Am 16. und 17. September 2014 fand in der kleinen Meistersingerhalle in Nürnberg die 3. ETG Fachtagung STE2014 – Sternpunktbehandlung in Netzen bis 110 kV (D-A-CH) statt. Diese, in Abständen von ca. 3 Jahren stattfindende, Fachtagung ist insbesondere für Fachleute aus dem Bereich Sternpunktbehandlung und Erdung von Bedeutung. In diesem Jahr stand die Tagung unter der Hauptüberschrift „Auswirkung der Energiewende auf die Sternpunktbehandlung“. Die Veranstaltung war mit 220 Teilnehmern sehr gut besucht und bot 8 namhaften Ausstellern die Möglichkeit der Produktpräsentation. Dadurch wurde gewährleistet, dass neben den theoretischen Ausführungen auch genügend Platz für die Begutachtung neuer Techniken und für intensive Diskussionen „am Objekt“ gegeben war.
Die traditionell gute Zusammenarbeit der deutschen, österreichischen und schweizerischen Fachgremien sowie die Unterstützung durch die Fachverbände dieser drei Länder ermöglichten es der Programmkommission, ein anspruchsvolles und aktuelles Programm zu erstellen, welches von kompetenten Referenten vorgetragen wurde. Die reine Vortragszeit wurde erstmals auf 15 Minuten reduziert, jedoch hatte jeder Vortragende die Möglichkeit, weitere Informationen in einem zusätzlichen Poster zu präsentieren. Durch die Reduktion der Vortragszeit mussten sich die Referenten zwar auf ihre Kernaussagen beschränken, die Diskussionen in der Poster-Session und im Umfeld der Vorträge waren aber umso intensiver.
Die Teilnehmer der Tagung vertraten die Schwerpunkte Elektroenergieversorgung, Schutz- und Automatisierungstechnik sowie Leittechnik. Führungskräfte, Verantwortliche und Experten aus Netzbetrieb, Schutz- und Leittechnik, Netzplanung und Netzservices, Hersteller, Planungs- und Ingenieurbüros sowie Universitäten und Fachhochschulen haben teilgenommen.
Inhaltliche Schwerpunkte
Die Fachtagung fokussierte auf die Auswirkungen der Energiewende, insbesondere auf die Sternpunktbehandlung, in folgenden Themenblöcken:
- Normen
- Kabel
- Erfahrungen, Fallbeispiele, Trends
- Neue Betriebsmittel
- Erdschlussversuche
- Erdung
- Innovationen
Einführungsvortrag
Im Einführungsvortrag von Prof. Dr. Peter Schegner, TU-Dresden, wurden die Auswirkungen der Energiewende auf die Verteilnetze (HS, MS, NS) vorgestellt. Die Verteilnetze bilden das neue Rückgrat der Energiewende. Laut den aktuellen Studien erfolgt ein Zubau auf der MS-Ebene fast nur mehr durch Kabelstrecken. PV-Anlagen und Windkraftanlagen werden im Wesentlichen über Wechselrichter an die Verteilnetze angeschlossen, wodurch der Pegel der Harmonischen im Erdschlussreststrom stark von der Einspeisung der EEG-Anlagen abhängig wird. Durch neue Aufgabenstellungen an die Verteilnetze, wie z.B. Blindleistungs-management oder die einspeise- und lastabhängige Rekonfiguration von Netzgruppen, wird eine Flexibilisierung des Netzbetriebes erforderlich, wodurch sich auch eine Beeinflussung der Wirksamkeit der Erdschlusskompensation
ergibt. Auslegungskriterien für die Sternpunktbehandlung und Anwendung „alternativer“ technischer Lösungen, wie z.B. die „Erdung der fehlerhaften Phase“, müssen neu bewertet werden. Die Pegel der Harmonischen müssen überwacht und bei Bedarf eine Erweiterung der Erdschlusskompensation auf Harmonische durchgeführt werden.
Zusammenfassung der Vortragsblöcke
In 8 Vortragsblöcken wurden mit 34 Vorträgen die inhaltlichen Schwerpunkte der Veranstaltung thematisiert und diskutiert. Die Betrachtung erfolgte aus Sicht von Netzbetreibern, Herstellern, Ingenieurbüros und Universitäten. Ergänzt wurden die Vorträge einerseits durch einige Poster zu den Vorträgen und anderseits durch 16 Poster zu zusätzlichen Themen, wobei zu jedem Poster für
eine spätere genauere Nachlese auch ein Paper eingereicht wurde.
Der erste Sitzungsblock beschäftigte sich mit den neuen Normen und deren Auswirkungen; der Block wurde von Herrn Dr. Gernot Druml, Trench Austria GmbH, Linz / Österreich moderiert.
Im ersten Beitrag wurden die Gründe für die Erstellung der Anwendungsregel VDE‑AR‑N 4202 zur „Verkabelung in 110‑kV‑Netzen“ ausführlich vorgestellt.
Im zweiten Beitrag wurden die Historie der VDE 0228, die besonders durch das Diagramm für die sogenannte „Löschgrenze für den Erdschlussreststrom“ sehr bekannt geworden ist, und die Veranlassung der Überarbeitung und Überführung in die VDE 0845-6 erläutert. Durch eine detaillierte Betrachtung der Abhängigkeiten zwischen Erdschluss, Erdschlusswischer und Doppelerdschluss
wurde erläutert, warum aus der „Löschgrenze“ eine „Obergrenze für den Erdschlussreststrom“ geworden ist und warum der Reststrom im 110‑kV‑Netzen nun bis zu 200 A betragen darf.
Der zweite Sitzungsblock beschäftigte sich mit dem zweiten Teil der Normen; der Block wurde von Herrn Theodor Connor, Siemens AG, Erlangen moderiert.
Im ersten Beitrag wurden auf Basis historischer Messungen die Löschgrenze und die Brenndauer von Erdschlusslichtbögen untersucht und eine Neuinterpretation durchgeführt. Es wurde gezeigt, dass die Löschgrenze linear mit dem Erdschlussstrom ansteigt.
In einem weiteren Beitrag wurde die Übernahme der modifizierten Löschgrenze nach „Fuchs“ für Freileitungsnetze empfohlen. Es sollten aber vorher noch ausführlichere Untersuchungen zur Untermauerung der These durchgeführt werden.
Im nächsten Beitrag wurde gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung durch ein Blitzereignis ca. 1000-mal höher ist als die Gefährdung durch einen Doppelerdschluss.
Das Thema des dritten Sitzungsblocks waren Kabel; der Block wurde von Herrn Prof. Dr. Peter Schegner, TU-Dresden moderiert.
Im ersten Beitrag wurden ausführliche Untersuchungen der technischen und wirtschaftlichen Aspekte zur Technologiewahl Kabel / Freileitung in niederohmig geerdeten 110‑kV‑Netzen präsentiert. Der Schwerpunkt lag in der Beurteilung der „Gesamtkosten“.
Im zweiten Beitrag wurde gezeigt, dass durch die Erhöhung des Kabelanteiles im 110‑kV‑Netz der Reststrom an der Fehlerstelle rasch zunimmt. Anderseits kann durch die symmetrierende Wirkung des Kabels das Netz mit wesentlich kleineren Verstimmungen betrieben werden.
Im folgenden Beitrag wurden Randbedingungen und Szenarien für die Sternpunktbehandlung in 110‑kV‑Teilnetzen zum Anschluss von EEG-Anlagen vorgestellt.
Der vierte Beitrag beschäftigte sich mit Aspekten und Maßnahmen einer Sternpunkterdungsumstellung von einem gelöschten auf ein niederohmiges 110-kV-Verteilnetz.
Im letzten Beitrag wurde gezeigt, dass in einem sehr großen, vermascht betriebenen, niederohmig geerdeten 110‑kV‑Netz Netz sowohl beim Schutzkonzept als auch bei der Berechnung der Schutzeinstellwerte der große ICE für einen sicheren Netzbetrieb berücksichtigt werden muss.
Über Erfahrungen wurde im vierten Sitzungsblock berichtet; der Block wurde von Herrn Thomas Bruch, N-ERGIE Netz GmbH, Nürnberg moderiert.
Im ersten Beitrag aus Ungarn wurde eine neue Methode zur Erdschluss-Entfernungs-Abschätzung basierend auf einer Impedanzmessung mit 400 Hz vorgestellt.
In einem Beitrag aus der Schweiz wurden Ergebnisse von ausführlichen Erdschlussversuchen bei der Zusammenschaltung von isolierten und gelöschten Netzen vorgestellt. Es wurde gezeigt, dass durch die Betriebsart „teilkompensiert“ eine Umschaltung der Schutzparameter nicht notwendig ist.
In einem weiteren Beitrag wurde gezeigt, wie man in unsymmetrischen 110‑kV‑Netzen durch eine reine Betragsmessung der Leiter-Erde-Spannungen in zwei unterschiedlichen Verstimmungen der E-Spule die Resonanzkurve ermitteln kann. Im vierten Beitrag wurde beschrieben, dass bereits kleine Gleichströme, verursacht durch Sonnenwinde und Erdmagnetfelder, zu einer erhöhten Schallemission bei Transformatoren führen können. Die Auswirkungen sind auch im kleinen Höchstspannungsnetz in Österreich messbar.
Der nächste Beitrag stellte sehr ausführlich die Auswirkungen von Netzstruktur-Änderungen und Randbedingungen, vor allem in ländlichen Regionen, durch DEA auf die Sternpunktbehandlung von MS-Netzen vor.
In einem weiteren Beitrag aus der Schweiz wurden die Begründungen und notwendigen Schritte für die Umstellung von isolierten und/oder teilkompensierten Netzen zu gelöschten Netzen infolge der zunehmenden Verkabelung sehr ausführlich behandelt. In der Schweiz werden derzeit die isolierten
Netze bei einer Abschaltzeit von 0,3s bis ICE = 115 A betrieben.
Im siebenten Beitrag wurde die Theorie und Praxiserfahrung bei der Umstellung der Sternpunktbehandlung in einem Industrienetz vorgestellt.
Der fünfte Sitzungsblock beschäftigte sich mit dem zweiten Teil der Erfahrungen und den neuen Betriebsmitteln; der Block wurde von Herrn Johannes Brantl, Bayernwerk AG, Regensburg moderiert.
Im ersten Beitrag wurden die Einsatzmöglichkeiten der „Erdung der erdschlussbehafteten Phase“ analysiert sowie ein Bericht über die ersten erfolgreichen Praxis-Erfahrungen in Tschechien gegeben. Im nächsten Bericht wurde gezeigt, dass bei einphasigen, intermittierenden Erdschlüssen im Stator die Energieaufnahme an der Fehlerstelle durch eine auf Resonanz abgestimmte Petersen-Spule um den Faktor 20 reduziert werden kann.
Im dritten Beitrag wurden sehr ausführlich und sehr anschaulich die Einflussgrößen
auf die Nullspannungsübertragung bei der beidseitigen Sternpunktnutzung
von HS/MS-Transformatoren herausgearbeitet. Weiterführende Aussagen wurden an Hand von Modellrechnungen präsentiert.
In einem Beitrag aus Schweden wurde ein neues Betriebsmittel zur Erdschluss-vollkompensation vorgestellt: der regelbare Erdungstrafo. Durch eine geschickte Kombination von mehreren Wicklungen eines Transformators lässt sich die 50 Hz Spannungskomponente an der Fehlerstelle ohne Leistungselektronik reduzieren. In einem österreichischen Beitrag wurden Innovationen im Bereich der Petersen-Spule und Petersen-Spulen-Regelung präsentiert. Neue Möglichkeiten, wie z.B. die Regelung während desErdschlusses wurde an Hand einer neuen Löschkombination (Bild 1) bestehend aus Sternpunktbildner, Petersen-Spule und „Erdung der fehlerhaften Phase“ vorgestellt.