Rheinfelden nimmt in der Geschichte der elektrischen Energieversorgung einen herausragenden Platz ein. Genau an dieser Stelle des Hochrheins war die erste Großwasserkraftanlage Europas entstanden, die als Überlandwerk ab dem Jahr 1898 elektrischen Strom für Industrie, Gewerbe und Haushalte erzeugte. Die Kraftwerksleistung von 17 000 Pferdestärken erschien nach damaligen Begriffen gewaltig, die Festlegung auf den noch jungen Drehstrom und eine Frequenz von 50 Hertz geriet zum Volltreffer, und der sehr bald eingerichtete Parallelbetrieb mit anderen Kraftwerken leitete die Verbundwirtschaft ein.
Wasserkraftwerk Rheinfelden: eine Erfolgsgeschichte, gekrönt durch einen IEEE-Milestone 2014
Erstes Großwasserkraftwerk Europas
Die Anfänge der zentralen Stromerzeugung fallen in die 1880er Jahre, die jeweils installierten Leistungen waren eher bescheiden und auf bestimmte Abnehmer zugeschnitten. Ein erster Aufschwung setzte noch im selben Jahrzehnt ein: Dank Übergang von Gleich- auf Wechsel-strom konnte die Versorgungsreichweite gesteigert und die Stromerzeugung zentral aus Kraftwerken an Flüssen oder Stadträndern bewerkstelligt werden. Mit Hinaufsetzen der Spannung durch Transformatoren wurde es auch möglich, den Strom über weitere Strecken zu transportieren, also „die Kraft elektrisch zu übertragen“.
Von den Kraftwerken der Frühzeit fallen einige Spitzenreiter besonders auf. Das Württembergische Portland-Cementwerk zu Lauffen bei Heilbronn ließ am Neckar ein Flusskraftwerk bauen, das eine Nutzleistung von zunächst 600 PS (440 Kilowatt) erbrachte und ab 1892 das Zementwerk und die zehn Kilometer entfernte Stadt Heilbronn mit Strom versorgte. Einer der beiden Maschinensätze war zuvor bei der legendären Kraftübertragung über eine 175 Kilometer lange Versuchsleitung zur Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung 1891 nach Frankfurt am Main vorübergehend eingesetzt worden. Frankfurt erhielt 1894 eine eigenständige Stromversorgung aus einer städtischen Zentralstation beim rechtsmainischen Hafen, in welcher ab 1896 vier Generatoren, angetrieben durch Kolbendampfmaschinen, insgesamt 3 000 PS leisteten. In der Schweiz wurde 1896 das bis dahin größte Wasserkraftwerk Wynau an der Aare in Betrieb gesetzt, welches mit fünf Maschinensätzen total 3 000 PS erbrachte.
Die Ingenieure wagten sich mittlerweile an immer größere Projekte. So entstand am Flusslauf der Adda, am Südrand der Alpen, die Hydrozentrale Paderno d’Adda (auch Bertini genannt), welche 1898 im Erstausbau fast 7 000 PS erzeugte und diese Leistung über eine 32 Kilometer lange Hochspannungsleitung nach Mailand schickte.
Am Hochrhein hatten die Stromschnellen bei Rheinfelden schon lange die Fantasie der Wasserbau-Pioniere beflügelt. Aus einer 1889 gegründeten Vorbereitungsgesellschaft gingen 1894 die Kraftübertragungswerke Rheinfelden hervor als Betriebsgesellschaft für das Laufwasserkraftwerk unter Federführung der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft AEG in Berlin, mit Einschluss namhafter Bankhäuser und Beteiligung u. a. der Maschinenfabrik Oerlikon MFO bei Zürich. Im Jahr 1898 kam ein nach damaligen Begriffen riesiges Bauprojekt zur Vollendung: Gemäß traditionellem Mühlenprinzip war ein Großteil des Rheinwassers über einen Seitenkanal abgezweigt und einem parallel zum Ufer angeordneten Maschinenhaus zugeführt worden (Bilder 1 und 3). In diesem hatten insgesamt 20 Maschinensätze aus je einer Wasserturbine und einem Stromgenerator Aufstellung gefunden (Bild 2). Auf diese Weise wurde dem Rhein die enorme Nutzkraft von 17 000 Pferdestärken (12 500 Kilowatt) entnommen und in elektrischer Form an die Verbraucherschaft herangeführt − ein für Europa gewaltiger Rekord! Immerhin war nur drei Jahre zuvor auf dem nordamerikanischen Kontinent an den Niagarafällen das allererste Großwasserkraftwerk der Welt entstanden, dessen Gesamtleistung von 15 000 PS nun sogar überflügelt wurde.
Leuchtturm der Drehstromtechnik
Das Riesenprojekt Rheinfelden war erst gesichert nach vertraglicher Verpachtung von fast der Hälfte der Maschinensätze an je ein elektrochemisches Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz, welche die Ansiedlung von Zweigwerken in unmittelbarer Nähe beabsichtigten. Für deren Elektrolyse-Prozesse war Gleichstrom gefragt. Der andere Teil der Stromerzeugung hingegen sollte an Abnehmer mit verschiedenster Nutzung gehen: an die Nachbar-Großbetriebe und andere Industriewerke sowie an Kommunen, Gewerbe und Private „in einem Umkreis von ca. 20 km um Rheinfelden herum“. Für Übertragung und Verteilung galt selbst-verständlich der Wechselstrom als geeignetste Stromart − für Lichtzwecke genügte einfacher Wechselstrom, für Elektromotoren hingegen war mehrphasiger Wechselstrom gefragt.
Passende Vorbilder für ein optimales Stromsystem gab es nicht; die Szene war eher verwirrend: Beim E-Werk Frankfurt zum Beispiel hatte man Einphasen-Wechselstrom bevorzugt, vornehmlich für Licht − die Niagara-Generatoren stellten Zweiphasen-Wechselstrom her, für Licht und Kraft – die Kraftwerke Lauffen, Wynau und andere erzeugten Dreiphasen-Wechsel-strom (auch „Drehstrom“ genannt), als Mehrzwecksystem. Letzterer galt manchem Systemgegner als kompliziert und aufwendig. Falsch war ein Vorwurf der Zweifler, für die drei Wechselstrom-Phasen benötige man je einen Hin- und Rückleiter, also insgesamt sechs Leiter, was vor allem bei den Übertragungsleitungen zu großem Aufwand führen würde. Der sogenannt „verkettete“ Drehstrom, eine geschickte Schaltung des Dreiphasen-Wechselstroms, kommt aber ohne Rückleiter aus, benötigt also nur drei Leitungsdrähte. Weitere Vorteile: Ein „Drehstromtransformator“ vereinigt drei Einzeltransformatoren in einem einzigen Apparat, kommt ohne magnetische Rückschenkel aus und braucht deutlich weniger Dynamoblech. Ein „Drehstrommotor“ mit Käfigläufer ist einfach im Aufbau, preiswert, selbstanlaufend, robust im Betrieb und vorzüglich im Wirkungsgrad. Hinter diesen Erfindungen aus den Jahren 1889/90 stand ein kluger Kopf: Michael von Dolivo-Dobrowolsky, Chefelektriker bei der AEG in Berlin und bald als stürmischer Drehstrompionier wahrgenommen. Später, vor allem posthum, wurde er mehrfach geehrt.
Nach eingehenden Untersuchungen der möglichen Stromsysteme kam die AEG zum Schluss, „wegen der Vorzüge des Dreiphasenstromes bei der Kraftübertragungs-Anlage Rheinfelden Drehstrom anzuwenden“. Es war ein Beschluss, der bald Signale in die ganze Fachwelt aus-senden sollte. In der Tat: Das Drehstromsystem setzte sich dann weltweit durch.
Flaggschiff der 50-Hz-Frequenz
Ein fast noch größeres Durcheinander bestand bei der Periodenzahl des Wechselstroms, es herrschte ein regelrechter Frequenzkrieg. Um bei den früheren Beispielen zu bleiben: Das Niagara Kraftwerk lief mit 25 Hertz, Lauffen mit 40 Hz, Paderno 42 Hz, Frankfurt 45⅓ Hz und Wynau 50 Hz. In der Schweiz hatte die MFO 1892 im Kraftwerk Hochfelden „Lauffen-ähnliche“ Generatoren mit 50 Hz installiert, dasselbe 1895 in Bremgarten an der Reuss. In den USA war man dabei, von den hohen Frequenzen 133⅓ Hz und 125 Hz (nach altem Maß: 16 000 und 15 000 Wechsel pro Minute) abzurücken und stattdessen bei Neuanlagen 25 Hz für Übertragung und Synchronumformer (wie bei Niagara) und 60 Hz für allgemeine Zwecke anzuwenden. Klar war einzig: Hohe Frequenzen ermöglichen leichte Transformatoren, tiefe Frequenzen sind nötig für motorische Anwendungen und Übertragungen, für ruhiges Bogen-licht sollte die Frequenz nicht unter 41⅔ Hz (5 000 Wechsel pro Minute) liegen.
In dieser kontroversen Situation hatten sich die Experten für Rheinfelden vorgenommen, eine „für den speziellen Fall günstigste Wechselzahl des Stromes“ von neuem zu bestimmen. Emil Rathenau, Generaldirektor der AEG, berichtete darüber ausführlich in einem Vortrag an der 4. Jahresversammlung des VDE 1896 zu Berlin und gab bekannt, „man habe sich nach eingehenden Erwägungen zu 50 Perioden in der Sekunde entschlossen“.
Die AEG hielt bei anschließenden Kraftwerksprojekten an 50 Hz fest und setzte diese Frequenz – gleich wie die befreundete MFO in der Schweiz – konsequent durch (manche Quellen sprechen sogar von einem „AEG-Monopol“). Andere Kraftwerksbauer schlossen sich aus naheliegenden Gründen an. Wie bekannt, hat sich die „europäische“ 50-Hz-Frequenz in fast allen Ländern der Erde etabliert; die „amerikanische“ Frequenz 60 Hz blieb auf Nordamerika, einen Teil Südamerikas und einige Überseeländer beschränkt.
Keimzelle des kontinentaleuropäischen Verbundnetzes
Eines der Wunsch-Absatzgebiete des Kraftwerks Rheinfelden war Basel. Wenn auch die Stadt am Rheinknie bestrebt war, möglichst unabhängig aus eigener Wasserkraft Strom zu gewinnen, kam eine Vereinbarung zustande: Die Kraftübertragungswerke schlossen 1903 einen Zuliefervertrag mit dem neu entstandenen Aare-Flusskraftwerk Beznau in der Schweiz und schufen so die Voraussetzung, Schweizer Strom via Rheinfelden über deutsches Gebiet nach Basel zu liefern. Es war der Anfang einer grenzüberschreitenden Stromwirtschaft. Beznau selbst erweiterte 1908 in der Schweiz seinen Verbund mit dem alpinen Speicherkraftwerk Löntsch im Kanton Glarus. Im Jahr 1912 ging östlich von Basel das Doppelkraftwerk Augst-Wyhlen in Betrieb, und 1914 folgte weiter rheinaufwärts das Kraftwerk Laufenburg. Auch mit diesen Stromproduzenten nahm Rheinfelden den Verbundbetrieb auf. So entwickelte sich allmählich ein Netz kooperierender Kraftwerke mit dem Hauptziel, sich gegenseitig auszuhelfen und die Versorgungssicherheit zu erhöhen. Das anfänglich regionale Versorgungsnetz am Hochrhein konnte innerhalb von hundert Jahren zu einem riesigen Verbundsystem in Kontinentaleuropa anwachsen, das sich 1999 den Gründernamen UCTE (Union for the Coordination of Transmission of Electricity) gab. Es umfasst mittlerweile 24 Länder mit über 400 Millionen Verbrauchern und erstreckt sich von Portugal bis Polen, von Sizilien bis Jütland, vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer. Die Kraftübertragungswerke Rheinfelden dürfen besonders stolz darauf sein, als Keimzelle dieses gewaltigen Verbundnetzes zu gelten!
Rückbau und Neuanlage
Nach 112 Jahren Betrieb ist 2010 das alte Kraftwerk vom Netz genommen und rückgebaut worden. Es wurde von einer modernen Wasserkraftanlage abgelöst, jetzt mit dem Maschinen-haus am gegenüberliegenden Schweizer Ufer (Bild 4, oben rechts). Am vorbildlich renaturierten alten Standort eröffnete 2012 die Kraftwerksgesellschaft Energiedienst AG, vormals Kraftübertragungswerke Rheinfelden, einen Ausstellungspavillon, genannt „Kraftwerk 1898“, mit vielen Technik-Originalstücken von damals. Am vorbeiführenden Rheinufer-Rundweg erinnern die Rathenau- und Dolivo-Plattform an herausragende Persönlichkeiten der frühen Kraftwerkstechnik. Ausstellungspavillon und Rundweg längs beider Ufer haben sich zu einem Publikumsmagnet am Hochrhein entwickelt, für Wanderfreudige und Fahrradausflügler aus dem VDE ein regelrechtes Muss!
Empfänger einer IEEE Milestone Auszeichnung 2014
Am historischen Kraftwerksort Rheinfelden kam mittlerweile eine Milestone-Tafel des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE) zur Aufstellung, was die hohe technikgeschichtliche Bedeutung der Pionieranlage auch international bekräftigt. Mit dem „Milestone Program“ würdigt das IEEE seit 1983 bedeutende historische Errungenschaften in der Elektrotechnik und Informatik. So wurde im Jahr 2010 dem Netzknotenpunkt Laufenburg auf Schweizer Boden der IEEE-Milestone „Star of Laufenburg Interconnection, 1958“ (Stern von Laufenburg, 1958) zugesprochen. Dieser steht für den Zusammenschluss der Hochspannungs-Stromnetze zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich im Jahr 1958 – die Geburtsstunde des europäischen Verbundnetzes.
Nur 25 Kilometer flussabwärts liegt der Kraftort Rheinfelden. Von dort war der erste elektrische Parallelbetrieb mit anderen Grenzkraftwerken am Hochrhein und in der Nordschweiz aufgebaut worden. Das ging nur auf der Grundlage eines einheitlichen Stromsystems mit derselben Stromfrequenz. Die Kraftübertragungswerke Rheinfelden hatten bei sich selbst mit Überzeugung den 50-Hz-Drehstrom eingerichtet und − wie die Technikgeschichte im Rückblick zeigt − das Stromsystem vorbildhaft für die Zukunft geprägt. Ebenso war es die imponierende Leistungsfähigkeit, welche Europas erstes Großwasserkraftwerk so einzigartig erscheinen ließ. All diese Merkmale haben die IEEE Germany Section und den Verfasser dieser Zeilen bewogen, beim IEEE History Committee für das alte Wasserkraftwerk Rheinfelden, vertreten durch den Ausstellungspavillon, die Verleihung eines IEEE Meilensteins zu beantragen. Mit Erfolg: Am 25. September 2014 wurde der Milestone „Rheinfelden Hydroelectric Power Plant, 1898−2010“ in einem denkwürdigen Festakt enthüllt [5]. Es sollte übrigens die erste Milestone-Auszeichnung auf deutschem Boden sein!
Aufnahme in die VDE-Datenbank „Meilensteine der Elektrotechnik“
Es ist geradezu ein Muss, dass das deutsch/schweizerische Grenzkraftwerk Rheinfelden in der neuen VDE-Datenbank „Meilensteine der Elektrotechnik“ seinen Eintrag finden wird. Die Online-Plattform über „Objekte - Projekte - Orte der Elektrotechnik“ wurde Ende 2013 mit ersten Piloteinträgen gestartet und wird laufend erweitert. Mit dem Eintrag „Wasserkraftwerk Rheinfelden“ wird die Bedeutung dieses Kraftortes am Hochrhein auch in elektronischer Form festgehalten sein.
Literatur
[1] Rathenau, Emil: Die Kraftübertragungswerke zu Rheinfelden. In: ETZ Elektrotechnische Zeitschrift 17(1896)27, S. 402−409
[2] Bocks, Wolfgang: Perspektiven mit Strom. Jubiläumsschrift der Kraftübertragungswerke Rheinfelden AG anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens im Jahre 1994. Hrsg. Kraftübertragungswerke Rheinfelden AG, Rheinfelden / Baden. Hornberger Druck KG, Maulburg.
[3] Neidhöfer, Gerhard: Technikgeschichtliche Bedeutung des alten Kraftwerks Rheinfelden. Aargauer Heimatschutzpreis 2009. Aargauer Heimatschutz, Geschäftsstelle Rheinfelden / Schweiz.
[4] Neidhöfer, Gerhard: Warum haben wir heute die Frequenz 50 Hz? In: ETG Mitgliederinformation 2014-1.
[5] IEEE Global History Network GHN: Rheinfelden Hydroelectric Power Plant, 1898−2010. IEEE Milestone in Electrical Engineering and Computing, September 2014.