Das Kabelwerk am ehemaligen Standort Berlin-Gartenfeld der Siemens-Schuckertwerke GmbH (SSW) ist vor allem bedeutend wegen seiner architektonischen Konstruktion, mit der der Architekt Karl Janich den Bedingungen der besonders flächenintensiven Kabelproduktion Rechnung trug und damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur modernen Industriearchitektur markierte.
Beschreibung
erbaut: 1911-12 / 1918, 1923 (Erweiterungen und Wiederaufbau) / 1942 / 1977-79 (Neubauten)
Architekten: Karl Janisch / Hans Hertlein
Mit dem Neubau der Siemens-Fabriken im Erweiterungsgelände im Bereich der Nonnenwiesen entstand dort auch das »Kabelwerk Westend«. Es war eines der ersten Gebäude, die an dem neuen Standort errichtet worden waren. Mit der Expansion der Starkstrom- und Nachrichtentechnik um die Wende zum 20. Jahrhundert genügte die Anlage den inzwischen weiter entwickelten Herstellungstechniken für die Kabelprodukte nicht mehr. Die Siemens-Firmen erwarben daher im Dezember 1910 das Gut Gartenfeld, ein Gelände von rund 200 Morgen, in der Nähe des Tegeler Sees bei Saatwinkel. Unmittelbar nach Abschluss des Kaufvertrages begannen die Projektierungsarbeiten für das neue Kabelwerk.
Nach den Plänen von Karl Janisch wurde die gesamte Produktionsabteillung in einen eingeschossigen, weitläufigen Hallenkomplex von nahezu quadratischem Grundriss verlegt. Charakteristisch war die Gestaltung des Hallendaches als leichte Fachwerkkonstruktion, die eine Minimierung des Dachgewichtes erlaubte. Bereits 1913, und nochmals 1918 wurde der Komplex erweitert, unter Beibehaltung der ursprünglichen Konstruktion. Dieser Dachaufbau erwies sich allerdings als problematisch, als große Teile der Halle und der Stahlskelettkonstruktion im November 1922 durch einen Brand zerstört wurden. Der Nachfolger Karl Janischs, Hans Hertlein, wählte aus Gründen der Feuersicherheit nun eine Kombination von Stahl- und Stahlbetonelementen als konstruktives Gerüst beim Wiederaufbau der Halle. Zusätzlich wurde parallel zum Hohenzollernkanal ein viergeschossiger Lagerbau errichtet, da sich die Lagerung innerhalb der Shedhalle als unzweckmäßig erwiesen hatte.
Das Kabelwerk Gartenfeld beherbergte auf nahezu 80.000 qm Grundfläche eine Drahtfabrik, einen Kabelsaal, eine Leitungsfabrik, eine Gummifabrik sowie verschiedene Laboratorien. Im Kabelsaal wurden aus blanken Kupfer- und Aluminiumseilen mit Hilfe von Kabelmaschinen, Verseilmaschinen, Trocken- und Tränkapparaten, Bleipressen und Armierungsmaschinen Starkstromkabel sowie Telegrafen- und Telefonkabel fabriziert. Nach eigehender Untersuchung im Prüffeld gelangten die auf Trommeln gewickelten Kabel auf mächtige Verladebrücken, von denen sie auf Eisenbahnwagen oder Schiffe übergeben wurden.
Die Leitungsfabrik diente zur Herstellung von isolierten Drähten, Gummikabeln und -leitungen sowie von säurefesten Leitungen und Rohrdrähten. In der Gummifabrik wurden die gereinigten Rohgummisorten zunächst einem Mischprozess unterworfen und erhielten durch Zusatz geeigneter Materialien die Eigenschaften, die Vorbedingung für Haltbarkeit, Elastizität, Isolierfähigkeit und Wärmebeständigkeit der Fertigfabrikate waren.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab es - abgesehen von produktionsbedingten Umnutzungen innerhalb der bestehenden Hallen - keine wesentlichen Änderungen am Baubestand. Die durch Kriegseinwirkung nur relativ leicht beschädigten Hallenteile wurden wieder instandgesetzt. Nach einzelnen Demontagevorgängen konnte mit ERP-Krediten, mit deren Hilfe eine größere Anzahl von Spezialmaschinen angeschafft wurde, die Kabelfertigung wieder aufgenommen werden. Erst Mitte der 1970er Jahre zeichneten sich grundlegende Änderungen in der Nutzung des Fabrikareals ab. Mit der zunehmenden Ablösung der klassischen Isoliermaterialien durch Kunststoffe änderten sich auch die Verfahren der Kabelfertigung. 1977 wurde das veraltete Lagergebäude zusammen mit einem Teil des Hallentraktes abgerissen, um einem Neubau (Fotos 2 und 3) Platz zu machen. Seit 1982 wurde der gesamte Hallenkomplex nach und nach in einzelne Hallen aufgeteilt. Was von den ursprünglich 1911/12 errichteten Hallenteilen nach einem Brand im April 2012 noch übrig ist, kann derzeit nicht beurteilt werden.
Das Foto 1 zeigt die 1942 nach Plänen von Hans Hertlein errichtete Prüffeldhalle für Fernmeldekabel. Sie wurde als dreischiffiger Zweckbau mit einer hohen Mittelhalle in Stahlbetonkonstruktion ausgeführt.
Informationsstand: 22.07.2015
Schlagworte: Elektroindustrie; Werkstoffe; Leiterwerkstoffe, Supraleitung; Industry
Stichworte: Karl Janisch; Hans Hertlein; Kabelwerk Westend; Starkstromtechnik; Nachrichtentechnik; Kabelherstellung; Gut Gartenfeld; Tegeler See; Saatwinkel; Stahlelemente; Stahlbetonelemente; Kabelmaschine; Verseilmaschine; Trockenaparat; Tränkapparat; Bleipresse; Armierungsmaschine; Starkstromkabel; Telegrafenkabel; Telefonkabel; isolierter Draht; Gummikabel; Gummileitung; Rohgummisorten; Drahtfabrik; Gummifabrik; Zweiter Weltkrieg; ERP-Kredite; Isoliermaterial; Kunststoff; Prüffeldhalle; Fernmeldekabel; Stahlbetonkonstruktion; Stahlskelettkonstruktion
Quelle(n)
- Wolfgang Schäche / Wolfgang Ribbe, Die Siemensstadt. Geschichte und Architektur eines Industriestandortes, Berlin 1985
- Werner Hildebrandt / Peter Lemburg / Jörg Wewel: Historische Bauwerke der Berliner Industrie, Berlin 1988
- Thorsten Dame, Elektropolis Berlin. Architektur- und Denkmalführer, Berlin 2014