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2011 Norbert Gilson
12.02.2021

Norddeutsche Seekabelwerke AG

Kabelstraße, 26954 Nordenham

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik
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Die Norddeutsche Seekabelwerke AG, eine Tochtergesellschaft der Felten & Guilleaume Carlswerk AG, entwickelte sich vor dem Ersten Weltkrieg zu einem führenden Unternehmen der Herstellung und Verlegung von Telegrafen- und Fernsprech-Seekabeln und ist auch heute noch, nach mehr als 100-jähriger Tätigkeit, in bedeutender Position auf dem Kabelmarkt präsent.

Beschreibung


erbaut: 1899 / 1905 / 1911-12 / 1928
Architekt: unbekannt

Die Gründung der Norddeutschen Seekabelwerke AG (NSW) geht auf die Initiative von zwei Kölner Unternehmen zurück. Zum einen hatte die Felten & Guilleaume Carlswerk AG, einer der um 1890 führenden Hersteller von Telegrafenkabeln, auf Initiative des Generalpostmeisters Heinrich von Stephan damit begonnen, verschiedene Betriebsgesellschaften für Seetelegrafenkabel zu gründen, um ein deutsches transatlantisches Kabelnetz aufzubauen. In der Mitte der 1890er Jahre reifte der Entschluss, eine eigene Kabelfabrik speziell für Seekabel aufzubauen.

Die gleiche Idee verfolgte Franz Clouth, Inhaber der Kölner Gummiwarenfabrik Clouth Gummiwerke AG und Verfasser eines grundlegenden Werks über Gummi und Guttapercha, eines Materials, das für die Isolation solcher Kabel unverzichtbar war. 1898 gründete Clouth die Land- und Seekabelwerke AG, die auch die Fabrikation von Guttaperchakabeln aufnehmen sollten. Auf der Suche nach einem geeigneten Fabrikstandort, der unmittelbar Zugang von See her hatte, kamen Emden und Nordenham in die engere Wahl. Die Entscheidung fiel schließlich zugunsten des damals rund 2.000 Einwohner zählenden Ortes Nordenham, gelegen in der Wesermündung gegenüber von Bremerhaven.

Noch während des Aufbaus der ersten Anlagen in Nordenham trat - wohl auf Drängen der Reichspost- und Telegrafenverwaltung - die Felten & Guilleaume Carlswerk AG in Verhandlungen mit Franz Clouth, um den Aufbau von zwei konkurrierenden Unternehmen zu verhindern. Es kam zu einer Übereinkunft, so dass im Mai 1899 die Norddeutsche Seekabelwerke AG gegründet werden konnte. Das Aktienkapital von 2 Millionen Mark, das bis 1902 auf 6 Millionen Mark erhöht wurde, übernahmen je zur Hälfte das Carlswerk und die Deutsch-Atlantische Telegraphengesellschaft, die im Februar 1889 zur Verlegung eines Überseekabels von Emden über die Azoren nach New York ins Leben gerufen worden war. Clouth überließ der neuen Gesellschaft das Grundstück in Nordenham einschließlich der bereits errichteten Bauten sowie eines in England bestellten Kabeldampfers. Franz Clouth trat in den Aufsichtsrat ein und der Betriebsleiter der Land- und Seekabelwerke AG, Ernst Diederichs, wurde erster Direktor.

Außer den Einrichtungen zur eigentlichen Kabelherstellung - Litzenfabrik, Glüherei, Guttapercha-Wäscherei, Aderfabrik mit Guttapercha-Presserei und -Löterei, Bewehrungshalle mit Drahtteererei - wurden umfangreiche Prüfeinrichtungen zur Druck- und Isolationsprüfung, zur elektrischen Messung von Dämpfung und Wellenwiderstand sowie ein chemisches Laboratorium installiert. Als Nebenbetriebe waren eine Schreinerei sowie eine Elektro- und eine mechanische Werkstatt vorhanden. 1911/12 kam eine eigene Kraftzentrale (Foto 6) mit drei Dampfkesseln von 15 atü und je 325 qm Heizfläche sowie mit drei Dampfturbinen und Gleichstromgeneratoren von zusammen 855 kW Leistung hinzu. Das 1905 errichtete Verwaltungsgebäude (Fotos 1 und 2) und das Eingangsgebäude mit Pförtnerloge (Foto 3) wurden als Backsteinbauten mit Elementen von Jugendstil und Neoklassizismus gestaltet. Die ehemalige Konsumanstalt wurde später zur Kantine (Fotos 4 und 5) umgestaltet.

1904 konnte das erste große, von der NSW gefertigte, fast 8 km lange, aus hochreinem Kupfer bestehende und mit Guttapercha isolierte Seekabel verlegt werden. Es führte, wie bereits 1899 geplant, von Borkum über die Azoren nach New York. Verlegt wurde das Kabel von den beiden eigenen, 1900 und 1903 in Dienst gestellten Kabeldampfern »von Podbielski« und »Stephan«. Bis 1914 stellte das Unternehmen Seekabel in einer Gesamtlänge von mehr als 40.000 km her und verlegte sie mit eigenen Schiffen. Der Ausgang des Ersten Weltkriegs bedeutete für das Unternehmen zunächst schwere Verluste. Laut Versailler Vertrag mussten die Kabelschiffe samt den noch darin lagernden Kabeln an die Alliierten abgeliefert werden. Die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Deutsch-Atlantische Telegraphengesellschaft verkaufte 1921 ihr Aktienkapital, so dass die Felten & Guilleaume Carlswerk AG nunmehr die alleinige Muttergesellschaft war. Im März 1931 beteiligte sich die Siemens & Halske AG an dem Unternehmen, indem sie die Hälfte des Aktienkapitals erwarb.

Gemeinsam mit dem Mutterkonzern, am Ende der 1920er Jahre auch zusammen mit den Bell Telephone Laboratories, wurden die Herstellungstechniken von Kabeln und speziell von Seekabeln weiterentwickelt. 1925 wurden Versuche mit der Verlegung von Pupin-Seekabeln angestellt und ein Jahr später erfolgte die Verlegung des ersten großen deutschen Pupin-Fernsprech-Seekabels zwischen Deutschland und Dänemark. Als Pupinkabel bezeichnet man die - aufgrund einer Erfindung von Michael Pupin aus dem Jahre 1894 - in gewissen Abständen mit Selbstinduktionsspulen versehenen Kabel, die als Induktivitäten die durch die Kabelkapazität gegebene Dämpfung kompensieren und so größere Übertragungslängen ohne Verstärkung ermöglichten. 1925 erhielt die NSW den Auftrag zur Herstellung und Verlegung des Schnelltelegraphenkabels zwischen Borkum und den Azoren. Die Besonderheit bei diesem Kabel bestand darin, dass es sich um ein Krarupkabel (bei dem die feinen Kupferleiter mit einem dünnen Eisendraht zur Erhöhung der Selbstinduktion und damit Verminderung der Dämpfung umwickelt sind) handelte, bei dem statt der Eisendrähte solche aus dem neuartigen Legierungsmaterial Chrom-Permalloy verwendet wurden, durch deren hohe Anfangspermeabilität die Selbstinduktion noch weiter erhöht werden konnte.

Im Ganzen ging das Geschäft mit der Verlegung von Seekabeln in den 1920er Jahren jedoch zurück. Als Konsequenz dieser Entwicklung richtete man 1928 eine Bleikabelfabrik ein, um auch normale Fernsprechkabel herstellen zu können. Einen großen Fortschritt bedeutete die Entwicklung des Styroflex in der Zeit zwischen 1932 und 1935, eines Isoliermaterials für Seekabel auf Polystyrolbasis. Verbunden damit war die Einführung der Kunststoff-Extrusionstechnik. 1940 konnte das erste Styroflex-Bandwendelseekabel zwischen Cuxhaven und Helgoland im Auftrag der Deutschen Reichspost verlegt werden. Aus den Erfahrungen der Kunststoffverarbeitung entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein zweiter Produktionsschwerpunkt neben den Kabeln in der Herstellung von Verpackungs- und Oberflächenschutznetzen aus Kunststoff.

In den 1980er Jahren war die NSW außerdem an der Entwicklung der ersten Glasfaser-Seekabel beteiligt und entwickelte sich zu einem der führenden Unternehmen auf diesem Gebiet. Parallel zum Aufbau der Offshore-Windenergieparks in der Nordsee stieg das Unternehmen auch in die Herstellung von Energie-Seekabeln ein, die unter anderem bei der Energieversorgung der Insel Helgoland und bei der Anbindung der Offshore-Windparks »alpha ventus« vor Borkum und »BARD Offshore 1« zur Anwendung kamen.
 
Informationsstand: 22.07.2015
Schlagworte: Elektroindustrie; Leiterwerkstoffe, Supraleitung; Werkstoffe; Industry
Stichworte: Norddeutsche Seekabelwerke AG; NSW; Felten & Guilleaume Carlswerk AG; Telegrafenkabel; Generalpostmeister; Heinrich von Stephan; Seetelegrafenkabel; transatlantisches Kabelnetz; Kabelfabrik; Franz Clouth; Gummiwarenfabrik; Köln; Gummi; Guttapercha; Land- und Seekabelwerke AG; Guttaperchakabel; Nordenham; Wesermündung; Clouth Gummiwerke AG; Deutsch-Atlantische Telegraphengesellschaft; Überseekabel; Azoren; New York; Kabeldampfer; Ernst Diederichs; Reichspost- und Telegrafenverwaltung; Deutsche Reichspost; Litzenfabrik; Glüherei; Guttapercha-Wäscherei; Aderfabrik; Guttapercha-Presserei; Guttapercha-Löterei; Bewehrungshalle; Drahtteererei; Druckprüfung; Isolationsprüfung; Dämpfung; Wellenwiderstand; Schreinerei; Elektrowerkstatt; mechanische Werkstatt; Kraftzentrale; Dampfkessel; Dampfturbine; Gleichstromgenerator; Verwaltungsgebäude; Pförtnerloge; Backsteinbau; Jugendstil; Neoklassizismus; Konsumanstalt; Kantine; Bell Telephone Laboratories; Pupin-Seekabel; Pupin-Fernsprech-Seekabel; Selbstinduktionsspule; Schnelltelegraphenkabel; Borkum; Krarupkabel; Eisendraht; Chrom-Permalloy; Bleikabelfabrik; Styroflex; Polystyrolbasis; Kunststoff-Extrusionstechnik; Styroflex-Bandwendelseekabel; Kunststoffverarbeitung; Glasfaser-Seekabel; Offshore-Windenergiepark; Energie-Seekabel; Helgoland; alpha ventus; BARD Offshore 1
 

Quelle(n)

  • Volker Rödel, Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland. Bd. 1. Alte Länder, Stuttgart 1992
  • Norddeutsche Seekabelwerke Nordenham (Hrsg.), 50 Jahre. 1899 - 1949. Norddeutsche Seekabelwerke Nordenham, o.O. [1949]

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