Für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist die zuverlässige und kostengünstige Energieversorgung ein zentraler Wirtschaftlichkeitsfaktor. Gleichzeitig nimmt der Stellenwert der Schonung der Umwelt in der Öffentlichkeit immer weiter zu. Mit den volatilen Energiepreisen, hier insbesondere für Treibstoff aber auch für Strom, rücken Themen wie Reserven und Importe fossiler Energieträger, Höhe der Subventionen für regenerative Energien und Gewährleistung einer sicheren Energieversorgung zunehmend in das Bewusstsein der Verbraucher und in die Auseinandersetzung um die Festlegung der zukünftigen energiepolitischen Ziele. Diese scheinen sich nun nach der Vorstellung des deutschen Energiekonzepts im Herbst 2010 auf das alles überragende Ziel der 80 – 95 %igen CO2-Emissionseinsparung bis zum Jahr 2050 zu konzentrieren. Bei einer Energiewirtschaft, die noch zu 80 % vom Verbrauch fossiler Energieträger abhängig ist, bedeutet diese Absicht eine tiefgreifende Transformation der Versorgungsstruktur zu einem weitgehend regenerativen und CO2–freien System. Um das Ziel der CO2-Emissionsreduktion kristallisieren sich nun mehrere Handlungsfelder, die zu den Schlüsselfaktoren der erfolgreichen Systemtransformation werden können. Neben der schnellen Dekarbonisierung der Stromerzeugung muss der Anpassung von Stromübertragungs- und Verteilungsnetzen höchste Priorität eingeräumt werden. Die erforderlichen Netzumbau- und Netzverstärkungsmaßnahmen, die einerseits durch das Wegfallen der Einspeisungen aus Kernkraftwerken, andererseits durch die Aufnahme neuer Windenergie- und stark dezentraler Solarenenergiekapazitäten hervorgerufen werden, müssen unabhängig von bestehenden gesellschaftlichen Behinderungen und planungsrechtlichen Verzögerungen zügig umgesetzt werden. Entsprechende Handlungsempfehlungen, die sich im Wesentlichen auf die Hochspannungsebene beziehen, sind in der DENA-II-Netzstudie ausgesprochen worden. Neben der Erweiterung des Hochspannungsnetzes, die an den Ausbau der Windkraft gebunden ist, bedingt der starke Zubau der Photovoltaik-Leistung (PV) die Notwendigkeit der Erweiterung von Mittel- und Niederspannungsnetzen. Hierbei rückt das Thema der zu sichernden Netzstabilität ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch während der Systemtransformation muss die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. Mit einer entsprechenden Abschätzung des erforderlichen Ausbaubedarfs von Verteilungsnetzen aufgrund der Photovoltaik- und Windeinspeisung hat sich das im März 2011 veröffentlichte BDEW-Gutachten befasst.
Es steht viel auf dem Spiel. Während die technischen Lösungen und Maßnahmen zur Anpassung der Netzinfrastruktur weitgehend identifiziert wurden, erscheint der zunehmende Zeitdruck und Widerstand entlang der geplanten Leitungstrassen als einer der kritischen Faktoren bei den anstehenden Aufgaben. Sollten entsprechende Netzverstärkungs- und Netzausbau-Maßnahmen nicht rechtzeitig umgesetzt werden, drohen in Zeiten von Starkwind oder bei hoher Einspeisung aus PV-Anlagen Netzüberlastungen und demzufolge Abschaltung von regenerativen Stromerzeugungsanlagen.
Neben der Anpassung der Netze ist die Erhöhung der Flexibilität entlang der gesamten Stromversorgungskette ein zweites wichtiges Handlungsfeld. Der wesentliche Grund dafür ist, dass der elektrische Strom sich im Gegensatz zu anderen Energieträgern nur aufwendig und noch vergleichsweise teuer speichern lässt. Die Integration immer größer werdender Leistungen fluktuierender erneuerbarer Energien erfordert eine deutliche Verbesserung der Flexibilität thermischer Kraftwerke, die die Volatilität der Einspeisung erneuerbarer Energien ausgleichen müssen. Schaffung von stationären und mobilen Speicherkapazitäten bildet die nächste wichtige Herausforderung, die für eine erfolgreiche Transformation des Versorgungssystems von immenser Bedeutung bleiben wird. Ihre Einführung, mit dem Ziel der Erleichterung der Betriebsführung eines hochkomplexen, flexiblen Versorgungssystems, muss sich allerdings neben der technischen Zuverlässigkeit noch hinsichtlich ihrer Wirtschaftlichkeit bewähren. Mit diesem Thema hat sich ausführlich die VDE-Studie „Energiespeicher in Stromversorgungssystemen mit hohem Anteil erneuerbarer Energieträger“ befasst.
Nicht zuletzt werden eine zunehmende Dezentralisierung der Erzeugung und die Einbindung einer Vielzahl von Speichern und von konventionellen thermischen Anlagen von einer Durchdringung der Systemführung durch Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglicht. Um die hierzu erforderlichen Investitionen auslösen zu können, sind neben der Etablierung innovativer technischer Lösungen geeignete Geschäftsmodelle zu finden.
Die aufgeführten Handlungsfelder zeigen die Dimension der technischen Herausforderungen während der Zeit der Systemtransformation zur Errichtung einer nachhaltigen Stromversorgung in Deutschland. Die deutsche Elektrizitätswirtschaft, die Forschungsstellen und die Industrie werden an manchen Stellen Risiken eingehen und Pionierrollen übernehmen müssen. Die dabei erzielten Lerneffekte sollten aber vielmehr im Licht der zukünftigen Chancen gesehen werden. Der historische Erfolg der deutschen Technologie und Industrie beruht auf den innovativen Pioniertaten der Ingenieure. Die Transformation der Elektrizitätswirtschaft bietet nun im strategisch so wichtigen Sektor Energietechnik eine einzigartige Chance, durch die Schaffung eines Wissens- und demzufolge Wettbewerbsvorsprungs an die Erfolgsgeschichte der deutschen Technologie und Exportwirtschaft anzuschließen.
Mehrere der angesprochenen Themen sind in den letzten Jahren in einschlägigen VDE-Studien und -Veröffentlichungen behandelt worden. Das Thema der Flexibilität konventioneller Kraftwerke wurde dabei noch nicht aufgegriffen. Darauf wird in dieser Studie eingegangen.