Erstes Großwasserkraftwerk Europas
Die Anfänge der zentralen Stromerzeugung fallen in die 1880er Jahre, die jeweils installierten Leistungen waren eher bescheiden und auf bestimmte Abnehmer zugeschnitten. Ein erster Aufschwung setzte noch im selben Jahrzehnt ein: Dank Übergang von Gleich- auf Wechsel-strom konnte die Versorgungsreichweite gesteigert und die Stromerzeugung zentral aus Kraftwerken an Flüssen oder Stadträndern bewerkstelligt werden. Mit Hinaufsetzen der Spannung durch Transformatoren wurde es auch möglich, den Strom über weitere Strecken zu transportieren, also „die Kraft elektrisch zu übertragen“.
Von den Kraftwerken der Frühzeit fallen einige Spitzenreiter besonders auf. Das Württembergische Portland-Cementwerk zu Lauffen bei Heilbronn ließ am Neckar ein Flusskraftwerk bauen, das eine Nutzleistung von zunächst 600 PS (440 Kilowatt) erbrachte und ab 1892 das Zementwerk und die zehn Kilometer entfernte Stadt Heilbronn mit Strom versorgte. Einer der beiden Maschinensätze war zuvor bei der legendären Kraftübertragung über eine 175 Kilometer lange Versuchsleitung zur Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung 1891 nach Frankfurt am Main vorübergehend eingesetzt worden. Frankfurt erhielt 1894 eine eigenständige Stromversorgung aus einer städtischen Zentralstation beim rechtsmainischen Hafen, in welcher ab 1896 vier Generatoren, angetrieben durch Kolbendampfmaschinen, insgesamt 3 000 PS leisteten. In der Schweiz wurde 1896 das bis dahin größte Wasserkraftwerk Wynau an der Aare in Betrieb gesetzt, welches mit fünf Maschinensätzen total 3 000 PS erbrachte.
Die Ingenieure wagten sich mittlerweile an immer größere Projekte. So entstand am Flusslauf der Adda, am Südrand der Alpen, die Hydrozentrale Paderno d’Adda (auch Bertini genannt), welche 1898 im Erstausbau fast 7 000 PS erzeugte und diese Leistung über eine 32 Kilometer lange Hochspannungsleitung nach Mailand schickte.
Am Hochrhein hatten die Stromschnellen bei Rheinfelden schon lange die Fantasie der Wasserbau-Pioniere beflügelt. Aus einer 1889 gegründeten Vorbereitungsgesellschaft gingen 1894 die Kraftübertragungswerke Rheinfelden hervor als Betriebsgesellschaft für das Laufwasserkraftwerk unter Federführung der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft AEG in Berlin, mit Einschluss namhafter Bankhäuser und Beteiligung u. a. der Maschinenfabrik Oerlikon MFO bei Zürich. Im Jahr 1898 kam ein nach damaligen Begriffen riesiges Bauprojekt zur Vollendung: Gemäß traditionellem Mühlenprinzip war ein Großteil des Rheinwassers über einen Seitenkanal abgezweigt und einem parallel zum Ufer angeordneten Maschinenhaus zugeführt worden (Bilder 1 und 3). In diesem hatten insgesamt 20 Maschinensätze aus je einer Wasserturbine und einem Stromgenerator Aufstellung gefunden (Bild 2). Auf diese Weise wurde dem Rhein die enorme Nutzkraft von 17 000 Pferdestärken (12 500 Kilowatt) entnommen und in elektrischer Form an die Verbraucherschaft herangeführt − ein für Europa gewaltiger Rekord! Immerhin war nur drei Jahre zuvor auf dem nordamerikanischen Kontinent an den Niagarafällen das allererste Großwasserkraftwerk der Welt entstanden, dessen Gesamtleistung von 15 000 PS nun sogar überflügelt wurde.