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2013 Norbert Gilson
20.07.2020

Heliowatt AG

Wilmersdorfer Straße 39, 10627 Berlin-Charlottenburg

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik

Hinter dem Namen Heliowatt verbirgt sich die wechselvolle Geschichte eines Unternehmens und seines Gründers, der zu den großen Persönlichkeiten der Elektrotechnik zählte. 1883 von Hermann Aron für die Produktion seines »Aron-Zählers« gegründet, nahm die Firma 1923 auch die Produktion von Rundfunkgeräten auf. Mit dem Verkauf an ein Tochterunternehmen von Siemens erfolgte 1935 die »Arisierung«. Trotz Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg konnte das Unternehmen an seine früheren Erfolge nicht mehr anknüpfen.

Beschreibung

erbaut: 1956-57
Architekt: Siegfried Fehr
Ausführung: Siemens Bauunion GmbH

Der Bau des neuen Verwaltungsgebäudes der Heliowatt AG erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen, nicht zuletzt infolge der Zwangsenteignung in der NS-Zeit, den Höhepunkt seiner Geschichte bereits überschritten hatte. Das Gebäude wurde nach Plänen des Berliner Architekten Siegfried Fehr als Stahlbeton-Skelettbau mit Flachdach ausgeführt. Die Fenster der oberen fünf Geschosse des sechsgeschossigen Gebäudes sind zwischen vertikalen Betonbändern angeordnet, die Brüstungsfelder dazwischen mit roten Klinkern ausgefacht. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz.

In der Mitte der 1950er Jahre konnte das Unternehmen auf eine mehr als 70-jährige Geschichte zurückblicken. Gründer des Unternehmens war der Physiker Hermann Aron (1845-1913), der seit 1880 als Professor an der Berliner Gewerbeakademie und an der Universität Berlin lehrte und Gründungsmitglied des Berliner Elektrotechnischen Vereins (ETV) war. Aron entwickelte den ersten brauchbaren Gleichstromzähler, für den ihm im Juni 1884 ein Patent (DRP 30 207) erteilt wurde. Bei dem mit zwei gleichen Uhren bestückten »Pendelzähler« war eines der Pendel mit einem Permanentmagneten belegt, unter dem eine Spule angeordnet war, durch die der Verbrauchsstrom floss, so dass der Gang dieser Uhr entsprechend den verbrauchten Ampèrestunden beeinflusst wurde. Die Menge des verbrauchten Stroms konnte dann aus der Zeitdifferenz zwischen den beiden Uhren berechnet werden. Für die Produktion der Zähler gründete Hermann Aron 1883 in Berlin-Tiergarten die H. Aron Elektrizitätszähler-Fabrik GmbH. Als nach 1891 die Versorgung mit Wechsel- und Drehstrom zunahm, wurden auch für die Messung dieser Stromarten entsprechende Zählertypen entwickelt. In den Jahren 1899-1900 ließ die Firma nach Plänen des Architekten Th. Reimann jr. eine neue, inmitten von Wohnbauten gelegene Fabrikanlage in der Wilmersdorfer Straße im damaligen Berliner Vorort Charlottenburg errichten. Über zwei Durchfahrten in dem zur Straße hin gelegenen fünfgeschossigen Verwaltungsgebäude konnte man die drei Innenhöfe mit den Produktionsgebäuden erreichen.

Hermann Aron hatte durch seine vielseitigen Interessen, auch auf dem Gebiet der drahtlosen Telegrafie, die Grundlagen für ein weiteres Geschäftsfeld der Firma gelegt, das allerdings erst zehn Jahre nach seinem Tod aufgebaut werden konnte. 1923 begann die Firma mit der Produktion von Radiogeräten, die unter dem Namen »Nora«, einer Verkehrung des Namens Aron, auf den Markt kamen. Dank der Erfahrungen im Zählerbau, der zum großen Teil auch aus feinmechanischen Arbeiten bestand, konnten fast alle Bauteile im eigenen Haus produziert werden. Lediglich die Elektronenröhren wurden von anderen Firmen bezogen. Mit den soliden und preisgünstigen Apparaten konnte sich die 1926 in  Nora Radio GmbH umbenannte Tochterfirma einen Umsatzanteil von knapp 8% am deutschen Markt des Rundfunkempfänger-Geschäftes sichern und lag damit auf dem dritten Platz hinter Telefunken und der  Radio H. Mende & Co.

Mit dem Jahr 1933 begann, wie für alle mehrheitlich in jüdischem Besitz befindliche Unternehmen, auch für die Nora Radio GmbH eine Zeit der Restriktionen und Repressionen. Die Umbenennung in den neutralen Namen Heliowatt Elektrizitäts-AG schützte nicht vor antisemitischen Anfeindungen, und 1935 sahen sich die Eigentümer gezwungen, das Unternehmen an eine Tochterfirma der Siemens & Halske AG zu verkaufen. Das Verwaltungsgebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, während die fünfgeschossigen Fabrikbauten in den Innenhöfen weitgehend erhalten blieben. Bereits 1945 wurde das Unternehmen in West-Berlin als Heliowattwerke GmbH wieder neu gegründet. Mit den vorhandenen Mitteln wurden zunächst Elektrizitätszähler und Rundfunkgeräte repariert sowie Aufträge für die  Bewag ausgeführt. Vermutlich kam auch 1947 die Produktion des ersten Nachkriegs-Radiomodells in Gang. Zwar steuerte das nun als Heliowatt AG firmierende Unternehmen in den frühen 1950er Jahren einige grundlegende Entwicklungen zur Fernsehtechnik bei, konnte jedoch trotz aller Anstrengungen nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen.

1955 beschloss die Unternehmensleitung, sich auf die Herstellung von Elektrizitätszählern und Schaltuhren zu konzentrieren. Nach der kompletten Übernahme durch die Siemens & Halske AG 1956 und den Weiterverkauf an die Bergmann Elektricitäts-Werke AG verblieb die Radio- und Fernsehgeräteproduktion noch bei Siemens. Ende der 1950er Jahre wurden die Herstellung dieser Geräte und ihr Vertrieb unter dem Markennamen »Nora« jedoch eingestellt. Zunächst unter dem Dach von Bergmann, später dann in Regie unterschiedlicher Eigentümer und Investoren wurden weiterhin hochwertige Geräte der Mess- und Regelungstechnik hergestellt. Im Herbst 1996 fiel dann angesichts der internationalen Konkurrenz und des Preisverfalls auf dem Sektor elektrotechnischer Messgeräte die Entscheidung, das Werk an der Wilmersdorfer Straße stillzulegen. Damit endete eine mehr als hundertjährige Geschichte.
 
Informationsstand: 22.07.2015
Schlagworte: Elektroindustrie; Geschichte der Elektro- und Informationstechnik; Automation; Informations- und Kommunikationstechnik (IKT); Messtechnik
Stichworte: Siegfried Fehr; Siemens-Bauunion GmbH; Heliowatt AG; Verwaltungsgebäude; Elektrotechnischer Verein; ETV; Hermann Aron; Berliner Gewerbeakademie; Universität Berlin; H. Aron Elektrizitätszähler-Fabrik GmbH; Gleichstromzähler; Patent; Pendelzähler; Charlottenburg; drahtlose Telegrafie; Radiogerät; Nora; Nora Radio GmbH; Rundfunkempfänger; Elektronenröhre; Zählerbau; Telefunken; Radio H. Mende & Co.; Heliowatt Elektrizitäts-AG; Antisemitismus; Siemens & Halske AG; Heliowattwerke GmbH; Th. Reimann jr.; Fernsehtechnik; Elektrizitätszähler; Schaltuhr; Bergmann Elektricitäts-Werke AG

Quelle(n)

  • Joseph Hoppe, Aron-Nora-Heliowatt. Ein Kapitel Berliner Rundfunkgeschichte; in: Deutsches Technikmuseum Berlin 15(1999), Heft 1, S. 8-9
  • Thorsten Dame, Elektropolis Berlin. Architektur- und Denkmalführer, Berlin 2014
  • Helmut Lindner, Hermann Aron (1845-1913); in: Kurt Jäger / Friedrich Heilbronner, Lexikon der Elektrotechniker, 2. Aufl., Berlin / Offenbach 2010, S. 28
  • Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Denkmaldatenbank, Eintrag 09096488
  • Eintrag auf de.wikipedia.org/wiki/Heliowatt (abgerufen am 24.06.2015)


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