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2014 Norbert Gilson
05.06.2020

Drehstromübertragung Lauffen-Frankfurt

Oskar-von-Miller-Straße, 74348 Lauffen am Neckar

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik
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Das Kraftwerk des Württembergischen Portland-Cement-Werks zu Lauffen am Neckar war einer der Schauplätze der weltweit ersten Drehstrom-Fernübertragung. Obwohl die Anlage schon in den letzten Augusttagen des Jahres 1891 zeitweise in Betrieb gesetzt wurde, gilt der 12. September 1891 als das Datum, zu dem die Übertragung mit voller Leistung aufgenommen werden konnte. An diesem Tag setzte die in Lauffen erzeugte elektrische Energie auf dem Gelände der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main die am Eingang des Ausstellungsgeländes installierten 1.000 Glühbirnen sowie die von einem Drehstrommotor angetriebene Pumpe eines künstlichen Wasserfalls in Gang.

Die damals in Lauffen genutzte Kraftwerksanlage existiert heute nicht mehr. Sie befand sich an einem vom Neckar abzweigenden Mühlgraben, der infolge des Baus des Neckarkanals am Ende der 1930er Jahre zugeschüttet wurde. An der Stelle des alten Kraftwerks steht heute die Gedenktafel zur Erinnerung an das für die Geschichte der Elektrizitätsversorgung bedeutende Ereignis.

Beschreibung


Inbetriebnahme der Drehstrom-Übertragungsanlage: 24. August / 12. September 1891
Bauherr: Württembergisches Portland-Cement-Werk zu Lauffen am Neckar

Im September 1882 wurde der Frankfurter Magistrat erstmals durch das Angebot einer ortsansässigen elektrotechnischen Firma damit konfrontiert, in der Stadt eine elektrische Beleuchtung - damals war an den Opernplatz gedacht - zu installieren. Nachdem in den folgenden Jahren verschiedene Unternehmen in Frankfurt elektrische Einzelanlagen einrichteten und zudem immer mehr elektrotechnische Firmen Angebote zur Errichtung einer größeren städtischen Centrale einreichten, nahm im Januar 1887 eine gemischte Kommission aus Stadtverordneten und Magistratsmitgliedern ihre Arbeit auf. Nach einer städtischen Ausschreibung lagen Ende des Jahres 1887 mehrere ernst zu nehmende Angebote vor. Unter den anbietenden Firmen schlug die Kölner Helios AG - in Lizenz der Budapester Firma Ganz & Co. - ein Wechselstrom-System vor. Die deutschen Großfirmen, Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Siemens & Halske und Schuckert, schlugen dagegen verschiedene Ausführungen des damals schon vielfach bewährten Gleichstrom-Versorgungssystems vor. Die Prüfung der Angebote durch die Kommission eskalierte nach und nach zu einer erbitterten, auch in der Öffentlichkeit ausgetragenen Debatte über das „richtige” Versorgungssystem. Die Debatte ging später als »Systemstreit« in die Geschichte der Elektrotechnik ein.

Das Gleichstromsystem galt als sicher und ausgereift. Das noch neue Wechselstromsystem hatte dagegen den Vorteil der größeren Flexibilität in der Standortwahl des Kraftwerks und versprach eine größere Kundenzahl, da der Versorgungsradius wegen der Übertragung mittels des Transformatorensystems erheblich größer war als bei Gleichstrom. Nachteilig war allerdings, dass sich mit Wechselstrom keine Akkumulatoren aufladen ließen und dass es keinen brauchbaren Wechselstrommotor gab. Der Leiter des in der Angelegenheit federführenden Frankfurter Tiefbauamtes, William H. Lindley, ein ausgewiesener Fachmann großstädtischer Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, trat entschieden für das Wechselstromsystem ein. Demgegenüber sah die »Gleichstrompartei« den elektrischen Strom auch auf weitere Zukunft hin als Luxusartikel an, für den es ausschließlich im innerstädtischen Bereich Bedarf gebe. Die Stadt reagierte auf den Streit zunächst durch die Berufung einer Expertenkommission, der unter anderem die Professoren Erasmus Kittler aus Darmstadt und Galileo Ferraris aus Turin, weltweit renommierte Experten der Elektrizitätslehre, angehörten. Der Bericht erschien im November 1889 in der »Elektrotechnischen Zeitschrift« und relativierte die Behauptungen, mit denen sich die Parteien wechselseitig bekämpften. Er kam jedoch in den umstrittenen Punkten zu keinem einheitlichen Votum, so dass die Situation weiterhin unentschieden war.

In dieser Situation brachte Leopold Sonnemann, Verleger der »Frankfurter Zeitung« und einer der einflussreichsten Kommunalpolitiker Frankfurts, die Idee ins Spiel, eine Ausstellung zu veranstalten, auf der die ganze Vielfalt der Systeme demonstriert und in ihrer Leistungsfähigkeit und Tauglichkeit beurteilt werden könnte. Der Vorschlag fand breite Zustimmung und in den folgenden Wochen konstituierten sich mit Vorstand, Ausschüssen und Ehrenpräsidium die verschiedenen Gremien, die die »Elektrische Ausstellung« - so der erste offizielle Titel - vorbereiten sollten. Dem Vorstand gelang es, mit Oskar von Miller einen der profiliertesten Experten als Ausstellungsorganisator zu gewinnen, nicht nur hinsichtlich elektrotechnischer Fachkompetenz, sondern auch bezüglich Konzeption der Ausstellung und Regie ihrer Durchführung.

Oskar von Miller hatte soeben seine Stellung als Direktor und Vorstandsmitglied der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) aufgegeben und sich als selbständiger »Privatingenieur« in München niedergelassen. Oskar von Miller war in Fachkreisen bekannt geworden, als er 1882 die erste elektrotechnische Ausstellung Deutschlands in München organisiert hatte. Das anlässlich dieser Ausstellung unternommene Experiment einer »Gleichstrom-Kraftübertragung« über 57 km vom Walchensee nach München hatte trotz seines nur sehr mäßigen Erfolges weithin Aufsehen erregt. Kurz nach seiner Berufung zum stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstandes legte von Miller ein Konzept vor, das auch eine Fernübertragung elektrischer Energie vorsah. Von Miller und der Vorstand dachten zunächst an eine Wechselstromübertragung aus dem Taunus.

Kurze Zeit später erhielt Oskar von Miller vom Direktor des Württembergischen Portland-Cement-Werkes zu Lauffen am Neckar, Arendt, eine Anfrage wegen Beratung für ein geplantes Projekt zur eigenen Stromerzeugung mit Hilfe eines Wasserkraftwerks am Neckar. Das Zementwerk beabsichtigte die Einrichtung einer eigenen Stromerzeugung, wobei die überschüssige Energie in das 10 km entfernte Heilbronn übertragen werden sollte. Oskar von Miller machte Arendt auf die neuartige Drehstromtechnik aufmerksam, die der leitende Ingenieur der Berliner AEG-Fabrik in der Ackerstraße, Michael von Dolivo-Dobrowolski, mit der Patentanmeldung für einen funktionsfähigen Drehstrom-Asynchronmotor vom 8. März 1889 zur Anwendungsreife entwickelt hatte. Durch die Argumente von Millers überzeugt, entschied sich Arendt im Mai 1890 für die Wahl dieser Stromart und übertrug von Miller den Aufbau der Eigenstromversorgung mit Generatoren und Transformatoren der  Maschinenfabrik Oerlikon und mit Drehstrommotoren der AEG. Diese beiden Unternehmen hatten sich 1889 über die Entwicklung des Drehstromsystems verständigt. 

Das Kraftwerk in Lauffen lag 175 km vom Frankfurter Ausstellungsgelände entfernt. Oskar von Miller konnte den Vorstand schnell überzeugen, dass der Ausstellung bei einer Energieübertragung über eine solche Entfernung die internationale Aufmerksamkeit gewiss war. Ob dem Vorstand klar war, dass die Übertragung nicht mit einphasigem, sondern mit dreiphasigem Wechselstrom (Drehstrom) erfolgen sollte - und damit ein drittes Versorgungssystem zu Disposition stand - darf bezweifelt werden. Jedenfalls erteilten die AEG und die Maschinenfabrik Oerlikon dem Ausstellungsvorstand im Juli 1890 grünes Licht für das Projekt unter der Bedingung, dass die Übertragungsstrecke kostenlos zur Verfügung gestellt würde. Im Dezember 1890 fiel dann die endgültige Entscheidung zur Realisierung des Vorhabens. Die Heddernheimer Kupferwerke hatte die kostenlose Ausleihe des benötigten Drahts zugesagt. Die Reichspost und die württembergische Generaldirektion der Posten und Telegraphen hatten die Installation des Drahts auf Telegrafenmasten in Aussicht gestellt.

Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung am 16. Mai 1891 sagten AEG und Maschinenfabrik Oerlikon die Fertigstellung der Primärstation (Erzeugungsanlage) in Lauffen und der Sekundärstation in Frankfurt bis zum 15. August zu. Gleichzeitig begannen Arbeitskolonnen der Postverwaltungen mit den Arbeiten an der Übertragungsstrecke, auf der die Energie mit 15.000 V fortgeleitet werden sollte. Die Firmen hielten den Termin ein, so dass am 24. August 1891 abends gegen 20 Uhr erstmals in Lauffen erzeugte Energie das Ausstellungsgelände erreichte. Am 28. August 1891 konnten zwischen 11 und 12 Uhr mittags mit dem aus Lauffen übertragenen Strom dann alle 1.000 Glühlampen des Eingangstors der Ausstellung zum Leuchten gebracht werden. Zugleich wurde ein rund sechs Meter hoher künstlicher Wasserfall in Betrieb gesetzt.

Nach Ende der Ausstellung wurde die vorher nach Frankfurt gelieferte überschüssige, im Zementwerk nicht benötigte Energie des Lauffener Drehstromgenerators nach Heilbronn übertragen, das damit als weltweit erste Stadt die Fernversorgung mit Drehstrom aufnahm. Aus dem Württembergischen Portland-Cement-Werk zu Lauffen am Neckar ging 1980 die ZEAG Zementwerk Lauffen – Elektrizitätswerk Heilbronn AG hervor. 2003 wurde aus der ZEAG ein reines Energieversorgungsunternehmen, als sie das Lauffener Zementwerk an die Märker Zement GmbH (Harburg) verpachtete, die es ein Jahr später erwarb. Ein Jahr später beschloss die Aktionärsversammlung die Namensänderung in ZEAG Energie AG.

Die Hoffnungen darauf, dass die Ausstellung den Systemstreit beenden und eine schnelle Entscheidung für das Frankfurter Elektrizitätswerksprojekt bringen würde, erfüllten sich indes nicht. In einer neuen Ausschreibung wurden drei Varianten berücksichtigt, neben einem Einphasenwechselstrom-System und einem Gleichstromsystem auch ein System mit Drehstrom-Gleichstrom-Umformung und Akkumulatoren. Nach Ablauf der Frist erwies sich zunächst das Einphasenwechselstrom-System als das kostengünstigste. Nach Interventionen mehrerer Unternehmen der Elektroindustrie, Einholung weiterer Offerten und erneuten Querelen im Stadtrat erhielt schließlich - nach einer dramatischen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 12. Oktober 1893 - die von Charles Brown und Walter Boveri, zwei ehemaligen Mitarbeitern der Maschinenfabrik Oerlikon, kurz zuvor neu gegründete Firma Brown, Boveri & Cie. (BBC) den Auftrag zum Bau des Frankfurter Elektrizitätswerks. Der Auftrag lautete allerdings auf Realisierung eines einphasigen Wechselstromsystems, obwohl Charles Brown als Konstrukteur der Lauffener Primärstation einer der Pioniere des Drehstromübertragungssystems war. BBC hatte damit die Vorgaben der Stadt akzeptiert, in der sich die Einphasenwechselstrom-Befürworter durchgesetzt hatten. Möglicherweise spielten bei der Entscheidung auch sich damals noch abzeichnende Patenstreitigkeiten um die Priorität der Erfindung des Drehstroms eine Rolle.

Das neue Elektrizitätswerk konnte am 16. Oktober 1894 erstmals Strom ins städtische Netz einspeisen. Mit einer Investitionssumme von 2 Mio. Mark war die erste Ausbaustufe mit 2.000 kW installierter Leistung realisiert worden. Die von Charles Brown konstruierten Generatoren lieferten Einphasenwechselstrom mit einer Frequenz von 45,3 Hz, in der damaligen Vielfalt der Frequenzen nicht ungewöhnlich, denn die Norm von 50 Hz setzte sich erst in den folgenden Jahren durch. Im ersten Betriebsjahr verzeichnete das Werk 500 Kunden, vorwiegend gewerbliche Abnehmer sowie Hotels und Geschäfte in der Innenstadt. Das einmal eingeführte Wechselstromsystem erwies sich allerdings in den folgenden Jahrzehnten zunehmend als ungünstig. Als die Eigenerzeugung der Stadt Mitte der 1920er Jahre an ihre Grenzen stieß und mit der Preußischen Kraftwerke Oberweser AG - der späteren Preußenelektra - ein Stromlieferungsvertrag abgeschlossen wurde, musste der mit 50 Hz gelieferte Drehstrom vor der Übernahme ins städtische Netz auf Wechselstrom mit 45,3 Hz umgeformt werden. Damit zeichnete sich das Ende des Frankfurter Sonderwegs ab.

Informationsstand: 15.05.2015
Schlagworte: Elektrizitätserzeugung; Laufwasserkraftwerke; Stromerzeugung; Energie; Energy
Stichworte: Württembergisches Portland-Cement-Werk zu Lauffen am Neckar; Drehstrom-Fernübertragung; Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft; AEG; Oskar von Miller; Drehstromübertragung; Eigenstromerzeugung; Heilbronn; Drehstromtechnik; Generator; Transformator; Maschinenfabrik Oerlikon; Drehstrommotor; Generaldirektion der Posten und Telegraphen; Heddernheimer Kupferwerke; Reichspost; ZEAG Zementwerk Lauffen – Elektrizitätswerk Heilbronn AG; Märker Zement GmbH; ZEAG Energie AG; Preußische Kraftwerke Oberweser AG; Preußenelektra; Helios AG; Ganz & Co.; Siemens & Halske; Schuckert

Quelle(n)

  • Volker Rödel, Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland. Bd. 1. Alte Länder, Stuttgart 1992
  • Rainer Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2. Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Entsorgung, Bochum 1977
  • Jürgen Steen, „Eine neue Zeit ...!” Die Internationale Elektrotechnische Ausstellung 1891, Frankfurt am Main 1991

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