Wir fahren sehenden Auges auf den Kollaps zu“, sagt Prof. Dr. Florian Matthes vom Living Lab Connected Mobility an der TU München. Die steigende Zahl der Einwohner in den Städten und permanent verstopfte Straßen stellen eine große Belastung für die Bevölkerung dar, denn: „Mobilität hat großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Menschen“, so Matthes. Um dieses zu steigern, braucht es neue Verkehrskonzepte. Und die müssen eine ganz zentrale Frage beantworten: „Wie lässt sich die Zahl der privat genutzten Fahrzeuge in der Stadt reduzieren?“
Regulatorische Maßnahmen wie sie etwa London anwendet, können dabei nur ein Teil der Lösung sein. Die britische Hauptstadt arbeitet mit Zufahrtsverboten für den Innenraum. Wer trotzdem hineinfahren will, muss eine Mautgebühr zahlen.
Die niederländische Stadt Houten hat das Problem über die Infrastruktur gelöst. Rund um den Stadtkern führt eine Umgehungsstraße – der sogenannte Rondweg. Wer per Auto von einer der Wohnsiedlungen in eine andere gelangen möchte, muss den Umweg über den Rondweg nehmen. Gleichzeitig werden Radfahrer bevorzugt behandelt. Auf großen ausgebauten Wegen haben die Zweiräder Vorrang vor dem Autoverkehr. Das Ergebnis: Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist, kommt schneller voran. Auto fahren innerhalb der Stadt ist dagegen unattraktiv. So gilt Houten mittlerweile
als autofreie Modellstadt, die regelmäßig von Verkehrsexperten aus aller Welt besucht wird.
Radikal auf das Fahrrad zu setzen, wird für die meisten Städte aber auch nicht die alleinige Lösung sein. Denn in diesem Fall kommt auf ein Fahrzeug lediglich immer nur ein Nutzer – auch wenn dieses kleiner und umweltverträglicher ist als ein Auto. In den Verkehrskonzepten der Zukunft werden dagegen Busse und Bahnen eine tragende Rolle spielen. „Das Herzstück der Mobilität in den Großstädten wird ein extrem gut funktionierender, eng vertakteter öffentlicher Nahverkehr sein“, sagte zum Beispiel Sigrid Evelyn Nikutta, Vorstandsvorsitzende und Vorstand Betrieb der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), auf dem VDE Tec Summit. Der Nahverkehr sorge für die notwendige Bündelung der Menschen. „In einen Bus passen 100, in die Straßenbahn 300 bis 500 und in eine U- beziehungsweise S-Bahn 500 bis 800 Fahrgäste, die in eine Richtung wollen. Das bringt Platz in der Stadt.“ Um den öffentlichen Nahverkehr herum müssten dann weitere Mobilitätsangebote entwickelt werden. „Dienstleister wie die BVG haben nicht die Aufgabe, alles zu machen“, so Nikutta weiter. „Aber wir müssen prüfen, was wir selbst anbieten und womit wir uns vernetzten können.“
Henrik Falk stößt ins gleiche Horn. Er ist Vorstandsvorsitzender der Hamburger Hochbahn. Und seiner Meinung nach liegt die Zukunft in einer Verknüpfung von klassischer Mobilität wie U-Bahnen oder Stadtbussen und neuen Angeboten. Zu Letzterem zählt er unter anderem Carsharing- sowie Ridesharing-Konzepte wie mytaxi-match, bei dem sich Nutzer mit ähnlichem Fahrtziel ein Taxi teilen. Die Frage nach der Mobilität der Zukunft ließe sich nicht mit einem Service allein beantworten, glaubt auch Sajjad Khan, Vice President Digital Vehicle & Mobility bei Daimler. Sein Unternehmen setze daher neben dem Privatfahrzeug auf Dienste wie car2go oder ebenfalls mytaxi. „Wir brauchen solche neuen Systeme, um die Privatnutzung von Autos zu reduzieren“, sagt Falk. Die Kombination aus klassischer und neuer Mobilität schaffe dann ein „Sharing-Biotop“.
Die Knotenpunkte einer solchen Vernetzung sind entsprechende Hubs, an denen möglichst alle Verkehrsmittel verfügbar sind. Der Bürger entscheidet dann, mit welchem Fahrzeug beziehungsweise Angebot er seine Fahrt fortsetzt. Die BVG baut gerade gemeinsam mit den Berliner Bezirken solche Mobilitäts-Hubs auf. Und in Hamburg gibt es bereits Stationen, in denen zum Beispiel Carsharing-Fahrzeuge und Leihräder in räumlicher Nähe zu einem U-Bahnhof bereitgestellt werden.
Die Mobilität der Zukunft benötigt ein smartes Verkehrsmanagement
Prof. Dr. Andreas Knie geht dieses Konzept allerdings nicht weit genug. Seiner Meinung nach müssen die Hubs außerhalb der Städte aufgebaut werden. „Die Leute sollen zu den Hubs fahren und dort in das Angebot ihrer Wahl umsteigen, um in die Stadt zu gelangen“, sagt Knie, der die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) leitet. Gleichzeitig müsse man „den öffentlichen Raum reglementieren“. Will heißen: Die Parkmöglichkeiten für privat genutzte Fahrzeuge werden stark eingeschränkt. Andernfalls könne man das Verkehrsaufkommen innerhalb der Stadt nicht verringern. Alle Teilnehmer eines künftigen Verkehrskonzeptes, also Car- und Ridesharing-Anbieter oder der öffentliche Nahverkehr, müssten dann miteinander vernetzt sein, so Knie. „Wenn viele Menschen in der Stadt unterwegs sind, fahren diese mit Bussen und Bahnen. In schwachen Zeiten wird auf individualisierte Fahrzeuge zurückgegriffen.“
Grundsätzlich benötigt die Mobilität der Zukunft ein smartes Verkehrsmanagement, das Technologien für Datenanalyse und Künstliche Intelligenz nutzt. „Das funktioniert quasi wie das Gehirn einer Stadt in Sachen Mobilität“, erklärte Manfred Fuhg, CEO von Siemens Mobility Deutschland, kürzlich auf der Mobilitätsmesse Hypermotion. Damit lassen sich dann zum Beispiel Ampeln so schalten, dass Busse bevorzugt behandelt werden oder Radfahrer auf einer grünen Welle durch die Stadt kommen.
Damit die Bürger aber auch umsteigen, muss sich die neue Mobilität einfach und intuitiv nutzen lassen. Digitale Plattformen, die alle Angebote verfügbar machen, sind der Schlüssel für den Erfolg. Denn: Wer über mehrere Apps hinweg surfen muss, um die Verkehrsmittel für seine Tour zu buchen, bleibt letztlich lieber im Privatauto sitzen. Es gibt zwar bereits Ansätze zur Vereinheitlichung der Angebotsplattformen. So bietet etwa Daimler mit der App moovel ein solches One-Stop-Shop-Konzept an, das schon einige Städte unter dem Namen ihrer jeweiligen Verkehrsbetriebe einsetzen.
Mehrheitlich jedoch „herrscht in Deutschland ein sehr klassisches Denken“, sagt Matthes von der TU München, denn keiner der involvierten Player wolle seine Daten preisgeben. Nach Meinung von Knie müsse das regulatorisch gelöst werden. „Wer im öffentlichen Raum präsent sein will, muss seine Bewegungsdaten abgeben. Wenn dies anonymisiert geschieht, ist dies auch unproblematisch.“
Als technische Basis stellt er sich Carsharers – nicht nur den einen entsprechenden Service, sondern alle anderen auch buchen.“ Abgerechnet werde dann über den Anbieter, dessen App für die Buchung genutzt wurde. Matthes sieht dabei allerdings Anbieter wie Google im Vorteil. „Digitale Dienste wie Google Maps sind bereits in der Lage, Verkehrsströme zu überblicken“, so Matthes. Dabei hilft Google die riesige Menge an Daten, welche die Nutzer selbst permanent liefern. Damit könnte das Unternehmen aus einer Hand sämtliche Informationen und Services für eine End-to-End-Mobilität anbieten, die alle Fortbewegungsmittel umfasst.
Google liefert aber nicht nur Informationen über bestehende Verkehrsdienste, sondern gestaltet die neue Mobilität auch selbst. In Toronto arbeitet das Google-Schwesterunternehmen Sidewalk Labs am Aufbau einer Smart City, aktuell wird dort ein neues Stadtviertel mit einer digitalen Infrastruktur entwickelt. Autonom fahrende Taxibots und ein erweitertes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln sollen die Menschen transportieren, der Betrieb von Privatautos reglementiert werden. Ziel ist es, dass weniger als 20 Prozent der künftigen Bewohner ein eigenes Auto besitzen. So könnte Google künftig nicht nur im Internet, sondern auch in der physischen Welt eine dominante Rolle spielen. Und auch dort könnte das Unternehmen aus dem Silicon Valley weiter fleißig Daten sammeln.