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01.06.2013 Seite

Trends in der Diagnostik von Hochspannungs-Betriebsmitteln

1 Einführung

Der alternde Gerätepark und zustandsorientierte Instandhaltungsstrategien verlangen nach neuen diagnostischen Verfahren, um den Zustand der Betriebsmittel des Hochspannungsnetzes zuverlässig bestimmen zu können. Vor-Ort Diagnoseverfahren werden in on- und offline Methoden unterschieden [1]. Online Monitoringsysteme arbeiten kontinuierlich an dem am Netz befindlichen Betriebsmittel und erlauben dadurch die durchgehende Erfassung des Zustandes unter realen Betriebsbedingungen. Offline Diagnoseverfahren werden in bestimmten Zeitintervallen oder bei Bedarf, also wenn das Betriebsmittel schon fehlerverdächtig ist, angewandt. Viele dieser Diagnoseverfahren wurden zunächst für die Abnahmeprüfung im Prüffeld entwickelt und eingesetzt. Mit gewissen Adaptionen, die den besonderen Bedingungen vor-Ort Rechnung tragen, z. B. das Vorhandensein von Störern, können diese aber auch in der Schaltanlage angewendet werden.
Da unterschiedlicher Aufbau und Isolierstoffmaterialien mit unterschiedlichen Ausfallmechanismen auch verschiedene Überwachungstechniken bedingen, haben sich für die Betriebsmittel des elektrischen Energieversorgungsnetzes viele verschiedene Techniken herausgebildet. Es werden im Folgenden insbesondere neue diagnostische Verfahren für den Einsatz am Leistungstransformator beschrieben. Die Verbreitung und Akzeptanz dieser Verfahren ist von der Anwendung abhängig (Tabelle 1). Standardisierte Verfahren, die seit Jahrzehnten erfolgreich bei der Abnahmeprüfung im Prüffeld eingesetzt werden, lassen sich nur bedingt für das Betriebsmonitoring einsetzen, da vor-Ort andere Voraussetzungen als im Prüffeld (offsite) gelten. So wird z. B. bei der konventionellen Teilentladungsmessung gemäß IEC 60270 häufig vor-Ort ein anderer Frequenzbereich als im Prüf-feld ausgewählt, um den Einfluss von Störern zu verringernFehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden. Vielfach werden Prüffeldmessungen als Fingerprint für die spätere Beurteilung der vor-Ort Messung genutzt (z. B. FRA).

Tabelle 1: Diagnoseverfahren für Leistungstransformatoren

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Prof. Dr.-Ing. Stefan Tenbohlen

Für die Entwicklung und Anwendung der verschiedenen Diagnoseverfahren ist natürlich von großer Bedeutung wie häufig und aus welchen Gründen Betriebsmittel ausfallen. Ein Weg, die Fehlerrate zu reduzieren, ist die Auswertung von Fehlern, um die Wirkungsmechanismen zu verstehen und daraus Konsequenzen für Design und Betrieb abzuleiten. Vom Studienkomitee A2 (Leistungstransformatoren) der Cigré wurde 2008 eine Arbeitsgruppe „Transformer Reliability Survey“ ins Leben gerufen, die die bereits existierenden Methoden zur statistischen Erfassung und Auswertung von Transformatorenfehler sam-meln und bewerten soll. Auf Basis dieser Statistiken wurde eine Excel-basierte Form der Fehlererfassung entwickelt, die zur standardisierten Sammlung von Fehlerdaten verwendet werden kann [2], [3].

Mit dem entwickelten Verfahren wurde eine internationale Umfrage durchgeführt, die von 48 Energieversorgungsunternehmen aus 16 Ländern beantwortet wurde. Die untersuchte Transformatorpopulation umfasste in Summe mehr als 156.000 Transformatorjahre (Tabelle 2) und fast 1000 schwere Fehler aus den Jahren 1996 bis 2010. Die durchschnittliche Fehlerrate betrug 0,44% (Tabelle 2).


Tabelle 2: Ausfallraten Leistungstransformatoren [3]

 

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Bild 1: Fehlerorte Leistungstransformatoren (basierend auf der Auswertung von 751 schweren Fehlern)

Die Analyse der Fehlerorte (Bild 1) zeigt, dass im Vergleich zu früheren Statistiken der prozentuale Anteil der Isolationsfehler (innerhalb Wicklung, Ausleitung, Isolation zwischen den Schenkeln und zum Kessel) deutlich zugenommen hat. Um die Fehlerraten weiter zu reduzieren, muss die Diagnostik zukünftig insbesondere bei der Zustandsbestimmung des Aktivteils ansetzen. Der Anteil der durch den Stufenschalter verursachten Schäden ist deutlich zurückgegangen, was unter anderem auf den Einsatz neuerer Kontaktmaterialien zurückzuführen ist. Die Veröffentlichung der detaillierten Ergebnisse der Arbeitsgruppe wird für 2013 erwartet.

2 Messung und Bewertung von Teilentladungen

Teilentladungen können zu einer langsam fortschreitenden Schädigung des Isolationssystems und in letzter Konsequenz zu einem Totalausfall des Betriebsmittels führen. Sie dienen als Indikator für den Zustand eines Isolierstoffsystems. Messbar werden sie durch ihre Emissionen: elektrische und elektromagnetische Impulse, Schallwellen, Licht und chemische Zersetzungsprodukte.
Bei der elektrischen Messung bleiben Teilentladungsort und –ausbreitungsweg weitgehend unbekannt, weshalb sich die Fachwelt auf die "scheinbare Ladung" der Einzelimpulse einigte (IEC60270). Die Tatsache, dass die "scheinbare Ladung" trotz richtiger Kalibrierung keine direkte Auskunft über die tatsächliche Teilentladungsintensität der Fehlerstelle erlaubt, wird oft, vor allem in Norm-orientierten Werksabnahmeprüfungen vergessen. Kann der Größe der scheinbaren Ladung bei elektrisch einfachen Signalausbreitungswegen einer GIS oder eines Kabels noch eine Bedeutung beigemessen werden, so verliert sie ihre Aussagekraft besonders bei elektrisch komplexen Betriebsmitteln, z. B. einem Leistungs-transformator. Dieser grundlegende Nachteil bewegt heute Experten zu Aussagen wie "Messungen nach IEC60270 sollten nur als Ja/Nein Entscheidungen verwendet werden, ohne den Wert der scheinbaren Ladung zu berücksichtigen" und "Wichtig sind Änderun-gen und Trends" [4].

Wiederkehrende Diskussionen betreffen neben der Interpretation von Teilentladungsmus-tern vor allem die Erweiterung des elektrisch gemessenen Frequenzbereichs hin zu einigen 10 MHz und die Messung der elektromagnetischen Abstrahlung der Teilentladung im ultrahochfrequenten Bereich (UHF: 300 MHz – 3 GHz). Bei den Vorschlägen zur Erweiterung der oberen Grenzfrequenz bei Messungen nach IEC 60270 sollte berücksichtigt werden, dass bei großen Objekten, wie z. B. Leistungstransformatoren, die Empfindlichkeit für Teilentladung innerhalb der Wicklung im hohen Frequenzbereich stark reduziert ist. Bei Einsatz der UHF-Messtechnik handelt es sich nicht mehr um eine leitungsgebundenen Signalausbreitung sondern eine feldgebundenen Ausbreitung. Der Signalpegel an der UHF-Antenne ist von verschiedenen, teilweise unbekannten Parametern abhängig, wie Leitungsführung zur TE, Impulsform der TE, Ausbreitungsweg und Antennencharakteristik. Der immer wiederkehrende Versuch, die Messergebnisse im UHF-Bereich durch Referenzmessungen im niederfrequenten Bereich nach IEC60270 zu kalibrieren, ist damit prin-zipiell zum Scheitern verurteilt. Nicht berücksichtigt wird oft, dass die Kalibrierung nach IEC nur das Verhältnis von Prüflings- zu Koppelkapazität einbezieht. Der Einfluss des Ausbreitungsweges wird nicht beachtet und somit ist insbesondere bei großen Objekten die Auswertung der TE-Amplitude zu hinterfragen. Vor diesem Hintergrund ist die UHF-Messmethode hinsichtlich der Kalibrierung prinzipiell gegenüber der IEC60270 nicht im Nachteil.

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Bild 2: Kombination elektrischer und elektromagnetischer Teilentladungsmessung zum Gating externer Korona am Transformator

Die treibende Motivation hinter dem Messen bei hohen Frequenzen ist das Ausweichen vor den häufigen Störungen bei niedrigen Frequenzen, u.a. durch Leistungselektronik und Korona. Eine vielversprechende Antwort auf diese Frage scheint mit der UHF-Messtechnik gefunden zu sein. Beim Transformator wird ein UHF-Sensor über den Ölschieber eingeführt und misst die Entladungen in seinem Inneren, während gleichzeitig konventionelle niederfrequente Messungen an den Durchführungen (Bild 2) oder die akustische Messung mit Körperschallmikrofonen durchgeführt werden können. Nach einem "Gating" auf das UHF-Signal können Entrauschungsverfahren, die auf synchroner Mehrstellen- oder Mehrfrequenzmessung basieren (3PARD, 3FREQ), weiter die Messung für die kritischen internen Teilentladungen schärfen [5].

Die UHF-Messung hat Prinzip bedingt gegenüber der konventionellen Teilentladungsmes-sung nach IEC60270 den entscheidenden Vorteil, dass mit einem in den Transformatorkessel eingebrachten UHF Sensor durch die Faraday’sche Schirmwirkung des Kessels weitgehend nur UHF Signale von Teilentladungen detektiert werden, die aus dem Inneren des Transformators stammen. Somit ist die UHF Messung selektiv für das zu überwachende Betriebsmittel und weniger empfindlich für externe Störer wie beispielsweise Teilentladungen in benachbarten Betriebsmitteln oder Korona auf Sammelschienen und Freileitungen.

Trotz aller Fortschritte hinsichtlich der Messtechnik ist die Interpretation der Messergebnisse eines online TE-Monitoringssystems hinsichtlich der Frage, wie kritisch eine TE ist, häufig schwierig. Um eine automatische Analyse durch das TE-Monitoringsystem vornehmen zu lassen und damit eine Entscheidung über eine Abschaltung zu treffen, sind noch erhebliche weitere Forschungsaktivitäten notwendig [6].

3 Analyse der Frequenzantwort – FRA

Bei der Messung der Frequenzantwort hat sich in den letzten Jahren ein deutlicher Fortschritt hinsichtlich Stand und Akzeptanz der Technik eingestellt. Dieses Verfahren dient der Bestimmung der mechanischen Integrität eines Leistungstransformators. Eine Transformatorwicklung kann vereinfacht als Netzwerk aus Induktivitäten, Kapazitäten und Widerständen dargestellt werden. Dieses lineare und zeitinvariante System kann durch seine Transferfunktion eindeutig beschrieben werden. Kleine Verschiebungen der Wicklungsgeometrie führen zur Veränderungen der entsprechenden Kapazitäten und daher auch der Transferfunktion.

Dass die FRA die erforderliche Empfindlichkeit besitzt, um Wicklungsbeschädigungen zu detektieren, haben in der Vergangenheit zahlreiche Fälle belegt. Exemplarisch sei hier ein Fall genannt, bei dem eine Deformation der Regelwicklung der Phase A durch die Messung der End-to-End-Übertragungsfunktion detektiert werden konnte (Bild 3).

Beim sogenannten „conductor tilting“ ändert der Wicklungsdraht aufgrund einer impulsartigen Krafteinwirkung auf den Aktivteil (beispielsweise ausgelöst durch einen Kurzschluss) seine Ausrichtung und destabilisiert das Wicklungspaket (Bild 4).

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Bild 4: Deformierte Regelwicklung mit sogenanntem „conductor tilting“ (Verkippung des Wicklungsdrahts) [7]

Die Folge ist eine Herabsetzung der Kurzschlussfestigkeit und somit eine Erhöhung des Ausfallsrisikos. Sofern es bei diesem Fehlerbild nicht zu Teilentladungsvorgängen kommt ist diese Fehlerart mit anderen Diagnosemethoden als der FRA kaum erkennbar.

Für eine gesicherte Interpretation der Messergebnisse muss bei der Bestimmung der Übertragungsfunktion die Reproduzierbarkeit der Messergebnisse gewährleistet sein. So sind beim Messaufbau insbesondere die Kabelführung und die Erdungsverhältnisse von entscheidender Bedeutung. So fiel ein Vergleichstest innerhalb der Cigré Arbeitsgruppe A2.26 zunächst verheerend aus [7]. Heute aber kann der Anwender dieses Problem als gelöst betrachten. Im Markt befindliche Systeme verfügen meist über HF-fähige Anschlusstechnik. Schlussfolgernd ist dieses Verfahren letztes Jahr in der IEC 60076-18 genormt worden.

Wissenschaftliche Fortschritte erwartet der Nutzer aber noch in der objektiven Interpretati-on der FRA-Daten, denn hier ist die Abhängigkeit vom ggf. subjektiven Urteil einzelner Fachleute immer noch groß. Bisher existieren nur wenige Verfahren, die Anwender der FRA bei der Interpretation und Beurteilung von Messergebnissen unterstützen. Meist sind die bisherigen Ansätze herstellereigene Entwicklungen und Teil der proprietären Messgerätesoftware.

4 On-Line Monitoring elektrischer Betriebsmittel

In der Diagnostik elektrischer Betriebsmittel beobachtet man heute einen generellen Trend von der offline Messung (abgeschalteter Zustand) zur online Messung, also der Messung unter realen Betriebsbedingungen. Solche Systeme sind seit vielen Jahren etabliert und insbesondere für den Einsatz an strategisch wichtigen oder schwer zugänglichen Transformatoren sehr verbreitet. Es können sich anbahnende Transformatorschäden frühzeitig aufgedeckt werden und somit schwere Ausfälle vermieden werden. Zudem lässt sich ein fortschrittliches Life-Management des Betriebsmittels realisieren. Durch Kenntnis der Lebensgeschichte und des momentanen Zustandes des Transformators lässt sich eine hohe und kontrollierte Ausschöpfung der Restnutzungsdauer erreichen. Auch können im Bedarfsfall Hinweise gegeben werden, um durch gezielte Eingriffe die Nutzungsdauer zu verlängern.
Die große Herausforderung liegt aber in der sinnvollen Verdichtung und korrekten Analyse der anfallenden Messdaten. Das veranlasste die Cigré zur Gründung der Arbeitsgruppe A2.44, deren Fokus sich von der Frage "Wie messe ich?" weiterbewegt zu "Wie interpretiere ich?" und den bezeichnenden Namen "Intelligent Transformer Condition Monitoring" trägt.

5 Zusammenfassung

Durch erweiterte messtechnische Möglichkeiten und insbesondere breitere Anwendung neuer Techniken, wie z. B. FRA, dielektrische Messverfahren und unkonventionelle TE-Messung, machte die Diagnostik an Hochspannungs-Betriebsmitteln deutliche Fortschritte in Richtung einer zuverlässigen Zustandsbeurteilung. Zwar konnte die Brücke zwischen Messwert und dessen Interpretation noch nicht für jedes Verfahren gebaut werden, doch gibt es dafür positive Beispiele wie z. B. bei der Feuchtigkeit im Isoliersystem des Leisstransformators. Zukünftig werden nicht nur online Diagnoseverfahren stärker genutzt, sondern auch vermehrt in kontinuierlich arbeitenden Monitoringsystemen implementiert werden. Die dadurch entstehenden Erkenntnisgewinne werden die Auswerteverfahren zunehmend verfeinern, um eine noch zuverlässigere Aussage zum Zustand des Betriebsmit-tels machen zu können.

6 Literatur

[1] S. Tenbohlen, D. Uhde, J. Poittevin, H. Borsi, P. Werle, U. Sundermann, H. Matthes: “Enhanced Diagnosis of Power Transformers using on- and off-line Methods: Results, Examples and Future Trends”, paper 12-204, CIGRE, Paris, 2000
[2] Questionnaire of CIGRE WG A2.37 “Transformer Reliability Survey”, url: http://www.uni-stuttgart.de/ieh/wga237.html., last accessed: Sept., 2012
[3] S. Tenbohlen, J. Jagers et al.: „Transformer Reliability Survey - Interim Report“, Elec-tra, No.261, April 2012
[4] Diskussionsbeiträge zur Cigré WG D1.37 " Guidelines for basic and practical aspects of partial discharge detection using conventional (IEC60270) and unconventional methods"
[5] A. Kraetge et al.: "Modern de-noising strategies for PD measurements on transformers under challenging on-site conditions", Cigré A2-D1 Colloquium Kyoto, 2011
[6] M. Siegel, S. Kornhuber, M. Beltle, A. Müller, S. Tenbohlen, "Monitoring von Teilentla-dungen in Leistungstransformatoren," in Stuttgarter Hochspannungssymposium, Stutt-gart, 2012.
[7] P. Picher et al.: “Mechanical-Condition Assessment of Transformer Windings Using Frequency Response Analysis (FRA)”, Cigré Working Group A2.26, Technical brochure 342, 2008

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