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01.07.2011 Seite

Bordnetzkonzepte für Nahverkehrsfahrzeuge

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Dipl.-Ing. Ulrich von Stockhausen
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Elektrische Bahnen im öffentlichen Personennahverkehr

Im öffentlichen Personennahverkehr spielen Straßenbahnen und U-Bahnen als ausgeprägte Massenverkehrsmittel eine bedeutende Rolle im Stadtverkehr. Elektrische Bahnen dieser Art blicken auf eine 130 Jahre alte, erfolgreiche Entwicklungsgeschichte zurück. Sie verkehren in hoher Zugfolge und ermöglichen dank der Möglichkeit der Bildung langer Fahrzeugverbände die Beförderung von Hunderten von Fahrgästen. Die Energie wird als Gleichspannung über eine Oberleitung, bei U-Bahnen auch durch eine Stromschiene bereitgestellt. Die Umwandlung der Wechselspannung in die Gleichspannung erfolgt nicht im Fahrzeug, sondern streckenseitig durch ortsfeste Unterwerke.

Weil moderne Bahnen Energie beim Bremsen zurückspeisen können, kann diese über die Gleichspannungsschiene, mit anderen Bahnen oder Bordnetzverbrauchern ausgetauscht werden. Innerhalb des Fahrzeugs wird diese auch als „Hauptstrom“ bezeichnet und besitzt folgende Eigenschaften:

Spannung im Hauptstromkreis DC (600) 750 V oder DC 1500 V (-30....+20 %)

  • sternförmige Verteilung
  • Hauptstromsammelschiene
  • Versorgung von:
    - Antriebsumrichter
    - Bordnetzumrichter
    - Heizregister

Neuerdings kommen Energiespeicher (Batterien, Super-Caps) im Hauptstromkreis zum Einsatz. Diese werden an die Hauptstromsammelschiene über DC-DC-Wandler (2QS) angebunden und erfüllen folgende Zwecke

  • Stützbetrieb ⇨ Super-Caps mit hoher Leistungsdichte zur Steigerung der Energieeffizienz und Verringerung von Lastspitzen im Fahr-Brems-Zyklus
  • Speicherbetrieb ⇨ Traktionsbatterie, hohe Energiedichte für oberleitungsfreies Fahren

Bordnetzversorgung im Fokus

Bild 1: Entwicklung der Bordnetze

Bei der Betrachtung der elektrischen Ausrüstung von Straßenbahnen und U-Bahnen steht die Traktionsausrüstung üblicherweise im Vordergrund. Die Bordnetzversorgung nimmt jedoch aufgrund des steigenden Leistungsbedarfs einen stets höheren Stellenwert ein und muss mehr denn je bereits bei der Projektierung besonders beachtet werden.

Bordnetze von U- und Straßenbahnen entwickelten sich historisch nach und nach aus den Hauptstromkreisen, zunächst durch einfache Anbindung über Vorwiderstände, oder Reihenschaltungen. Nach dem zweiten Weltkrieg setzten sich Bordnetzumformer durch, die die Spannung des Hauptstromkreises in Bordnetzspannungen (typisch DC 24....110 V) umwandelten und zum Schutz eine galvanische Trennung zwischen beiden Netzen sicherstellten (Bild 1).

Bild 2: klassische Bordnetze mit zentralisierten Umrichtern und Verteilnetzen, schematisch am Beispiel einer Straßenbahn

Nach zunächst ausschließlicher Verwendung von rotierenden Umformern, gestatteten die ab Mitte der sechziger Jahre verfügbaren Leistungshalbleiter neue Lösungen. Hinzu kamen nun Netze mit Dreiphasenwechselspannung, die die optimale Speisung von Beleuchtungseinrichtungen, Lüftern, Luftpressern o.ä. erlaubten. Seit Beginn der neunziger Jahre sind statische Bordnetzumrichter zur galvanisch getrennten Versorgung der DC- und 3AC-Bordstromkreise, sowie zur Batterieladung Stand der Technik. Zur weiteren Optimierung von Leistung, Wirkungsgrad und Gewicht kommen inzwischen hochfrequent und resonant schaltende Umrichter (Soft Switching-Technik) zum Einsatz.

 

Die verwendeten Bordnetzspannungen lassen sich also in zwei Kategorien aufteilen:

Gleichstrombordnetze mit Bordnetzspannungen von DC 24 V oder DC 110V, vereinzelt DC 36V, DC 37,5 V, DC 48 V, DC 72 V (-30….+25 %)

Gleichstrombordnetze dienen der Versorgung der klassischen Steuerstromebene (Zug- , Wagen-, Dauerstromkreise) mit Realais und Schützen, Signalgebern und –meldern, aber auch der Leittechnik und des Fahrgastinformationssystems.

Sie sind als vermaschte Systeme mit redundanter Einspeisung ausgebildet und können aufgrund der hohen zulässigen Spannungstoleranz zugweite Stromkreise (bis zu 180 m Zuglänge) versorgen.

Die Batteriepufferung dient für die Versorgung für die im Notbetrieb relevanten Verbraucher und als wirtschaftliche Lösung für die Leistungsbereitstellung von typischen Spitzenlasten.

Gleichstrombordnetze sind bei Straßenbahnen und U-Bahnen als geerdete Bordnetze mit einpoliger Absicherung ausgeführt.

Drehstrombordnetze mit Bordnetzspannungen 3AC 400 (460….480) V, 50, 60,100Hz

Drehstrombordnetze dienen der Versorgung von Lüftern für Stromrichter, der Lüftung der Fahrgast- und Fahrerräume, von Luftpressern und Verdichtern bei Klimatisierung.

Teilweise werden auch Heizregister, oder Hydrogeräte für mechanische Bremssysteme an 3AC-Netzen betrieben.

Der Betrieb der Drehstrombordnetze erfolgt in manchen Applikationen als frequenzvariable Netze, bzw. mit höherer Frequenz (höhere Leistung, bzw. 100 Hz-Netze wegen Kompatibilität mit Zugsicherungsanlagen).

Steckdosen im Fahrzeug mit der haushaltsüblichen Spannung 1AC 230 V, 50 Hz (Leistungen P = 2 kVA) werden üblicherweise aus dem 3AC-Netz über Trafo mit entsprechender Sternpunktbelastbarkeit, oder aus dem DC-Netz über separaten Wechselrichter versorgt.

Die Drehstrombordnetze sind häufig als vermaschte Systeme mit redundanter Einspeisung ausgeführt. Als übliche Netzformen sind

  • TN-Netze mit geerdetem Sternpunkt
  • IT-Netze mit geerdetem Außenleiter
  • IT-Netze ungeerdet, mit Isolationswächter
  • bei einpoliger Absicherung (z.T. zusätzlich Fehlstromüberwachung) bekannt.

Grenzen der Bordnetzversorgung

Bild 3: Bordnetze mit Dezentralisierung und Spezialisierung der Umrichter

Bei heutigen Fahrzeugen bestimmt der Leistungsbedarf der Komfortlasten, wie Klimaanlagen die Bordnetzauslegung. Es werden hierbei für die Nebenbetriebe Effektivleistungen erreicht, die inzwischen an den Leistungsbedarf der Traktionssysteme heranreichen. Aufgrund der normativ vorgegebenen Bordnetzsystemspannungen werden durch die bei großen Leistungsanforderungen hohen, zu übertragenden Ströme die Grenzen des Systems erreicht:

  • Leistungsgrenze bei DC 24 V ist vielfach durch hohe Übertragungsverluste erreicht, z.B.: Magnetschienenbremsen (pro Paar: 80 A), Sandstreuer 50 A, Hydrogeräte (pro Gerät: 30 A Dauer-, 100 A Anlaufstrom), Scheibenheizung 35A.
  • Bei großen Zuglängen entstehen bei DC 24 V merkliche Spannungsverluste innerhalb der zugweiten Signalschleifen; zudem können nennenswerte Potentailverschiebungen entstehen, wenn parallel zur Schiene durch den Zugverband verlaufende Längsströme aufgrund ungünstiger Erdungskonzepte in das Rückleitersystem eingekoppelt werden.
  • Gleichzeitigkeiten: z.B. das Öffnen von 32 Türen bei einem 8-teiligem U-Bahnzug bedeutet Leistungen von 4,8 kW, im Anlauf von kurzzeitig 12,8 kW (116 A bei DC 110 V).
  • Der hoher Leistungsbedarf für Klimatisierung (30…..50 kVA / Fzg) bedeutet für die 3AC-Spannungsebene ebenfalls ungünstig hohe Ströme und Leistungsverluste, sofern nicht dezentrale Umformung (Klimaumrichter am Hauptstrom) möglich ist.
  • wirtschaftlich günstige KFZ- oder Industrie-Komponenten sind aufgrund abweichender Erdungskonzepte und Spannungstoleranzbereiche kaum, oder nur mit Anpassungen verwendbar.

Aufgrund des begrenzten Einbauraumes und einer optimalen Gewichtsbilanz, aber auch zum Beherrschen der vorgenannten Grenzen ist eine genaue Analyse und Optimierung bereits in der Konstruktionsphase von essentieller Bedeutung:

  • Einschaltdauern (max/min), Gleichzeitigkeiten
  • HKL: Sommer-/Winterbetrieb
  • Lastverhalten (R-Lasten, P-Lasten), Anlaufströme
  • Besondere Lastspitzen, Unterspannungsbetrieb
  • Anforderungen an besondere Betriebssituationen
  • Batteriemanagement
  • Leitungsverluste

Die zukünftige Entwicklung geht aufgrund der vorgenannten Problemstellungen in Richtung Dezentralisierung und Spezialisierung der Bordnetzumrichter. Eine höhere Anzahl von Bordnetzumrichtern erlaubt zudem Netztopologien, die für essentielle oder sicherheitsrelevante Verbraucher hohe Redundanzen in der Versorgung vorsehen können. Ein anderer Ansatz besteht darin, Bordnetzumrichter speziell für bestimmte Lasten zu optimieren, um damit lokal begrenzte, an die Verbraucher angepasste Netze aufzubauen.

Als eine weitere Entwicklung in Richtung Dezentralisierung und Spezialisierung erscheint die wirtschaftlich mögliche Bereitstellung von kompakten Kleinumrichtern wünschenswert. Zusammen mit der verfügbaren Leittechnik entsteht ein Lastmanagement, das die komplexeren aber vorteilhaften Netztopologien beherrschbar macht:

  • bessere Umsetzung funktionaler Anforderungen (Funktionserhalt, Redundanz)
  • Energieverteilung mit jeweils höchster Spannungsebene an Bord
  • lokal begrenzbare Netze: Durchkopplung von Signalen galvanisch getrennt, Verringerung des Verkablungsaufwandes
  • kleinere Bordnetzspannungstoleranzen (Verwendung von Industriekomponenten)

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