Wasserkraftwerk Merkenbach_Bild2
2012 Norbert Gilson
25.02.2020

Wasserkraftwerk Merkenbach

Papiermühle, 35745 Herborn Lahn-Dill-Kreis 

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik

Das Wasserkraftwerk Merkenbach, das mit rund 2 MW elektrischer Leistung größte Kraftwerk der Kraftwerksgruppe am Rehbach, einem Nebenfluss der Dill, ging 1929 in Betrieb. Seine besondere technikgeschichtliche Bedeutung besteht darin, dass hier 1930 erstmals in Europa die Fernsteuerung von Kraftwerksanlagen eingerichtet wurde. 

Beschreibung


erbaut: 1928-29
Bauherr: Hessen-Nassauische Überlandzentrale GmbH
Ausführung: Siemens-Schuckertwerke AG

Das im Rehbachtal - einem Zufluss zur Dill - gelegene Kraftwerk Merkenbach wurde als kubischer Stahlbetonbau mit Flachdach und Verblendung mit rotbraunen Klinkern errichtet. Auf der einen Seite des Gebäudes (in Foto 1 links, in Foto 2 vorne sowie Foto 4) befindet sich der an den drei Außenseiten mit hohen Rechteckfenstern versehene und mit zwei Maschinensätzen ausgestattete Kraftwerksraum. Auf der anderen Seite befindet sich die Schalt- und Umspannanlage (in Foto 1 rechts sowie Foto 3 vorne) mit Sammelschienen und Transformatoren. Beide Gebäudeteile werden durch einen Mittelteil verbunden, der, als schlauchartiger Gang ausgebildet, als Eingangstrakt und Aufenthaltsraum für die Maschinisten fungierte.

Die Turbinen in Merkenbach erhalten ihr Aufschlagswasser aus einem unmittelbar unterhalb des Kraftwerks Guntersdorf gelegenen Speicherbecken von rund 25.000 cbm Fassungsvermögen (Fotos 5 und 6), und zwar auf indirektem Wege. Vom Speicherbecken aus wird das Wasser über eine rund 5,5 km lange Hangrohrleitung zunächst einem oberhalb des Kraftwerks gelegenen Wasserturm zugeführt und gelangt von dort aus weiter über eine 1,5 km lange Druckrohrleitung zum Merkenbacher Krafthaus. Es wird dadurch ein Gefälle von 149 m ausgenutzt. Bei den beiden Turbinen handelt es sich um Francis-Spiralturbinen mit horizontaler Achse und einer Leistung von jeweils 1.300 PS (= 956 kW) bei einer Drehzahl von 1.000 U/min. Die Stromerzeuger sind Asynchron-Drehstromgeneratoren der Siemens-Schuckertwerke AG mit Leistungen von jeweils 1.400 kVA (bei cos phi = 0,6 entsprechend 840 kW). Mit dem Maschinensatz I ist eine Erregermaschine direkt verbunden, die die Erregung für beide Maschinensätze übernimmt und starr mit der Turbinenwelle gekuppelt ist.

Die Wasserkraftanlage insgesamt konnte früher als Pumpspeicheranlage betrieben werden. Zu diesem Zweck war unterhalb des Kraftwerks Merkenbach ein Ausgleichsbecken (Fassungsvermögen 29.000 cbm) angelegt worden, in dem das abfließende Betriebswasser gesammelt wurde. Außerdem war der Maschinensatz II dazu über eine ausrückbare Kupplung mit einer - heute nicht mehr vorhandenen - zweistufigen Hochdruckkreiselpumpe verbunden, die zu Schwachlastzeiten im Überlandnetz in Betrieb genommen wurde und das Wasser aus dem Merkenbacher Ausgleichsbecken in das Speicherbecken beim Kraftwerk Guntersdorf zurückpumpte (Näheres siehe bei der Beschreibung zum Wasserturm).

Einen Meilenstein der Technikgeschichte platzierte das Kraftwerk Merkenbach im Jahre 1930. Hier soll die europäische Premiere für die Fernsteuerung von Kraftwerksanlagen stattgefunden haben. Seit diesem Zeitpunkt werden alle Betriebsfunktionen in Merkenbach von dem sieben Kilometer weit entfernten Kraftwerk Guntersdorf (damals „Kraftwerk Roth”) aus überwacht und reguliert. Beim Start der Maßnahme umfasste die Fernüberwachung die Fernsteuerung der Turbinen, Generatoren und der Pumpe, die Fernmessung von Spannung, Wirk- und Blindleistung, die Lagerüberwachung, die Fernübertragung von Schalter- und Schützstellungen sowie die Pegelstandüberwachung des Ober- und Unterwassers.

Bauherr des Wasserkraftwerks war die Anfang 1913 vom Hessisch-Nassauischen Hüttenverein gegründete Hessisch-Nassauische Überlandzentrale GmbH, deren Kapital 1925 vom Bezirksverband Wiesbaden, einer Selbstverwaltungskörperschaft der Kreise des Regierungsbezirks, übernommen wurde, ihren Namen jedoch beibehielt. 1957 ging das Unternehmen an die  Elektrizitäts-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland (EAM) über, deren Nachfolgerin schließlich E.ON wurde.
 
Informationsstand: 15.05.2015
Schlagworte: Elektrizitätserzeugung; Speicherwasserkraftwerke; Stromerzeugung; Energie; Energy
Stichworte: Hessen-Nassauische Überlandzentrale GmbH; Rehbach; Dill; Kraftwerk Merkenbach; Stahlbetonbau; Speicherbecken; Hangrohrleitung; Wasserturm; Druckrohrleitung; Francis-Spiralturbine; Asynchron-Drehstromgenerator; Siemens-Schuckertwerke AG; Erregermaschine; Pumpspeicheranlage; Ausgleichsbecken; Hochdruckkreiselpumpe; Schwachlastzeit; Fernsteuerung; Hessisch-Nassauischer Hüttenverein; Bezirksverband Wiesbaden; Elektrizitäts-Aktiengesellschaft Mitteldeutschland; EAM; E.ON

Quelle(n)

  • Rainer Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2. Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Entsorgung, Bochum 1977
  • Bedienungsloses Speicherkraftwerk. (Merkenbach); in: Siemens-Zeitschrift 9(1929), Heft 10, S. 645

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