Redaktion:
Wo immer derzeit von der Energiewende die Rede ist, stehen auch die Übertragungsnetze unmittelbar im Fokus. Welche Auswirkungen hat die Energiewende auf das Übertragungsnetz?
Joswig:
Bereits in den vorangegangenen Jahren hat sich - begünstigt durch den national- und europapolitischen Rahmen - der Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtstromerzeugung kontinuierlich erhöht. In Deutschland hat diese Entwicklung durch die von der Bundesregierung eingeleitete Energiewende noch einmal deutlich an Fahrt gewonnen. Die Übertragungsnetzbetreiber stehen inzwischen vor enormen Herausforderungen bei ihrer Aufgabe, Versorgungssicherheit und Netzstabilität aufrecht zu erhalten. Ein wesentlicher Punkt ist hierbei der schnell wachsende Anteil an unregelmäßig eingespeister Energie. Es wird bald Tage geben, an denen die Erzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland höher ist als die Nachfrage nach Strom. Ein weiterer Aspekt ist die große räumliche Entfernung zwischen Erzeugung und Verbrauch: Lag die mittlere Entfernung in der Vergangenheit bei ca. 80 km, so variiert sie inzwischen von nahezu 0 km bei dezentraler Erzeugung („Fotovoltaik auf dem Dach“) bis hin zu über 800 km bei großräumigem Transport von Windstrom von Nord- nach Süddeutschland. Hieraus ergeben sich stark steigende Anforderungen an die Flexibilität der Verteilungs- und Transportnetze insbesondere im Hinblick auf die Übertragungskapazität und die für die Spannungshaltung erforderliche Blindleistungsbereitstellung.
Mit der Abschaltung von acht Kernkraftwerksblöcken im März 2011 verringerte sich außerdem die installierte Erzeugungsleistung deutschlandweit um rund 8400 MW. Derzeit verfügen wir in Deutschland nicht mehr über genügend gesicherte Erzeugungsleistung, um in Zeiten ohne Erzeugung aus erneuerbaren Energien den Strombedarf jederzeit abzudecken. Vor allem im Süden Deutschlands, wo sechs der acht betroffenen Kraftwerke ihren Standort haben, haben wir dies in der Kältewelle des vergangenen Winters zu spüren bekommen. Die Netzsituation war teilweise sehr angespannt – zur Sicherstellung der Stromversorgung mussten die Übertragungsnetzbetreiber die vertraglich gesicherten Reservekraftwerke einsetzen und weitere noch freie Erzeugungsleistung aus dem Ausland beschaffen.
Mit Blick auf die steigende Zahl der zur Aufrechterhaltung der Systemsicherheit erforderlichen Eingriffe ist festzustellen, dass die Übertragungsnetzbetreiber immer mehr die Rolle eines „Dirigenten“ übernehmen.