Wasserkraftwerk Farchau_Bild1
2016 Norbert Gilson
25.02.2020

Wasserkraftwerk Farchau

Am Kanal, 23911 Schmilau 

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VDE Ausschuss Geschichte der Elektrotechnik

Das in der Mitte der 1920er Jahre errichtete Wasserkraftwerk Farchau ist nicht nur ein seltenes Beispiel für die in Norddeutschland nur spärlich vorhandenen Wasserkraftwerke, es steht auch für den nach dem Ersten Weltkrieg umfangreich begonnenen Ausbau der Wasserkräfte zur Stromerzeugung und ist auch mit seiner Architektur ein herausragendes Dokument des damaligen Entwicklungsstandes im Kraftwerksbau.

Beschreibung


erbaut: 1924-26 / 1982 (Modernisierung)
Bauherr: Lauenburgische Landeskraftwerke AG
Betreiber:  HanseWerk Natur GmbH

Bereits 1909, vor der Elektrifizierung des Kreises Herzogtum Lauenburg durch das kreiseigene gegründete Überlandleitungs-Unternehmen, gab es die Idee, den Höhenunterschied von etwa 30 m zwischen dem Schaalsee und dem Küchensee zur Stromerzeugung auszunutzen. Dazu wurde bereits konkret geplant, das südöstlich von Ratzeburg gelegene Schaalseegebiet mit dem Küchensee unmittelbar bei Ratzeburg durch einen etwa 6 km langen Kanal zu verbinden. Wegen der hohen Kosten entschloss sich der Kreis jedoch, das Projekt eines eigenen Kraftwerks nicht zu verwirklichen und den Strom für sein Versorgungsunternehmen, die Überlandleitung des Kreises Herzogtum Lauenburg, stattdessen vom Lübecker Dampfkraftwerk zu beziehen.

Infolge des nach dem Ersten Weltkrieg herrschenden Kohlenmangels setzte man im Deutschen Reich auf den planmäßigen Ausbau der Wasserkräfte. So wurden auch in Ratzeburg die Vorkriegsplanungen wieder aufgegriffen und eine neue Projektierung erstellt. Die Kreisvertretung beschloss im April 1923 das gewagte Projekt des Schaalsee-Kraftwerks. Zur Entnahme von Wasser aus dem Schaalsee und Einleitung in den Küchensee mussten Verträge mit dem benachbarten Herzogtum Mecklenburg-Strelitz und mit der bis 1937 eigenständigen Stadt Lübeck (1937 in die preußische Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert) geschlossen werden. Für den Bau und Betrieb des Kraftwerks gründete der Kreis im Februar 1924 die Lauenburgische Landeskraftwerke AG, in die auch die Überlandleitung des Kreises Herzogtum Lauenburg eingebracht wurde. Im Winter 1923/24 begannen die Bauarbeiten an dem 15 m breiten und 2 bis 2,50 m tiefen Schaalseekanal. Das Kraftwerk wurde in der Zeit von Januar bis Dezember 1925 errichtet und ging 1926 ans Netz.

Die bauzeitliche Ausrüstung bestand aus zwei Francis-Turbinen von J. M. Voith, die über ein 146 m langes Druckrohr vom Einlaufbauwerk aus mit Wasser beaufschlagt wurden. Mit diesen waren jeweils ein Drehstromgenerator (725 kVA Leistung bei cos phi = 0,65, entsprechend rund 500 kW) mit Erregermaschine der Siemens-Schuckertwerke gekoppelt. Die ursprünglichen Regler wurden später ersetzt, als der Betrieb des Kraftwerks auf Fernsteuerung umgestellt wurde. 1982 wurde einer der Maschinensätze aus den 1920er Jahren durch einen modernen mit einer Leistung von 1,6 MW ersetzt.

Zum 1. Januar 1938 wurde das Kraftwerk von der 1929 gegründeten Schleswig-Holsteinische Stromversorgungs-Aktiengesellschaft (Schleswag) übernommen. Zu dieser Zeit deckte das Kraftwerk rund 60% des Jahresbedarfs des Kreises Herzogtum Lauenburg, der Rest wurde von Lübeck bezogen. Das Kraftwerk wurde als Spitzenlastkraftwerk eingesetzt, das als Stundenspeicher eine Leistungsspitze von 1.000 kW abdecken konnte. Heute liefert die Anlage mit der alten und der modernisierten Maschine rund 700.000 kWh jährlich ins Netz. Das Kraftwerk dient nicht nur zur Stromerzeugung, es hat auch eine wichtige Funktion für die Regulierung der Wasserstände des Sees.

Das Kraftwerksgebäude ist ein auf rechteckigem Grundriss errichteter Baukubus mit hohem Walmdach. Die in rotem Backstein gehaltene, mit flachen Lisenen gegliederte Fassade wird von großen Tür- und Fensteröffnungen beherrscht. Das Kraftwerk wird heute von der 2014 aus der E.ON Hanse Wärme GmbH hervorgegangenen HanseWerk Natur GmbH, einem Tochterunternehmen der HanseWerk AG, betrieben. Am Eingangstor zur Einfahrt in das Kraftwerksgelände hat sich noch der Schriftzug des langjährigen Vorbesitzers, der Schleswag, erhalten.
 
Informationsstand: 09.08.2017
Schlagworte: Elektrizitätserzeugung; Laufwasserkraftwerke; Stromerzeugung; Energie; Energy
Stichworte: Elektrifizierung; Kreis Herzogtum Lauenburg; Überlandleitungs-Unternehmen; Schaalsee; Küchensee; Stromerzeugung; Ratzeburg; Überlandleitung des Kreises Herzogtum Lauenburg; Lauenburgische Landeskraftwerke AG; HanseWerk Natur GmbH; Erster Weltkrieg; Kohlenmangel; Herzogtum Mecklenburg-Strelitz; Lübeck; Provinz Schleswig-Holstein; Schaalseekanal; Francis-Turbine; J. M. Voith; Druckrohr; Drehstromgenerator; Erregermaschine; Siemens-Schuckertwerke GmbH; Regler; Schleswig-Holsteinische Stromversorgungs-Aktiengesellschaft; Schleswag; Spitzenlastkraftwerk; Stundenspeicher; Walmdach; Backsteinbau; Lisene; E.ON Hanse Wärme GmbH; HanseWerk AG

Quelle(n)

  • Rainer Slotta, Technische Denkmäler in der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2. Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung, Entsorgung, Bochum 1977
  • Sven Bardua, Renaissance der alten Stromerzeuger. Wasserkraft in Mecklenburg und Holstein; in: industrie-kultur, 1999, Heft 1, S. 12-13
  • Schleswig-Holsteinische Stromversorgungs-Aktiengesellschaft (Hrsg.), 25 Jahre Schleswag, Rendsburg 1954
  • Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V. (Hrsg.), Zwischen Lübeck, Rostock und Schwerin. Tips für Technik-Trips, (TechnikTouren, Nr. 15), Frankfurt am Main 1993

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