Spätestens seit dem Transformator-Brand im Kernkraftwerk Krümmel sind Zustandserfassung und Diagnostik an Betriebsmitteln der Hochspannungstechnik in den Fokus der Öffentlichkeit getreten. Der Einbau einer Teilentladungs-Messeinrichtung war damals "schlicht vergessen" worden, was entsprechende Konsequenzen für die Kraftwerksleitung nach sich zog und auch einen Beitrag zur Meinungsfindung der deutschen Öffentlichkeit zur Atomenergie lieferte, [1].
Tatsächlich verlangen der alternde Gerätepark und zustandsorientierte Instandhaltungsstrategien nach neuen diagnostischen Verfahren, um den Zustand der Betriebsmittel des Hochspannungsnetzes zuverlässig und ggf. auch on-line, also während des Betriebs, bestimmen zu können. Von diesem Trend profitiert auch die ETG in ihren publizistischen Aktivitäten; z.B. ist die "Fachtagung Diagnostik" das Zugpferd unter den Veranstaltungen des Fachbereichs Q2.
Der vorliegende Artikel legt seinen Fokus auf Trends und Neuheiten zur Diagnostik und Zustandsbestimmung elektrischer Betriebsmittel, insbesondere am Transformator.
Messung und Bewertung von Teilentladungen – PD
Teilentladungen als Vorentladungen vor dem eigentlichen Durchschlag dienen als Indikator für den Zustand eines Isolierstoffsystems. Messbar werden sie durch ihre vielfältigen Emissionen: elektrische und elektromagnetische Impulse, Schallwellen, Licht und chemische Zersetzungsprodukte.
Bei der elektrischen Messung bleiben Teilentladungsort und –ausbreitungsweg unbekannt, weshalb sich die Fachwelt auf die "scheinbare Ladung" der Einzelimpulse einigte (IEC60270). Die Tatsache, dass die "scheinbare Ladung" trotz richtiger Kalibrierung keine direkte Auskunft über die tatsächliche Teilentladungsintensität der Fehlerstelle erlaubt, vergisst der Prüfer in Diskussionen wie z.B. der Werksabnahmeprüfung von Betriebsmitteln schnell, vor allem im Norm-orientierten asiatischen Markt. Kann der scheinbaren Ladung bei elektrisch einfachen Signalausbreitungswegen einer GIS oder eines Kabels vielleicht noch eine Bedeutung beigemessen werden, so verliert sie ihre Aussagekraft besonders bei elektrisch ausgedehnten Betriebsmitteln, z.B. einem Transformator. Dieser wirklich grundlegende Nachteil bewegt heute Experten zu Aussagen wie "Messungen nach IEC60270 sollten nur als Ja/Nein Entscheidungen verwendet werden, ohne den Wert der scheinbaren Ladung zu berücksichtigen" und "Wichtig sind Änderungen und Trends", [2].
Teilentladungen sind überhaupt das Thema wissenschaftlicher Konferenzen, wovon sich interessierte Leser durch Stichproben in den Verzeichnissen aktuelle Events wie ISH 2011 in Hannover und CMD 2010 in Tokio überzeugen können. Wiederkehrende Diskussionen betreffen die richtige Interpretation von Teilentladungsmustern und vor allem die Erweiterung des gemessenen Frequenzbereichs hin zu einigen 10 MHz oder sogar in den Gigahertz-Bereich, [3]. Dabei gestaltet sich der Signalweg immer komplizierter, da sich der Ausbreitungsmechanismus von der leitungsgebundenen Signalausbreitung zur feldgebundenen Ausbreitung verschiebt. Maxwell fasste diesen Zusammenhang in die bekannte Gleichung (1).