Askania-Werke AG_03
2011 Norbert Gilson
25.02.2020

Askania-Werke AG

Großbeerenstraße 2, 12105 Berlin-Mariendorf

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik

Die Askania-Werke AG, mit der Übernahme der Firma Carl Bamberg, Werkstätten für Präzisionsmechanik und Optik durch die Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft AG 1921 entstanden, ist ein Beispiel für das Zusammenwachsen optisch-feinmechanischer und elektrotechnischer Produktion auf den Gebieten der Mess- und Regelungstechnik, wobei die Elektrotechnik im NS-Staat während der Wiederaufrüstung und des Zweiten Weltkriegs enorm an Bedeutung zunahm.

Beschreibung

erbaut: 1938-40 / 1957-62 (Shedhalle)
Architekt: Hans Altmann

Die Askania-Werke AG entstand 1921 aus dem Zusammenschluss der Firma Carl Bamberg, Werkstätten für Präzisionsmechanik und Optik und der Centralwerkstatt Dessau für Gasgeräte GmbH, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Continental-Gas-Gesellschaft AG (DCGG). In das neue Unternehmen brachte die Firma Carl Bamberg ein vielseitiges Know-how auf den Gebieten der Mess- und Automatisierungstechnik und der Kinotechnik sowie bei der Konstruktion und Fertigung von Luftfahrtgeräten, nautischen Geräten sowie feinmechanischen und optischen Geräten ein.

Unter der Leitung von Guido Wünsch, dem Vorstand für technische Entwicklung der früheren Firma  Carl Bamberg, entwickelte sich die Automatisierungstechnik zu einem besonders erfolgreichen Arbeitsfeld des neuen Unternehmens. Durch einen Auftrag von der Hüttenindustrie zur Konstruktion eines Instruments zur Messung geringster Gasdrücke angeregt, schuf Wünsch den ersten Druckregler, der es als Messdruckwandler erlaubte, sehr kleine mechanische, elektrische oder hydraulische Messsignale in beliebig große Steuerkräfte umzuformen. Dieser nach dem pneumatisch-hydraulischen Prinzip arbeitende »Stahlrohr-Regler« wurde legendär und verhalf der Anwendung der Regelungstechnik allgemein zu einem beachtlichen Aufschwung. Wegen seiner Betriebssicherheit kam dieser Regler nicht nur in der Schwerindustrie umfangreich zum Einsatz, er war auch Ausgangspunkt für die erste brauchbare Konstruktion der selbsttätigen Kurssteuerung im Flugzeug. Nachdem der erste Stahlrohr-Regler 1923 an einem Tunnelofen der Porzellanfabrik der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) in Hennigsdorf eingebaut worden war und dort mit hoher Präzision funktionierte, folgten für die Askania-Werke AG weitere große Aufträge auf dem Gebiet der Automatisierungstechnik: 1936 die Automatisierung der Belastungs-, Verbrennungs- und Feuerraumdruck-Regelung von Dampfkesseln mit Krämer-Mühlenfeuerung im Kraftwerk Zschornewitz, 1938 der Einbau von Gasmischregelanlagen für Siemens-Martin-Öfen sowie weiterer Regelanlagen für Hochöfen und Stahlwerke oder 1940 die Entwicklung von Regelungen für Benson-Kessel.

Auch die Kinotechnik, die in der Firma Carl Bamberg bei der Suche nach neuen Geschäftsfeldern nach dem Ersten Weltkrieg ins Programm aufgenommen worden war, wurde bei den Askania-Werken erfolgreich fortgeführt. Die von dem ersten Produkt, einer Normalfilmkamera, ausgehenden Entwicklungsarbeiten führten dazu, dass die deutsche Filmindustrie vollständig mit Askania-Filmkameras ausgerüstet wurde. Unter anderem kamen sie bei den Dreharbeiten in den UFA-Studios zum Film »Der Blaue Engel« mit Marlene Dietrich zum Einsatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch Kino-Filmprojektoren und Stereoskopie-Kameras ins Produktionsprogramm aufgenommen.

Auch die Tradition der Fertigung von nautischen Geräten wurde bei der Askania-Werke AG fortgesetzt. Sie reichte bis 1875 zurück, als Carl Bamberg den Fluidkompass entwickelt hatte. Mit den Arbeiten während des Ersten Weltkrieges für die Kaiserliche Marine wurde eine Produktionslinie begründet, die im Rüstungsprogramm des NS-Staates eine bedeutende Rolle spielen sollte. Gebaut wurden Magnet- und Kreiselkompasse, automatische Kurssteuerungen, Kompasshäuser und Zubehör, Peil- und Kompensierungsgeräte, U-Boot-Periskope sowie Ozeanische Instrumente wie Hochseepegel zur Gezeitenmessung, Strömungsmesser oder Tiefseethermometer.
Ein besondere wissenschaftlich-technische Leistung war der Bau eines Gezeitenrechners. Dabei handelte es sich um eine große mechanische Rechenmaschine, mit der die Gezeiten an jedem beliebigen Punkt der Weltmeere vorausberechnet werden konnten. Der in den Jahren von 1935 bis 1939, schon vor dem Hintergrund eines künftigen Krieges, bei Aude & Reipert, einer Tochtergesellschaft der Askania-Werke AG in Babelsberg, gebaute Gezeitenrechner war mit 62 Tidengetrieben ausgerüstet und war die größte mechanische Gezeitenrechenmaschine der Welt. Sie war bei der Deutschen Seewarte, dem späteren (nach 1945) Deutschen Hydrographischen Institut, in Hamburg in Betrieb und leistete dort ihren Dienst, bis sie 1968 durch eine elektronische Rechenanlage ersetzt wurde.

Auch mit dem Bau von Luftfahrtgeräten hatte bereits die Firma Carl Bamberger begonnen. Bei der  Askania-Werke AG wurde dieses Sortiment mit einem enormen Tempo weiterentwickelt und ausgeweitet. Die Askania-Werke wurden zum bedeutendsten deutschen Unternehmen für Luftfahrt- und Navigationsinstrumente. In den 1920er und frühen 1930er Jahre waren Nachtfluginstrumente oder Bord- und Pilotenuhren von Askania an den großen Ereignissen der Luftfahrt wie beispielsweise der Atlantik-Erstüberquerung von Günther Freiherr von Hünefeld beteiligt.
Seit 1935 war die Askania-Werke AG dann in die Wiederaufrüstung eingebunden. Um das stark zunehmende Auftragsvolumen bewältigen zu können, entstand, außer in Steglitz, nach Plänen von Hans Altmann in Berlin-Mariendorf eine neue große Fabrikanlage für die Produktion von Luftfahrtgeräten, Reihenoptiken, Kreiselgeräten und Sonderbauten für die Marine, etwa Kreiselinstrumente für Schlachtschiffe. Unter anderem für die Flugzeuge der Heinkel-Werke wurden Bord- und Blindfluggeräte, Fernkompasse, Wendekreisel sowie pneumatische Einachs- und Dreiachsregler entwickelt. Hinzu kamen Zieloptiken für Flak-Geschütze oder U-Boot-Periskope. Die Askania-Werke AG entwickelten auch die Flugleitsysteme und automatischen Steuerungen für den Marschflugkörper »Fi 103« (auch als »V1« bezeichnet) sowie für das A4-Programm (die auch als »V2« bezeichnete deutsche Flüssigtreibstoff-Rakete). Außerdem fanden Kinotheodoliten in Peenemünde Einsatz zum Vermessen der Flugbahnen.
Die Zahl der Beschäftigten der Askania-Werke AG wuchs bis 1944 auf über 24.000. Darunter befanden sich zahlreiche Zwangsarbeiter, für die in Mariendorf, Marienfelde und Lichtenrade große Barackenlager errichtet wurden.

Im April 1945 wurden die Werksanlagen in Friedenau am alten Stammsitz der Firma Bamberger, in Steglitz und in Mariendorf von sowjetischen Truppen besetzt. Bis Ende Juni 1945 wurden große Teile des Inventars der Firma demontiert und in die Sowjetunion transportiert. Da die Produktionsstätten laut Potsdamer Abkommen im späteren amerikanischen Sektor lagen, verfügte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) die Gründung eines Zweigwerks in Teltow, das dort in den Räumen einer beschlagnahmten und demontierten Rüstungsfirma untergebracht wurde. Im Januar 1946 wurde daraus die Askania-Feinmechanik-Optik GmbH als Tochtergesellschaft der Askania-Werke AG gegründet. Im Juli 1948 wurde dieses Unternehmen in Volkseigentum überführt und firmierte nun als  VEB Mechanik Askania Teltow. 1954 erfolgte die Umbenennung in VEB Geräte- und Regler-Werke Teltow (GRW Teltow).

In die Anlagen in Mariendorf kehrte nach der formalen Wiedereröffnung des Unternehmens (Gewerbeanmeldung beim Berliner Magistrat) Ende Juni 1945 wieder Leben ein. Mit den noch vorhandenen, bescheidenen Mitteln konnten Gegenstände des alltäglichen Bedarfs wie elektrische Kocher, Brillengestelle, Kleinkameras oder Apotheker-Waagen produziert werden. Bald kamen auch Kino-Projektoren hinzu und, im Auftrag der sowjetischen Verwaltung, die Reparatur von Kino-Theodoliten. Ein herausragendes Ereignis war 1950 der Auftrag der Universitäts-Sternwarte Bonn, für das geplante neue »Observatorium Hoher List« bei Daun in der Eifel ein Schmidt-Spiegelteleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 500 mm zu konstruieren und auszuführen. Nach gut dreijähriger Bauzeit konnte das Teleskop 1954 in Betrieb genommen werden. Auf dem Gebiet der optisch-feinmechanischen Fertigung erlebte das Unternehmen mit der Großserienfertigung von neu entwickelten Vermessungsinstrumenten einen Wiederaufschwung. Für die Produktion im umfangreichen Sektor der Regelungstechnik wurde 1958 in Mariendorf eine neue Regler-Fertigung eingeweiht. Für eine Vielzahl von Produktionszweigen wurden Temperatur-, Verbrennungs-, Druck- und Durchflussregler für die Automatisierung von Betriebsabläufen geliefert. Auch komplette Wärmewarten für Kraftwerke und Betriebe der Schwerindustrie kamen von den Askania-Werken.

1960 führte die DCGG ihre bisherigen Tochterunternehmen der Elektroindustrie - außer der  Askania-Werke AG waren dies die Voigt & Haeffner AG, die Schorch-Werke AG und die  Kabelwerk Vohwinkel GmbH - in der neuen Gesellschaft Continental Elektroindustrie AG zusammen. 1964 verkaufte die DCGG die Aktienmehrheit an ein Konsortium, an dem auch Siemens beteiligt war. 1970 erfolgte schließlich die Übernahme der Askania-Werke AG durch Siemens und anschließender Umwandlung in das »Prozessgerätewerk Berlin«. Ein Teil der Produktion wurde aus Siemensstadt nach Mariendorf verlegt. 1975/76 wurde jedoch die gesamte Fertigung zugunsten des Standortes Siemensstadt aus Mariendorf abgezogen und die Anlage der ehemaligen Askania-Werke AG aufgegeben. Seit 1981 nutzt der Aufzughersteller Schindler Deutschland AG einen Teil des ehemaligen Askania-Geländes.

Informationsstand: 22.07.2015
Schlagworte: Elektroindustrie; Geschichte der Elektro- und Informationstechnik; Automation; Informations- und Kommunikationstechnik (IKT); Messtechnik
Stichworte: Hans Altmann; Askania-Werke AG; Carl Bamberg, Werkstätten für Präzisionsmechanik und Optik; DCGG; Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft AG; Centralwerkstatt Dessau für Gasgeräte GmbH; Guido Wünsch; Automatisierungstechnik; Druckregler; Messdruckwandler; pneumatisch-hydraulisches Prinzip; Stahlrohr-Regler; Regelungstechnik; Schwerindustrie; selbsttätige Kurssteuerung; Flugzeug; Tunnelofen; Porzellanfabrik; Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft; AEG; Hennigsdorf; Belastungsregelung; Verbrennungsregelung; Feuerraumdruckregelung; Dampfkessel; Krämer-Mühlenfeuerung; Kraftwerk Zschornewitz; Gasmischregelanlage; Siemens-Martin-Ofen; Benson-Kessel; Kinotechnik; Erster Weltkrieg; Normalfilmkamera; Filmindustrie; Filmkamera; UFA-Studios; Der Blaue Engel; Marlene Dietrich; Zweiter Weltkrieg; Kino-Filmprojektor; Stereoskopie-Kamera; nautisches Gerät; Fluidkompass; Kaiserliche Marine; Rüstungsprogramm; NS-Staat; Magnetkompass; Kreiselkompass; automatische Kurssteuerung; Kompasshaus; Peilgerät; Kompensierungsgerät; U-Boot-Periskop; Ozeanisches Instrument; Hochseepegel; Gezeitenmessung; Strömungsmesser; Tiefseethermometer; Gezeitenrechner; Aude & Reipert; Babelsberg; Tidengetriebe; mechanische Rechenmaschine; Deutsche Seewarte; Deutsches Hydrographisches Institut; elektronische Rechenanlage; Luftfahrtgerät; Atlantik-Erstüberquerung; Nachtfluginstrument; Borduhr; Pilotenuhr; Günther Freiherr von Hünefeld; Wiederaufrüstung; Reihenoptik; Kreiselgerät; Kreiselinstrument; Heinkel-Werke; Zieloptik; Flak-Geschütz; Flugleitsystem; Marschflugkörper; Fi 103; V1; A4-Programm; V2; Flüssigtreibstoff-Rakete; Kinotheodolit; Peenemünde; Flugbahnvermessung; Zwangsarbeiter; Barackenlager; Blindfluggerät; Fernkompass; Wendekreisel; Einachsregler; Dreiachsregler; Demontage; Sowjetische Militäradministration in Deutschland; SMAD; Teltow; Askania-Feinmechanik-Optik GmbH; VEB Mechanik Askania Teltow; VEB Geräte- und Regler-Werke Teltow; GRW Teltow; Temperaturregler; Verbrennungsregler; Druckregler; Durchflussregler; Automatisierung; Observatorium Hoher List; Schmidt-Teleskop; Spiegelteleskop; Vermessungsinstrument; Voigt & Haeffner AG; Schorch-Werke AG; Kabelwerk Vohwinkel GmbH; Continental Elektroindustrie AG; Conti Elektro AG; Schindler Aufzüge AG

 
Quelle(n)

  • Lothar Starke, Vom Hydraulischen Regler zum Prozessleitsystem. Die Erfolgsgeschichte der Askania-Werke Berlin und der Geräte- und Regler-Werke Teltow. 140 Jahre Industriegeschichte, Tradition und Zukunft, Berlin 2009
  • Friedrich Heilbronner, Guido Wünsch (1887-1955); in: Kurt Jäger / Friedrich Heilbronner, Lexikon der Elektrotechniker, 2. Aufl., Berlin / Offenbach 2010, S. 470-471
  • Thorsten Dame, Elektropolis Berlin. Architektur- und Denkmalführer, Berlin 2014
  • Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Denkmalliste Berlin (Stand: 14.01.2011), Nr. 09055085

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