VDE: Lassen Sie uns noch über selbstfahrende Fahrzeuge reden. Planen Sie da etwas?
Dr. Marx: Stufe 5, also der komplett fahrerlose autonome Lkw auf freien Strecken, ist technisch in der kommenden Dekade nicht umsetzbar. Und da gibt es viele Gründe. Was geht, ist Stufe 5 auf einem digitalen Schachbrett. Das ist ein abgegrenzter Raum mit Regeln und Akteuren, und wenn es schiefläuft, gibt es einen roten Knopf. Das gibt es schon in diversen Versionen in Häfen, in Innenstädten usw. Sie werden in der nächsten Dekade allerdings keinen fahrerlosen Vierzigtonner mit 80 Stundenkilometern im Serieneinsatz auf bundesdeutschen Autobahnen sehen. Manche Leute behaupten, sie hätten das, aber dann haben sie oben eine Kamera und dahinter sitzt ein Typ mit dem Joystick. Zudem auch assistiertes Fahren der Stufen 2 und 3 kann brandgefährlich werden, wenn der Truckfahrer das nicht richtig versteht. Stufe 4 ist das Ziel, mit Fahrer in der Kabine und weitestgehender Autonomie.
Stufe 5 ist technisch auch gar nicht darstellbar, wenn man sich überlegt, wie viel Speicherkapazität, Bandbreite und Rechenleistung es in der Cloud dafür braucht, Lkw-Flotten das autonome Fahren zu ermöglichen. Und wann 5G und wie flächendeckend über Europa es einsatzfähig sein wird, muss man erstmal sehen. Nicht falsch verstehen, Stufe 5 ist eine tolle Idee, aber ich finde es gesellschaftlich unverantwortlich, wenn da heute Start-ups oder auch etablierte Spieler von Stufe 5 mit Prototypen träumen, weil der Fahrer ja eine Last ist und damit die nächste Generation der systemrelevanten Fahrer vergrault. Fahrermangel hat viele Ursachen, eine sind unrealistische Fantasien von so manchem Spieler.
VDE: Ist der Fachkräftemangel bei IVECO ein Thema?
Dr. Marx: Es ist überall ein Thema. Wie qualifizieren wir uns für die richtigen Leute? Ich denke, wir haben diverse Herausforderungen. Eine ist, wie arbeiten wir jetzt in dieser neuen Pandemie-geplagten Welt mit dem Thema Smart Working, also von Zuhause aus arbeiten. Wie gehen wir mit Berufseinsteigern um? Dann haben wir das Zweite: Das ist die Generation, die jetzt heranwächst. Die haben auch einen anderen Bezug zu Dingen. Ob es das Auto ist oder der Beruf: Die haben auch ein ganz anderes Freizeitverständnis und das meine ich nicht als Kritik. Die dann als wertstiftende Fachkräfte auszubilden und in einen Betrieb zu integrieren, ist definitiv eine Herausforderung. Das klassische Modell ist die Lehrwerkstatt, die Auszubildenden sind jeden Tag vor Ort, lernen mit den eigenen Händen, wachsen dann allmählich an größere Aufgaben heran. Da wollen wir mal sehen, wie sich das in Zukunft gestaltet.
Aktuell muss ich sagen, das ich mich überhaupt nicht über die Lebensläufe der Bewerber beklagen kann. Weil, nachdem wir dieses Geschäft hier machen und nachdem wir auch Marktanteile wieder dazu gewinnen, auch mit den Verbrennungsmotoren, muss ich sagen: Ich habe mehr Bewerber als ich einstellen kann und werde. Denn andere bauen ja im großen Stil ab, ich baue auf, weil ich schon durch diese Rosskur durch bin, die letzten Jahre.
VDE: Was würden Sie einer jungen Ingenieurin, einem jungen Ingenieur heute raten? Auf was kommt es an?
Dr. Marx: Also erstmal würde ich in jedem Fall Elektrotechnik oder Maschinenbau studieren. Betriebswirtschaft kann man in einem Abendstudium später noch ergänzen. Auch Informatik ist wichtig. Und dann sollte man sich treiben und von seinen Instinkten leiten lassen. Wo kann ich am meisten lernen? Und es gibt halt Persönlichkeitsprofile, die mögen mehr den linearen Weg, eins nach dem anderen, risikoavers. Na, dann sollen die das halt machen. Aber, wenn jemand sagt: „Ich will jetzt mal wirklich etwas bewegen“, dann muss man unangepasst sein, da muss man durch die Welt laufen und auch mal etwas Unbequemes aber Richtiges sagen. Ja, oder einfach Dinge auf den Kopf stellen. Aber keine Dummheiten machen.
VDE: Vielen Dank für das Interview.