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2015 Norbert Gilson
06.04.2021

Astra-Werke AG

Altchemnitzer Straße  41, 09120 Chemnitz 

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik

Die Geschichte der 1919 gegründeten Astra-Werke AG ist typisch für Unternehmen, die auf der Basis von feinmechanischer Produktion in den frühen 1960er Jahren in die Entwicklung und Fertigung von Elektronikbauteilen, elektronischen Rechen- und Buchungsautomaten sowie von kleineren bis mittleren elektronischen Datenverarbeitungsanlagen einstiegen. Wie auch bei mehreren westdeutschen Firmen dieser Branche, war auch bei den Betrieben der DDR die Produktion zu teuer und konnte mit der zunehmend aufstrebenden ostasiatischen Konkurrenz nicht mithalten.

Beschreibung


erbaut: 1928-29
Architekt: Willi Schönefeld

Nach Tätigkeiten in den USA und bei der Chemnitzer Wanderer-Werke AG als Konstrukteur von Addiermaschinen gründete der aus Hamburg stammende John E. Greve 1919 in Chemnitz einen eigenen Betrieb. In den USA hatte Greve die Idee eine Maschine mit dem Zehntastensystem kennengelernt. Bei den Wanderer-Werken war er mit dieser Konstruktionsidee auf Ablehnung gestoßen, da man hier auf die herkömmlichen Addiermaschinen mit Volltastatur (jede Dezimalstelle verfügte über zehn Tasten von 0 bis 9) setzte. In der Chemnitzer Werkstatt arbeitete Greve mit einem Konstrukteur und zwei Mitarbeitern eine Addiermaschine mit Einfachtastatur (mit nur zehn Zifferntasten) aus. Beim Verarbeiten von Zahlen brauchte nicht mehr auf deren Stellenzahl oder Wert geachtet zu werden, die Wertstellung erfolgte vielmehr vollkommen selbsttätig. Diese Maschinen mit Zehnertastatur waren leicht verständlich handhabbar.

Die 1921 vorgestellte Mustermaschine »Modell A« erweckte das Interesse von Investoren, mit deren Hilfe Greve im gleichen Jahr eine Spezialfabrik für schreibende Schnelladdier- und Subtrahiermaschinen als Aktiengesellschaft unter dem Namen Astra-Werke AG gründen konnte. Ab 1923 wurde das »Modell A« in Serie gefertigt. Zu den Kunden gehörten Reichs- und Landesbehörden, unter anderem das Reichsfinanzministerium. Durch ständige konstruktive Verbesserungen entstanden weitere Modelle. 1926 kam mit dem »Modell C« eine Saldiermaschine auf den Markt, die auch negative Zahlen verarbeiten konnte. Die Weiterentwicklung, das mit zwei Zählwerken ausgestattete »Modell D«, war die Basis für die folgende Konstruktion einer Buchungsmaschine. Die Astra-Werke AG entwickelte sich zum Marktführer in Europa auf dem Sektor der Rechenmaschinen. Aufgrund der hervorragenden Absatzlage richtete das Unternehmen Verkaufsniederlassungen in vielen europäischen Ländern und in Südamerika ein.

1928 beauftragte das Unternehmen den Werkbund-Architekten Willy Schönefeld mit dem Entwurf eines neuen Produktionsgebäudes. Es entstand ein hochmoderner, betont sachlich gestalteter sechsgeschossiger Stahlbetonskelettbau. Die im Erscheinungsbild großflächig verglasten Fassaden sind lediglich durch die schmalen Brüstungen und Stützen der Konstruktion gegliedert. Das obere Geschoss ist leicht zurückgesetzt. Den Produktionsräumen wurde ein flacherer Verwaltungsbau an der Ecke Altchemnitzer Straße / Wilhelm-Raabe-Straße vorgesetzt. Ein Teil der rückwärtigen Produktionsgebäude wurde in den 1990er Jahren abgerissen, während der Verwaltungsbau unter Denkmalschutz gestellt und aufwendig saniert wurde. Die neue, in den Jahren 1937/38 erweiterte Produktionsstätte erlaubte eine Fertigung nach den Grundsätzen der Fließfertigung. Die einzelnen Etagen waren durch elektrische Lastenaufzüge miteinander verbunden. An die Materialannahme schloss sich zunächst die Stanzerei an, in der die Rohlinge für die vielen kleinen Einzelteile entstanden, die in den folgenden Werkstätten mit Hilfe eigens hergestellter Lehren hochpräzise bearbeitet und montiert wurden. Der Endmontage folgte eine ausgiebige Kontrolle, in der alle Mechanismen der Maschinen eingehend überprüft wurden.

Mit der Vorstellung einer neuen vollautomatischen Buchungsmaschine mit einem Saldierwerk und 16 Speicherwerken auf der 8. Internationalen Büromaschinenausstellung im September 1934 in Berlin erreichte die Astra-Werke AG erneut einen entscheidenden Vorsprung gegenüber der Konkurrenz. Die neue Buchungsmaschine trug mit dazu bei, dass die Folgen der Weltwirtschaftskrise mit einer Abnahme der Belegschaft auf nur noch 166 Beschäftigte schnell überwunden werden konnte und die Beschäftigtenzahl wieder über 600 stieg. Mit einer ab 1936 gefertigten Buchungsmaschine mit eingebauter Adler-Schreibmaschine konnten Kontoauszüge, Lieferscheine, Lohn- und Gehaltsabrechnungen, Versandlisten und Lagerlisten erstellt werden. Als Konzession an das NS-Regime wurde auf einem neu erworbenen Grundstück in Chemnitz eine neue Fertigungsstätte eingerichtet. In dieser Spezialfabrik für Feinmechanik wurden, während des Krieges unter Einsatz von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen, Zubehörteile für die kriegswichtige Flugzeug- und Schiffbauindustrie, später auch ein Kleinkalibergewehr hergestellt. 1944 erreichte die Beschäftigtenzahl mit rund 2.650 Mitarbeitern ihren Höchststand.

Nach Kriegsende kam die Astra-Werke AG zunächst unter Treuhandverwaltung und wurde 1948 als »Volkseigener Betrieb« verstaatlicht. Der Firmengründer John E. Greve verließ Chemnitz und versuchte in Düsseldorf bei der Exacta Büromaschinen GmbH einen Neuanfang. Die ehemalige Astra-Werke AG wurde nach vorübergehender Zusammenlegung mit der Büromaschinenabteilung der Wanderer-Werke seit 1954 als VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt fortgeführt. Nachdem Greve in einem Prozess Schadensersatzforderungen bei der weiteren Verwendung des Markennamens »Astra« durchgesetzt hatte, wurden die Produkte seit Ende 1959 unter dem Warenzeichen »Ascota« vertrieben. Aufbauend auf den langjährigen Erfahrungen wurden die Buchungsmaschinen in Chemnitz weiterentwickelt. Zum Erfolgsmodell wurde das Modell »Klasse 170«, die bis 1983 in mehr als 330.000 Exemplaren hergestellt und weltweit exportiert wurde. Zu den Abnehmern gehörten vor allem auch Vertriebsfirmen aus der BRD und aus dem übrigen Westeuropa.

Nachdem 1964 der DDR-Ministerrat die Entwicklung von Kleindatenverarbeitungsanlagen beschlossen hatte, begann in Chemnitz die Zeit der Fertigung elektronischer Buchungsautomaten. Erfahrungen auf dem Gebiet der Elektronik hatte man bereits mit der Entwicklung von Zusatzgeräten für Multiplikation und Kopplungseinrichtungen für Lochbandausgabe für die Buchungsmaschine »Klasse 170« auf Röhrenbasis und seit Anfang der 1960er Jahre auf Grundlage der Transistortechnik gemacht. Jedoch nahm die Einführung neuer Geräte zu viel Zeit in Anspruch, so dass die Konkurrenz aufholte und der Absatz in der BRD und in Westeuropa zunehmend einbrach. Die Versuche, mit Kombinatsbildungen effizientere Wirtschaftsstrukturen zu schaffen, brachten für den VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt 1969 die Integration in das Kombinat Zentronik. Mit der Produktion von Elektronischen Buchungsautomaten und Kleindatenverarbeitungsanlagen für das Segment der »Mittleren Datentechnik« brach für das Buchungsmaschinenwerk eine neue Ära an. Anfang der 1970er Jahre erreichte die Belegschaftszahl mit mehr als 10.300 Mitarbeitern einen neuen Höchststand. Die neue Gerätetechnik führte jedoch nicht zu den erhofften Exporterfolgen. Mit einer Lizenz der Olivetti SpA wurde ab 1976 eine elektrische Kleinschreibmaschine produziert. Das mikroprozessorgesteuerte Datenerfassungsgerät »daro 1370/71« erwies sich zwar als sehr zuverlässig, war jedoch in der Herstellung zu teuer.

Mit der Auflösung des Kombinats Zentronik wurden dessen Betriebe dem Kombinat Robotron zugeordnet und die Chemnitzer Produktionsstätte firmierte jetzt unter VEB Robotron Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt. Anfang der 1980er Jahre verließen die ersten Bürocomputer, Serien »A 5120« und »A 5130«, in 8-bit-Technik das Werk. Mit der Produktion der ersten Serie eines Floppy-Disk-Laufwerks mit 5,25" und 250 kB Speicherkapazität wurde das Buchungsmaschinenwerk auch zum Zulieferer für andere Kombinatsbetriebe. Mit dem 16-bit-PC »EC 1834« begann 1986 der Einstieg in die zweite PC-Generation. Nach der Wende wurde das Buchungsmaschinenwerk in eine Aktiengesellschaft unter dem Namen Robotron Ascota AG umgewandelt und produzierte Taschendiktiergeräte und Personal Computer mit Baugruppen aus Taiwan. Als mit der Währungsunion der Handel mit den osteuropäischen Wirtschaftspartnern weitgehend zum Erliegen kam, war das Schicksal des Unternehmens besiegelt. Zwischen Oktober 1991 und Juni 1993 erfolgten schließlich Liquidation und Auflösung.

Informationsstand: 10.02.2018
Schlagworte: Elektroindustrie; Informations- und Kommunikationstechnik (IKT); Informationstechnik; Geschichte der Elektro- und Informationstechnik
Stichworte: Wanderer-Werke AG; Addiermaschine; John E. Greve; Chemnitz; Zehntastensystem; Volltastatur; Einfachtastatur; Modell A; Astra-Werke AG; Reichsfinanzministerium; Modell C; Saldiermaschine; Modell D; Buchungsmaschine; Rechenmaschine; Werkbund-Architekt; Willy Schönefeld; Produktionsgebäude; Stahlbetonskelettbau; Verwaltungsbau; Fließfertigung; Lastenaufzug; Materialannahme; Stanzerei; Endmontage; Endkontrolle; Saldierwerk; Speicherwerk; Weltwirtschaftskrise; Spezialfabrik für Feinmechanik; Zweiter Weltkrieg; Zwangsarbeiter; KZ-Häftling; Kriegsproduktion; Flugzeugindustrie; Schiffbauindustrie; Kleinkalibergewehr; Volkseigener Betrieb; Düsseldorf; Exacta Büromaschinen GmbH; VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt; Astra; Ascota; Klasse 170; Kleindatenverarbeitungsanlage; elektronischer Buchungsautomat; Kombinatsbildung; Zentronik; Olivetti SpA; elektrische Kleinschreibmaschine; Datenerfassungsgerät; daro 1370/71; Robotron; VEB Robotron Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt; Bürocomputer; A 5120; A 5130; 8-bit-Technik; Floppy-Disk-Laufwerk; 16-bit-PC; EC 1834; Robotron Ascota AG

Quelle(n)

  • Günther Jornitz, Astra/Ascota-Büromaschinen von 1921 - 1991 in Chemnitz; in: Friedrich Naumann (Hrsg.), Mit Chemnitz ist zu rechen. Von der Rechenmaschine zum Supercomputer. Begleitband zur Sonderausstellung, Chemnitz 2012, S. 33-41
  • Winfried Schäfer, Zur Geschichte des VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt; in: Friedrich Naumann (Hrsg.), Mit Chemnitz ist zu rechen. Von der Rechenmaschine zum Supercomputer. Begleitband zur Sonderausstellung, Chemnitz 2012, S. 43-50
  • Jürgen Flämig, John E. Greve - Gründer der ASTRA Werke AG; in: Chemnitzer Roland. Vereinsspiegel für Heimat, Brauchtum, Geschichte, Kunst 1(1994), Heft 1, S. 13
  • Astrawerke Aktiengesellschaft Chemnitz. Spezialfabrik für Addier- und Buchungsmaschinen; in: Stätten deutscher Arbeit 11(1936), S. 136-146
  • Volker Rödel, Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland. Bd. 2. Neue Länder, Berlin / Stuttgart 1998
  • Tilo Richter / Hans-Christian Schink (Fotografien), Industriearchitektur in Chemnitz 1890 - 1930, 2. Aufl., Leipzig 1995
  • John Zukowsky (Hg.), Architektur in Deutschland 1919 - 1939. Die Vielfalt der Moderne, München / New York 1994
  • Liste der technischen Denkmale in Chemnitz, Nr. 09202222 (de.wikipedia.org/wiki/ListedertechnischenDenkmaleinChemnitz)

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