01.05.2011 Fachinformation

VDE/ETG-Empfehlung „Politische Handlungsfelder im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Elektrizitätsversorgung in Deutschland und Europa“

Die deutsche Bundesregierung hat mit ihrem im Herbst 2010 vorgelegten Energiekonzept die ambitionierten politischen Ziele für das Jahr 2020 und die anschließende Zeit bis 2050 bestätigt und einen breiten Maßnahmenkatalog vorgelegt, der das Erreichen der Ziele sicherstellen soll. Auch auf europäischer Ebene wird der akute Handlungsbedarf zunehmend diskutiert und quantifiziert. Es ist offensichtlich, dass die (elektrische) Energieversorgung keine ausschließlich nationale Frage mehr ist, sondern eines abgestimmten europäischen Prozesses bedarf. Die Energietechnische Gesellschaft im VDE (ETG) hat den Wandel in der elektrischen Energieversorgung in den zurückliegenden Jahren mit zahlreichen Studien begleitet und mehrfach auf notwendige Entwicklungen hingewiesen. Die VDE/ETG-Empfehlung spiegelt nicht nur den aktuellen Stand der energiepolitischen Maßnahmen und Zielsetzungen an den Ergebnissen dieser Studien, sondern zeigt insbesondere den verbleibenden Handlungsbedarf auf.

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen

Das Energiekonzept der Bundesregierung ist außerordentlich ambitioniert. Mit einem Ziel von 80% Bruttoelektrizitätsverbrauch aus erneuerbaren Quellen geht es deutlich über alle dem Energiekonzept zugrundeliegenden Szenarien hinaus. Daraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen:

  • Mit einigen weiteren Annahmen ergibt sich aus den Zielen des Energiekonzeptes überschlägig eine erforderliche installierte Leistung von 145 GW aus Windkraftanlagen und PV-Anlagen.
  • Diese installierte Leistung übersteigt die Last bei weitem, so dass regelmäßig mit erheblichen Leistungsüberschüssen im Netz gerechnet werden muss.
  • Um diese Leistungsüberschüsse zu nutzen und um gleichzeitig längere Nichtverfügbarkeiten der erneuerbaren Energieträger zu überbrücken, ist ein deutlicher Ausbau entsprechender Speicherkapazitäten erforderlich.
  • Um das System weiterhin mit der gewohnten Zuverlässigkeit und Stabilität betreiben zu können, wird es nicht ausreichend sein, die Verantwortlichkeiten, Marktregeln und technischen Regelwerke lediglich fortzuschreiben. Vielmehr erfordert die Umsetzung der Ziele der Bundesregierung ein komplett neues Systemdesign.
  • Die Lösung wird in der Erweiterung der bisher üblichen Systemgrenzen, d.h. durch eine integrale Betrachtung der parallelen Systeme und Infrastrukturen für Strom, Gas, Wärme und Verkehr, sowie in der horizontalen und vertikalen Systemintegration zu finden sein.
  • Die horizontale Systemintegration, d.h. die Ausweitung des Verbundbetriebs, ist eine seit Jahrzehnten erfolgreich geübte Strategie. Die Anstrengungen zur geographischen Erweiterung (Stichwort TEIAS-Anbindung, Mittelmeer-Ring) sowie zur Erhöhung der Übertragungskapazitäten und der Marktintegration zielen in diese Richtung und sind weiter zu verfolgen.
  • Die vertikale Systemintegration hat zum Ziel über die bestehenden Hierarchieebenen (Erzeugung, Übertragung und Verteilung) und Systemgrenzen hinweg unter Einschluss der verteilten Erzeuger und der Lasten ein integriertes Gesamtsystem zu schaffen.
  • Dieses Konzept eines integrierten Gesamtsystem (summarisch als „Smart System" bezeichnet) geht weit über den „Smart Grids"-Ansatz hinaus, der im wesentlichen die Automatisierung der Verteilungssysteme und die Ausrüstung mit kommunikationsfähigen elektronischen Zählern zum Inhalt hat.
  • Die Entwicklung eines „Smart Systems" beinhaltet nicht nur geeignete primärtechnische Konzeptionen und Kommunikationssysteme, sondern die Neudefinition von Verantwortlichkeiten, Marktregeln, Geschäftsmodellen, Tarifstrukturen und Anreizsystemen.
  • Eine Forcierung des Forschungs- und Entwicklungsbedarfs ist insbesondere in folgenden Bereichen erforderlich:
    - Optimierungspotentiale des integrierten Gesamtsystems
    - Automatisierung der Verteilungsnetze
    - Entwicklung von Speichertechnologien auf allen Systemebenen
    - Realisierung eines leistungsstarken Overlay-Netzes
  • Wegen der langen Umsetzungszeiten und der Tatsache, dass der höchste absolute Zubau an dargebotsabhängiger Erzeugungsleistung und damit die entscheidende Systemveränderung im laufenden Jahrzehnt erfolgen wird, müssen die Grundlagen für das neue Systemkonzept schnell gelegt werden. Der gesamte Veränderungsprozess muss umgehend eingeleitet und stringent verfolgt werden.
  • Die Rahmenbedingungen für ein investitionsfreundliches Klima müssen umgehend geschaffen werden, um schnellstmöglich Planungssicherheit und Anreize zu schaffen.
  • Im Sinne einer verbesserten Toleranz von Großprojekten muss die Kommunikation mit der Bevölkerung frühzeitig beginnen, um den betroffenen Personenkreis über die konkrete Notwendigkeit der Einzelmaßnahme zu informieren und in die Lösungsfindung einzubeziehen. Hierfür sind geeignete Instrumente zu entwickeln.
  • Die Herausforderungen beim Umbau der Energiewirtschaft sind international und können folglich nur in internationaler Abstimmung gelöst werden.
  • Die Plattform „Zukunftsfähige Netze" (unter Beteiligung aller Interessengruppen) hat nach Einschätzung der ETG eine zentrale Bedeutung für die Erreichung der Ziele.
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Prof. Dr.-Ing. Kreusel, ETG-Vorsitzender, erläutert die VDE/ETG-Empfehlung "Politische Handlungsfelder im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Elektrizitätsversorgung in Deutschland und Europa"