Mann mit VR-Brille
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09.11.2018 Kurzinformation

Mixed Reality: Mehr als Pokémons jagen

Die Verbindung von realer und virtueller Welt eröffnet vielfältige Möglichkeiten: Digitale Zwillinge testen Prozesse, Augmented Reality hilft bei Produktion und Wartung. Und auch in der Medizin gibt es Einsatzfelder.

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Beim Begriff virtuelle Realität schießen wohl den meisten Menschen zunächst Bilder von Computerspielern durch den Kopf, die sich als Avatare durch künstliche Welten bewegen. Oder Menschen, die mit ihrem Smartphone seltsame Pokémons jagen. Doch die Verknüpfung von wirklicher und virtueller Welt kann mehr als nur dem Zeitvertreib dienen. Einsatzmöglichkeiten entsprechender Technologien finden sich auf vielen Feldern – zum Beispiel in der Industrie, der Medizintechnik oder im Straßenverkehr.

Digitale Zwillinge gelten als einer der zehn aktuellen Technologietrends. Dabei werden mit Softwaresystemen virtuelle Abbilder von realen Maschinen und Anlagen in den Produktionshallen erzeugt, die dann reale Prozesse testen – etwa die Projektierung einer Maschinensteuerung. Auch die komplette Inbetriebnahme einer Fertigungslinie kann auf diese Weise vorab virtuell vorgenommen und auf Fehler untersucht werden. In den Unternehmen finden sich noch weitere Anwendungsfelder, etwa in der Produktentwicklung oder im Aftersales-Bereich.

Unternehmen wie Siemens beispielsweise arbeiten innerhalb ihrer Elektronikfertigung mit digitalen Zwillingen. Aber auch Autobauer wie Porsche nutzen die Möglichkeiten der Technologie, um die realen Produktionsabläufe mit dem digitalen Abbild zu vergleichen. So lassen sich Qualitätsschwankungen frühzeitig erkennen.

Abgleich zwischen Realität und 3D-Modell

Die Automotive-Industrie ist ohnehin eine Branche, die neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen ist und früh versucht, diese für sich zu nutzen. So lässt sich dort etwa auch beobachten, welchen Nutzen Augmented Reality (AR) in der Industrie bringen kann. Zum Beispiel testet Autobauer BMW in einem Pilotprojekt eine Datenbrille, um die Kommunikation zwischen Qualitätsprüfern und Entwicklungsingenieuren zu verbessern. Dabei geht es um die Prüfung von Vorserienfahrzeugen. Dank Google Glass reichern die Mitarbeiter ihre Berichte mit Fotos und Videos an. Das macht die Problembeschreibungen für die Fachabteilungen anschaulicher und konkreter.

Eine andere industrielle Anwendung ist der Konsistenz-Check zwischen Realität und 3D-Modell. Mithilfe von AR-Systemen lassen sich digitale 3D-Daten, die zum Beispiel im CAD-System hinterlegt sind, mit realen Objekten abgleichen, die von der Kamera erfasst werden. So kann der Produktionsplaner zum Beispiel sehen, ob sich ein neuer Pkw auf der alten Linie produzieren lässt. Auch bei der Instandhaltung kommen AR-Geräte zum Einsatz: Servicetechniker werden zum Beispiel mit einem Tablet-Computer wie von einem Navigationssystem durch die Werkhalle geführt. Dank der Software kann ein defekter Roboter oder eine fehlerhafte Maschine ausfindig gemacht werden, das AR-System zeigt alle wartungsrelevanten Informationen an. Interessant ist dies vor allem für Maschinenbauer, die eine Fernwartung ihrer Maschinen durchführen wollen.

Augmented Reality als „Navigationshilfe“

Neben der Industrie gibt es noch weitere Branchen, für die die virtuelle Welt nützlich sein könnte. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung (IGD) haben gemeinsam mit Partnern zum Beispiel ein AR-System entwickelt, das Ärzten dabei hilft, Lymphknoten bei Krebspatienten zu entfernen. „Augmented Reality unterstützt den Arzt mithilfe von visuellen Markierungen während der Operation. Dabei wird die Position des Lymphknotens über eine AR-Brille virtuell eingeblendet“, erklärt Dr. Stefan Wesarg, Leiter der Abteilung Visual Healthcare Technologies am Fraunhofer IGD. „Die Technologie dient dem Arzt als Navigationshilfe: Wo muss ich schneiden? Habe ich alles Nötige herausgeschnitten?“

Noch ist vieles beim Thema Augmented Reality Zukunftsmusik oder befindet sich in einer Pilotphase. Das Potenzial der entsprechenden Technologien ist zwar riesig, aber um sie auf breiter Basis in der Fertigungsindustrie oder anderen Branchen nutzen zu können, gibt es noch einiges zu tun. Das gilt etwa für die Hardware. Die Datenbrillen erfüllen noch nicht alle Anforderungen. Sie müssen zum Beispiel robust genug sein, um den rauen Umgebungen in den Werkshallen standzuhalten. Außerdem muss an Funktionen wie zum Beispiel einem integrierten Eye-Tracking gearbeitet werden, damit die Projektion auf das Glas stets an die richtige Stelle gesetzt wird.

Experten, die mit der Technik arbeiten, sind sich allerdings einig, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis diese Probleme gelöst sein werden. Die Technologien entwickeln sich weiter und werden ausgereifter. Ziel der Anbieter ist dabei zwar vor allem der Consumer-Markt. Aber die Weiterentwicklungen werden auch den AR-Einsatz im professionellen Umfeld vorantreiben.

Der Beitrag ist im VDE dialog – Das Technologie-Magazin, Ausgabe 4/2018, erschienen. Der Autor Markus Strehlitz schreibt als freier Journalist hauptsächlich über Informationstechnologie.