Die vorliegende Studie soll Aussagen zur energetischen Optimierung des Bahnverkehrs liefern, Kausalitäten benennen und richtige Verhältnisse zwischen den verschiedenen Einflussgrößen herstellen. Aufgrund der Vielfalt von technischen Lösungen und betrieblichen Szenarien im Eisenbahnwesen hat sie hingegen nicht den Anspruch auf wissenschaftliche Exaktheit in allen Details.
Sie ermöglicht eine qualitative Abschätzung der Konsequenzen eigenen Handelns, aber durchaus basiert auf physikalischen Zusammenhängen und realen Daten, und damit auch eine gezielte Prioritätensetzung im Zusammenhang mit dem komplexen Thema Energiebedarf.
Im abschließenden Kapitel werden die drei wesentlichen Kategorien von Handlungsempfehlungen herausgearbeitet:
- Energieverluste reduzieren (jenseits der heutigen Grenzen der eingesetzten Technologien)
- Energieverschwendung vermeiden (durch Aufhebung bestehender Unzulänglichkeiten)
- Energieoptimierung vorantreiben (mit Blick auf das gesamte Bahnsystem als Einheit von Infrastruktur, Fahrzeugen und Betrieb).
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Elektrische Bahnen sind leistungsfähig, energieeffizient und umweltfreundlich. Mittels elektrischer Energie ermöglichen sie den attraktiven und komfortablen Hochgeschwindigkeitsverkehr zu Land mit Reisegeschwindigkeiten zwischen 200 km/h und 300 km/h. In den modernen Großstädten sind sie als zuverlässige, Ressourcen schonende städtische Nahverkehrsmittel mit mehreren 10.000 Personen pro Stunde und Richtung unverzichtbar. Im Güterverkehr gibt es keine effizientere Variante für den Langstreckentransport und den Transport von Massengütern.
Die Vorteile der elektrischen Bahnen resultieren einerseits aus dem elektrischen Antrieb selbst, der in heutiger Ausführung mit stromrichtergeregelten Asynchronmotoren hinsichtlich Masse-Leistungsverhältnis, Wirkungsgrad und Nutzung der elektrischen Bremsenergie anderen Antriebstechnologien - nicht nur im Bahnbereich - weit überlegen ist. Zudem bieten der geringe Rollwiderstand des Rhiene-Kontaktes, der vergleichsweise günstige aerodynamische Widerstand infolge der Zugbildung und die Möglichkeit der energieoptimalen Steuerung bahnbetrieblicher Prozesse hervorragende Voraussetzungen für nachhaltige energieeffiziente Mobilität.
Trotz hohem Entwicklungsstand wird auch bei den elektrischen Bahnen intensiv an Weiterentwicklungen gearbeitet, wie an der Verbesserung von Komponentenwirkungs-graden z.B. bei Fahrmotoren, Umrichtern und Transformatoren, an der Integration von Traktionsenergiespeichern oder an der betrieblichen Prozesssteuerung. Selbstverständlich soll die Bahn auch in mittlerer und fernerer Zukunft weiterhin im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern zuverlässig, komfortabel, preisgünstig und auch noch energiesparender betrieben werden. Ein energiesparender Betrieb hat dabei einerseits den Vorteil der geringeren Betriebskosten und andererseits der geringeren Umweltauswirkungen in Form von vermindertem Ausstoß des klimarelevanten CO2.
Der ETG-Fachbereich A2 „Bahnen mit elektrischen Antrieben" hat sich daher die Aufgabe gesetzt, die Reduktion des Energieverbrauchs von Bahnen zu untersuchen und Verbesserungspotenziale zu erarbeiten. Folgende Ansätze dienten dabei als Leitlinie:
- Die Entwicklung von Komponenten und Teilsystemen ist bereits so weit fortgeschritten, dass sich in vielen Bereichen nur noch geringe Optimierungen realisieren lassen. Für eine erweiterte Betrachtung des Gesamtsystems und damit des Zusammenspiels der einzelnen Komponenten fehlt vielen Bereichen(Hersteller, Betreiber, universitäre Forschung) jedoch die Kompetenz und/oder die Erfahrung. Eine enge Zusammenarbeit dieser drei Bereiche findet nur selten und nur unter eng begrenzten Aufgabenstellungen statt.
- Betreiberseitig lag bislang der Fokus mehr auf Betriebsstabilität, Zuverlässigkeit, Langlebigkeit der Produkte, Performance, Komfort usw. als auf Energieeffizienz. Aufgrund steigender Energiekosten, steigenden Kostendrucks sowie der öffentlichen Meinung in Bezug auf die Umweltwirkungen, auch des Schienenverkehrs, wird ein geringer Energiebedarf immer wichtiger.
Der vorliegende Bericht beschreibt objektiv, wie im Bahnwesen der Energiebedarf technisch machbar reduziert werden kann. Er gibt so Handlungsempfehlungen an die verschiedenen verantwortlichen Stellen bei Herstellern und Betreibern, gibt Anregungen an Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen. Bereits im Vorfeld umwelt- und verkehrspolitischer Entscheidungsfindung werden deren Auswirkungen durch diesen Bericht transparent gemacht.
Energie"verluste" reduzieren:
Das beinhaltet die Verbesserung der Wirkungsgrade von Komponenten und Anlagen. Derartige Maßnahmen sind jedoch nur bei denjenigen Komponenten bzw. Elementen effizient anwendbar, in denen hohe Verluste auftreten. Grundsätzlich ist dieser Effekt am Anfang der Energieübertragungskette (Kraftwerke, Umrichterwerke), wo der „Energiefluß" gebündelt ist, größer als am Ende (Bahnantrieb). Dieses Ziel erfordert prinzipiell technische Innovationen.
Verlustarme Energieerzeugung: Konventionelle Kraftwerke zur Stromerzeugung haben erhebliche Umwandlungsverluste, die durch technologische Weiterentwicklung reduziert werden können. Mehr Potenzial hat jedoch die Umstellung auf regenerative Energien, wie sie momentan unter dem Stichwort „Energiewende" vorangetrieben wird. Folglich wird der gesamte elektrische Bahnverkehr besonders von dieser Entwicklung profitieren.
Verlustarme Energiewandlung im Fahrzeug: Hierunter ist primär der Antriebswirkungsgrad zu verstehen. Der Effekt ist bei Verkehrsarten mit häufigen Fahrzyklen (Regionalverkehr, U-Bahn) am größten. Da mit der Einführung der Drehstromantriebstechnik bereits ein niedriges Verlustniveau erreicht worden ist, stehen hier die „kleinen", aber aufwandsarmen Maßnahmen im Vordergrund:
- optimierte Steuerverfahren der Leistungselektronik,
- Bedarfsweises Abschalten paralleler Antriebsstränge,
- Zusammenlegung von Kühlkreisläufen.
Sie sollen von der Bahnindustrie in Eigeninitiative verfolgt werden. Innovative Entwicklungen (permanenterregte Fahrmotoren, getriebeloser Antrieb, mobile Energiespeicher, oder Ersatz herkömmlicher Transformatoren durch Umrichter mit Hochspannungs-Halbleitern, supraleitende oder Mittelfrequenz-Trafos) stehen noch am Anfang und sind bei heutigen Energiepreisen selten wirtschaftlich. Aufgrund negativer Erfahrungen mit individuellen Initiativen wird vorgeschlagen, die Entwicklungsanstrengungen gezielt zwischen Bahnindustrie und Hochschulen zu bündeln und von staatlicher Seite zu fördern. Im Gleichklang mit der Technologieentwicklung müssen auch betriebliche und technische Regelwerke der Betreiber sowie Normen und Standards fortgeschrieben werden, damit die neuen Komponenten und Verfahren überhaupt zugelassen werden können.
- Verringerung des Fahrwiderstandes: Wegen des (bahn-)systembedingt kleinen Rollwiderstands ist hierunter vorrangig der aerodynamische Widerstand zu verstehen. Dessen Optimierung ist zunächst für Bahnen mit höheren Geschwindigkeiten (Fernverkehr) oder hohem Luftwiderstand (Güterverkehr) interessant, gegebenenfalls auch im schnellen Regionalverkehr. Entsprechende Entwicklungsanstrengungen der Bahnindustrie müssen von den Bahnbetreibern nicht nur gefordert, sondern auch honoriert werden.
Energie"verschwendung" vermeiden:
Einerseits sind Verhaltensänderungen im Bahnbetrieb nötig, die vorrangig durch ein gezieltes Training der beteiligten Fachkräfte erreicht werden können: Zu nennen wären die energiesparende Fahrweise oder eine Anpassung der Komfortfunktionen an die Umweltbedingungen.
Andererseits gibt es technische Innovationen, die aufgrund der langen Lebensdauer von Fahrzeugen und Infrastruktur bislang nur in Einzelfällen realisiert wurden. Diese erfordern eine gezielte Förderung der Modernisierung, und zwar nicht nur monetär, sondern auch durch Abbau von bürokratischen Hürden.
Energiesparende Fahrweise: Die Nutzung von vorhandenen Fahrzeitreserven „Zeitrückhalt" durch Absenkung der Maximalgeschwindigkeit ist in allen Verkehrsarten relevant. Dies kann im einfachsten Fall durch eine Schulung des Fahrpersonals erfolgen, in komplexen Netzen jedoch besser mithilfe von Fahrerassistenzsystemen, deren Empfehlungen über eine Betriebsleitzentrale fahrplangerecht koordiniert werden. Ein weiterer Ansatz ist die Vermeidung unnötiger Antriebs- und Bremszyklen durch die Einführung von „Bedarfshalten" (Fahrgastwunsch in Straßenbahn und Regionalverkehr).
Bedarfsgerechte Klimatisierung: Wegen ihres hohen Energiebedarfs kommt der Optimierung von Heizung bzw. Kühlung des Fahrgastraumes in allen Personenverkehrsarten eine besondere Bedeutung zu. Energieverschwendung kann bekämpft werden durch
- Stärkere Angleichung des Temperatursollwertes an die Umweltbedingungen
- Reduktion der Türöffnungszeiten auf das betrieblich Notwendige
- Minimierung der Einschaltzeiten während der Abstellphasen des Zuges Parken"
Die technischen Voraussetzungen hierfür sind in der Regel bei neueren Fahrzeugen vorhanden, müssen aber auch zuverlässig an eine Betriebssteuerung angebunden werden. Entsprechende Anforderungen müssen von den Betreibern rechtzeitig spezifiziert werden, da Nachrüstungen ungleich aufwändiger sind. Deshalb wäre für die Bestandsflotten ein staatliches Anreizsystem ähnlich der energetischen Gebäudesanierung anzustreben. Weitere Maßnahmen zur Senkung des Energiebedarfs für die Klimatisierung wären eine bessere Isolation des Fahrgastraumes (einschließlich der Fenster!), eine bedarfsgerechte Frischluftzufuhr sowie die Nutzung vorhandener Abwärme. Alles bedeutet aber einen hohen technologischen Aufwand mit entsprechenden Kosten.
Maximierung des rekuperativen Bremsens: An erster Stelle steht hier die volle Ausnutzung des bereits installierten elektrischen Bremsvermögens. Dem stehen drei Dinge entgegen,
- die fehlende Anpassung bestehender betrieblicher Regelwerke an moderne lokbespannter Züge. Dies ist in der Schweiz bereits erfolgt, weil aufgrund ihrer Topographie größere Potenziale vorhanden sind und die Optimierung des Energiebedarfs stärker im Vordergrund steht als hierzulande.
- Die Sorge des Fahrpersonals, bei frühzeitigem Beginn der Bremsung den Fahrplan nicht einhalten zu können. Als Folge muss vor allem im hohen Geschwindigkeitsbereich mechanisch zugebremst werden. Abhilfe schaffen hier Training oder Assistenzsysteme.
- Die vermeintliche oder tatsächliche Inkompatibilität heute zulässiger Maximalspannungen im Gleichstromnetz mit vorhandenen Altfahrzeugen und stationären Anlagen. Bei ohnehin anstehenden Erneuerungsmaßnahmen sollte dies untersucht und abhängig vom Aufwand auch umgesetzt werden.
- Energieoptimiertes Bordnetz: Durch bedarfsgerechte Frequenzabsenkung des dreiphasigen Bordnetzes von Lokomotiven und Triebzügen sinkt die Leistungsaufnahme in den angeschlossenen Hilfsbetrieben (Pumpen, Lüfter). Dies erfordert ein intelligentes Bordnetzmanagement und gegebenenfalls zusätzliche Komponenten (Schaltmittel, dezentrale Umrichter). Weiterhin kann man auch Kleinverbraucher mit noch geringerem Energiebedarf einsetzen (z.B. LED-Beleuchtung) Das derzeitige Energiepreisniveau ist allerdings kein ausreichender Motivator für derartige Konzepte.
Energie"optimierung" vorantreiben:
In der Priorisierung von energetischen Zielen im gesamten Bahnsystem liegt das größte Potenzial, wobei der Aufwand meist beträchtlich ist und mitunter Konkurrenz zu anderen Zielen besteht. Zu nennen wären ein Umbau der Verteilnetze mit dem Ziel höherer Rückgewinnung bzw. geringerer Verluste, oder die Entflechtung von Verkehrsarten.
Erfordert größere Investitionen in die Infrastruktur von Fahrweg und/oder Energieversorgung. Kosten- und zeitintensiv, insbesondere durch öffentliche Interessenskonflikte.
Netzstruktur bei Gleichstrombahnen optimieren: Während in Deutschland der Fern-, Güter- und Regionalverkehr über ein 110/15kV-Wechselstrom-Verbundnetz betrieben wird, das grundsätzlich aufnahmefähig und verlustarm ist, ist bei Stadtbahnen die Lage anders: Ein nennenswerter Teil der generatorischen Bremsenergie muss in Bremswiderständen „verheizt" werden, wenn gleichzeitig keine Abnehmer vorhanden sind. Wirksame Gegenmaßnahmen sind:
- Zweiseitige Speisung und Vermaschung des Netzes, um weitere Fahrzeuge in der Nähe mit dem Bremsenergieangebot zu erreichen. Zudem senkt dies die Leitungsverluste.
- Einrichtung rückspeisefähiger Unterwerke, um die überschüssige Bremsenergie ins öffentlicheStromversorgungsnetz einspeisen zu können.
- Schaffung von gesetzlichen / regulatorischen Rahmenbedingungen, die eine solche Rückspeisung ohne Vereinbarung eines s.g. Fahrplanes zur Energielieferung erlauben.
- Installation von stationären Energiespeichern, um Leistungsangebot und -Bedarf zeitlich entkoppeln zu können.
- Vermeidung von Störstellen: Insbesondere Straßenbahnen sind häufigen Geschwindigkeitswechseln unterworfen, weil sie sich den Verkehrsweg (mindestens an Ampeln und Kreuzungen ) mit dem Individualverkehr teilen müssen. Läßt sich eine prinzipielle Vorrangschaltung für den Bahnverkehr nicht um- oder durchsetzen, so können Fahrerassistenzsysteme zumindest das Ausfahren unnötiger Zyklen vermeiden, indem sie die Sollgeschwindigkeit reduzieren oder die Abfahrt verzögern. Voraussetzung ist jedoch eine Vernetzung mit der Betriebsleitzentrale des Straßenverkehrs. Entsprechende Konzepte müssen folglich in der Stadtplanung initiiert werden. Im Vollbahnbereich verkehren schnell- und langsamfahrende Züge häufig auf gleichen Trassen und verursachen damit gegenseitige Behinderungen mit entsprechendem Energiebedarf für zusätzliches Bremsen und Beschleunigen. Wo die Optimierung der betrieblichen Disposition an ihre Grenzen stößt, hilft nur noch der Streckenausbau zur Entflechtung der Verkehrsarten. Dies kann durch Neubaustrecken, mehrgleisigen Ausbau oder auch die Schaffung spezieller Korridore geschehen. Triebkraft für alle diese Maßnahmen ist aber immer die Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Bahnsystems; die Energieeinsparung ist dann ein schöner Nebeneffekt.
Insbesondere die bedeutenderen Maßnahmen sind nur in einer gemeinsamen Initiative von Politik, Betreibern und Bahnindustrie erfolgreich und in einem angemessenen Zeitrahmen umsetzbar:
- Die Politik muss verläßliche Rahmenbedingungen schaffen und somit langfristig wirkende Maßnahmen mit großem Investitionsvolumen ermöglichen. So wird beispielsweise die „Energiewende" zu einer weiteren Verbesserung der Umweltbilanz des Bahnverkehrs führen.
- Die Betreiber sollten bei der Spezifikation von Fahrzeugen und Bahnstromversorgung den energetischen Aspekt stärker als bislang wertschätzen, so dass entsprechende Technologien von der Bahnindustrie umgesetzt werden können. Hierzu ist eine genaue Kenntnis und Optimierung der betrieblichen Einsatzbedingungen erforderlich.
- Der Bahnindustrie obliegt es, selbständig auch kleinere Potenziale zu nutzen und darüber hinaus den oben genannten Gruppen als kompetenter Diskussionspartner für die Optimierung des Gesamtsystems zur Verfügung zu stehen. Dies wird immer wichtiger, weil die ehemals bei Eisenbahnaufsicht und großen Betreibern gebündelte Systemkenntnis infolge Dezentralisierung und Privatisierung abnimmt, während sich die Bahnindustrie im gleichen Zeithorizont zu größeren Einheiten konsolidiert hat.
Letztlich soll aber auch einer der einfachsten Ansätze nicht unerwähnt bleiben, der jedem einzelnen Bürger offen steht: Die vermehrte Nutzung des Bahnsystems, sei es als Fahrgast oder für den Warentransport, steigert mittels höherer Auslastung unmittelbar dessen Energieeffizienz und verringert zusätzlich den Energiebedarf des Individualverkehrs.