Fahrender Zug
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07.03.2019 Fachinformation

Bahn: Wandel auf der Schiene

Die Bahn hat unbestritten im Verkehrsträgervergleich schon heute Klimavorteile, ist aber dennoch verbesserungsfähig. Auch beim Komfort für die Reisenden existieren noch Mängel. Um mehr Menschen vom Bahnfahren als Alternative zum Individualverkehr mit dem Pkw zu überzeugen, arbeiten Bahnbetreiber und Zughersteller an neuen technologischen Entwicklungen.

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Das Image der Bahn ist gebrochen: Einerseits ist es inzwischen Allgemeingut, dass der Bahnbetrieb wesentlich umweltfreundlicher ist als der Personenverkehr mit Flugzeug oder Auto – Gleiches gilt für den Güterverkehr –, andererseits wird das Ansehen durch Verspätungen oder gar komplette Zugausfälle immer wieder infrage gestellt. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat hochgesteckte Ziele: Bahnfahren soll einfach, günstig, komfortabel und verlässlich sein. Scheuer wünscht sich einen „Wow-Effekt“ beim Bahnfahren. Bis 2030 will er die Zahl der Fahrgäste verdoppeln und mehr Güterverkehr auf die umweltfreundliche Schiene bringen.

Dafür setzt er auf ein Zukunftsbündnis aus Politik, Wirtschaft und Verbänden. Digitalisierung und Elektrifizierung gelten heute in vielen Bereichen – und besonders im Straßenverkehr – als Heilmittel für die Zukunft. Kann auch der Schienenverkehr von diesem Trend profitieren? Eine Machbarkeitsstudie, vom Bundesverkehrsministerium initiiert und auf der Fachmesse InnoTrans für Bahn- und Verkehrstechnik im September 2018 gemeinsam mit Verbänden des Eisenbahnsektors und der Deutschen Bahn in Berlin vorgestellt, hat aufgezeigt, dass eine schnelle Umsetzung von Maßnahmen zur Digitalisierung in einigen Bereichen auch unmittelbare Verbesserungen bringt.

Dabei steht die Einführung der europäischen Leit- und Sicherungstechnik (ETCS – European Train Control System) im Mittelpunkt. Das Zugbeeinflussungssystem, bei dem streckenseitige Signale ins Fahrzeug verlagert werden, soll im Zusammenspiel mit digitalisierten Stellwerken die Kapazität des Schienennetzes um bis zu 20 Prozent erhöhen. Zuverlässigkeit, Energieeffizienz und Betriebskosten sollen so positiv beeinflusst werden. Außerdem könnte das einheitliche europäische System dann die bisher 20 international differierenden Zugbeeinflussungssysteme in Europa ablösen. Und es stellt wohl auch die Grundlage für einen auf lange Sicht vorstellbaren fahrerlosen Betrieb dar.

Die französische Staatsbahn SNCF hat hierzu bereits zwei Entwicklungskonsortien auf die Beine gestellt und plant für 2023 den Einsatz erster autonomer Züge als Prototypen. „Das ist klar die nächste Phase des Schienenverkehrs“, kommentierte SNCF-Chef Guillaume Pepy jüngst. Alle notwendigen Technologiebausteine seien bereits vorhanden, was noch fehle, sei die Anpassung an ihren speziellen Einsatzzweck. So ist es nicht verwunderlich, dass auch eher aus anderen Branchen bekannte Unternehmen wie Bosch und die Airbus-Tochter Apsys in diesem Reigen eine wichtige Rolle spielen. Ab 2025 könnten die autonomen Züge im normalen Verkehr vor allem auf stark frequentierten Strecken eingesetzt werden. Dies hätte den Vorteil, fast ein Drittel mehr Züge auf den Schienenabschnitt zu bringen bei gleichzeitig pünktlicherem Fahrplan und niedrigerem Energieverbrauch.

Die Digitalisierung hat bei der Deutschen Bahn ebenfalls einen großen Stellenwert. So hilft DIANA, eine Diagnose- und Analyseplattform für Anlagen, Weichenstörungen zu erkennen, bevor sie faktisch ins Gewicht fallen und den Zugverkehr lahmlegen würden. Durch vorausschauende Reparatur lässt sich damit rund die Hälfte der Störungen verhindern. Das geschieht so: Die Weichen werden üblicherweise von einem oder mehreren elektrischen Motorantrieben verstellt. Der Stellstrom wird über Sensoren gemessen und im Stellwerk mit der Sollkurve verglichen. Bei Abweichungen lassen sich so Schwergängigkeiten ebenso erkennen wie Beeinträchtigungen durch Fremdkörper. Größere Stellwerke in Hannover, Berlin, Frankfurt am Main, Leipzig und Karlsruhe sind bereits digitalisiert. Bis 2020 sollen 30.000 Weichen an DIANA angeschlossen sein, heute sind es bereits über 15.700.

Störungsvermeidung durch vorausschauende Wartung

Ebenfalls um Sensoren geht es bei KONUX. Das Unternehmen wurde 2014 an der TU München gegründet und ist eines der ersten Start-ups der Deutschen Bahn. Schwerpunkt von dessen Tätigkeiten ist die Entwicklung von Sensorik für Weichen auf Hochgeschwindigkeitsstrecken oberhalb von Tempo 160. Geprüft wird die Weichenschwellenhohllage, also der Blick darauf, ob der Schotter unter der Weichenschwelle richtig dimensioniert ist. Die Erprobung soll an 100 Weichen erfolgen.

Auch bei den Zug- und Antriebsherstellern tut sich einiges. Siemens beispielsweise ist in der vorausschauenden Wartung und Reparatur aktiv und reklamiert für sich, das erste Unternehmen der Bahnbranche mit einem Datenanalyse-Zentrum zu sein. Die sogenannte prädiktive Instandhaltung soll Fehlerquellen sowohl bei Fahrzeugen als auch in der Infrastruktur vorzeitig erkennen und so Betriebsstörungen verhindern helfen. Siemens arbeitet mit dem US-Unternehmen Wi-Tronix zusammen, das bereits 12.000 Loks betreut, vornehmlich in den USA, Kanada, Mexiko und Australien, darunter 70 Siemens-Loks beim US-Betreiber Amtrak. „Kooperationen mit Entwicklern von Ausnahme-Technologien sind ein zentraler Bestandteil unserer Strategie, um ein breites, digitales Serviceangebot im Bereich der prädiktiven Instandhaltung zu lie fern“, so Johannes Emmelheinz, Chef der Service-Sparte von Siemens Mobility. Software as a Service (SaaS) lautet das Schlagwort für dieses Echtzeit-Monitoring.

Auch MTU Friedrichshafen, eine Marke der Rolls-Royce Power Systems, hat die Fernüberwachung von Motoren, die Planung von Wartungen und Ersatzteilverfügbarkeit auf die Tagesordnung gesetzt. Dafür wurde eigens eine Abteilung für Digital Solutions eingerichtet. MTU hat außerdem das Fahrassistenz-System „Intelligent Drive Manager“ entwickelt, das über 30 Prozent Dieseleinsparung möglich macht – ein wichtiger Schritt in Zeiten der Klimaerwärmung.

Strom und Wasserstoff als Alternative zum Dieselantrieb

Gegenwärtig sind 60 Prozent des gut 40.000 Kilometer umfassenden Bahnnetzes in Deutschland elektrifiziert. Und der genutzte Strom wird immer grüner. Bis 2050 will die Deutsche Bahn einen CO2-freien Betrieb erreichen. Heute fahren Passagiere im Fernverkehr rein rechnerisch komplett mit Strom aus regenerativen Quellen, bahnweit liegt der Anteil von grünem Strom bei 57 Prozent und für 2030 werden 80 Prozent angestrebt. Damit bleiben aber noch immer 40 Prozent Strecken übrig, die mit Dieselzügen befahren werden. Nach dem Willen der Koalitionsregierung soll dieser Anteil bis 2025 auf 30 Prozent reduziert werden. Das ist teuer, Schätzungen gehen von bis zu zwei Millionen Euro für die Elektrifizierung eines Schienenkilometers aus.

Nach Angaben der Deutschen Bahn werden im Schienenpersonennahverkehr, kurz SPNV, in Deutschland rund 250 Millionen der gesamten 673 Millionen Zugkilometer durch Dieselfahrzeuge betrieben. DB Regio selbst betreibt 1300 Dieseltriebzüge, die in der Mehrzahl noch jungen Herstellungsdatums sind. Insgesamt sind es knapp 3000. Bei einer üblichen „Lebensdauer“ von rund 30 Jahren lohnt sich bei vielen eine Nachrüstung. Sie alle durch Neufahrzeuge mit Wasserstoff zu ersetzen, wäre teuer.

Als ideale Alternative zu Dieselzügen bietet sich der Brennstoffzellenzug an. Dieser Energiewandler nutzt Wasserstoff zur Erzeugung von Strom und Wärme, ist dabei verlust-, wartungs- und verschleißarm und arbeitet unabhängig vom Stromnetz. Der Fahrzeughersteller Alstom, in Europa auf diesem Gebiet derzeit klar in Führungsposition, hat mittlerweile zwei Prototypen des Coradia iLint vorgestellt und für das System mit Brennstoffzelle und Lithium-Ionen-Batterie für zusätzliche Beschleunigung und Rückgewinnung der Bremsenergie die Zulassung des Eisenbahnbundesamtes erhalten. Eine Wasserstofffüllung bringt den Triebzug bis zu 800 Kilometer weit. Während der Diesel-Lint vier Kilogramm CO2/km ausstößt, sind es beim iLint mit Wasserstoff aus der Erdgasreformation 2,3 und aus Grünstrom nur 0,3 kg/km.

Andere Hersteller wie Siemens oder MTU Friedrichshafen arbeiten ebenfalls an dieser umweltfreundlichen Lösung. In Niedersachsen zum Beispiel ist die Einführung der Brennstoffzelle auf Schienen für Anfang der 20er-Jahre geplant. Und auch in Hessen und weiteren Bundesländern werden solche Pläne verfolgt. Ein weiterer Vorteil: Mit zunehmendem Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung wird immer mehr und häufiger sogenannter Überschussstrom produziert, der dann als Wasserstoff gespeichert werden kann.

Der Trend geht zum dieselelektrischen Hybridantrieb

Auf der letzten InnoTrans in Berlin hat sich als großer Trend die Hybridisierung abgezeichnet. Für Prof. Dr. Arnd Stephan von der TU Dresden steht fest: „Für elektrisches Fahren ohne Fahrdraht ist alles vorhanden.“ Durch die Nachrüstung des relativ jungen Bestands ergäben sich zwei Vorteile – Kostenreduzierungen um geschätzte zwei Drittel im Vergleich zu neuen Fahrzeugen und der kurz- fristig mögliche Beginn der Umstellung. DB Regio will die Erzgebirgsbahn mit 217 Kilometern auf vier Abschnitten als „Pionier“ für nicht elektrifizierte Strecken nutzen. Dort soll EcoTrain als dieselelektrischer Hybridantrieb für umwelt- und klimafreundlicheren Betrieb sorgen: Der Generator macht aus kinetischer Energie beim Bremsen elektrische und speichert sie in Lithium-Ionen-Akkus. Diese kann dann für einen zeitweisen elektrischen Betrieb genutzt werden, zum Beispiel in Bahnhöfen und zur Versorgung von Nebenverbrauchern wie Klimaanlagen.

Die Entwicklung, vom Bund gefördert, soll Flexibilität durch ein Baukastensystem bringen. Beim HybridMode wird der Dieselantrieb durch Batteriesysteme ergänzt, der Dual-Mode nutzt zusätzlich die Oberleitung, und beim eMode wird, wo vorhanden, Energie aus der Oberleitung direkt für den Betrieb und zusätzlich zum Aufladen einer Batterie eingesetzt. In diesem Jahr sollen die Testfahrten in einem Bombardier-Zug für die Zulassung durch das Eisenbahnbundesamt beginnen. Entwickelt wurde EcoTrain von der DB Regio Netz Verkehrs GmbH gemeinsam mit der TU Dresden, der TU Chemnitz und dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI.

MTU Friedrichshafen entwickelt ebenso hybride Antriebssysteme. Die Rolls-Royce-Tochter hat mit der Alpha Trains Europa eine Absichtserklärung über die Hybridisierung von 140 Dieseltriebzügen verschiedener Hersteller mit MTU-Antrieben geschlossen. Die Vorzüge von Diesel- und Batteriebetrieb sollen vereint und Bremsenergie zurückgewonnen werden. Damit wird dann ein zeitweise emissionsfreier Betrieb möglich, beispielsweise in Bahnhöfen. Gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit, durch zusätzlichen Batterieantrieb Verspätungen aufzuholen. Angedacht ist auch die Umrüstung von Cora- dia-LINT-Dieselregionalzügen von Alstom mit MTU-Hybridantrieb, von denen 54 in Sachsen-Anhalt bei Abellio in Betrieb sind. Das könnte die CO2-Emissionen dieser Züge um bis zu 25 Prozent reduzieren.

VDE plädiert für Zweiteilung des Batteriesystems

In batteriebasierten Antrieben sieht auch das Bundesverkehrsministerium eine schnell realisierbare Option, die aber harten Anforderungen – angefangen von deutlichen Temperaturwechseln bis zu langen Betriebszeiten – genügen muss. Welches Batteriesystem dafür infrage kommt, hat das Ministerium durch den Technologieverband VDE mit einer Studie prüfen lassen. Die Branche, so die VDE-Experten, setzt bislang auf Lithium-Ionen-Batterien mit Lithium-Titanoxid-Anoden (LTO). Diese LTO-Zellen sind äußerst zuverlässig und langlebig, aber auch sehr teuer. Gleichzeitig weisen sie eine geringe Energiedichte auf, was letztlich ein hohes Gewicht nach sich zieht. Die Standard-Lithium-Ionen-Zelltechnologie, wie sie in Pkw zum Einsatz kommt, ist dagegen weitaus kostengünstiger. Der VDE plädiert daher für eine Zweiteilung – eine Traktionsbatterie mit hoher Leistungsdichte sorgt für die Beschleunigung und speichert die Bremsenergie, eine andere mit hoher Energiedichte liefert die Reichweite.

Schon heute sind die gebräuchlichen Akkus nur halb so schwer und auch deutlich billiger. Deren Manko ist die höhere Temperaturempfindlichkeit. Doch die ließe sich durch eine thermische Isolierung auffangen, damit die Akkus in einem optimalen Betriebszustand arbeiten können. „Wer auf LTO setzt, denkt konservativ und zahlt hierfür einen hohen Preis“, sagt VDE-Experte Dr. Wolfgang Klebsch, einer der Studienautoren. Die Lücke zu den LTO-Batterien könnte sich noch ausweiten, da im LTO-Bereich kaum noch mit Innovationssprüngen zu rechnen ist – gerade, weil bei dieser Akku-Technologie nur eine geringe Nachfrage besteht, ganz im Gegensatz zu den Kraftspeichern für den Pkw-Sektor.

Bei Letzteren gibt es daher eine Vielzahl von Herstellern und damit starken Innovationsdruck, der nach Einschätzung der Automobilbranche für das Jahr 2030 Grenzkosten von weniger als 100 Euro pro kWh erwarten lässt. Die VDE-Ingenieure sind daher überzeugt, dass sich die Zweiteilung des Batteriesystems lohnt: Die Standard-Batterien könnten nach acht Jahren durch eine neue Generation ersetzt werden, die eine größere Reichweite zu niedrigeren Kosten bieten werde. Dies sei viel kostengünstiger als die alleinige Versorgung mit LTO-Batterien, die im Regelfall auf eine Lebensdauer von 30 Jahren ausgelegt sind.

China gilt als Vorreiter in Sachen Brennstoffzellen-Stadtbahnen. So hat das National Rail Transit Electrification and Automation Engineering Technology Research Center (NEEC) schon 2016 Demonstrationsfahrten mit einer für 180 Passagiere ausgelegten Straßen- bahn mit Ballard-Brennstoffzelle durchgeführt. Ergänzt wird das System mit einer Lithium-Ionen-Batterie, die die Dynamik erhöht. In Quingdao werden Straßenbahnen mit Brennstoffzellen-System bereits seit zwei Jahren eingesetzt, in Kürze will auch die Millionen-Stadt Foshan folgen. Bombardier wiederum setzt auf eine Tram ohne Oberleitung, aber mit der Primove-Batterietechnologie auf Lithium-Ionen-Basis. Gemeinsam mit einem Partner aus China läuft der Betrieb seit 2014 in Nanjing. Die Aufladung der Batteriesysteme geschieht an den Haltestellen über jeweils 90 Meter Fahrdraht. Der Pantograph, der die Oberleitung anzapft, wird per Druckluft automatisch gesteuert. So kommen 90 Prozent der Strecke ohne Oberleitung aus.

Aber auch in anderen Regionen Asiens werden die Ver kehrsprobleme immer drängender, seitdem der Individualverkehr in rasantem Tempo zulegt. Bereits 1994 wurde in Thailands Hauptstadt Bangkok ein Masterplan zur Entwicklung des öffentlichen Verkehrs entwickelt. Die ersten drei Schnellbahnprojekte wurden von Siemens umgesetzt. Nach Angaben des Unternehmens ist es gelungen, den früheren Dauerstau auf Bangkoks Straßen abzumildern, von ehemals 10 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit seien mit der Verlagerung von Verkehr auf die Schiene nun immerhin 18 km/h möglich geworden. Die Stadt hat ehrgeizige Pläne: Bis 2029 soll das Schnellbahn-Netz im Großraum Bangkok 500 Kilometer umfassen.

Klaus Lockschen arbeitet als freier Journalist in Berlin für Hörfunk verschiedener Formate und Printmedien.