„Das ist irre. Da ist eine Dynamik im System und da brauche ich Leidenschaft, um etwas zu bewegen, Wille, Durchhaltevermögen und die Möglichkeit, am Ende was zu verändern. Das ist für mich Energiewende.“ So kommentierte Dr. Roland Hermes, Vice President Research, Development and Innovation bei E.ON und einer der Redner bei der ETG Veranstaltung die Tatsache, dass 2021 noch lediglich fünf Gigawatt Photovoltaikstrom in die E.ON-Netze integriert werden mussten, im laufenden Jahr aber schon 15 Gigawatt.
50 Jahre VDE ETG ‒ Let’s power the change!
Die rasanten und in diesem Tempo unerwarteten Veränderungen im Energiesystem zogen sich wie ein roter Faden durch die Vorträge der Veranstaltung beim Fraunhofer ENIQ auf dem EUREF-Campus in Berlin. In der Begrüßung blickten die ETG Vorstandsvorsitzende Dr. Britta Buchholz, der Tagungsleiter und ETG Vorstandsmitglied Prof. Dr. Andreas Ulbig sowie Dr. Martin Hieber, CTO im VDE-Vorstand zurück auf die ETG und die Situation im Gründungsjahr. „1974 war das Jahr, in dem Energie wichtiger wurde und die Gesellschaft durch die Ölkrise gespürt hat, dass eine sichere Energieversorgung nicht selbstverständlich ist“, fasste Ulbig die Stimmung der damaligen Zeit zusammen. Und viele der damaligen Fragestellungen wie Energieeffizienz, Atomkraft ja oder nein, beschäftigen die Gesellschaft auch heute noch.
Prof. Dr. Jochen Kreusel, Head of Market Innovation bei Hitachi Energy Germany, erinnerte mit etwas Ironie an Szenarien Ende der 80er Jahre. „Wir haben Szenarien gerechnet, die wir für ambitioniert hielten, für sehr ambitioniert. 20 Prozent Erneuerbare. Sie wissen ja, heute sind wir bei 60.“ Die Entwicklung sei „nicht ohne auch die eine oder andere Irrung verlaufen, aber technisch ist das eine Erfolgsgeschichte und vielleicht sollte man das hin und wieder mal sagen.“
Ein anschauliches Maß für den Wandel des Systems lieferte Wilfried Breuer, Geschäftsführer der Maschinenfabrik Reinhausen. Der Mittelwert der Reise, die ein Elektron vom Generator zum Verbraucher durchschnittlich zurücklege, habe sich von 50 Kilometer in der Zeit, als Kraftwerke noch verbrauchernah gebaut worden seien, auf künftig 300 Kilometer verlängert, da Erneuerbare eher fern der Lastzentren entstehen.
Neben dieser räumlichen Komponente benannte Breuer eine zeitliche Veränderung, die aus der Einspeisung von Photovoltaikstrom aus Privathäusern mit Heimspeicher folgt, nämlich starke Leistungssprünge. Die Algorithmen der Hersteller folgen jeweils einer ähnlichen Optimierungslogik. „Also kriegen sie da eine extrem hohe Gleichzeitigkeit, wenn an einem schönen, sonnigen Tag die Batterie mittags voll ist und dann schlagartig die im Überschuss produzierte Energie ins Netz zurück gespeist wird. Die Gradienten sind das, was dem Netzbetreiber hier die Kopfschmerzen bereitet.“
In die andere Richtung geht der Sprung, wenn im Winter der Heimspeicher leer ist und zudem eine Wärmepumpe betrieben wird. Als Lösung hatte Breuer gleich ein Produkt seines Unternehmens zur Hand: ein neuartiger Stufenschalter, um die Ortnetztransformatoren regelbar zu machen. Damit könne der nötige Ausbau bestehender Kabelnetze um zehn Prozent gedämpft werden.
Daran konnte Prof. Dr. Hans-Martin Henning, Mitglied im Präsidium der Fraunhofer-Gesellschaft, gut anknüpfen. Henning hatte kurz zuvor von der Forschungsfront bei der Entwicklung ertragreicherer Solarzellen berichtet. Der Wirkungsgrad der zurzeit dominierenden Einfach-Solarzellen auf Basis von Silizium-Wafern sei aus physikalischen Gründen auf rund 29 Prozent begrenzt. Stattdessen stehe man kurz davor, ein Mehrschichtsystem zu bauen, zunächst mit zwei, „im Prinzip auch drei oder vier“ Halbleitern, wo man einen größeren Anteil des Strahlungsspektrums nutzen könne. Eine der aussichtsreichsten Materialkombinationen dafür sei Silizium-Perowskit.
Jochen Kreusel machte mit einem Positiv- und einem Negativbeispiel auf die Bedeutung einer guten Regulierung aufmerksam: „Alles kann beeinflusst werden; nicht nur Technik, sondern auch Rahmenbedingungen, Gesetze, Regeln.“ 2010 hieß es, wenn es keine Speicher gebe, dann würden die Regelleistungskosten explodieren. „Und irgendwann gab es dann um 2012/2013 das sogenannte deutsche Regelleistungsparadox, weil nämlich die Regelleistungskosten plötzlich auf einem Allzeit-niedrig-Niveau lagen. Was war passiert? Man hat die Marktregeln geändert. Man hat die Marktschließungszeit geändert, man hat Pools zugelassen für Regelleistung, man hat virtuelle Kraftwerke ermöglicht.“
Schlecht gelaufen ist es dagegen laut Kreusel bei der Möglichkeit einer Lastbeeinflussung von Elektrofahrzeugen. Zwar habe man von Seiten der ETG bereits im Jahr 2011 bei der Vorstellung des Positionspapiers „Speichertechnologien“ gesagt: „Wenn es irgendeinen Verbraucher gibt, der nur mit Lastbeeinflussung funktionieren wird, dann sind es Elektrofahrzeuge. Bereitet euch bitte darauf vor. Letztes Jahr haben wir mit Verve den Paragrafen 14a Energiewirtschaftsgesetz diskutiert. Und dann waren wir ganz entsetzt, dass wir die Voraussetzungen nicht geschaffen haben.“ Selbstkritisch fügte Kreusel hinzu: „Wir haben die richtigen Dinge gesagt. Wir waren aber nicht laut genug, nicht hartnäckig genug. Kommunikation ist, wenn es der Empfänger verstanden hat, und nicht, wenn es der Redner gesagt hat.“
Beim zweiten großen Thema Fachkräftemangel relativierte Roland Hermes mit dem Beispiel seines eigenen Unternehmens E.ON: „Ich kann sagen, wir sind im Moment in einer extrem glücklichen Situation: Wir hatten im vergangenen Jahr 6.000 Stellen, die wir besetzen wollten – und 6.000 Stellen haben wir besetzt.“ Ähnlich Michael Jesberger, Mitglied der Geschäftsführung von TransnetBW.
Dafür, dass es zukünftig anderswo ähnlich entspannt zugeht, kamen diverse Empfehlungen. Riccarda von der Marwitz von der Syna GmbH, die für das VDE Young Net auf dem Podium saß, strich die Bedeutung von Vorbildern heraus. „Ich hatte zum Beispiel eine super Physiklehrerin, die mich immer unterstützt hat in dem, was ich gemacht habe.“
Frau Dr. Nicole Ahner, Senior Manager Legal Affairs bei TenneT TSO, verriet einen erprobten Trick für Arbeitgeber. „Es ist tatsächlich so, das ist statistisch belegt, dass Frauen immer ein bisschen länger nachdenken, ob sie tatsächlich alle Anforderungen der Stelle erfüllen.“ Man habe deshalb Stellenanzeigen offener geschrieben: Es ist schön, wenn diese Voraussetzungen mitgebracht werden, aber bei genügend Einsatzbereitschaft finde sich der Rest. „Und das war einer der Punkte, dass wir einen viel größeren Anteil an Bewerberinnen hatten.“
VDE Präsident Alf Henryk Wulf wurde in seinem Vortrag grundsätzlich. Die Gründungsidee des VDE sei gewesen, sich die Regeln für die neue Technologie selbst zu geben. „Es gibt bis heute kein Bundesamt für Elektrotechnik oder etwas Vergleichbares, was uns Auflagen macht; sondern wir schaffen diesen Rahmen selbst.“ Das sei gut so. „Und damit das so bleibt, muss der VDE die Plattform sein für alles, was mit elektrischer Energie, mit Informations- und Nachrichtentechnik und elektrischen Geräten zu tun hat.“
Career Talks
Am Nachmittag fanden in zwei Durchläufen Career Talks statt, in dem die Jungmitglieder der ETG die Gelegenheit hatten, in kleiner Runde mit erfahrenen Berufsvertreterinnen und -vertreter ins Gespräch zu kommen. Die Jungmitglieder haben hierdurch Eindrücke in die persönlichen Werdegänge erfahrener Ingenieure und Ingenieurinnen sowie wertvolle Tipps für die eigene Karriere bekommen. Die Jungen sprachen über ihre Wünsche und Visionen, aber auch über ihre Ängste. Die Erfahrenen konnten auf Basis dieses Dialogs nicht nur Anregungen für die Gestaltung ihrer eigenen Unternehmen mitnehmen, sondern auch wichtige Impulse geben, die den Studierenden halfen, ihre beruflichen Ängste abzubauen.
Die Berufsvertreter und -vertreterinnen waren sich in einem Punkt jedoch meist einig: Erfolg ist schwer planbar, wenn man jedoch das verfolgt, was einen wirklich interessiert und dies mit Leidenschaft nachgeht, stellt sich der Erfolg oft von selbst ein.
Mein persönlicher Eindruck: Der Austausch während der Career Talks wirkte auf mich äußerst locker und ungezwungen. Diese Atmosphäre ermöglichte es sowohl den Studierenden als auch den Berufsvertretern, offen über ihre Erfahrungen und Vorstellungen zu sprechen. Besonders hilfreich fand ich die Tipps, primär den eigenen Interessen zu folgen, was den Druck reduziert, den sich viele ambitionierte junge Menschen ja oft selbst auferlegen.
Netzwerken am Abend
Nach dem inhaltlichen Abschluss der Veranstaltung fand ein geselliger Ausklang des Tages statt. Beim GetTogether am Abend hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, sich in einer lockeren Umgebung weiter auszutauschen.
Ein besonderes Highlight des Abends war eine zauberhafte Überraschung: Ein Zauberer, der sich von den Teilnehmenden zunächst völlig unerkannt als Kellner unter das Catering-Personal gemischt hatte, sorgte mit humorvollen, magischen und akrobatischen Einlagen für Unterhaltung und große Begeisterung. Die Stimmung war ausgelassen, und es herrschte eine angenehme Atmosphäre für Gespräche und Austausch, die den Tag gelungen abrundete.
Career Talks und Netzwerken am Abend: Eindrücke von Maxim Müllender, VDE YoungNet Aachen, Doktorand am IAEW, RWTH Aachen
Autor: Alexander Morhart
Alexander Morhart ist freier Journalist in Berlin und schreibt über Energie, Verkehr, Umwelt und Wissenschaft und Technik.