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VDE
01.12.2007 Fachinformation

Dezentrale Energieversorgung 2020 - VDE Studie

Die Energiewirtschaft befindet sich weltweit in einer Umbruchphase. Einerseits zwingt die rasante Klimaveränderung zur Reduzierung der Treibhausgase, andererseits zeichnet sich durch den dramatisch steigenden Energiebedarf eine Verknappung fossiler Energieträger ab. Dezentrale Energieversorgungskonzepte, basierend auf erneuerbaren Energieträgern und der effizienten Nutzung fossiler Energieträger durch Kraft-Wärme-Kopplung können einen wertvollen Beitrag zur Lösung dieser Probleme leisten.

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Dipl.-Ing. Martin Pokojski
Dr. Martin Kleimaier

Definitionen, Rahmenbedingungen und Systemansatz

Die Erschließung erneuerbarer Energiequellen sowie eine möglichst effiziente Nutzung der fossilen Primärenergieträger werden in den nächsten Jahren zu einem wachsenden Stromerzeugungsanteil aus dezentralen Systemen führen. Neben der dargebotsabhängigen und damit fluktuierenden Erzeugung aus regenerativen Quellen gilt hierbei der regelbaren Erzeugung mit energieeffizienten KWK-Anlagen ein besonderes Interesse.

Zu den regenerativen Energieträgern sind auch Biogas bzw. Biomasse zu zählen, wobei Biogas das Potential besitzt, Erdgas zumindest teilweise zu ersetzen. Aufgrund der relativ einfachen Speicherung lassen sich darauf basierende Systeme weitgehend bedarfsgerecht einsetzen.

Die Komplexität der dezentralen Versorgung erfordert einen Systemansatz, der nicht nur dezentrale Stromerzeugungsanlagen (DEA), sondern die Wechselwirkungen mit dem großflächig vernetzten Gesamtsystem und auch mit den Verbrauchern berücksichtigt. Da KWK-Systeme in den Wärmemarkt eingreifen, sind im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes zur ressourcenschonenden, wirtschaftlichen Nutzung der Primärenergien auch unterschiedliche Konzepte zur Wärmeversorgung mit in die Betrachtungen einzubeziehen. Hierzu gehören z.B. Holzpellet-Heizungen und solarthermische Systeme ebenso wie Wärmepumpen.

Bedarfsentwicklung

Dezentrale Versorgungssysteme haben - neben der Nutzung erneuerbarer Energien - das Ziel, mit verbrauchernah errichteten Systemen die Effizienz und Sicherheit der Energieversorgung zu verbessern. Dies erfordert eine am Bedarf orientierte Auslegung der Systeme. Im Vergleich zur zentralen Versorgung ist damit eine möglichst detaillierte Kenntnis des vor Ort bestehenden Bedarfs von Strom und Wärme Voraussetzung für eine optimale Versorgungskonzeption.

Trotz Effizienzsteigerung und zunehmend umweltbewusstem Verbraucherverhalten werden neue Stromanwendungen zu einem steigenden Strombedarf, bei gleichzeitig höherem Qualitätsanspruch, führen. Beim Wärmebedarf ist demgegenüber als Folge von Energiesparmaßnahmen von einer kontinuierlichen Abnahme auszugehen. Der Energiebedarf zur Brauchwassererwärmung - insbesondere im häuslichen Bereich - ist hingegen nahezu unverändert und zeigt auch praktisch keine großen jahreszeitlichen Schwankungen.

Diese Zusammenhänge zeigen die Probleme bei ausschließlich dezentralen Versorgungskonzepten. In der Regel wird daher auch weiterhin von einem Anschluss an ein überlagertes Stromversorgungsnetz auszugehen sein.

Dezentrale Versorgungsstrukturen

Dezentrale Versorgungsstrukturen lassen sich in einer großen Bandbreite definieren und reichen vom Einfamilienhaus bis zur Versorgung ganzer Stadtgebiete. Die Bedarfsermittlung für Strom und Wärme erfolgt anhand von Lastganglinien.

Während der Lastgang eines einzelnen Kunden bei Strom und Wärme hohe Bedarfsspitzen aufweist, führt eine Überlagerung der Einzellastgänge mehrerer Kunden zu einer Vergleichmäßigung. Insgesamt bietet damit die dezentrale Versorgung eines Kollektivs - insbesondere eine Durchmischung von Wohnbebauung, Bürogebäuden und Gewerbebetrieben - Vorteile. Weitere Optionen zur Vergleichmäßigung bestehen in verbraucherseitigen Maßnahmen. Über Lastabschaltungen oder -verschiebungen sowie gegebenenfalls auch Nutzung von Speichern lassen sich zusätzliche Optimierungspotentiale generieren. Über die thermische Vernetzung zu sog. Nahwärmenetzen besteht zusätzlich die Möglichkeit, ein für den Gesamtverbrauch an thermischer Energie (Raumheizung und Brauchwasser) optimiertes System aus Wärmeerzeugern und -speichern einzusetzen.

Erzeugersysteme, sowohl für Strom als auch für Wärme, unterscheiden sich in Bezug auf die Verfügbarkeit der Energieträger und damit hinsichtlich der Planbarkeit ihres Einsatzes. Während Systeme auf der Basis von Sonne und Wind dem fluktuierenden Dargebot folgen, kann der Einsatz anderer Systeme dem jeweiligen Bedarf angepasst werden. Bei PV-Anlagen ist insbesondere zu beachten, dass sich deren Stromerzeugung bzw. deren Nichtverfügbarkeit innerhalb von Siedlungen quasi zeitsynchron summiert.

Abgeschlossene dezentral versorgte Gebiete, die im Normalbetrieb mit dem öffentlichen Netz durch definierte Schnittstellen verbunden sind, lassen sich bei entsprechender technischer Ausstattung quasi netzunabhängig betreiben. Solche "autarken" Teilnetze werden auch Microgrids genannt. Über ein zentrales Energiemanagementsystem lassen sich dezentrale Erzeugungsanlagen zusätzlich bündeln und um Bedien- und Beobachtungsfunktionen so ergänzen, dass sie ein sog. virtuelles Kraftwerk bilden.

Szenarien

Voraussetzung für eine positive Entwicklung ist die energetische, ökologische und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit dezentraler Systeme gegenüber einer zentralen Versorgung. Im Rahmen der Studie wurden diese Aspekte an Hand fiktiver gemischtwirtschaftlicher Siedlungsgebiete bewertet.

etg-dezentrale_energieversorgung-tabelle1

Tabelle 1

Beschreibung der Gebiete

Für die Szenarien werden zwei unterschiedliche Siedlungsstrukturen mit einer Fläche von jeweils 1 km² betrachtet:

  • Innenstadtbereich mit hoch verdichteter Bebauung und bis zu vier Stockwerke
  • Vorstadtbereich, dünn besiedelt, Bebauung bis zu zwei Stockwerke

Für die beiden betrachteten Gebiete wird eine gemischte Nutzung angenommen, mit Wohnungen, Gewerbebetrieben, Büros und Handel.

Fünf unterschiedliche Versorgungskonzepte werden verglichen. Zusätzlich werden diese Varianten zum einen mit Nahwärmenetz und wenigen großen Erzeugungseinheiten, zum anderen ohne Nahwärmenetz und einer entsprechend großen Anzahl von kleineren Erzeugungseinheiten betrachtet.

Da sich dezentrale Versorgungskonzepte im Sinne der Nachhaltigkeit möglichst kurzfristig auch ohne Subventionen oder anderen Sonderbehandlungen dem Markt stellen müssen, werden diese bei den Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen generell nicht berücksichtigt.

Für die hier dargestellten Ergebnisse wird für das Jahr 2020 von folgenden Annahmen ausgegangen (Tabelle 1, Veränderungen relativ zu 2006).

Tabelle 1: Annahme der Entwicklung bis 2020

Entwicklung 2020 Wärmebedarf (Heizung) -50% Strombedarf +10% Investitionsbedarf -10% Gaspreis +50% Strompreis +30% Kraftwerkswirkungsgrad +10%

Ergebnisse

etg-primaerenergieverbrauch-diagramm

Bild 1: Vergleich des Primärenergieverbrauchs
 A:  Konventionelle Versorgung mit Strombezug aus dem Netz und Erdgaskessel
 B:  Wärmegeführte BHKW in Verbindung mit Erdgasspitzenkesseln
 C:  Stromgeführte BHKW in Verbindung mit Erdgasspitzenkesseln
 D:  Warmwasser über Solarthermie, Erdgasheizkessel und Strombezug
 E:  Vollwärmeversorgung über Wärmepumpen, Strombezug aus dem Netz

Primärenergieverbrauch

Die Ergebnisse (Bild 1) bestätigen, dass dezentrale Systeme unabhängig von der Besiedelungsstruktur gegenüber der zentralen Versorgung energetische Vorteile erwarten lassen. Diese Vorteile resultieren aus der gekoppelten Strom- und Wärmeversorgung sowie der Nutzung von Umweltenergien, entweder über die solarthermische Wärmeversorgung oder den Einsatz von Wärmepumpen.

Der energetische Vorteil wird bei dem wärmegeführten BHKW besonders deutlich. Der dezentral in KWK erzeugte Strom verdrängt entsprechende Mengen elektrischer Energie aus Großkraftwerken mit schlechterer Energieausnutzung. Mit abnehmendem Wärmebedarf im Jahr 2020 und entsprechend geringerer Stromerzeugung verringert sich allerdings dieser Effekt. Die Ergebnisse zeigen auch, dass aus energetischer Sicht Nahwärmenetze nur in Kombination mit wärmegeführten BHKW sinnvoll sind.

etg-co2-mission-diagramm

Bild 2: Vergleich der CO2-Emissionen
 A:  Konventionelle Versorgung mit Strombezug aus dem Netz und Erdgaskessel
 B:  Wärmegeführte BHKW in Verbindung mit Erdgasspitzenkesseln
 C:  Stromgeführte BHKW in Verbindung mit Erdgasspitzenkesseln
 D:  Warmwasser über Solarthermie, Erdgasheizkessel und Strombezug
 E:  Vollwärmeversorgung über Wärmepumpen, Strombezug aus dem Netz

CO2-Emissionen

Basis für die Bewertung der Emission ist der durchschnittliche CO2-Ausstoß der Kraftwerke. Neben dem hohen Energienutzungsgrad bei KWK wirkt sich bei der dezentralen Erzeugung vorteilhaft aus, dass Erdgas zum Einsatz kommt, während die zentrale Stromerzeugung zum großen Teil auf der Nutzung von Braun- und Steinkohle beruht und damit zu entsprechend höheren spezifischen CO2-Emissionen führt. Entsprechend dem Primärenergieverbrauch profitieren derzeit insbesondere wärmegeführte KWK-Systeme von der emissionsseitigen Entlastung (Bild 2). Allerdings verschiebt sich das Bild für 2020 aufgrund des angenommenen geringeren Wärmebedarfs teilweise zugunsten der stromgeführten KWK-Systeme. Wärmenetze bieten nur in Kombination mit wärmegeführten KWK-Systemen gewisse Vorteile bei den Emissionen. Mit stromgeführten KWK-Systemen ohne Wärmenetz lassen sich mit Blick auf 2020 allerdings fast ebenso geringe Emissionen erreichen.

etg-dezentrale_versorgung_gesamtkosten-diagramm

Bild 3: Vergleich der Gesamtkosten
 A:  Konventionelle Versorgung mit Strombezug aus dem Netz und Erdgaskessel
 B:  Wärmegeführte BHKW in Verbindung mit Erdgasspitzenkesseln
 C:  Stromgeführte BHKW in Verbindung mit Erdgasspitzenkesseln
 D:  Warmwasser über Solarthermie, Erdgasheizkessel und Strombezug
 E:  Vollwärmeversorgung über Wärmepumpen, Strombezug aus dem Netz

Gesamtkosten

In den Gesamtkosten (Bild 3) sind neben den Investitionen auch Energie- und Strompreise sowie weitere Betriebskosten enthalten. Hierbei bestätigt sich, dass die stromgeführte Betriebsart bei KWK-Systemen gegenüber einer wärmegeführten wirtschaftliche Vorteile bietet. Mit sinkendem Wärmebedarf, wie für 2020 unterstellt, ist von einer kostenmäßigen Annäherung der KWK-Systeme auszugehen.

Obwohl die Wärmepumpe den anderen Varianten in Bezug auf die Investitionen unterlegen ist, zeigt sich bei den Gesamtkosten der Vorteil der Erdwärmenutzung: Bereits heute liegt die Wärmepumpe bei der Versorgung dünn besiedelter Gebiete mit den anderen Varianten etwa auf gleichem Niveau. In 2020 ist unter den getroffenen Annahmen von einem konkurrenzfähigen Betrieb auszugehen.

Die Ergebnisse bestätigen, dass Nahwärmenetze nur in Gebieten mit dichter Bebauung Vorteile bieten. Dies gilt aber nicht in jedem Fall: Bei einer konventionellen Versorgung und bei wärmegeführten KWK-Systemen führen Nahwärmenetze zu höheren Kosten. Einzelfallbetrachtungen können jedoch zu anderen Ergebnissen führen.

Die Kosten für CO2-Zerifikate wurden bei den Gesamtkosten vernachlässigt. Bei einer Berücksichtigung ist davon auszugehen, dass insbesondere die konventionelle Versorgung mit entsprechenden Mehrkosten belastet wird.

Zusammenfassung und Ausblick

Im Rahmen einer Studie wurden die Optionen einer verstärkten dezentralen Energieversorgung untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Nutzung erneuerbarer Energien sowie die hocheffiziente, kombinierte Erzeugung von Strom und Wärme in KWK-Anlagen ein hohes Potential zur Einsparung von Primärenergie und CO2-Emissionen bieten. Die technologischen Entwicklungen und die sich verändernden Energiemärkte sprechen hierbei für eine zunehmende Wettbewerbsfähigkeit dezentraler Versorgungssysteme. Dabei sind sowohl der Strom- als auch der Wärmebedarf sowie die hierfür in Frage kommenden Erzeugungsmöglichkeiten zu betrachten. Die unterschiedlichen Anforderungen an eine zukünftige Erzeugungsstruktur führen häufig zu widersprüchlichen Lösungsansätzen, da kostengünstige Energieversorgung, Zuverlässigkeit, Umweltfreundlichkeit und Reduzierung der Importabhängigkeit in der Regel nicht gleichzeitig zu erreichen sind. Um auch in Zukunft eine zuverlässige, kostengünstige und ökologisch verträgliche Energieversorgung zu gewährleisten, sollten dezentrale Systeme auch einen Beitrag zur Optimierung des Gesamtsystems leisten. Eine Ausschöpfung der zukünftig verfügbaren Technologien wird dazu beitragen, dass sich dezentrale und zentrale Technologien sowohl im Erzeugungsbereich als auch im Netzbereich sinnvoll ergänzen.

Wasserstoff - ein wichtiger Bestandteil zukünftiger Energieversorgungskonzepte - wird für den hier betrachteten Zeitraum bis 2020 noch keine große Rolle spielen. Indirekt wird er aber in Brennstoffzellen - vor Ort erzeugt aus Erd- oder Biogas - zum Einsatz kommen. In nachhaltige Energieversorgungskonzepte ist längerfristig auch der Verkehrssektor mit einzubinden.

Referenzen

[1] Dezentrale Energieversorgung 2020. VDE/ETG-Studie, 2007

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