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19.02.2019 Fachinformation

Individualverkehr: Noch individueller

Die Zukunft des Individualverkehrs fängt bei Elektrifizierung und Automatisierung an, hört da aber noch lang nicht auf. Neue Hersteller aus dem In- und Ausland drängen auf den Markt – mit neuen Modellen, aber auch mit völlig neuen Konzepten.

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Manchmal kommt die Sprache dem Fortschritt nicht hinterher. So war noch bis vor wenigen Jahren die Unterscheidung zwischen öffentlichem Personen(nah)verkehr und Individualverkehr eindeutig. Da gab es auf der einen Seite Busse, Bahnen und Taxis und auf der anderen Seite Verkehrsmittel, die im privaten Besitz sind, also vor allem Autos, aber auch Motorräder und Fahrräder. Mit dem Aufkommen des Carsharings wurde diese Terminologie durcheinandergebracht. Denn die geteilten Fahrzeuge gehören einem plötzlich nicht mehr selbst, man kann aber immerhin frei über sie bestimmen – zumindest im Rahmen der Verfügbarkeit und des jeweiligen Vertrages. Nach wie vor ist zwar gerade hierzulande Mobilität Ausdruck von Freiheit, Unabhängigkeit, Individualität und Selbstbestimmung.

Das bedeutet inzwischen aber nicht mehr ganz so zwangsläufig, dass man unbedingt seinen eigenen Wackeldackel auf der Hutablage oder den Aufkleber des Lieblingsfußballvereins am Heck kleben haben muss. Der Grund für diese Entwicklung hat vor allem etwas mit dem exponentiell gewachsenen Verkehrsaufkommen der vergangenen Jahre zu tun, das insbesondere die Städte aus allen Nähten platzen lässt. Denn das hat eben nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern auch auf den Verkehrsteilnehmer selbst, der doch nach Freiheit und Unabhängigkeit verlangt und stattdessen seine Zeit im Stau sowie auf der Suche nach einem Parkplatz verschwendet.

„Die Zukunft liegt in der kreativen Mobilität“, meint deshalb der Hamburger Trendscout Oliver Puhe. Er und viele andere Mobilitätsexperten sind davon überzeugt, dass nicht nur neue Verkehrskonzepte nötig sind, sondern auch der Individualverkehr der Zukunft letztlich noch individueller werden muss. Zum Beispiel, indem man sich immer das passende Fahrzeug für die jeweilige Situation auswählen kann. Für den Wochenendausflug das sportliche Cabriolet, für den Familienurlaub die Großraumlimousine und für die kurze Fahrt in die Innenstadt den kleinen Cityflitzer. All diese verschiedenen Fahrzeuge – selbstverständlich elektrisch und über kurz oder lang autonom – gehören einem nicht selbst, sondern einem Fahrdienst wie Uber oder eben einem Carsharing-Anbieter. Und sie nehmen auch in Zukunft keinen Parkraum vor der eigenen Haustür mehr weg, sondern kommen erst angefahren, wenn sie über eine App gerufen werden. Dank der Standortdaten des Smartphones weiß das Fahrzeug, wo es den Kunden aufsammeln kann und fährt dann selbstständig zum Ziel.

Noch ist es zwar nicht so weit, aber die Entwicklung geht genau in diese Richtung. So haben mittlerweile alle großen Carsharing-Anbieter ihren Service digitalisiert und auch elektrobetriebene Fahrzeuge im Angebot. Neue Anbieter setzen sogar komplett auf E-Mobility. So bietet Bosch mit COUP seit 2016 Elektroroller zum Leihen an. Inzwischen rollen rund 3500 dieser Zweiräder auf den Straßen von Berlin, Paris und Madrid. Und im Dezember vergangenen Jahres startete Bosch zusammen mit toom in fünf Baumärkten in Berlin, Frankfurt, Leipzig, Troisdorf und Freiburg einen neuen Service für Kunden mit großen und sperrigen Einkäufen. Dort können jetzt ganz bequem Elektrotransporter per App ausgeliehen werden. „Rein elektrisches Fahren ist ideal für die urbane Mobilität – sei es beim städtischen Lieferverkehr oder der individuellen Mobilität in Metropolen“, zeigt sich Dr. Rainer Kallenbach, bei Bosch verantwortlich für den Geschäftsbereich Connected Mobility Solutions, überzeugt.

Aber wieso eigentlich nur Fahren? Der Individualverkehr der Zukunft wird schließlich nicht auf die Straße beschränkt sein. Längst arbeiten rund 50 Unternehmen weltweit daran, auch den Luftraum für den Personennahverkehr zu erschließen, von Airbus bis hin zum kleinen Start-up. Volocopter aus Karlsruhe gehört dabei zu den Pionieren der Branche. Ihr zweisitziges Lufttaxi basiert auf Drohnentechnologie und hat bereits im vergangenen Jahr seinen Jungfernflug über Dubai absolviert. Bis es hierzulande so weit ist und man einfach ein fliegendes Shuttle ordern kann, um mit ihm über den Großstadtstau hinwegzufliegen, wird es freilich noch etwas dauern. Doch mittelfristig werden solche Fluggeräte ein integraler Bestandteil der urbanen Mobilität sein, prophezeit zumindest das Beratungsunternehmen Porsche Consulting in der Studie „The Future of Vertical Mobility“. 2025 würden die ersten Flugtaxi-Linien ihren Betrieb aufnehmen, heißt es dort, und bis 2035 wären dann weltweit etwa 23.000 Luftshuttles im Einsatz – was auf den ersten Blick zwar eine recht ordentliche Zahl ist, angesichts der mehr als 50.000 konventionellen Taxis, die heute allein in Deutschland unterwegs sind, aber auch nicht unbedingt Ausdruck einer grundsätzlichen Verkehrswende.

Die Konkurrenz aus China ist bereits deutlich weiter

Ohnehin: Bevor solche neuen Mobilitätskonzepte tatsächlich richtig greifen, werden sicherlich noch viele Fahrzeuge produziert werden, die im Privatbesitz bleiben und ganz traditionell auf vier Rädern fahren. Glaubt man den Schätzungen der britischen Beratungsfirma Cosultancy, dürfte der weltweite Pkw-Absatz in diesem Jahr sogar erstmals die Marke von 100 Millionen Fahrzeugen überschreiten. Dabei setzen die Top Ten der Autohersteller bereits heute weit mehr als eine Billion Euro um – das ist eine Eins mit 12 Nullen. Allerdings: Diese Top Ten der hinlänglich bekannten Automobilhersteller bekommen derzeit zusehends Konkurrenz. Allein in China gibt es mindestens ein Dutzend neuer Unternehmen, für die der Begriff „Start-up“ irgendwie unangemessen erscheint.

Denn selbst wenn sie hierzulande weitgehend unbekannt sind, verkaufen sie in ihrem Heimatmarkt zum Teil schon seit Jahren ziemlich erfolgreich ihre Elektrofahrzeuge. Vor allem jedoch drängen sie allesamt mit einer solchen Power auf den Markt, dass einem regelrecht schwindelig werden kann. Die meisten von ihnen – wie Byton, WM Motor, Nio, Hybrid Ki- netic, Gyon, SF-, Singulato- oder Lucid Motors – tummeln sich dabei im Luxussegment, produzieren also vor allem Großraumlimousinen und SUVs. Die Nachfrage nach entsprechend großen Fahrzeugen wächst insbesondere in China weiterhin rasant und die Ziele der Unter- nehmen sind hochgesteckt. Kaum eines, das weniger als eine Produktion von 100.000 Elektrofahrzeugen pro Jahr verspricht. „Im Verlauf eines Jahrzehntes hat es China geschafft, mit den Elektrofahrzeugen einen Industriezweig aus dem Nichts aufzubauen, der bald die Karten des internationalen Automarktes neu verteilen könnte“, so das Urteil der staatlichen Denkfabrik France Stratégie anlässlich des Pariser Autosalons im vergangenen Oktober.

Neue Player mit neuen Ideen drängen auf den Markt

Und in Deutschland? Die hiesigen Automobilkonzerne versuchen mit Nachdruck, die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen, sich einerseits nicht aus dem Heimatmarkt verdrängen zu lassen und andererseits ein Stück des verlockenden chinesischen Kuchens zu sichern. Doch Konkurrenz erwächst auch aus dem eigenen Land. Nicht ausgestattet mit der finanziellen Power eines chinesischen „Start-ups“, dafür aber mit viel Innovationskraft und technischem Sachverstand.

Beispiel: die e.GO Mobile AG aus Aachen. Das Unternehmen des RWTH-Professors Günther Schuh, der bereits mit seinem StreetScooter für die Deutsche Post ein starkes Zeichen setzte, will in diesem Jahr richtig durchstarten. Zwar verzögert sich die Auslieferung des e.GO Life noch etwas, doch in den nächsten Monaten wird die Serienproduktion dieses kleinen, elektrischen Stadtautos definitiv starten. Bald sollen immerhin rund 20.000 Stück davon jährlich vom Band laufen. Und der umtriebige Professor hat noch weitere Pfeile im Köcher. So wird demnächst auch ein Elektrostadtbus in Serie gehen. Alles unter dem vielsagenden Firmenslogan „Elektromobilität, die Spaß macht, praktisch und bezahlbar ist“. Einen SUV oder eine Luxuslimousine aus Aachen wird es dagegen auch in Zukunft nicht geben. „Ein Elektroauto macht eigentlich nur in der Stadt richtig Sinn“, erklärt Schuh, der bereits wechselweise als Bill Gates des Autobaus oder als Elon Musk aus Deutschland bezeichnet wurde. Und sinnlos sei es nicht nur wegen der geringen Reichweiten, sondern auch, weil ein warm gelaufener Verbrennungsmotor auf dem Land die Umwelt kaum belaste. Das Problem seien die Verdichtung und die Kurzstrecken in der Stadt.

Das sieht man bei dem Münchner Start-up Sono Motors ganz ähnlich. Dessen Produkt, der Sion, wird zwar mit 16.000 Euro (ohne Batterie) etwas teurer als der e.GO Life sein, dennoch wird es auch dieser Stromer preislich mit den meisten Benzinern seiner Klasse aufnehmen können. Denn der Sion ist kein Kleinwagen, sondern ein urbaner Elektrovan mit vier Türen und großem Kofferraum. Dieser Kampfpreis ist freilich nur zu schaffen, indem auf unnötige Extras und Individualisierungen (!) verzichtet wird; so gibt es den Sion beispielsweise nur in Schwarz. Dafür stecken in dem Auto serienmäßig jede Menge innovativer Ideen, wie zum Beispiel Solarzellen in der Karosserie. Mit der von ihnen produzierten Energie soll das Auto, sofern das Wetter mitspielt, bis zu 30 zusätzliche Kilometer am Tag fahren können. Das heißt, der eine oder andere Nutzer könnte im Sommer vielleicht „gratis“ zur Arbeit fahren.

Darüber hinaus bietet Sono Motors mit seinem Produkt noch eine App an. Mit dieser kann der Nutzer anderen Nutzern Strom verkaufen („powerSharing“), eine Mitfahrgelegenheit anbieten („rideSharing“) oder gleich das ganze Auto verleihen („carSharing“). Ziel all dieser Ideen ist – und da wird man in den Konzernzentralen in Stuttgart, München oder Wolfsburg vermutlich kollektiv den Kopf schütteln –, „zum Schutz der Ressourcen und der Umwelt weltweit dauerhaft wesentlich weniger Fahrzeuge pro Jahr zu produzieren“, so die Sono-Gründer Jona Christians und Laurin Hahn. All das könnte man natürlich als eine spinnerte Idee zweier ehemaliger Waldorfschüler abtun. Allerdings: Mittlerweile liegen mehr als 9000 Reservierungen für den Sion vor – einige mit 500 Euro gesichert, andere schon voll bezahlt – und in der zweiten Hälfte dieses Jahres sollen erste Autos vom Band laufen.

Elektrofahrzeuge waren bislang teure Ladenhüter – das ändert sich gerade

Aber es geht sogar noch günstiger: So wird das Elektromobil des Düsseldorfer Unternehmens iEV1 nicht einmal 4000 Euro kosten. Mit 160 Zentimetern Länge, 135 Zentimetern Höhe und einer Breite von gerade einmal 78 Zentimetern ist es jedoch auch deutlich kleiner. Der besondere Clou des Stromers: Das im Normalbetrieb nur für eine Person ausgelegte Fahrzeug lässt sich zum Transport eines Mitfahrers oder von Gepäck vollautomatisch auf bis zu 220 Zentimeter strecken. Als reines Stadtauto hat der iEV X, der ebenfalls noch in diesem Jahr ausgeliefert werden soll, eine Reichweite von gerade einmal 50 Kilometern. Allerdings hat auch er Solarzellen auf dem Dach, die bei Sonnenschein für weitere Kilometer sorgen sollen, und optional wird zudem ein Pedalsystem mit Generator angeboten, mit dem man ebenfalls die Batterie aufladen kann.

Apropos Pedalsystem: Natürlich gehören zum Individualverkehr der Zukunft noch viele weitere Fahrzeuge und Fahrzeugtypen. Egal ob elektrisch angetrieben, mit Motorunterstützung oder ob allein mit Muskelkraft. So präsentierte zum Beispiel der Volkswagen-Konzern im vergangenen September auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover ein neues, selbst entwickeltes E-Cargobike. Dabei ist weniger das Produkt an sich erwähnenswert – schließlich gibt es inzwischen eine breite Produktpalette an Lasten-Pedelecs von vielen unterschiedlichen Herstellern – als der Umstand, dass sich jetzt ausgerechnet der größte europäische Automobilhersteller dieses Themas annimmt. Oder mit den Worten, mit denen einst ein anderer großer deutscher Autohersteller warb: Das „Umparken im Kopf“ hat offenbar begonnen.

Martin Schmitz-Kuhl ist freier Journalist und Autor in Frankfurt am Main sowie Redakteur beim VDE dialog.

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Person, die ein neues elektrisches Fahrzeug von innen antreibt
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25.01.2024 TOP

Wer die Mobilität der Zukunft auf den Weg bringen und voranbringen will, hat viele Möglichkeiten im Zeichen von Automotive 4.0 – aber auch viele Hürden zu meistern. Denn Deutschland und internationale Märkte sind keine Technologie-Highways ohne Speedlimit. Der VDE engagiert sich deshalb für E-Mobility, C2X-Kommunikation und Autonomes Fahren.

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