Herr Hofmann, Sie waren bisher Chief Human Resources Officer für die Car.Software Organisation im Volkswagen-Konzern, die sich gerade unter dem Namen CARIAD neu firmiert hat. Wenn Sie diese Zeit Revue passieren lassen, was waren die größten Herausforderungen und Erfolge?
Martin Hofmann: Mit der Entscheidung, die Car.Software Organisation aufzubauen, um die Software-Kompetenz des Volkswagen-Konzerns zu bündeln, standen wir als erstes vor den Fragen: Wie viele Mitarbeitende brauchen wir? Und wie bringen wir die Marken zusammen? Ich glaube, es war eine mutige Entscheidung alle benötigten Kompetenzen zu bündeln und diese in einer spezifischen Organisation zusammen zu fassen, die ganzheitlich für den Software-Verbund im Auto verantwortlich ist, um damit die Innovation und Entwicklungskraft stärker voranzutreiben.
Was genau ist daran mutig?
Martin Hofmann: Es ist mutig, weil wir uns dazu entschlossen haben, die Entwicklerinnen und Entwickler, die zum damaligen Zeitpunkt für die Marken Volkswagen, Porsche und Audi schon an Software-Themen arbeiteten, in eine neue Organisation zu transferieren. Die Mitarbeitenden kamen initial aus drei unterschiedlichen Marken, mit drei unterschiedlichen Historien, mit anderen Werten, mit einer jeweils anderen Kultur, aber auch mit anderen Regelungen und Erwartungen. Es ist uns zum 1. Juli 2020 also nicht nur gelungen, auf einen Schlag 1.600 Menschen in einer neuen Organisation zusammenzuführen; die Kolleginnen und Kollegen konnten direkt in den Projekten weiterarbeiten. Die Zeit, das Ganze umzusetzen, war dafür extrem kurz: Ich bin Ende 2019 zum Team dazu gestoßen und bereits zum 1. Juli 2020 haben wir die Car.Software Organisation aus der Taufe gehoben. Wir sind mit den ersten zehn Mitarbeitenden im März 2020 gestartet und stehen heute bei 3.984 – und es ist jetzt schon klar, dass mindestens weitere 300 hinzukommen werden, weil ihre Verträge schon ausgestellt sind. Es ist uns also gelungen, innerhalb eines Jahres eine Organisation mit über 4.000 IT-Talenten aufzubauen. Und hier reden wir insbesondere von Softwaretalenten, die nicht leicht zu finden sind. Ich würde es wagen zu sagen: Das ist bislang einmalig.
Das hört sich irgendwie zu einfach an. Wenn ich an Großkonzerne denke – und ich selbst habe in einem gearbeitet – denke ich eher an Silostrukturen. Gab es tatsächliche keine kontroversen Diskussionen im Konzern? Alle haben mitgezogen?
Martin Hofmann: Natürlich gab es Wundschmerz! Insbesondere bei den Marken. Wenn man eine solche Kernkompetenz bündelt, ist das natürlich mit Verlustängsten in den unterschiedlichen Entwicklungsbereichen behaftet. Das sind wir in unzähligen Gesprächen angegangen, um den künftigen Job-Split zu definieren und die Verantwortlichkeiten festzulegen. Die Teams mussten unter Hochdruck herausarbeiten, wo künftig die Schnittstelle zwischen den jeweils anderen Entwicklungsbereichen liegt. Dabei zeigte sich, dass die größte Herausforderung in der digitalen Transformation sicherlich der Wandel des Mindsets ist: Wir denken nun vor allem in künftigen Technologien und sehen das Auto im Software-Verbund. Bisher wurde die Entwicklung von der Hardware, vom Bauteil aus gedacht, aber das funktioniert nicht mehr. Das haben uns auch neue Wettbewerber wie Tesla gezeigt: Die denken das Auto vom Businessmodell, vom Softwareprodukt hin zur Hardware. Das ist auch ein Schmerz für die klassischen Ingenieure und ein extremer Paradigmenwechsel. Aber genau diese Innovation im Denken ist maßgeblich dafür, wer in der Zukunft erfolgreich ist. Deshalb ist CARIAD auch ein zentraler Treiber des Umbaus von Volkswagen zum Technologieunternehmen.
Aus der CARIAD, vormals Car.Software Organisation, wechseln Sie nun in den Konzernverbund. Was ändert sich für Sie auf der neuen Position?
Martin Hofmann: Ich bin in der neuen Konzernrolle verantwortlich für den Bereich HR Digitalisierung, Personal Beratungscenter sowie für den Bereich Recruiting und Employer Branding. Und ich sehe hier sehr viele Anknüpfungspunkte: Das Recruiting hat früher sehr klassisch funktioniert. Wir führen Interviews, wir sprechen mit den Bewerbern über ihre Erfahrung, wir machen Auswahlverfahren. Beim Umbau zum Technologieunternehmen spielen nun ganz andere Fragen eine Rolle: Wie identifiziere ich gute Programmierer oder Software-Architekten? Das funktioniert nicht allein durch ein Interview. Ich kann aber auch nicht Heerschaaren von Menschen abstellen, die beispielsweise nur Peer-to-Peer Coding Sessions abhalten. Es geht also darum sich zu überlegen, wie man ein technisches Verständnis, eine Bewertung von neuen Technologien im Software-Bereich schaffen kann, die sich permanent wandeln und kaum institutionalisiert sind. Hier kann ich von meinen Erfahrungen umfassend profitieren.