TH Dresden (Starkstrom-_Hochspannungstechnik)_01
2016 Norbert Gilson
17.08.2022

TH Dresden (Starkstrom- und Hochspannungstechnik)

Mommsenstraße, 01069 Dresden

Kontakt
VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik

Die Errichtung der großzügig ausgestatteten Hochspannungshalle der Technischen Hochschule Dresden am Ende der 1920er Jahre verdeutlicht den Stellenwert, den dieses Fachgebiet der Elektrotechnik im Laufe der 1920er Jahre erlangt hatte.

Beschreibung


erbaut: 1928-30, 1953-54 (Wiederaufbau und Erweiterung)
Konzeption / Architekt: Ludwig Binder / Karl Wilhelm Ochs (Wiederaufbau)

Als 1905 der Neubau des »Elektrotechnischen Instituts« der Technischen Hochschule Dresden eröffnet wurde, war dort auch bereits ein für Hochspannungsversuche eingerichteter Raum vorhanden. Mit den schnellen Fortschritten in der Starkstromtechnik bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren diese Versuchseinrichtungen zu Beginn der 1920er Jahre völlig unzureichend, so dass dringend eine zeitgemäße Ausbildungs- und Forschungsstätte benötigt wurde. Im Umfeld der Jahrhundertfeier der Technischen Hochschule Dresden im Jahre 1928 signalisierten die sächsischen Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Betriebe der Elektroindustrie, durch Spendengelder ein „Versuchsfeld für höchste Spannungen” zu finanzieren. Damit wurden in den Jahren 1928 bis 1930 als Kernstück des neuen Instituts für »Starkstrom- und Hochspannungstechnik« die neue Hochspannungshalle und im unmittelbaren Anschluss an diese ein Freiluftversuchsfeld errichtet.

Initiator des Neubaus war Ludwig Binder (1881-1958), der im September 1919 sein Amt als ordentlicher Professor für »Elektromaschinenbau und Hochspannungstechnik« an der TH Dresden angetreten hatte. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule München und 15-jähriger Tätigkeit bei der Siemens-Schuckertwerke GmbH (SSW) in Berlin war er kurz zuvor als ordentlicher Professor für »Elektrische Maschinen« an die Technische Hochschule Darmstadt berufen worden, bevor der den Ruf nach Dresden annahm. Binder hatte sich bei SSW mit der Erforschung von Einschaltvorgängen und Wanderwellen in Freileitungen und Kabeln beschäftigt und wichtige Beiträge zur Berechnung des Kontaktwiderstandes von Hochspannungsschaltgeräten geliefert. Auf ihn geht die »Bindersche Schleifenmethode« zur Messung sehr schnell veränderlicher Vorgänge zurück, wie sie etwa bei Wanderwellen auftreten und für die damals der Oszillograf noch nicht zur Verfügung stand. 1928 wurde Binder Direktor des an der TH Dresden neu gegründeten Instituts für »Elektromaschinenbau und Elektrische Anlagen«, das 1931 in Institut für »Starkstrom- und Hochspannungstechnik« umbenannt wurde. Seine Erforschung der Wanderwellen, die vor allem nach Blitzeinschlägen in Hochspannungsleitungen unangenehme Folgewirkungen hatten, trug wesentlich zur Verbesserung der Wirksamkeit von Schutzgeräten und Erdern sowie zur wirksameren Erprobung der Stoßfestigkeit von Isolierstoffen bei.

Mit der Inbetriebnahme der Hochspannungshalle, die in ganz Deutschland als mustergültig galt, stand ein erstklassiges Laboratorium für Hochspannungsversuche zur Verfügung. Die 45 m lange, 21 m breite und 20 m hohe Halle ermöglichte ein Arbeiten mit Wechselspannungen bis zu 2 Millionen Volt gegen Erde und mit Stoßspannungen, die ein Mehrfaches dieses Wertes betragen konnten. Für Versuche mit noch höheren Spannungen stand das Freiluftversuchsfeld mit einer Ausdehnung von 60 x 100 m zur Verfügung. Als günstigste Ausführungsform der Hochspannungshalle bot sich ein fensterloses Gebäude an, wobei die Belichtung der Halle über ein verglastes Walmdach erfolgte. Für die Halle wurde eine Stahlskelettkonstruktion gewählt, die mit 38 cm starken Backsteinwänden ummauert wurde. Um das Äußere der Halle gegen störende Wirkungen der Hochspannungen abzuschirmen, wurden die Mauern unter Putz mit einem Drahtgewebe belegt. Die Halle wurde mit einem Laufkran von 15 t Nutzlast ausgerüstet. Der Kran erwies sich vor allem hinsichtlich der Durchführung der verschiedensten Versuche als sehr vorteilhaft. Um die Versuchsaufbauten möglichst flexibel handhaben zu können, wurde auf den Einbau fester Versuchsstände verzichtet. Der für einen bestimmten Versuch dienende Aufbau konnte mit Hilfe des Krans dann jeweils entsprechend zusammengesetzt werden. Die einzelnen Module waren jeweils mit eigenen Einrichtungen versehen, mit denen die benötigte Spannung, Stromart und Frequenz erzeugt werden konnte. Die Schaltungen blieben bei einer Versetzung unverändert, lediglich die Hausanschlüsse (2,2 kV Gleichstrom und 380 V Drehstrom) mussten umgesteckt werden. An einer der Längsseiten der Halle war in der Mitte das zentrale Schaltpult angebracht, von dem aus der Kran, die Verdunklungsvorrichtung und die künstliche elektrische Beleuchtung gesteuert werden konnten.

Anfang 1934 war der vom Verband Sächsischer Elektrizitätswerke gestiftete und von der Dresdener Transformatorenfabrik Koch & Sterzel gebaute Transformator für 1 Millionen Volt betriebsbereit. Er war in drei Stufen von jeweils 335 kV schaltbar und hatte eine Gesamtleistung von 600 kVA. Geregelt wurde die Spannung durch einen Schubtransformator, ebenfalls von Koch & Sterzel, der vom zentralen Schaltpult gesteuert wurde. Oberspannungsseitig wurde der Haupttransformator über eine schwenkbar angeordnete Kugelfunkenstrecke mit 1 m Kugeldurchmesser gespeist. Für das Hochspannungspraktikum und für die Forschungsaufgaben stand eine umfangreiche Ausrüstung zur Verfügung, bestehend aus einer Schering-Messbrücke, Anlagen zur Erzeugung hoher Gleichspannung, Stoßspannung und Hochfrequenz, Wanderwellenleitungen sowie ein auf Binders Anregung am Institut entwickelter Kathodenstrahl-Oszillograf, eines der ersten leistungsfähigen Geräte dieser Art. Der Oszillograf war in einen Transportwagen fahrbar eingebaut, so dass er auch im Freiluftversuchsfeld eingesetzt werden konnte.

Nach der Zerstörung der Halle bei dem schweren Luftangriff auf Dresden im Februar 1945 erfolgte bis 1952 der Wiederaufbau. Geleitet wurde er von Ludwig Binder, Architekt war der Dresdener Hochschullehrer Karl-Wilhelm Ochs, der in den 1960er Jahren auch die Entwürfe für die Elektrotechnik-Neubauten der Technischen Universität Berlin lieferte. Im Zuge der Benennung der Bauten der TH Dresden nach bedeutenden Hochschullehrern erhielt der Institutsbau mit der Hochspannungshalle 1953 den Namen »Binder-Bau«.
 
Informationsstand: 28.03.2017
Schlagworte: Elektrotechnik; Studium, Beruf, Gesellschaft; Studium
Stichworte: Ludwig Binder; Karl Wilhelm Ochs; Elektrotechnisches Institut; Technische Hochschule Dresden; Hochspannungsversuch; Starkstromtechnik; Erster Weltkrieg; Elektrizitätsversorgungsunternehmen; Elektroindustrie; Spendengelder; Institut für Starkstrom- und Hochspannungstechnik; Hochspannungshalle; Freiluftversuchsfeld; TH Dresden; Siemens-Schuckertwerke GmbH; SSW; Technische Hochschule Darmstadt; Elektrische Maschinen; Einschaltvorgang; Wanderwelle; Freileitung; Hochspannungsschaltgerät; Bindersche Schleifenmethode; Oszillograf; Institut für Elektromaschinenbau und Elektrische Anlagen; Institut für Starkstrom- und Hochspannungstechnik; Blitzeinschlag; Hochspannungsleitung; Schutzgerät; Erder; Stoßfestigkeit; Isolierstoffe; Walmdach; Stahlskelettkonstruktion; Backsteinwand; Abschirmung; Drahtgewebe; Laufkran; Verdunklungsvorrichtung; Verband Sächsischer Elektrizitätswerke; Transformatorenfabrik; Koch & Sterzel; Schubtransformator; Kugelfunkenstrecke; Schering-Messbrücke; Gleichspannung; Stoßspannung; Hochfrequenz; Wanderwellenleitung; Kathodenstrahl-Oszillograf; Dresden; Wiederaufbau; Binder-Bau

Quelle(n)

  • Ludwig Binder, Das Hochspannungsversuchsfeld der Technischen Hochschue Dresden; in: Elektrotechnische Zeitschrift 55(1934), Heft 20, S. 481-483
  • Der Rektor der Technischen Hochschule Dresden (Hrsg.), 125 Jahre Technische Hochschule Dresden. Festschrift, Berlin 1953
  • Fritz Liebscher / Werner Klaus (Hrsg.), Gebäude und Namen. Technische Universität Dresden, Dresden [1978]
  • Dorit Petschel [Bearb.], Die Professoren der TU Dresden 1828 - 2003, Köln / Weimar / Wien 2003
  • Reiner Pommerin, Geschichte der TU Dresden 1828 - 2003, Köln / Weimar / Wien 2003
  • Kurt Jäger / Friedrich Heilbronner, Lexikon der Elektrotechniker, 2. Aufl., Berlin / Offenbach 2010


Bilder

Karte

Das könnte Sie auch interessieren