Wie kaum ein anderer Standort der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) in Berlin symbolisiert das zwischen 1897 und 1916 in mehreren Bauabschnitten errichtete und später mehrfach erweiterte Kabelwerk Oberspree den Aufstieg der AEG zu einem der weltweit führenden Unternehmen der Elektroindustrie.
Das weitgehend erhalten gebliebene und heute neu genutzte Areal vermittelt noch heute einen Eindruck von der ehemaligen Bedeutung der Elektrotechnik für Berlin und lässt die Zuschreibung »Elektropolis« für die Stadt greifbar werden.
Beschreibung
erbaut: 1897/1900, 1901/02 / 1928 (Umbauten)
Architekt: Paul Tropp, Gottfried Klemm, Johannes Kraaz / Ernst Ziesel
Parallel zum Ausbau ihrer Fabrikanlagen im Berliner Wedding baute die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) seit Mitte der 1890er Jahre neue Produktionsstätten auf einem weitläufigen Gelände am Oberlauf der Spree auf. 1890 hatte die Grundrentengesellschaft Wilhelminenhof damit begonnen, die Wiesen am Spreeufer zu parzellieren und sie für die Ansiedlung von Industriebetrieben zu vermarkten. 1898 erhielt dieser Vorort offiziell den Namen Oberschöneweide.
Der AEG-Vorstandsvorsitzende Emil Rathenau hatte sich für den Standort im Osten Berlins vor allem wegen der günstigen Lage am Wasser sowie einer bereits vorhandenen Eisenbahnanbindung an die Görlitzer Eisenbahn entschieden. 1895 begann der Bau des Kraftwerks Oberspree, das 1897 in Betrieb genommen werden konnte und für mehrere Jahrzehnte die Basis für die Elektrizitätsversorgung in den östlichen Teilen Berlins bildete.
Als 1897 auf dem Nachbargelände das neue Kabelwerk eröffnet wurde, war aus dem ehemals beschaulichen Vorort innerhalb von wenigen Jahren eine Industrieagglomeration mit mehr als 20 größeren und kleineren Industriebetrieben geworden, in denen rund 18.000 Beschäftigte Arbeit fanden.
Das Kabelwerk Oberspree verfügte über die gesamte Fertigungsbreite, die zur Herstellung von Kabeln erforderlich war. So umfasste die Anlage neben einem Kupferwalzwerk eine Drahtfabrik, eine Gummischlauchfabrik und eine Fabrik zur Herstellung von Isoliermaterial. Das Kupferwalzwerk, das auch mit Einrichtungen zum Gießen, Ziehen und Pressen von Drähten und Metallteilen ausgestattet war, zählte zu den größten kupferverarbeitenden Betrieben in Deutschland.
Das Kabelwerk war einer der ersten Industriebetriebe, die nicht mehr auf Dampfkraft mit Transmissionsantrieben zur Kraftversorgung begründet war. Alle Maschinen wurden mit Elektromotoren angetrieben, die meisten Werkzeugmaschinen verfügten über Einzelantriebe. Dies trug wesentlich dazu bei, die Produktionsabläufe flexibel gestalten und so technische Neuerungen schnell umsetzen zu können.
Die Fabrikanlage wurde in mehreren Schritten ausgebaut und erweitert. Für den ersten, bis 1912 dauernden Bauabschnitt war, wie bei damaligen Fabrikarealen üblich, die Errichtung von Geschossbauten und Hallen charakteristisch.
Die Planung lag in der Hand der Architekten der AEG-Bauabteilung, in erster Linie von Paul Tropp und Gottfried Klemm. Die gesamte Anlage setzte sich aus weitgehend selbständigen Fabrikteilen zusammen, die durch übergreifende Fertigungsbereiche miteinander verknüpft waren (»Werkstattprinzip«). Die übergreifenden, nicht der Produktion dienenden Einrichtungen wie Kantine, Verwaltung und Direktorenwohnhaus, wurden entlang der Wilhelminenhofstraße in offener Bauweise platziert.
Der Hallenblock I, der das Kupferwalzwerk, die Drahtzieherei und die Starkstromkabelfabrik beherbergte, war das zentrale Produktionsgebäude. Es wurde nach Plänen von Paul Tropp 1897 als fünfschiffige Fabrikhalle in einer Konstruktion aus Stahlfachwerkstützen und Stahlfachwerkbindern mit verglasten Dachlaternen errichtet. Die ursprünglich historisierende Fassadengestaltung wurde 1928 unter der Leitung von Ernst Ziesel verändert. Grund dafür war ein umfassender Umbau der Hallenschiffe, der zum Zweck einer aus fabrikationstechnischer Sicht erforderlichen Vergrößerung der Raumhöhe vorgenommen werden musste. Dabei wurden die inneren Stahlfachwerkkonstruktionen erneuert und die Dreiecksgiebel mit gotisierenden Zinnen durch flächige, mit einem horizontalen Gesims abgeschlossene Giebelscheiben ersetzt. An die Längsseite des Hallenblocks I wurde 1898, ebenfalls nach Plänen von Paul Tropp, der vierstöckige Geschossbau der Fabrik für Isoliermaterial (Gebäude A 1) angebaut.
Parallel zum Bau von Hallenblock I leitete Paul Tropp auch den Aufbau der Drahtfabrik, der als viergeschossiger Stockwerksbau an der Wilhelminenhofstraße entstand (Gebäude A, Fotos 1.1 bis 1.4). Die Fassade des als Massivbau aus gelben und roten Backsteinen gemauerten 23-achsigen Gebäudes ist durch Risalite gegliedert. Eine durchbrochene Attika mit Ecktürmen über dem Hauptgesims schließt das Bauwerk ab. In der Drahtfabrik wurden aus den Rohmaterialien elektrische Installationsdrähte produziert. Dazu wurden dünne Kupferdrähte mit Gummi oder Kunststoff isoliert, verseilt und dann mit Baumwolle oder Seide umhüllt.
Ein weiteres Produktionsareal, der Hallenblock V, wurde nach Entwurf von Gottfried Klemm von 1899 bis 1900 als mehrschiffige Werkstatthalle in den üblichen historisierenden Bauformen errichtet. Wegen der Anpassung an verschiedene Arbeitsabläufe und Funktionen sind die Hallenschiffe in unterschiedlichen Breiten und Höhen ausgeführt. Ernst Ziesel entwarf den 1928 für ein neues Walzwerk errichteten Anbau an den Hallenblock V, bestehend aus zwei Hallenschiffen in Stahlrahmenkonstruktion. Dabei erhielt die südliche Fassade eine monumentale Giebelwand (Fotos 1.5 und 1.6), die in ähnlicher Form zeitgleich auch am Hallenblock I entstand.
Zum ersten Bauabschnitt gehörten auch das 1897/98 errichtete, von Paul Tropp entworfene Verwaltungsgebäude (Foto 1.7) sowie die 1899/1900 entstandene Kantine (Fotos 1.8 und 1.9), für deren Gestaltung Johannes Kraaz verantwortlich war. Das Souterrain der Verwaltung beherbergte Sozialeinrichtungen und Baderäume sowie das Behandlungszimmer des Betriebsarztes. Die erste Etage war dem Direktor des Kabelwerks vorbehalten. Anfangs residierte in den Räumen Emil Rathenau, Gründer und Vorstandsvorsitzender der AEG, und leitete von hier aus für viele Jahre die Geschicke des Unternehmens. In den übrigen Räumen arbeiteten die Beamten der kaufmännischen und technischen Abteilung.
Während die in gelbem Backstein gemauerte Fassade des Verwaltungsgebäudes stark gotisierende Elemente zeigt, hat Johannes Kraaz die Gestaltung der Kantine mit verputzten Fassaden, Fachwerkgiebeln und ziegelgedeckten Dächern bewusst von den umgebenden Bauten abgehoben. Im Obergeschoss des Hauptbaus befand sich der Speisesaal für die Arbeiter. Rückwärtig schließt sich an der Hauptbau der in Formen der altdeutschen Renaissance mit Krüppelwalmdach und Fachwerkgiebeln gestaltete Küchentrakt an. Im Hauptbau blieben der ursprüngliche, doppelarmige Treppenaufgang sowie die alte Holzdecke des Speisesaals erhalten. Die straßenseitige Front wurde 1925 im Stil der Reformarchitektur erneuert.
Johannes Kraaz war auch federführend für den Entwurf der Direktionsvilla, die mit dem schrittweisen Ausbau nach und nach von den Fabrikbauten umzingelt wurde. Die von einem kleinen Garten umgebene Villa wurde für Emil Rathenau errichtet, ähnlich gestaltet wie Teile der Kantine in Formen der altdeutschen Renaissance. Die Villa wurde 1906 sowie 1913/14 erweitert, wobei die Anbauten der letzten Erweiterung schon der Landhausstil der beginnenden Moderne repräsentieren.
Informationsstand: 31.12.2013
Schlagworte: Elektroindustrie; Geschichte der Elektro- und Informationstechnik; Werkstoffe; Leiterwerkstoffe, Supraleitung
Stichworte: Oberschöneweide; Paul Tropp; Johammes Kraaz; Peter Behrens; Ernst Ziesel; Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft; AEG; Emil Rathenau; Kraftwerk Oberspree; Kabelwerk Oberspree; Grundrentengesellschaft Wilhelminenhof; AEG-Bauabteilung; Jean Krämer; Gottfried Klemm; Nationale Automobil-Gesellschaft; NAG; Treppenhaus; Aufzugsschacht; Wasserturm; KWO; Erster Weltkrieg; Kriegs-Rohstoff-Abteilung; KRA; Walther Rathenau; Georg Klingenberg; Wichard von Moellendorff; Press- und Stanzwerk; Metalllaboratorium; Jan Czochralski; Czochralski-Verfahren; Zonenschmelzverfahren; Elektrotechnik; Fernmeldekabelfabrik; Erdkabel; Flusskabel; Seekabel; Nachrichtenübertragung; Sowjetische Aktien-Gesellschaft; SAG; Volkseigener Betrieb; VEB; VEB Kabelwerk Oberspree; Hochschule für Technik und Wirtschaft; HTW; Görlitzer Eisenbahn; Kupferwalzwerk; Drahtfabrik; Gummischlauchfabrik; Isoliermaterial; Einzelantrieb; Werkstattprinzip; Kantine; Verwaltung; Direktorenwohnhaus; Hallenblock I; Drahtzieherei; Starkstromkabelfabrik; Gebäude A 1; Gebäude A; Hallenblock V; Automobil; Lastkraftwagen; Automobilfertigung; Hallenblock II; Metalllaboratorium; Silizium-Einkristall; Mikroelektronik; Gebäude A 2; Fließfertigung; Gebäude A 4; Gebäude A 3; Lagerhaus; Rohgummi; Rüstungsproduktion; Kriegsorganisation; Hallenblock IV; Spreehalle; Akkumulatorenturm; Kranturm
Quelle(n)
- Matthias Donath, Denkmale in Berlin. Bezirk Treptow-Köpenick. Ortsteile Nieder- und Oberschöneweide, Petersberg 2005
- Volker Rödel, Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland. Bd. 2. Neue Länder - Berlin, Stuttgart 1998
- Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Denkmaldatenbank, Eintrag 09020314,T