkunst, geprüft und durch einen merkwürdigen Fall erläutert Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Johann Friedrich Wilhelm Widenmann Leipzig 1796
David Christoff Mettlerkamp
Handwerker, Erfinder, Politiker (1774 - 1850)
Beschreibung der Spur des Blitzes beym Wetterschlage auf dem Thurm des Rathskellers in Haarburg, den 16ten April 1800 und der darauf angelegten Blitz-Ableitung. Mit einem Zusatze von Dr. J.A. H. Reimarus Hamburg 1800
Da von wenigen Ausnahmen abgesehen, die aufgeführten Texte auch von Lichtenberg erwähnt werden, dürften sie umfassend für die drei letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts sein.
Inhaltlich unterscheiden sie sich nur in Details, so daß sie insgesamt als die wichtigste Informationsquelle für den Blitzschutz in der damaligen Zeit dienten. Herauszuheben sind die Veröffentlichungen von Reimarus und Hemmer, die daher beide als die "Protagonisten" für den Blitzschutz gelten dürfen.
Obwohl diese Bücher doch eine relativ weite Verbreitung fanden - die mehrfachen Auflagen weisen eindeutig darauf hin - , war nicht nur bei der Bevölkerung (es nannte den Blitzableiter "Teufelszeug") sondern auch bei den gebildeten Schichten ein solches Mißtrauen vorhanden, daß die Zahl der installierten Blitzableiter im 18. Jahrhundert nicht übermäßig groß war. Darauf weist auch folgender Abschnitt aus dem Churhannoverschen Kirchenrecht von 1804 (32) hin, in dem es heißt:
"... Man hat auch in hiesigen Landen einige Versuche gemacht, die Kirchen und Kirchthürme, die, weil sie, zumal in Dörfern, über die übrigen Gebäude merklich hervorragen, den Beschädigungen bey Gewittern vorzüglich ausgesetzt sind, durch Blitzableiter zu sichern, als in dem Jahre 1782 zu Mandelsloh, wo die Kirche und der Thurm duch ihre freye Lage schon mehrmals von Gewittern Beschädigungen erlitten hatte, und im Jahre 1785 bey der neuerbauten Kirche zu Haimar.
Da aber die Anlegung dieser Blitzableiter mit großer Vorsicht geschehen muß, wenn nicht durch eine unvollkommene Ableitung größerer Nachtheil erwachsen soll, sodann aber die Kosten nicht unbeträchtlich sind, und auch bey der möglichen Ersparung sich schwerlich unter 200 bis 300 Rthl belaufen, zumal da der Nutzen der neuen Blitzableiter ohne Auffangungsstangen mit bloßen Bleyplatten noch nicht allgemein anerkannt zu seyn scheint, so dürfte diese Sicherungsmaaßregel wohl nicht durchgängig anwendbar, und allenthalben einzuführen seyn..."
Die unten aufgeführte Liste gibt die Gebäude mit Blitzschutzanlagen wieder, die aus der aufgeführten Literatur bekannt wurden.
1754 Kloster Brendlitz bei Znaim in Mähren von Naturforscher Prokop Divisch (1696 - 1765)
(Nach Reimarus noch eine sehr unvollkommene Anlage.) 1760 Philadephia (USA), Haus des Kaufmanns West (nach Planung von Franklin) 1765 Newbury (GB), Kirche 1766 Plymouth (GB), Leuchturm 1769 Sagan, Stiftskirche (nach Planung von Felbinger) 1769 Hamburg, Jacobikirche (Nach Planung von Reimarus) 1770 Penzing bei Schönbrunn, Kirche 1776 München, Gasthaus Schwarzer Adler 1778 Dresden, Schloß 1779 Mannheim, Haus Riancono 1779 Hamburg, St. Petri Kirche 1781 Seefeld bei München, Schloß Törring 1783 Bremen, Rembertkirche 1784 Karlsruhe, Schloß und Orangerie 1784 Mandelsloh, St. Osdag-Kirche 1784 Dortmund, St. Reinoldikirche 1785 Haimar bei Hannover, Kirche 1786 Heilbronn, Schloß Sturmfeder 1787 Festung Hohenneuffen/Württemberg (nach Planung Guden) 1788 Osnabrück, Schloß, Planung 1790 Rostock, Petrikirchturm 1794 Göttingen, Lichtenbergs Gartenhaus 1794 nach Reimarus sollen bereits 130 Blitzableiter in Deutschland gebaut worden sein 1797 Göttingen, Bibliothek (nur Planung von Lichtenberg) 1797 Hannover, Kornmagazin (nur Planung)
1798 Hannover, Marktkirche (nur Planung) 1800 (Hamburg) Harburg, Ratskeller
Aus der sicher nicht vollständigen Zusammenstellung ist ablesbar, daß St. Osdag in Mandelsloh eines der ersten Gebäude war, das eine Blitzschutzeinrichtung erhielt, und zwar eine Anlage, die hervorragend durchdacht war und durchaus als Vorbild für weitere dienen konnte. Sie war nach den Ableitungen auf den Kirchen in Hamburg und Bremen die vierte im norddeutschen Raum und die erste im damaligen Königreich Hannover. Mit dazu beigetragen hat Dr. Reimarus mit seinem Buch von 1778 und seinen Erfahrungen an dem von ihm installierten Anlagen.
Daß bald darauf durch Persönlichkeiten, die von der Wirksamkeit der Blitzschutzablagen durch Versuche und Einschläge überzeugt waren, die Anzahl der gebauten Blitzableiter in die Höhe schnellt, davon zeugt die Äußerung Reimarus aus dem Jahre 1794 (33). Selbst Lichtenberg gestand Reimarus die Ehre zu, den Blitzableiter zur (damals bestmöglichen) Reife gebracht zu haben.
Er schreibt am 18.8.1774 (34) an Reimarus:
"... Da mein Gartenhauß an der Straße von Frankfurth nach Hamburg liegt (...) so höre ich hinter den Sommerladen manches Urtheil, zweymal habe ich den Nahmen Reimarus deutlich nennen hören. Der Blitzableiter ist gantz nach Ihrer Idee angelegt, das wissen die Leute. Ich für meinen Theil gehe, als Professor der Experimental Physik, mit der Ehre gantz leer durch, und die Leute haben recht ...".
Der Bau des Blitzableiters in Mandelsloh ist also Reimarus und Lichtenbergs Erkenntnissen zu verdanken, die der "Laie" F. F. Wolff mit hohem Interesse und Engagement aufgenommen und durchgesetzt hat.
Ulfrid Müller
Quellen Pfarrarchiv Mandelsloh Akte 5201 Ephoralarchiv Neustadt Ib Spez. Mandelsloh Nr. 5130 Georg Christoph Lichtenberg, Briefwechsel: Im Auftrage der Akademie für Wissenschaften zu Göttingen herausgegeben von Ulrich Joost und Albrecht Schöne, 4 Bände, 1983 - 1992 wie Anmerkung 1 und 2 wie Anmerkung 1, das Schreiben ging in Mandelsloh erst am 28.10.1782 ein wie Anmerkung 1, der Brief ging in Hanover am 28.10.1782 ein wie Anmerkung 1, Brief vom 23.11.1782 wie Anmerkung 1, Brief vom 7.4.1783 wie Anmerkung 3, Band 11 1985, Brief Nr. 1077 an den Geh. Kanzleisekretär Johann Andreas Schernhagen vom 12.5.1783 wie Anmerkung 3, Band 11 Brief Nr. 1078 an Schernhagen vom 14.5.1783 wie Anmerkung 3, Band 11 Brief Nr. 692 vom 11.5.1780 wie Anmerkung 3, Band 11 Brief Nr. 863 vom 18.10.1781 wie Anmerkung 3, Band 11 Brief Nr. 913 vom 17.5.1782 wie Anmerkung 3, jedoch zitiert nach dem Druckmanuskript Band V (Nachträge, Register) Brief Nr. lo78a. Band V erscheint Ende 1995. wie Anmerkung 3, Band I, Brief Nr. 524 - August 1778 an Heinrich Christian Boie, den Herausgeber des >Deutschen Museums<: Neueste Versuche zu Bestimmung der zweckmäßigsten Form der Gewitterstangen wie Anm. 3, Band 11 Briefe Nr. 692, 700 und 705 an Schernhagen wie Anm. 3, Band II Brief Nr. 1091 vom 7.6.1783 von Wolff, Nr. 1093 vom 9.6.1793 an Wolff, Nr. 1094 vom 12.6.1783 an Schernhagen, Nr. 1096 vom 19.6.1783 an Schernhagen wie Anm. 3, Band 11 Brief Nr. 1100 vom 26.6.1783 an Schernhagen, Nr. 1103 vom 7.7.1783 an Wolff, Nr. 1108 vom 11.7.1783 von Wolff wie Anm. 3, Band 11 Brief Nr. 1130 vom 14.8.1783 wie Anm. 3, Band II Brief Nr. 1199 vom 25.11.1783 wie Anm. 2 wie Anm. 3, Band 11 Brief Nr. 1210 vom 1.12.1783 wie Anm. 2 HStA Hannover Hann 74 Neustadt Nr. 3481, Brief Wolffs vom 29.10.1784 an die Kirchenkommissare wie Anm. 2, Schreiben vom 22.11.1784 wie Anm. 2 wie Anm. 1, Konsistorium vom 26. Mai 1785 wie Anm. 3, Band 11 Brief 1315 vom 15.11.1784 wie Anm. 3, Band 111, Brief Nr. 1576 an Georg Heinrich Hollenberg, der auf dem Osnabrücker Schloß einen Ableiter einrichten wollte, vom 18.2.1788 100 Jahre Ausschuß für Blitzschutz und Blitzforschung (ABB), Festschrift. zum 1000jährigen Bestehen, München im September 1985 wie anm. 3, Band 1, Brief Nr. 611 an Johann Daniel Ramberg vom 13.9.1779 Johann Karl Fürchtegott Schlegel - Consistorial-Secretär: Churhannoversches Kirchenrecht, Vierter Theil, Hannover 1804 J. A. H. Reimarus, Neuere Bemerkungen vom Blitze, Hamburg 1794, Abschnitt 111 wie Anm. 3, Band IV, Brief Nr. 2431