Die zwischen 1927 und 1929 in Regie der Siemens & Halske AG erbaute und von ihr finanzierte S-Bahnstrecke Jungfernheide - Gartenfeld (auch als »Siemensbahn« bezeichnet) diente der Bewältigung des mit dem Wachstum der Werksanlagen in Berlin-Siemensstadt enorm gestiegenen Personenverkehrs und dokumentiert den bedeutenden Stellenwert, den der Siemens-Standort auch für die Verkehrs-Infrastruktur von Berlin hatte.
Beschreibung
erbaut: 1928-29
Bauherr: Siemens & Halske AG, Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft
Architekt: Hans Hertlein
Mit Aufbau und Wachstum der neuen Werksanlagen des Siemens-Konzerns im Gelände zwischen Spandau und Charlottenburg entstand seit der Wende zum 20. Jahrhundert in dem später als »Siemensstadt« bezeichneten neuen Stadtteil eine große Zahl neuer Arbeitsplätze. Bis 1924 wuchs die Zahl der Beschäftigten auf 45.000, von denen nur rund 2.000 in Siemensstadt selbst wohnten. Mit den Mitte der 1920er Jahre in Angriff genommenen Erweiterungsbauten wuchs die Zahl der Pendler weiter an. Somit entwickelte sich der Berufsverkehr von und nach Siemensstadt zu einer logistischen Herausforderung, denn die vorhandenen Verkehrsmittel hatten, auch bei einer Staffelung des Arbeitsbeginns über zwei Stunden hinweg, die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht.
Um nach Siemensstadt zu gelangen, waren die Arbeiter und Angestellten auf zwei Hauptverkehrsverbindungen angewiesen. Zum einen konnten sie die Straßenbahn entlang Siemensdamm und Nonnendammallee benutzen, zum anderen stand die dampfbetriebene Vorortbahn vom Lehrter Bahnhof nach Spandau zur Verfügung, die mit dem Bahnhof »Fürstenbrunn« auf der südlichen Spreeseite einen Haltepunkt am Rande des Industriestandortes Siemensstadt hatte. Eine weitere Alternative bestand darin, vom S-Bahnhof Jungfernheide aus in einem rund halbstündigen Fußmarsch die Werksanlagen zu erreichen.
Der Siemens-Konzern entschloss sich daher 1925, den Bau einer Stichbahn von dem am nördlichen Ringbahnabschnitt gelegenen Bahnhof Jungfernheide nach Gartenfeld in eigener Regie zu errichten und zu finanzieren. Für die 4,7 km lange Strecke wurden 15 Mio. Reichsmark veranschlagt. Um nach Fertigstellung einen einheitlichen Betrieb der Berliner S-Bahn zu gewährleisten, wurden der Bahnkörper und alle mit diesem fest verbundenen Anlagen mit Betriebsbeginn der Deutschen Reichsbahn übereignet.
Mit dem Bau der Strecke wurde im Herbst 1927 begonnen. Die Baumaßnahme war zwar ein Gemeinschaftunternehmen von Siemens und Reichsbahn, die Bauleitung lag jedoch in den Händen der Bauabteilung von Siemens. Die Tiefbauarbeiten führte im Wesentlichen die Siemens-Bauunion aus, für die architektonische Gestaltung der Bauten zeichnete »Siemens-Hausarchitekt« Hans Hertlein verantwortlich.
Zur Anbindung der Stichbahn wurde der Bahnhof Jungfernheide umgebaut. Als Haltepunkte entstanden die neuen Stationen »Wernerwerk«, »Siemensstadt« und »Gartenfeld«. Nordwestlich des Bahnhofs Jungfernheide überquerte die Bahnstrecke die Spree und wurde dann auf einem 800 m langen Viadukt aus Blechträgerbrücken mit einem Stützenabstand zwischen 15 und 29 m über das Werksgelände und über den Siemensdamm geführt (Foto 1). Integriert in diesen Abschnitt wurde der unmittelbar am Siemensdamm gelegene Bahnhof Wernerwerk. Nach Überquerung des Popitzweges verlief die Strecke auf einer Dammschüttung weiter, überquerte auf Stahlbeton-Bogenbrücken Jungfernheideweg, Quellweg und Lenther Steig (Foto 4) und erreichte kurz darauf die über den Rohrdamm gelegte Station Siemensstadt. Von dort aus setzte sich die Streckenführung fort in nordwestlicher Richtung weiter zum Bahnhof Gartenfeld.
Die neue S-Bahnlinie wurde am 18. Dezember 1929 in einem feierlichen Akt im Beisein des Firmenchefs Carl Friedrich von Siemens und des Reichsbandirektors Julius Dorpmüller feierlich eingeweiht. Die normale Zugfolge von 10 bzw. 20 Minuten konnte während der Spitzenzeiten des Berufsverkehrs auf bis zu zweieinhalb Minuten verdichtet werden.
Die während des Zweiten Weltkriegs weitgehend von Beschädigungen verschont gebliebene Strecke diente zwischen 1945 und 1948 auch dem Güterverkehr, nachdem die vom Bahnhof Ruhleben ausgehende Siemens-Güterbahn durch die Zerstörung der Spreebrücke vom Bahnverkehr abgeschnitten worden war.
Infolge des Baus der U-Bahnstrecke U7 und der Zunahme des Individualverkehrs mit der verkehrsgünstigen Anbindung des Siemensdamms an die Stadtautobahn gingen die Beförderungszahlen auf der »Siemensbahn« seit den 1960er Jahren immer weiter zurück. Im September 1980 wurde die Strecke von der für den Westberliner S-Bahnbetrieb zuständigen DDR-Reichsbahn ersatzlos eingestellt. Seitdem liegt die unter Denkmalschutz stehende Strecke still. Außer den Bahnhöfen und den erwähnten Brückenbauwerken ist noch die Fachwerkträger-Brücke (Foto 5) der ehemaligen Spreequerung erhalten, wobei der Verlauf der Spree in diesem Flussabschnitt nach Stilllegung der Strecke abgeändert wurde.
Informationsstand: 22.07.2015
Schlagworte: Elektroindustrie; Mobilität; Verkehrsmanagement; Geschichte der Elektro- und Informationstechnik
Stichworte: Carl Friedrich von Siemens; Julius Dorpmüller; Siemens & Halske AG; Hans Hertlein; Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft; Siemensbahn
Quelle(n)
- Dirk Winkler, 70 Jahre Siemensbahn Jungfernheide - Gartenfeld; in: Verkehrsgeschichtliche Blätter 26(1999), Heft 6
- Landesdenkmalamt Berlin, Denkmalliste Berlin (Stand: 16.04.2013), Nr. 09085803