Die langwierige Gründungsgeschichte des Rostocker Elektrizitätswerks ist typisch für viele größere Städte, die bereits über ein florierendes Gaswerk verfügten. Die Sorge um einen Rentabilitätsverlust des städtischen Gaswerks bei Einführung der elektrischen Beleuchtung verzögerte eine Entscheidung für mehrere Jahre, so dass erst vehementen öffentlichen Drucks bedurfte, um den Bau einer Gleichstromzentrale einzuleiten.
Beschreibung
erbaut: 1899-1900
Planung / Bauleitung: Georg Klingenberg
Bauherr: Stadtbauamt Rostock
Seit 1890 wurde in Rostock über den Bau eines städtischen Elektrizitätswerks diskutiert. Es dauerte jedoch acht Jahre, bis die Planungen in die Realisierungsphase übergingen. Der Hauptgrund für die Verzögerung lag darin, dass die Stadtverordneten eine Konkurrenz für die florierende, 1856 gegründete städtische Gasanstalt befürchteten. Gegen Ende der 1890er Jahre ließen sich aber die vehementen Forderungen der Rostocker Geschäftswelt nach Einrichtung einer Stromversorgung nicht mehr ignorieren. Die zur Entscheidung über die konkrete Ausführung des zu errichtenden Elektrizitätswerks eingesetzte Kommission übertrug im November 1898 dem berühmten Kraftwerksplaner und Vorstandsmitglied der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), Georg Klingenberg, die Ausarbeitung eines Projektes, das er im Mai 1899 vorlegte. Vermutlich durch seine Vermittlung erhielt die AEG den Zuschlag für die elektrotechnische Ausrüstung der Anlage. Der Auftrag für den maschinentechnischen Teil ging dagegen an die Vereinigte Maschinenfabrik Augsburg und Maschinenbau-Gesellschaft Nürnberg (seit 1908 unter dem Namen Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG firmierend). Grund dafür war die Entscheidung, für den Antrieb der Dynamos keine Dampfmaschinen, sondern Gasmotoren zu verwenden, wobei der Gasbedarf beim städtischen Gaswerk gedeckt wurde.
Das Gleichstromkraftwerk ging Anfang Dezember 1900 ans Netz. An das insgesamt 27,5 km lange Verteilungsnetz waren damals rund 6.000 Glühbirnen und 41 Elektromotoren mit einer Gesamtanschlussleistung von 507 kW angeschlossen. Bereits 1904 musste das Kraftwerk im Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Rostocker Pferdebahn und erneut 1909 erweitert werden, nachdem es jeweils an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gestoßen war. Im Geschäftsjahr 1910/11 betrug die Stromabgabe mehr als 1,6 Mio. kWh. Ein nochmaliger Ausbau der innerstädtischen Anlage war jedoch nicht mehr möglich, so dass zur Deckung des weiter schnell wachsenden Bedarfs ein neues Drehstromkraftwerk im späteren (seit 1919) Rostocker Stadtteil Bramow an der Warnow (1998 abgerissen) errichtet wurde. Das Kraftwerk in der Bleicherstraße blieb noch bis 1923 in Betrieb und wurde dann stillgelegt. Die vorhandenen Stromerzeugungsanlagen wurden demontiert, jedoch diente es weiterhin als Umformerstation für den aus Bramow bezogenen Strom.
Das Verwaltungsgebäude war im Stil der Neorenaissance gestaltet worden. An die übergiebelte Fassade der Eingangsfront in der Bleicherstraße wurde ein polygonaler Turm angelehnt, die andere Schaufassade zur Ernst-Barlach-Straße hin ist durch Erker akzentuiert. Erhalten geblieben sind auch Teile des ehemaligen Maschinenhauses. Nach der Stilllegung beherbergte das ehemalige Verwaltungsgebäude unter anderem die Zählereichstation. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente es als Verwaltungssitz für verschiedene Unternehmen der Energieversorgung, so zu Beginn der 1990er Jahre für die Hanseatische Energieversorgung AG Rostock (Hevag). Unter ihrer Regie wurde das Gebäude in den Jahren 1992/93 aufwendig saniert. 1999 ging die Hevag zusammen mit anderen mecklenburgischen und brandenburgischen Elektrizitätsversorgern in der neu gegründeten e.dis Energie Nord AG auf, die nach mehreren Namensänderungen seit Juli 2013 als E.DIS AG firmiert.
Informationsstand: 30.06.2013
Schlagworte: Elektrizitätserzeugung
Stichworte: Georg Klingenberg; Stadtbauamt Rostock; Rostock; Gasanstalt; Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft; AEG; Vereinigte Maschinenfabrik Augsburg und Maschinenbau-Gesellschaft Nürnberg; Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg AG; MAN; Gasmotor; Gleichstromkraftwerk; Rostocker Pferdebahn; Drehstromkraftwerk; Bramow; Umformerstation; Verwaltungsgebäude; Neorenaissance; Maschinenhaus; Zählereichstation; Hanseatische Energieversorgung AG Rostock; Hevag; Sanierung; e.dis Energie Nord AG; E.DIS AG
Quelle(n)
- Volker Rödel, Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland. Bd. 2. Neue Länder, Berlin / Stuttgart 1998
- Ingo Sens, Rostock als Kraftwerksstandort. Chronik des Steinkohlekraftwerks. Ein Beitrag zur Technikgeschichte der Region, Rostock 2000
- Ingo Sens, Geschichte der Energieversorgung in Mecklenburg und Vorpommern von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum Jahr 1990, Rostock 1997
- Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V. (Hrsg.), Von Warnemünde bis Rügen. Tips für Technik-Trips, (TechnikTouren, Nr. 20), Ostfildern o.J.