Burkhard Holder

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14.10.2022 Pressemitteilung

Interviews zum Weltnormentag: „Besser 80 Prozent haben und losgehen, als bis ins letzte Detail analysieren“

Im Interview erklärt Burkhard Holder, Geschäftsführer VDE Renewables, warum Wasserstoff und Cyber-Security zentrale Faktoren für den Klimaschutz sind, wie Normen böse Überraschungen verhindern und was es mit einem neuen Front Runner-Standard für Wasserstoff-Tankstellen auf sich hat. Dieses Interview ist Teil einer gemeinsamen Interviewreihe Klimaschutz und Normung zum Weltnormentag 2022 von DKE, DIN und VDI.
 

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Wenn wir die Zukunft nachhaltiger gestalten wollen, ist internationale Zusammenarbeit unerlässlich. Welche Technologien sind zentral, um beim Klimaschutz weiterzukommen?

Da steht aus meiner Sicht das Thema Wasserstoff ganz oben, denn er ist ein erfolgsversprechendes Speichermedium, was eine Nutzung zeitlich und örtlich entkoppelt von der Produktion ermöglicht. Dies wird sich im Rahmen der Sektorenkopplung positiv auf den gesamten Energiesektor, die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit auswirken.

Stark im Fokus ist aktuell auch das Thema Cyber-Security für Energieanlagen. Der VDE hat gemeinsam mit dem Bundesverband für den Schutz kritischer Infrastrukturen (BSKI) in den letzten Wochen vermehrt auf die zunehmenden Gefährdungspotentiale hingewiesen. Wir arbeiten bereits seit einiger Zeit eng zusammen, da wir bei der Risikobewertung für die Industrie, die Investoren und die Versicherungen die aktuellen Entwicklungen und Gefährdungspotentiale mit berücksichtigen. Die letzten Abstimmungen mit dem BSKI und Sicherheitsbehörden lassen eine weitere Zunahme krimineller Angriffe auf Energieanlagen erwarten – deshalb besteht dringender Handlungsbedarf, sich auf die sich kontinuierlich verändernde Lage einzustellen.

Wie schaffen wir in der Gesellschaft mehr Vertrauen in erneuerbare Energien und neue Technologien, um sie noch intensiver nutzen zu können?

Dazu ein Gedanke vorab: Es geht zum einen um Vertrauen, zum anderen um Transparenz. Wenn ich weiß, dass sich ein Unternehmen an bestehende Normen und Standards hält und dies von externer Stelle bestätigt ist, dann erlebe ich keine bösen Überraschungen zu den Eigenschaften eines Produkts. Das schafft Vertrauen, und dafür brauche ich in einer globalen Wirtschaft global geltende Normen und Standards. Sie stehen in der Elektrotechnik für einen internationalen Konsens, der gerade bei neuen Technologien wichtig ist. Diesen Konsens auszuhandeln, dauert allerdings eine gewisse Zeit. Im Bereich der erneuerbaren Technologien geht die Entwicklung aber rasant von statten.

Das Thema Wasserstoff ist derzeit viel in der Diskussion. Welche Rolle spielen Standards bei der Markteinführung neuer technologischer Ansätze in diesem Bereich?

Speziell bei neuen Technologien und Märkten, die in der Aufbauphase sind und deren Kommerzialisierung sich am Anfang befindet, ist es wichtig, die Entwicklung mit Normen und Standards zu begleiten. Vor diesem Hintergrund werden alle regelsetzenden Organisationen - darunter DKE, DIN und DVGW – über die Erstellung einer Normungsroadmap diesen Prozess unterstützen und Standards mit Expertise aus Industrie und Wirtschaft weiterentwickeln. Bei VDE Renewables liegt der Fokus auf Projekten, die in Kürze in die Kommerzialisierung eintreten. Solange keine Normen verfügbar sind, nutzen wir sogenannte Pre-Standards, deren Einhaltung sich Unternehmen von uns als neutraler Stelle bestätigen lassen können. Sie werden gemeinsam mit Industrie, Investoren und Versicherern entwickelt, wobei das bestehende Normenwerk rund um die elektrische und funktionale Sicherheit ebenso berücksichtigt wird wie Installationsqualität, Monitoring oder Wartungskonzepte. Zwingende Voraussetzung ist zudem, dass der Stand der Technik berücksichtigt ist. Später können diese Pre-Standards der Ausgangspunkt sein für neue oder angepasste Normen, die eine breite Anwendbarkeit neuer Kriterien sicherstellen.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Prozesse rund um den Betrieb einer Wasserstoff-Tankstelle, denn da braucht es höchste Präzision und eine Null-Fehler-Kultur, damit Sicherheitsprobleme vermieden werden. In Kooperation mit verschiedenen Unternehmen haben wir dafür einen VDE Unternehmensstandard entwickelt. Grundsätzlich gilt: Im vornormativen Bereich müssen nicht unbedingt alle Rahmenbedingungen zeitintensiv abgewogen werden, und es muss nicht alles bis ins letzte Detail analysiert werden. Es ist besser, 80 Prozent der wichtigen Kriterien festzulegen, die den neusten Stand der Technik wiedergeben und gegebenenfalls über die geltenden Standards hinausgehen können.

Stichwort Finanzierung und Versicherbarkeit neuer Business Cases: Können Normen auch dabei eine Hilfe sein?

Bestehende Normen und Standards sind beim Thema Bankability und Versicherbarkeit neuer Business Cases ein wichtiger Baustein, da sie den aktuellen und abgestimmten Stand der Technik repräsentieren; allerdings sind sie eben nur ein Baustein, der sinnvoll ergänzt werden kann. Ein Beispiel dazu ist die Versicherbarkeit von Second Life Batterien. Es braucht einen Prozess, über den entschieden wird, ob eine Batterie aus einem E-Fahrzeug oder einem anderen Kontext wieder verwendet werden kann. Wenn nicht, geht die Batterie ins Recycling. Wenn ja, braucht es klare Kriterien zur Versicherbarkeit, damit ein Marktvertrauen entstehen kann, denn auch Versicherungen wollen ihr Risiko und die Schadenssumme kalkulierbar halten. Das Zusammenspiel von etablierter und weltweit gültiger Normung und unsere schnellen, auf den Anwendungsfall angepassten Pre-Standards schaffen dafür die Basis.


Burkhard Holder, Geschäftsführer von VDE Renewables, ist Experte für erneuerbare Energien und war u.a. beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, bei der International Solar Energy Society (ISES) und beim Solar Energy Research Institute of Singapore (SERIS) in leitenden Positionen tätig.


Weltnormentag 2022: Interviews zum Thema Klimaschutz und Normung

Die internationalen Normungsorganisationen und ihre nationalen Mitglieder feiern am 14. Oktober den Weltnormentag und verdeutlicht damit die Wichtigkeit von Normen und Standards. Der Weltnormentag 2022 steht unter dem Motto „SHARED VISION FOR A BETTER WORLD“ und stellt den Nutzen der Normung für die Erreichung der Sustainable Development Goals – und hier insbesondere den Klimaschutz – in den Mittelpunkt. Mit einer Reihe von Interviews mit interessanten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik möchten die drei Regelsetzer DIN, DKE und VDI am Weltnormentag gemeinsam das Scheinwerferlicht auf die vor Wirtschaft und Gesellschaft liegenden Aufgaben im Kampf gegen den Klimawandel richten. Mit unseren Gesprächspartner*innen sprechen wir über die Herausforderungen ihrer Branchen, die Chancen der grünen Transformation und diskutieren Lösungen – wie z.B. Normen und Standards.

Weitere Interviews finden Sie hier:

Roland Bent, DKE-Vorsitzender

Mareen Tiedemann, Stefan Eibl und Michael Dopichaj, Mitglieder bei Next Generation DKE und Teil des IEC Young Professional-Programms

Prof. Dr. Mario Schmidt, Leiter des Instituts für Industrial Ecology (INEC) der Hochschule Pforzheim

Dr.-Ing. Reiner Härdtl, Leiter des Teams Normen, Patente, Information & Dokumentation im Global R&D Department von Heidelberg Materials

Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz

Harald Bradke, Vorsitzender des Interdisziplinären Gremiums Klimaschutz und Energiewende im VDI und Energiewende im VDI und Prof. Dr.-Ing. habil. Anica Meins-Becker vom BIM-Institut der Bergischen Universität Wuppertal

Über DKE 

Die vom VDE getragene DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) ist die Plattform für rund 9.000 Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung zur Erarbeitung von Normen, Standards und Sicherheitsbestimmungen für die Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik. Normen unterstützen den weltweiten Handel und dienen u. a. der Sicherheit, Interoperabilität und Funktionalität von Produkten und Anlagen. Als Kompetenzzentrum für elektrotechnische Normung vertritt die DKE die Interessen der deutschen Wirtschaft in europäischen (CENELEC, ETSI) und internationalen Normenorganisationen (IEC). Darüber hinaus erbringt die DKE umfangreiche Dienstleistungen rund um die Normung und das VDE Vorschriftenwerk. 

Mehr Informationen unter www.dke.de  

Über den VDE

Der VDE, eine der größten Technologie-Organisationen Europas, steht seit mehr als 130 Jahren für Innovation und technologischen Fortschritt. Als einzige Organisation weltweit vereint der VDE dabei Wissenschaft, Standardisierung, Prüfung, Zertifizierung und Anwendungsberatung unter einem Dach. Das VDE Zeichen gilt seit mehr als 100 Jahren als Synonym für höchste Sicherheitsstandards und Verbraucherschutz. 

Wir setzen uns ein für die Forschungs- und Nachwuchsförderung und für das lebenslange Lernen mit Weiterbildungsangeboten „on the job“. Im VDE Netzwerk engagieren sich über 2.000 Mitarbeiter*innen an über 60 Standorten weltweit, mehr als 100.000 ehrenamtliche Expert*innen und rund 1.500 Unternehmen gestalten im Netzwerk VDE eine lebenswerte Zukunft: vernetzt, digital, elektrisch.  
Wir gestalten die e-diale Zukunft. 

Sitz des VDE (VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik e.V.) ist Frankfurt am Main. Mehr Informationen unter www.vde.com