Windrad und Solarpanel mit Sonne im Hintergrund
Franz Metelec / Fotolia
04.01.2015 Fachinformation

Analyse von Risiken für die Systemsicherheit und mögliche Gegenmaßnahmen während der Sonnenfinsternis 2015

Niklas van Bracht, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft

Christoph Baumann, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft

Albert Moser, RWTH Aachen, Institut für Elektrische Anlagen und Energiewirtschaft

1 Einleitung

Am 20. März 2015 hat sich über dem Nordatlantik eine totale Sonnenfinsternis (SoFi) ereignet, in deren Folge auch in Deutschland ein Abdeckungsgrad von bis zu 80 % erreicht wurde. Neben Deutschland waren auch weite Teile Europas von diesem Ereignis betroffen. Um mögliche Auswirkungen der SoFi auf die Systemsicherheit abzuschätzen, haben die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) bereits Mitte 2014 eine Studie in Auftrag gegeben, um potentielle Risiken und Gegenmaßnahmen für die Systemsicherheit zu analysieren. Im Folgenden wird zunächst auf die Untersuchungsergebnisse und in Abschnitt 3 auf das Marktgeschehen während der SoFi eingegangen.

Die Abschattung durch die SoFi vom 20. März 2015 reduziert die Einspeisung von Photovoltaikanlagen (PVA) signifikant. Bei wolkenlosem Himmel kann sich alleine in Deutschland aufgrund der hohen installierten Leistung eine von PVA verursachte positive Leistungsänderung von bis zu 20 GW/90 min (siehe Bild 1) ergeben. Derartig hohe potentielle Leistungsänderungsgeschwindigkeiten stellen neue Herausforderungen an die Flexibilität und somit Systemsicherheit des deutschen und europäischen Elektrizitätsversorgungssystems.

Bild 1: Prognostizierte PVA-Einspeisung bei wolkenlosem Himmel

Das Ziel der Studie besteht somit darin, mögliche Risiken für die Systemsicherheit des Versorgungssystems zu analysieren und entsprechende Gegenmaßnahmen und Handlungsoptionen zu analysieren. Im ersten Schritt wird hierzu untersucht, ob der bestehende Kraftwerks- und Speicherpark die erforderliche Flexibilität auch bei starken Prognoseabweichungen bereitstellen kann. Hierzu wird für verschiedene kritische Szenarien eine Kraftwerkseinsatzsimulation im Viertelstundenraster durchgeführt. In einem weiteren Schritt wird analysiert, welche weiteren Risiken für die Systemsicherheit neben fehlender Flexibilität des Kraftwerks- und Speicherparks bestehen. Auf Basis dieser Analyse werden mögliche Gegenmaßnahmen abgeleitet, mit Hilfe derer die Systemsicherheit während der SoFi gewährleistet werden kann.

2 Ergebnisse

2.1 Untersuchung der Flexibilität

Das Ereignis der SoFi setzt sich aus zwei für die Kraftwerkseinsatzplanung besonders relevanten Zeitbereichen zusammen. Zum einen ist dies der Bereich der negativen Flanke, d. h. der Zeitbereich, in welchem die PVA-Einspeisung einen negativen Gradienten aufweist und zunehmend bis zum Zeitpunkt maximaler Abschattung reduziert wird. Zum anderen ist es der Zeitbereich der positiven Flanke, welcher im Zeitpunkt maximaler Abschattung beginnt und sich über den Zeitbereich abnehmender Abschattung bis Beendigung der SoFi erstreckt. In betrachteten Szenarien mit abfallenden Wind wird die negative PVA-Flanke durch eine zeitgleiche Reduktion der Einspeisung aus Windenergieanlagen (WEA) überlagert und der somit resultierende negative Leistungsgradient gesteigert. In Szenarien mit ansteigendem Wind wird entsprechend die positive PVA-Flanke verstärkt.

Bild 2: Szenario abfallender Wind

Im Folgenden wird genauer auf diese beiden Szenarien mit abfallendem und ansteigendem Wind eingegangen, da diese hinsichtlich der erforderlichen Flexibilität besonders hohe Anforderungen stellen. In Szenarien mit abfallendem Wind (siehe Bild 2) ergibt sich dabei eine Reduktion der Einspeisung aus Anlagen auf Basis erneuerbarer Energien (EE) um 15 GW innerhalb einer Stunde.

Dies stellt besondere Anforderungen an den Kraftwerks- und Speicherpark, da in kürzester Zeit Anlagen diesen Einspeiserückgang aus EE kompensieren und hoch- bzw. angefahren werden müssen. Trotz Prognoseabweichung kann diese Flexibilität in den untersuchten Szenarien durch Steinkohle- und Erdgaskraftwerke sowie durch hydraulische Anlagen bereitgestellt werden. Zusätzliche Flexibilität aus dem Ausland ist hierbei nicht zwingend erforderlich. In Bild 3 ist dazu exemplarisch der untertägliche Kraftwerkseinsatzplan dargestellt.

In Szenarien mit ansteigendem Wind führt die Überlagerung der WEA-Einspeisung mit der positiven Flanke der SoFi zu einem positiven Einspeisegradienten von 24 GW innerhalb von 90 Minuten (siehe Bild 4).

Die Überlagerung einer ansteigenden WEA-Einspeisung und einer wiederkehrenden PVA-Einspeisung führt dazu, dass innerhalb von 90 Minuten die Einspeisung einer signifikanten Anzahl von Erzeugungseinheiten, welche sich am Netz befinden, reduziert werden muss (siehe Bild 5). In den untersuchten Szenarien geschieht dies insbesondere durch eine Reduktion der Turbinen- und Erhöhung der Pumpleistung hydraulischer Anlagen sowie durch Herunterfahren von Erdgas- und Steinkohlekraftwerke. In Szenarien mit geringer Residuallast ist zudem eine Reduktion der Einspeisung aus Braunkohlekraftwerken notwendig.

Vor dem Hintergrund der untersuchten Szenarienkombinationen ist die Situation der SoFi hinsichtlich der erforderlichen Flexibilität bei einer Simulation im Viertelstundenzeitraster aus technischer Sicht grundsätzlich beherrschbar.

2.2 Risiken und Gegenmaßnahmen

Die Untersuchungen zur Flexibilität des europäischen und deutschen Kraftwerkseinsatzes unterstellen zum jeweiligen Simulationszeitpunkt vollständige Information hinsichtlich der EE-Einspeisesituation, während in der Realität Unsicherheiten verbleiben. Folgende Risiken aus Markt- und Bilanzsicht werden dabei als potenziell gefährlich für die Systemsicherheit identifiziert und näher untersucht:

  • Fehlende Marktanreize
  • Kurzfristige Leistungsungleichgewichte
  • Volatilität der Handelsbilanz

Das Risiko fehlender Marktanreize beschreibt, dass sich keine ausreichende Anzahl von Kraftwerken am Netz befindet, um die benötigte Flexibilität bereitzustellen. Eine Vielzahl thermischer Erzeugungseinheiten fährt in den Simulationen vor und zu Beginn der SoFi bis zu zwei Stunden auf Teillast, um zum Zeitpunkt maximaler Abschattung hochfahren zu können. Dieser Teillastbetrieb führt neben potentiellen Deckungsbeitragsverlusten zu einer Fahrweise mit schnellen Leistungsänderungen, welche mit erhöhtem Verschleiß von Betriebsmitteln einhergehen kann. Daher muss gewährleistet sein, dass der Markt ausreichend Anreize für eine derartige Fahrweise setzt und bereits im Vorfeld relevante Markteilnehmer, insbesondere Anlagenbetreiber von Wasser- und Steinkohlekraftwerken, sensibilisiert werden. Des Weiteren können kurzfristig Fahrpläne auf eine korrekte Antizipation der SoFi geprüft werden, so dass bei Fehlallokation eingegriffen werden kann. Dies kann bspw. das Anfahren von Reservekraftwerken oder die Möglichkeit von Maßnahmen nach §13.2 EnWG bedeuten. Eine weitere Option besteht in der vertraglichen Kontrahierung von Kraftwerksleistung für den Zeitbereich der SoFi.

Als weiteres Risiko können potentiell erhöhte PVA-Gradienten von zum Teil mehr als 250 MW/min während der SoFi zu kurzfristigen Leistungsungleichgewichten führen. Insbesondere bei einer stündlichen (anstelle von 15-minütigen) Bilanzkreisbewirtschaftung treten dabei doppelt so hohe kurzfristige Leistungsungleichgewichte wie bei einem PVA-Leistungsanstieg an einem normal sonnigen Tag auf. Neben den präventiven Maßnahmen wie Sensibilisierung der Marktteilnehmer, ihre Bilanzkreise möglichst viertelstündlich zu bewirtschaften, stellt die Erhöhung der vorgehaltenen Regelreserve in allen Qualitäten eine potentielle Gegenmaßnahme dar.

Bild 6: Beispielhafte deutsche stündliche Handelsbilanz (ohne Österreich) bei wolkenlosem Himmel

Schließlich kann eine europaweite Antizipation der SoFi als weiteres Risiko zu einer hohen Volatilität der Handelsbilanz während der SoFi führen (siehe Bild 6). Aufgrund der potentiell hohen (absoluten) Fahrplanabweichungen der Im- und Exporte kann die Sekundärregelung stark in Anspruch genommen werden, welches zu einer Gefährdung der Systemsicherheit führen kann. Des Weiteren besteht die Gefahr fehlender Flexibilitäten in den Anrainer-Marktgebieten. Eine mögliche Gegenmaßnahme stellt die Beschränkung von Im- und Exportgradienten und somit die lokale Ausregelung der SoFi-Auswirkungen dar.

3 Reales Marktgeschehen während der Sonnenfinsternis

3.1 Märkte für Regelreserve

Für den kritischen Zeitraum der SoFi beschafften die deutschen ÜNB zusätzliche Regelreserve. Die Dimensionierung dieser Zusatzmengen erfolgte dabei unter Berücksichtigung der erwarteten PVA-Einspeisung. Aufgrund der sich allgemein verbessernden Wettersituation wurde am 19. März 2015 für den Folgetag eine PVA-Einspeisung von bis zu 22 GW erwartet.

Bild 7: Handelsergebnis am Day-Ahead-Markt

Vor diesem Hintergrund haben die Übertragungsnetzbetreiber schließlich 2.258 MW positive und 2.299 MW negative zusätzliche Sekundärregelreserve (von 8 Uhr bis 14 Uhr) und 3.700 MW positive und 3.000 MW negative (von 8 Uhr bis 12 Uhr) bzw. 3.000 MW positive und 2.800 MW negative (12 Uhr bis 16 Uhr) reguläre Minutenreserve ausgeschrieben.

3.2 Märkte für Fahrplanenergie

Die vier deutschen ÜNB haben die nicht direktvermarkteten EE-Erzeugungsmengen zeitnah und vollständig an den vor- und untertäglichen börslichen Märkten für Fahrplanenergie vermarktet.

Dieses Vorgehen sowie das Bestreben aller Marktteilnehmer, während der SoFi ihre Bilanzkreise vollständig zu bewirtschaften, resultierten in den in den Bildern 7 und 8 dargestellten Preisentwicklung am börslichen Day-Ahead-Markt sowie der Intraday-Eröffnungsauktion. Mit vortäglichen Preisen von fast 50 EUR/MWh für die Stunde von 10 Uhr bis 11 Uhr war bereits frühzeitig ein Marktanreiz für einen flexiblen Kraftwerkseinsatz gegeben.

Bild 8: Handelsergebnis der Intraday-Eröffnungsauktion

Die Strukturierung der EE-Erzeugungsmengen auf Viertelstundenbasis in der Intraday-Eröffnungsauktion schuf zusätzliche Anreize für Marktteilnehmer. Dies äußert sich in Bild 8 insbesondere in den von 10 Uhr bis 12 Uhr deutlich erhöhten Handelsmengen und volatilen Preisen.

4 Zusammenfassung

Die Sonnenfinsternis am 20. März 2015 hat durch starke Schwankungen der PVA-Einspeisung hohe Anforderungen an die Flexibilität des Elektrizitätsversorgungssystems in Europa und insbesondere in Deutschland gestellt. Untersuchungen im Vorfeld haben ergeben, dass der deutsche Kraftwerkspark die erforderliche Flexibilität prinzipiell bereitstellen kann. Risiken bestehen allerdings vor allem bei sich kurzfristig verändernden Wettersituationen durch fehlende Marktanreize und unzureichender Bilanzkreisbewirtschaftung sowie der daraus resultierenden kurzfristig auftretenden hohe Leistungsungleichgewichte.

Im Vorfeld der Sonnenfinsternis haben die deutschen ÜNB die beschaffte Sekundär- und Minutenreserveleistung für die entsprechenden Zeitscheiben erhöht. Das Marktgeschehen am Day-Ahead- und Intradaymarkt vor und am Tag der Sonnenfinsternis selber hat die Einspeiseschwankungen der PVA abgebildet und ausreichende Anreize für flexible Stromerzeugungsanlagen gesetzt. Somit war trotz hoher PVA-Einspeisung von bis zu 20 GW ausreichend Kraftwerksleistung zum Ausgleich der Gradienten am Netz und mithilfe der ergriffenen Maßnahmen konnten große Schwankungen der Netzfrequenz während der Sonnenfinsternis vermieden werden.

Das könnte Sie auch interessieren