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01.02.2013 Fachinformation

VDE/ETG–Studie "Aktive Energienetze im Kontext der Energiewende"

Die Konsequenzen für die technische Umgestaltung der Stromnetze in Folge der geplanten Energiewende sind in verschiedenen Studien des BMU, des BMWi, der BNetzA, der DENA, des VDE, der Übertragungsnetzbetreiber und anderer Institutionen in Teilaspekten untersucht.

Allerdings mangelt es an einem Gesamtüberblick zu den erforderlichen technischen Lösungen und den notwendigen wirtschaftlichen Anreizen, damit die Umgestaltung der Stromnetze in „Aktive Energienetze“ der Zukunft auch gelingen kann. Insbesondere ist festzustellen, dass die bisherigen Szenarien zur Entwicklung des Energiemixes die Dynamiken von Last und erneuerbaren, insbesondere wetterabhängig volatilen Erzeugern nicht berücksichtigen.

Für eine solche übergreifende Systembetrachtung hat die Energietechnische Gesellschaft im VDE (ETG) eine Task Force "Aktive EnergieNetz" gebildet mit über 40 Experten aus

  • Übertragungs- und Verteilungsnetzbetrieb,
  • Unternehmen der elektrotechnischen Industrie, Hochschulen, Beratungsunternehmen und Forschungseinrichtungen.

Die vorliegende Studie wurde in acht Arbeitsgruppen erarbeitet und enthält Kernbotschaften zum Handlungsbedarf, daraus abgeleiteter Empfehlungen jeweils zu den Übertragungs- und Verteilungsnetzen, zu netzebenenübergreifenden Aspekten sowie hinsichtlich einer perspektivischen Marktordnung. Umfangreiche Detailuntersuchungen untermauern die dargelegten Kernbotschaften und Empfehlungen.

Die wesentlichen Herausforderungen an die Stromnetze in Folge der Energiewende werden herausgearbeitet als:

  • Dislozierung von Erzeugungs- und Verbrauchszentren und daraus resultierender Engpässe in den Übertragungsnetzen,
  • Vermehrtes Auftreten von Netzgefährdungen im Verteilungsnetz verursacht durch die stark steigende Zahl von Anschlüssen verteilter Erzeuger und neuer Verbrauchertypen,
  • Vorkommen von Extremsituationen aufgrund eines hohen Anteils volatiler Erzeugung mit Defiziten an verfügbarer Leistung oder Überschüssen an erneuerbarer Energie und Leistung.

Um diese Herausforderungen zu meistern sind gesamtheitliche Entwicklungskonzepte erforderlich, die folgende in der Studie untersuchte Aspekte einbeziehen:

Übertragungsnetzbetrieb und Hochleistungsübertragungstechniken,

Paradigmenwechsel in Verteilungsnetzen, Netzausbau, Automatisierung, Anreizregulierung,

Netzübergreifender Anforderungen:

  • Prognoseverfahren,
  • Schutz- und Automatisierungskonzepte,
  • Informationsaustausch zwischen den Akteuren in den Stromnetzen,
  • Smart Metering und Datenschutz,
  • Konzepte zum Management von erneuerbaren Energieüberschüssen und Defiziten,

Wechselbeziehung von Netzbetrieb,

Netzauslegung und intelligenter Nutzung von Marktmechanismen –Entwicklung des Smart- Supply – Konzeptes,

Gestaltung einer künftigen Marktordnung.

In den Konzepten zum Ausbau der Übertragungsnetze sind vor allem auch Optimierungspotenziale in Bezug auf den begleitenden Ausbau regionaler Erzeugung insbesondere in Süddeutschland zu berücksichtigen.

Weitere begleitende Maßnahmen der Übertragungsetzentwicklung beinhalten:

eine ganzheitliche Systembetrachtung aller Netzebenen, Technologien, Akteure und Nachbarnetze

eine Vielzahl von neuen technischen und organisatorischen Maßnahmen in der Systemführung

  • intelligentes Engpassmanagement,
  • innovative Schutzkonzepte,
  • bessere Prognosesysteme auf allen Ebenen, neue Analyse-Tools,
  • transparenter Informationsaustausch, etc.,

die Schaffung von Planungssicherheit und entsprechenden politischen/ regulatorischen Rahmenbedingungen.

Der Netzanschluss extrem steigender Leistungen verteilter Erzeuger und neuer Verbrauchertypen an die Verteilungsnetze ist ohne Verlust an Versorgungsqualität zu meistern.

Dafür sind u.a. folgende Voraussetzungen zu schaffen:

Qualifizierung der heutigen Entgeltsregeln und Schaffung von Anreizen zur Verteilungsnetzentwicklung,

Optimierung der Entwicklungskonzepte mit den Alternativen:

  • Primärtechnische Erweiterung der Netzkapazität,
  • Partielle Einführung von Fernsteuerung und Automatisierung mittels Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) und
  • Nutzung von Schaltmaßnahmen und/ oder Marktmechanismen um selten auftretende Netzgefährdungen zu vermeiden.

Erweiterung der Personaldecke besonders in Leitwarten und bezüglich IKT- Qualifikation.

Die intelligente Gestaltung der Wechselbeziehung von Netzbetrieb und Marktmechanismen birgt ein enormes Optimierungspotenzial und kann entscheidend zum Gelingen der Energiewende beitragen insbesondere durch:

Ausbau einer bilanzierungspflichtigen und steuerbaren verteilten Erzeugung mit konsequenter Marktintegration auch der erneuerbaren Erzeuger z. B. aggregiert in einem virtuellen Kraftwerk (VKW)

Begleitung der Netzentwicklung durch die Einführung von deutlichen Marktanreizen zur Flexibilitätssteuerung der Bilanzierung von Last und Erzeugung hinsichtlich:

  • Aktives Schalten von Lasten (Demand Side Management - DSM)
  • Tarifliche Verbrauchsbeeinflussung (Demand Side Response- DSR)
  • Speicherbewirtschaftung (elektrisch, thermisch, Power to Gas)

Für die Gestaltung dieser Wechselbeziehung führt die Studie den Begriff „Smart Supply“ ein:

Smart Supply bezeichnet die intelligente Koordinierung von Netzoperationen und Marktaktivitäten unter Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), um wirtschaftliche Vorteile für alle Akteure des Strommarktes – Verteilungsnetzbetreiber, Erzeuger, Händler, Konsumenten, Speicherbetreiber und IKT-Serviceanbieter zu generieren.

Es muss aber festgestellt werden, dass der heutige Rechtsrahmen diese Form der Koordinierung behindert.

Ohne die Novellierung des EEG ist das oft zitierte „Virtuelle Kraftwerk“ für dezentrales Energiemanagement unter koordinierter Einbindung von Erzeugern, Speichern und steuerbaren Lasten (DSM) nicht realisierbar. Dafür fehlen die Mitmachanreize für erneuerbare Erzeuger.

Eine tarifliche Beeinflussung der Last bringt weder Händlern noch Kunden einen fühlbaren Nutzen aufgrund:

  • heute üblicher Planung und Einkauf nach Standardlastprofilen,
  • pauschaler Tarifbildung ohne marktgerechte Dynamik und Spreizung.

Anreize und Einflussmöglichkeiten auf die Netzbelastung z.B. mittels variabler Netzentgelte als Bestandteile der Tarife sind beim Verteilnetzbetreiber nicht vorhanden.

Die Studie untersucht die Beziehungen der Netz- und Marktteilnehmer unter Berücksichtigung des oft erwähnten „zellularen Ansatzes“ als Fundament der Smart- Supply -Idee und als Ergänzung zur heutigen Systemsteuerung in den 4 Regelzonen. Der zellulare Ansatz ist mit der Bildung von selbstbilanzierenden und Systemdienstleistungen generierenden Smart- Supply – Zellen (die möglichst elektrisch zusammen gehören) zur Reduzierung der Komplexität der Systemsteuerung geeignet.

Die Bildung von zellular organisierten Bilanzkreisen kann die künftig wachsende Bedeutung des Fahrplanmanagements für die Systemsicherheit im Umfeld starker Volatilitäten und die Entstehung regionaler Märkte fördern.

Zur Gestaltung der Beziehungen der Akteure im Smart- Supply- System sind neue Funktionen als Marktrollen aufzubauen. Den verschiedenen Akteuren ist der Zugriff auf die für ihre Aufgabe relevanten Messdaten zu ermöglichen (Datendrehscheibe nach BNetzA) (Bild 1). Dafür sind auch die kommunikationstechnischen und datenschutzrechtlichen Voraussetzungen in den Verteilungsnetzen zu schaffen – mit getrennten Kommunikationsdomänen für Markt und Netz. Es werden deutliche Synergieeffekte gesehen, wenn zellular ausgerichtete Konzessionsvergaben für die neuen Funktionen erfolgen. Die Synergien können erweitert werden durch den einheitlichen Messstellenbetrieb auch für andere Versorgungssparten. Es wird empfohlen, dass auch die Verteilungsnetzbetreiber die Möglichkeit erhalten, Konzessionen zur Ausübung der neuen Funktionen erwerben.

ETG-Studie-Aktive-Energienetze-Bild1

Bild1: Prinzipielle Beziehungen der Markt- und Netzakteure im System von "Smart Supply"

Es bestehen derzeit enorme Unsicherheiten zur Entwicklung der Stromerzeugungskosten, zur jederzeitigen Abdeckung und ggf. marktwirtschaftlicher Beeinflussung von Lastprofilen, zur Wirtschaftlichkeit flexibel steuerbarer Erzeugeranlagen bzw. Speicheranlagen und zur künftigen Tarifbildung auf Basis variabler Marktbedingungen. Eine dringende Notwendigkeit wird daher darin gesehen, Untersuchungen zur Gestaltung einer künftigen Marktordnung zu starten.

Um ein Gefühl für den sich ändernden Markt zu bekommen, beinhaltet die VDE/ETG-Studie auch die Entwicklung einer Vision zur künftigen Marktordnung auf Basis von Literaturrecherchen, einer Analyse der erneuerbaren Erzeugungsdynamik gespiegelt am Lastprofil für ein Energieszenarium des Jahres 2030 (50 % erneuerbar) und des Smart – Supply – Ansatzes mit den Eckpfeilern:

Erneuerbare Erzeuger werden aktive Marktakteure.Aufgrund der längerfristigen Entwicklungen der Stromerzeugungspreise mit einem Anstieg bei fossiler Stromerzeugung und einer Degression der Kosten für erneuerbare Erzeugung ist der Vorrang der erneuerbaren Erzeugung durch das „Merit - Order- Prinzip" gesichert.Moderne Prognoseverfahren sind Basis für Einkauf und Fahrplanmanagement bei den Vertrieben. Stromkunden sind aufgrund dynamischer Tarife mit signifikanter Spreizung in den Markt integriert.VKW erarbeiten durch Agieren auf mehreren Märkten (Strom day- ahead und intraday, Regelleistung, Wärme, Gas, CO2 - Zertifikate) wirtschaftliche Vorteile für alle Teilnehmer.

Zusammenfassend wird unterstrichen, dass das Gelingen der Energiewende nicht allein von der Technik sondern auch von der Einführung einer Marktordnung abhängt, die die Steuerung von Flexibilität auf Erzeugungs- und Verbrauchsseite fördert und allen Akteuren des Strommarktes wirtschaftliche Anreize bietet, auch den Endkunden.

Die intelligente Gestaltung der Wechselbeziehung von Netzbetrieb und Marktmechanismen kann die erwartete Kostenexplosion für die Entwicklung der Übertragungs- und Verteilungsnetze mindern. Dazu ist allerdings eine Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen zu novellieren.

Es wird daher empfohlen eine bundesweite Gesamtverantwortung zur konsistenten Novellierung eines breiten Spektrums an Gesetzen und Verordnungen zu etablieren, die heute unterschiedlichen Zuständigkeiten unterliegen.